Sa, 14.10.2023 — Redaktion
Jedem der nun 8 Milliarden Menschen stehen exakt 24 Stunden pro Tag für seine Aktivitäten zur Verfügung. Diese, in zunehmendem Maße über nationale Grenzen hinweg stattfindenden Aktivitäten bilden die Grundlage menschlichen Verhaltens und sind gleichzeitig Ursache bedrohlicher Veränderungen von Geosphäre und Biosphäre. Der enorme Umfang und die Vielfalt der menschlichen Aktivitäten haben bislang zu keiner ganzheitlichen Abschätzung geführt, wie die Menschheit den Tag verbringt und bei welchen Aktivitäten ein erhebliches Potential für Maßnahmen zur Minderung der negativen Veränderungen und Anpassung an den rasanten technologischen Wandel bestehen kann. Um zu einer derartigen Abschätzung zu kommen, hat ein kanadisches Forscherteam in einem Mammutprojekt jahrelang Datensätze aus verschiedensten Disziplinen zusammengetragen, analysiert und daraus einen "globalen menschlichen Tag" erstellt. Dieser bietet erstmals - in einer Vogelperspektive - einen Blick auf das, was unsere Spezies tut und die Möglichkeit besser fundierte Maßnahmen zu treffen.
Der Mensch als integrales Element des Erdsystems hat im Laufe des letzten Jahrhunderts begonnen dieses System in zunehmendem Maße zu dominieren und dabei sowohl die Erdoberfläche als auch die darauf lebenden Organismen zu verändern. Insgesamt haben unsere Aktivitäten zum rasanten technologischen Wandel und zur überbordenden Entwicklung von Infrastruktur und globalen Verkehrsnetzen geführt, die nun Veränderungen des Klimas, der Ökosysteme und den Verlust der biologischen Vielfalt nach sich ziehen. Der Ruf nach sofortigen Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise, zur Rettung der Ökosysteme und zu einer nachhaltigen Nutzung der endlichen Ressourcen ist unüberhörbar. Solche Maßnahmen setzen allerdings ein vertieftes Verstehen der wechselseitig gekoppelten Entwicklung des Systems Erde-Mensch voraus - dieses weist aber derzeit leider noch große Lücken auf.
Forschung über den Menschen wird ja in der Regel getrennt von der Forschung über das System-Erde durchgeführt; insbesondere fehlt eine umfassende Darstellung der menschlichen Aktivitäten auf globaler Ebene. Natürlich werden menschliches Verhalten und Aktivitäten von Ökonomen, Soziologen, Anthropologen, Biologen u.a. seit langem beschrieben, allerdings beschränken sich diese jeweils auf wesentliche Aspekte ihrer Disziplinen (Ökonomen beispielsweise auf bezahlte Erwerbstätigkeit und nicht darauf, was Menschen sonst noch tun). Natur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften werden in der Regel unabhängig voneinander und mit unterschiedlichen Mitteln betrieben, differieren also methodisch sehr und lassen sie sich kaum zu einem umfassenden Bild auf globaler Ebene kombinieren.
Das Humane Chronom Projekt
Das Team um Eric Galbraith (Professor an der McGill University, Montréal, Canada) entwickelt einen neuartigen interdisziplinären Ansatz, der als "Erdsystemökonomie" bezeichnet wird und zum Ziel hat das globale menschliche System nahtlos mit den anderen Komponenten des Erdsystems zusammen zu führen. (siehe: https://earthsystemdynamics.org/research/current/). Im Rahmen dieses Ansatzes versucht das Team ein quantitatives Bild eines humanen "Chronoms" zu erstellen, d.i. wie die Menschheit im globalen Mittel den Tag auf Aktivitäten aufteilt (https://humanchronome.org/). Es ist dies ein entscheidender Aspekt im Verstehen des Erde-Mensch-Systems: Wie wir die 24 Stunden am Tag verbringen, bestimmt ja einerseits, wie wir die biophysikalische Realität verändern und ist andererseits Ausdruck unseres subjektiven Erlebens. Entstehen soll so ein umfassender globaler Datensatz menschlicher Aktivitäten - eine Datenbank, die auch aufzeigt, bei welchen Aktivitäten ein erhebliches Potential für Maßnahmen zur Minderung der negativen Veränderungen und Anpassung an den rasanten technologischen Wandel bestehen kann.
In einer kürzlich im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences erschienenen Arbeit [1] haben die Forscher unter dem Titel The Global Human Day nun erstmals Ergebnisse aus diesem Projekt vorgestellt: Es ist eine gesamtheitliche Schätzung dessen, wie die Weltbevölkerung im Mittel aller Menschen den Tag verbringt. Der zugrunde liegende Datensatz stammt aus 145 Ländern (entsprechend 87 % der Weltbevölkerung), wobei in 52 Ländern sowohl repräsentative Erhebungen zur Zeitnutzung als auch Statistiken über Beschäftigung und Arbeitszeit zur Verfügung standen, in 6 Ländern nur Zeitverwendungsdaten und in den übrigen 87 Ländern nur Wirtschaftsdaten. Abbildung 1. Die Informationen stammten dabei aus heterogenen öffentlichen, privaten und akademischen Quellen - u.a. von statistischen Ämtern, von der Datenbank der Internationalen Arbeitsorganisation (Ilostat), von der Weltbank und von Unicef.
