Do, 20.06.2019 - 08:12 — Martin Wikelski
Fast überall auf der Erde geht die Biodiversität zurück, sowohl was die Vielfalt an Arten als auch die Häufigkeit von Organismen betrifft. Um bedrohte Arten effektiver als bisher schützen zu können, wurde 2018 mit der Etablierung des Icarus Systems (International Cooperation for Animal Research Using Space) ein neues Forschungsfeld geschaffen. Icarus ist ein Satelliten-gestütztes Beobachtungssystem , mit dem unterschiedlichste, mit Minisendern ausgerüstete Tierarten fast überall auf der Erde rund um die Uhr verfolgt werden können. So lassen sich erstmals Gefahren frühzeitig erkennen und für das Überleben von Arten wichtige Lebensräume identifizieren. Der Leiter dieser Initiative, Prof. Dr. Martin Wikelski , Direktor am Max-Planck Institut für Verhaltensbiologie (Radolfzell) gibt zu dieser Entwicklung im Folgenden ein Interview.*
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) zeigt mit seinem alljährlichen Bericht „Environment Frontiers“ auf, welche Herausforderungen die natürlichen Lebensgrundlagen auf unserem Planeten künftig maßgeblich mitbestimmen werden. Im kürzlich vorgestellten Report 2018/2019 [1] wird fünf neu auftretenden Themen besondere Bedeutung zugemessen. Es sind dies
- die Synthetische Biologie,
- die Ökologische Vernetzung,
- Permafrostmoore im Klimawandel,
- die Stickstoffkreislaufwirtschaft und
- Fehlanpassungen an den Klimawandel.
Anlässlich des "Tages der Erde" am 22. April des Jahres wurden Max-Planck-Forscher, die auf diesen Gebieten arbeiten, zu den im UN-Bericht beschriebenen Entwicklungen interviewt. Nach deren Bewertungen zur Synthetischen Chemie [2, 3] folgt nun das Interview zum Thema "Ökologische Vernetzung: Brücken für mehr Artenvielfalt".
„Wir können Tiere nicht in Schutzgebiete sperren“
Die meisten Schutzgebiete liegen heute wie Inseln in einem Ozean aus menschengemachten Landschaften. Intensiv genutzte Agrarlandschaft und Siedlungen wirken für viele Tiere und Pflanzen wie unüberwindbare Barrieren, die jeglichen Austausch zwischen den Schutzgebieten verhindern. Abbildung 1.
Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell hat durch seine Forschung gelernt, dass viele Tiere weite Reisen unternehmen.
Abbildung 1. Wie eine isolierte Insel liegt Natur in der modernen Agrarlandschaft – unerreichbar für viele Tiere. © Mauritius Images
H.R.: Warum reicht es für den Artenschutz nicht, einfach nur genügend Naturschutzgebiete und Nationalparks auszuweisen?
M.W.: Fast alle Tiere bewegen sich fort – die einen mehr, die anderen weniger. Durch unsere Forschung wissen wir, dass sehr viel mehr Tiere auf Wanderschaft gehen, als wir lange Zeit dachten. Vor allem Jungtiere müssen häufig das elterliche Revier verlassen und ziehen weg.
Wir werden das Überleben solcher Arten nicht sichern können, wenn wir sie in Schutzgebieten einsperren.
Deshalb müssen wir auch über dynamische Schutzgebiete nachdenken. Wenn also ein Ort zu einer bestimmten Jahreszeit ein wichtiger Stützpunkt für eine Art ist, sollte dieser für eine begrenzte Zeit geschützt werden. Die übrige Zeit im Jahr kann er dann wieder vom Menschen genutzt werden.
H.R.: Warum müssen Schutzgebiete miteinander verbunden sein?
M.W.: Heute leben viele Tiere und Pflanzen in voneinander isolierten Populationen, das heißt, sie können sich nicht mehr untereinander austauschen. Mit Austausch meine ich Gene, damit die Populationen nicht genetisch verarmen, aber auch Kultur, denn Tiere geben auch Wissen untereinander weiter. Wenn zum Beispiel unterschiedliche Storchenpopulationen nicht mehr zusammenkommen, können sie ihr Wissen über verschiedene Flugrouten in die Überwinterungsgebiete nicht mehr weitergeben.
H.R.: Ist dieses Thema schon im öffentlichen Bewusstsein angekommen?
M.W.: Viel zu wenig – ökologische Vernetzung ist noch immer ein Randthema für Spezialisten. Wir sperren Wildtiere in Schutzgebieten weg und denken, alles ist gut. Im Anthropozän brauchen wir ein völlig neues Verhältnis zwischen Mensch und Tier: Die Beziehung muss enger werden.
Dazu kennen wir die Bedürfnisse der verschiedenen Arten aber noch zu wenig. Mit unserem Icarus-Projekt [4] können wir Tiere auf ihren Reisen begleiten. Abbildung 2. Sie erzählen uns dann förmlich, was sie brauchen. Dieses Wissen können wir dann nutzen, um die richtigen Lebensräume unter Schutz zu stellen.
