Do, 11.07.2019 - 12:10 — Francis S. Collins
Als Forscher die aus verschiedenen Geweben von fast 500 Personen gesammelten genetischen Daten analysierten, stellten sie fest, dass es in praktisch allen Individuen offensichtlich einige gesunde Gewebe gab, die jeweils Klone von Zellen mit denselben genetischen Mutationen enthielten. Manche dieser Klone wiesen sogar Mutationen in Genen auf, die mit Krebs in Zusammenhang stehen. Francis Collins, Direktor der US National Institutes of Health (NIH), berichtet hier über diese Ergebnisse, die darauf schließen lassen, dass fast alle von uns mit genetischen Mutationen in verschiedenen Teilen unseres Körpers herumlaufen, die unter bestimmten Umständen zu Krebs oder anderen gesundheitlichen Problemen führen können.*
Es ist die übliche Ansicht in der Biologie, dass jede normale Zelle bei jeder ihrer Teilungen ihr DNA-Handbuch mit hundert prozentiger Genauigkeit kopiert. Von wenigen Ausnahmen - wie beispielsweise dem Immunsystem - abgesehen, weisen demnach die Zellen in normalem, gesundem Gewebe kontinuierlich genau dieselbe Sequenz des Genoms auf, wie sie der ursprüngliche einzellige Embryo hatte, aus dem das ganze Individuum entstanden war.
Neue Erkenntnisse lassen allerdings darauf schließen, dass es an der Zeit ist, diese Ansicht zu revidieren.
Programme wie der von den National Institutes of Health (NIH) etablierte, öffentlich zugängliche "The Cancer Genome Atlas" (TCGA) haben die vielen, auf molekularer und genomischer Basis erfolgten Veränderungen, die verschiedenen Krebsarten zugrunde liegen, weitgehend charakterisiert. Abbildung 1.
Abbildung 1. "The Cancer Genome Atlas" (TCGA). Nach 12 Jahren Laufzeit, Beiträgen von Tausenden Forschern, die 33 unterschiedliche Tumortypen an Hand von Proben von 11 000 Patienten analysierten, ist eine außergewöhnlich reiche Datensammlung entstanden, die das Verständnis von Krebserkrankungen wesentlich geprägt hat. https://www.cancer.gov/about-nci/organization/ccg/research/structural-genomics/tcga/history
Es besteht aber nach wie vor die Schwierigkeit die genaue Abfolge von Ereignissen festzulegen, die zu Krebs führen, und es gibt Anhaltspunkte dafür, dass sogenannte gesunde Gewebe, Blut und Haut mit eingeschlossen, eine erstaunliche Anzahl von Mutationen enthalten können - die möglicherweise einen Weg einschlagen, der letztendlich in Problemen endet.
Unter der Leitung von Gad Getz und der Postdoktorandin Keren Yizhak beschloss ein Team am Broad Institut (Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Harvard Universität; Cambridge ) zusammen mit Kollegen vom Massachusetts General Hospital sich diese Fragen genauer anzusehen und zwar anhand der Datensammlung des seit 2010 laufenden, vom NIH unterstützten internationalen "Genotype-Tissue Expression" (GTEx) Projekts. Die Ergebnisse dieser Untersuchung wurden kürzlich im Fachjournal Science veröffentlicht [1].
Das Genotype-Tissue Expression Project
Das GTEx ist eine umfangreiche öffentlich zugängliche Ressource, die aufzeigt, wie Gene in verschiedenen Geweben des Körpers unterschiedlich exprimiert und reguliert werden. Abbildung 2.
Abbildung 2. Das Genotype-Tissue Expression (GTEx) Projekt ermöglicht Korrelationen zwischen Genotyp and gewebespezifischer Genexpression an Hand der mRNA-Konzentrationen. https://gtexportal.org/home/documentationPage
Um diese wichtigen Unterschiede zu erfassen, haben die am GTEx-Projekt beteiligten Forscher die Sequenzen der m-RNAs in Tausenden Proben aus gesunden Geweben analysiert. Es sind dies Gewebe, die von kürzlich Verstorbenen stammen, deren Todesursachen aber andere Krankheiten als Krebs waren. (messenger-RNAs: dieDNA-Sequenzen von Genen werden in RNAs umgeschrieben und prozessiert; die resultierenden mRNAs werden dann in Aminosäuresequenzen zu Proteinen übersetzt; Anm. Redn.)
Diese umfangreichen RNA-Daten wollte das Team um Getz für einen anderen Zweck nutzen: nämlich, um Mutationen nachzuweisen, die in den Genomen von Zellen in solchen Geweben aufgetreten waren. Um dies zuwege zu bringen, entwickelten sie ein Verfahren, das den Vergleich von RNA-Proben aus den Geweben mit den entsprechenden normalen DNAs erlaubte. Diese neue Methode bezeichnen sie mit "RNA-MuTect".
Mutationen treten in gesundem Gewebe häufig auf…
Insgesamt analysierte das Forscherteam RNA-Sequenzen aus 29 Geweben von 488 Personen aus der GTEx-Datenbank und verglichen diese mit den DNAs; unter diesen Geweben waren auch Herz, Magen, Bauchspeicheldrüse und Fett. Diese Analysen zeigten, dass die überwiegende Mehrheit der Personen - sagenhafte 95 Prozent - in ein oder mehreren Geweben Klone von Zellen aufwies, die neue genetische Mutationen enthielten.