Abbildung 1 Globale Erfassung von nationalen Daten zu Erhebungen von Zeitverwendung und von Wirtschaftsdaten. Die Daten stammen aus den Jahren 2000-2019, die meisten davon aus dem Zeitraum 2010 -2019; Wirtschaftsdaten überwiegend aus den Jahren 2018-2019.Länder,die keine Daten lieferten, sind weiß dargestellt; für diese wurden Informationen aus vergleichbaren Nachbarregionen extrapoliert. (Bild aus Supplement, Fajzel et al., [1]. Lizenz: cc-by-nc-nd) |
Der Global Human Day - Datenanalyse
Die aus den verschiedenen Quellen, mit unterschiedlichen Methoden erhobenen Daten haben die Forscher harmonisiert, indem sie die im Wachzustand ausgeübten Tätigkeiten entsprechend der zugrunde liegenden Motivation in 3 große Gruppen und diese jeweils in Kategorien, Subkategorien und weitere Unterordnungen einteilten (insgesamt rund 4000 unterschiedliche Aktivitäten):
Gruppe 1: Aktivitäten, die Auswirkungen auf die Umwelt haben (External Outcomes). Dazu gehören: Erzeugung von Nahrungsmitteln (z.B. Landwirtschaft, Fischfang) und derenVerarbeitung; Gewinnung von Rohstoffen und Energie für die Technosphäre; Errichtung und Instandhaltung von Bauten, Infrastruktur und Pflege der damit verbundenen Tier- und Pflanzenwelt; Produktion von beweglichen Gütern; Müllentsorgung.
Gruppe 2: Aktivitäten, die unmittelbare Folgen für uns selbst haben (Dircet human outcomes). Dazu gehören: Hygiene, Körper-und Gesundheitspflege, Kinderbetreuung; Mahlzeiten; Erziehung, Bildung und Forschung ; Religionsausübung; Ausübung von Hobbies, Sport, sozialen Aktivitäten.
Gruppe 3: Aktivitäten, die innerhalb der Gesellschaft organisiert sind (Organizational outcomes). Dazu gehören: Transport, Pendeln, Handel, Finanzen, Immobilien, Recht und Verwaltung bestimmte Aktivitäten.
Die sich daraus ergebende Schätzung des globalen menschlichen Tages ist in Abbildung 2. dargestellt, und zwar als die Anzahl der Stunden pro Tag, mit der jede Aktivität vom Durchschnitt aller Menschen ausgeübt wird; die Fläche jeder farbigen Zelle ist dabei proportional zur Zeitdauer. Separat dargestellt ist der Schlaf.
Abbildung 2. Der globale menschliche Tag incl. Erwerbstätigkeit. Dargestellt sind separiert die inaktive Phase des Schlafs (graublau) und die drei Kategorien der Aktivitäten im Wachzustand in Form eines Voronoi-Diagramms, dessen farbige Zellen proportional zur Zeitdauer sind. Die drei Kategorien unterteilen sich in Aktivitäten, die i) die Umwelt (external outcomes) beeinflussen (gelb/ braun ), ii) die direkte Auswirkungen auf den Menschen haben (blau), und iii) die durch Organisationen vorgegeben sind (dunkelgrau). Darunter ist die Zeit in Stunden/Tag (mit Konfidenzintervallen) angegeben, die in jeder Unterkategorie verbracht wird. (Bild unverändert übernommen aus Fajzel et al., [1]. Lizenz: cc-by-nc-nd) > |
Die meiste Zeit verbringt die Menschheit mit Schlaf und Bettruhe (9,1 ± 0,4 Stunden) - in der Abbildung separat als Sichel dargestellt. Diese Zeit liegt deutlich über dem weltweit mittels tragbaren Geräten festgestellten Durchschnitt von 7,5 Stunden Schlaf pro Tag, ist aber auf die Einbeziehung von Kindern zurückzuführen und auf die Zeit, die nichtschlafend im Bett verbracht wird.
Von den etwa 15 h täglicher Wachzeit nehmen Aktivitäten der Gruppe 2, d.i. sich um sich selbst und seine Angehörigen/Freunde zu kümmern, mit 9,4 Stunden/Tag den Löwenanteil ein. Fast die Hälfte davon (4,6 h/Tag) sind passiven, interaktiven und sozialen Tätigkeiten gewidmet, zu denen Lesen, Bildschirmschauen, Spielen, Spazierengehen, Geselligkeit und auch Nichtstun gehören. Mahlzeiten (1,6 h/Tag) nehmen mehr Zeit ein als Hygiene/Körperpflege und Bildung/Forschung (jeweils 1,1 h/Tag).