Abbildung 2. Icarus - eine Revolution in der Verhaltensbiologie. Oben: mit einem Minisender ausgerüstete Tiere, links: Amsel; rechts: Prachtbiene. Die Sender können neben Orts- und Bewegungsdaten auch Informationen über die körperliche Verfassung erheben (z.B: Körpertemperatur, Blutdruck, Puls , Zucker- und Sauerstoffgehalt des Bluts) und mittels Minikameras was ein Tier frisst oder wie viele Junge es hat. Unten: die von den Sendern aufgezeichneten und via Satelliten in Echtzeit versendeten Daten werden in eine frei zugängliche Datenbank - Movebank - eingespeist (https://www.movebank.org/) Der Forscher sitzt unter Umständen tausende von Kilometern entfernt in seinem Forschungslabor und kann sofort mit der Auswertung der Messergebnisse beginnen. (Bilder: MPI f. Ornithology/ MaxCine)
H.R.: Mit welchen Maßnahmen können Lebensräume miteinander verbunden werden?
M.W.: Schutzgebiete können durch Korridore miteinander verbunden, Straßen mittels Wildbrücken überquert werden. Oft braucht es aber gar keine aufwändigen Maßnahmen. Viel wäre zum Beispiel schon gewonnen, wenn wir eine strukturreiche Landschaft erhalten würden, die Tiere durchwandern können, oder wenn wir unsere Gartenzäune für Tiere durchlässig machen würden.
H.R.: Wie steht es denn in Deutschland um die Vernetzung von Schutzgebieten?
M.W.: Ein auch im internationalen Maßstab herausragendes Beispiel ist das Grüne Band. Weite Strecken der ehemaligen innerdeutschen Grenze sind nach der Wende unter Schutz gestellt worden. Diese Flächen sind heute sehr wertvolle Lebensräume und bieten vielen Tieren und Pflanzen die Möglichkeit zur Ausbreitung.
Bei uns in Baden-Württemberg gibt es einen Fachplan „Landesweiter Biotopverbund“. Er soll ökologische Wechselbeziehungen in der Landschaft wiederherstellen und die Ausbreitung von Tieren und Pflanzen ermöglichen. Luchse aus der Eifel wandern entlang dieser Korridore zum Beispiel immer wieder in den Schwarzwald. Wir sind zum Beispiel gerade dabei, einen Luchs ausfindig zu machen, der in der Eifel mit einem Signalsender ausgestattet worden und nun in den Schwarzwald gezogen ist.
Das Gespräch hat Dr. Harald Rösch (Redaktion MaxPlanckForschung) geführt.
[1] UN Environment: Frontiers 2018/19: Emerging Issues of Environmental Concern (04.03.2019) https://www.unenvironment.org/resources/frontiers-201819-emerging-issues-environmental-concern
[2] Guy Reeves,09:05.2019: Zur Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Natur. http://scienceblog.at/freisetzung-genetisch-ver%C3%A4nderter-organismen
[3] Elena Levashina, 16.05.2019: Zum Einsatz genetisch veränderter Moskitos gegen Malaria. http://scienceblog.at/genetisch-ver%C3%A4nderte-moskitos-gegen-malaria
[4] Icarus Erdbeobachtuing mit Tieren. http://www.icarus.mpg.de/de
*Das Interview mit Martin Wikelski ist unter dem Titel „Earth Day 2019: Wir können Tiere nicht in Schutzgebiete sperren“ am 18.April 2019 auf der News-Seite der Max-Planck-Gesellschaft erschienen https://www.mpg.de/13364502/earth-day-2019-wikelski?c=13364284 und wurde mit freundlicher Zustimmung der MPG-Pressestelle ScienceBlog.at zur Verfügung gestellt. Abbildung 2 wurde von der Redaktion aus Bildern der Icarus-Seite zusammengestellt (http://www.icarus.mpg.de/de).
Weiterführende Links
Max-Planck -Institut für Verhaltensbiologie (Radolfzell).
https://www.ab.mpg.de/verhaltensbiologie
Icarus: Erdbeobachtung durch Tiere. http://www.icarus.mpg.de/34708/icarus-mission-wikelski
Max-Planck Gesellschaft; Icarus initiative: Wildlife Observation from Space (2018). Video 6:31 min. https://www.youtube.com/watch?time_continue=3&v=e_KNyhQMjOY
Max-Planck Gesellschaft; Countdown to Icarus (2014). Video 5:17 min. https://www.youtube.com/watch?time_continue=11&v=O4djQDne2RM
ICARUS - Einladung zur Mitarbeit an einem globalen Beobachtungsnetzwerk von kleinen Objekten (Tieren). http://www.icarus.mpg.de/38126/ICARUS_Flyer.pdf
Menschen schränken Tierwanderungen ein. https://www.mpg.de/11892226/mensch-tierwanderungen
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