Wenn auch viele dieser genetischen Mutationen höchstwahrscheinlich harmlos sind, ist bei einigen der Zusammenhang mit Krebs bekannt.
…insbesondere in Organen, die Einflüssen aus der Umwelt ausgesetzt sind
Wie die Daten zeigen, treten genetische Mutationen am häufigsten in Haut, Speiseröhre und Lungengewebe auf. Abbildung 3. Dies lässt darauf schließen, dass die Exposition gegenüber Einflüssen aus der Umwelt - wie der Luftverschmutzung in der Lunge, karzinogenen Nahrungsmitteln in der Speiseröhre oder UV-Strahlung des Sonnenlichts auf der Haut - eine wichtige Rolle bei der Verursachung genetischer Mutationen in verschiedenen Teilen unseres Köpers spielen kann.
Abbildung 3. Klone mit genetischen Mutationen in gesundem Gewebe treten besonders häufig in Organen auf die Noxen der Umwelt ausgesetzt sind.
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die DNA in den Zellen unseres Körpers selbst in normalen Geweben nicht vollkommen identisch ist. Vielmehr treten ständig Mutationen auf, und das macht unsere Zellen mehr zu einem Mosaik verschiedener Mutationsereignisse. Manchmal haben diese veränderten Zellen einen geringfügigen Wachstumsvorteil ; sie teilen sich daher weiter, um größere Gruppen von Zellen mit leicht veränderten Profilen ihres Genoms zu bilden. In anderen Fällen können diese veränderten Zellen in geringer Anzahl bestehen bleiben oder vielleicht sogar verschwinden.
Es ist noch nicht klar, inwieweit solche Klone mit veränderten Zellen das Risiko erhöhen, dass jemand später an Krebs erkrankt. Jedoch hat das Vorhandensein solcher genetischer Mutationen wahrscheinlich wichtige Auswirkungen auf die Krebsfrüherkennung. Beispielsweise kann es schwierig sein, Mutationen, die als echte Warnsignale für Krebs gelten, von solchen zu unterscheiden, die harmlos sind und Teil dessen, was neuerdings als „normal“ gesehen wird.
Wie geht es weiter?
Um solche Fragen weiter zu untersuchen, erscheint es zweckmäßig, die zeitliche Entwicklung normaler Mutationen in gesunden menschlichen Geweben zu untersuchen. Dabei sollte man erwähnen, dass die Forscher solche Mutationen bislang nur in großen Zellpopulationen (d.h. bei mindestens 5 % der Zellen in einem Gewebe; Anm. Redn.) nachgewiesen haben. Mit verbesserten Technologien wird es dann interessant sein, diese Fragestellungen bei hoher Auflösung auf dem Niveau einzelner Zellen zu erforschen.
Das Team von Getz wird solche Fragen weiter verfolgen, zum Teil auch als Teilnehmer an dem kürzlich gestarteten NIH-"Pre-Cancer Atlas" (Krebsvorstufenatlas). Abbildung 4. Dieser Atlas wurde konzipiert, um prämaligne menschliche Tumoren umfassend zu untersuchen und zu charakterisieren.
Abbildung 4. Der Pre-Cancer Atlas (PCA) soll DNA und Mikroenvironment der prämalignen Läsionen auf molekularer, zellulärer und struktureller Basis erforschen und wie diese zu invasiven Tumoren transformiert werden. https://prevention.cancer.gov/news-and-events/news/pre-cancer-atlas-pca-and
Wenn auch in der Erforschung von Krebs und anderen chronischen Krankheiten erhebliche Fortschritte erzielt wurden, müssen wir noch viel über Ursachen und Entwicklung von Krankheiten lernen, um bessere Instrumente zur Früherkennung und Bekämpfung zu entwickeln.
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[1] Yizhak K, et al., RNA sequence analysis reveals macroscopic somatic clonal expansion across normal tissues. Science. 2019 Jun 7;364(6444).
* Dieser Artikel von NIH Director Francis S. Collins, M.D., Ph.D. erschien zuerst (am. 18. Juni 2019) im NIH Director’s Blog unter dem Titel: "Study Finds Genetic Mutations in Healthy Human Tissues" und wurde geringfügig für den ScienceBlog adaptiert Reprinted (and translated by ScienceBlog) with permission from the National Institutes of Health (NIH). Die Abbildungen stammen von den unter Weiterführende Links angegebenen Seiten und wurden von der Redaktion eingefügt.
Weiterführende Links
The Cancer Genome Atlas Program (TCGA)
Genotype-Tissue Expression Program (GTEx)
Eric Lander, GTEx: Genotype-Tissue Expression (2018) Video 6:38 min.
Fracis S.Collins, 6.4.2017: Pech gehabt - zufällige Mutationen spielen eine Hauptrolle in der Tumorentstehung. (Eine Studie schätzt welcher Anteil an Mutationen durch Vererbung, Einflüsse von Umwelt/Lifestyle oder fehlerhaftes Kopieren der DNA während des normalen Vorgangs der Zellteilung hervorgerufen wird).
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