Die Aktivitäten der 2. Gruppe - Auswirkungen auf die Umwelt - widmen mehr als die Hälfte der insgesamt 3,4 h/Tag der Produktion und Zubereitung von Nahrungsmitteln. Dahinter rangieren (0,81 h) die Erhaltung und Sauberkeit der Wohnstätten, die Errichtung von Bauten und Infrastrukturen (0,65 h) und schlussendlich die Gewinnung von Materialien und Energie aus der natürlichen Umwelt (o,11 %). Nahezu vernachlässigbar erscheint die Zeit (0,11 h), die auf die Abfallentsorgung aufgewendet wird.
Die Aktivitäten der dritten Gruppe (2,1 h) sind innerhalb der Gesellschaft organisatorisch bestimmt wie der Transport von Menschen (0,9 h/Tag) und Gütern (0,3 h/Tag) und weitere durch Handel, Finanzen, Gesetze bedingte Aktivitäten. Diese variieren von Kultur zu Kultur, von Wirtschaftssystem zu Wirtschaftssystem und hängen auch von rechtlichen und politischen Systemen ab. So ermöglichen arbeitssparende Technologien und vorhandene Transportsysteme in Industrieländern Nahrungsmittel in bedeutend weniger Zeit zu produzieren und zu verteilen, als in armen Regionen. Wie die Forscher herausfanden, ist dagegen der Zeitaufwand für Körperpflege und Zubereitung von Mahlzeiten in armen und reichen Ländern vergleichbar.
Wie viel Zeit verbringt der Mensch mit wirtschaftlichen Tätigkeiten?
Diese Aktivitäten definiert die Studie als Beschäftigungen gegen Entgelt oder mit Gewinn, inkludiert ist die Herstellung von nicht für den Markt bestimmten Gütern im Haushalt. Auf diese Aktivitäten entfallen rund 2,6 h oder ein Sechstel der wachen Stunden während des durchschnittlichen Lebens. Abbildung 3.
Dies mag gering erscheinen, entspricht laut Autoren aber einer 41-Stunden-Woche, wenn auf die Erwerbsbevölkerung - das sind etwa 66 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) bezogen wird. (Anm. Redn.: da auch die unbezahlten Arbeiten im Haushalt mit eingerechnet werden, liegt die bezahlte Lohnarbeit zweifellos weit unter einer "40-Stunden-Woche".)
Abbildung 3. Der globale Wirtschaftstag. Das Voronoi-Diagramm zeigt die durchschnittliche Zeit, die in bezahlter Beschäftigung und unbezahlter oder sonstiger Eigennutzung/Haushaltsproduktion von Gütern verbracht wird, gemittelt über die Weltbevölkerung. Die durchschnittlichen Zeiten pro Unterkategorie sind unten in der Abbildung in Minuten pro Tag angegeben. (Bild unverändert übernommen aus Faizel et al., [1]. Lizenz: cc-by-nc-nd) |
Ein Drittel der Arbeitszeit (52 Minuten) fällt auf Produktion von Nahrungsmitteln (hauptsächlich durch Landwirtschaft) und deren Zubereitung. Etwa ein Viertel der Wirtschaftstätigkeit ist dem Transport und der Allokation gewidmet (37 min), wozu Einzelhandel, Großhandel, Immobilien, Versicherungen, Finanzen, Recht und Verwaltung gehören. Die Produktion von Artefakten (d.i. durch menschliche oder technische Einwirkung entstandene Produkte), zu denen Fahrzeuge, Maschinen, Elektronik, Haushaltsgeräte und andere bewegliche Gütern sowie deren Zwischenprodukte gehören, macht etwa ein Siebtel der gesamten Wirtschaftstätigkeit aus (22 min). Erstaunlich niedrig fällt die Bautätigkeit (Gebäude und Infrastruktur 13 min), die Beschaffung von Materialien und Energie (6 min) aus. Die praktisch vernachlässigbare Zeit, die mit der Müllentsorgung verbracht wird, ist bereits erwähnt worden.
Fazit
Eine großartige Datenbank ist im Entstehen, die erstmals eine Quantifizierung dessen, was der Mensch tut und wofür er es tut, ermöglicht. Der nun publizierte " Global Human Day" [1] gibt einen Überblick aus der Vogelperspektive auf die gemittelten Aktivitäten der gesamten Menschheit. Natürlich kann der zugrunde liegende Datensatz auch herangezogen werden, um die Aktivitäten in einzelnen Regionen oder die zeitlichen Veränderungen in den Aktivitäten weltweit oder regionsbezogen zu vergleichen.
Das erstaunlichste Ergebnis der "Global Human Data" ist zweifellos, dass der globale Mensch den größten Teil seiner wachen Zeit darauf verwendet, sich um sich selbst oder andere zu kümmern. Es besteht viel Raum zur Nachjustierung von Aktivitäten - beispielsweise, die Zeit, die zur Erzeugung von Energie aufgewendet wird oder die nahezu vernachlässigbare Müllentsorgung - und damit ein erhebliches Potential für Maßnahmen zur Minderung der im Anthropozän verursachten Schädigungen von Geosphäre und Biosphäre.
[1] W. Faizel et al., The global human day (June 2023), PNAS 120, 25. 0. https://doi.org/10.1073/pnas.2219564120 open access.
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