Do, 02.05.2019 - 10:48 — Inge Schuster
Impfungen sind der beste Weg um sich selbst und andere gegen schwere Infektionskrankheiten zu schützen, die auch in Europa noch zu Ausbrüchen führen können und Todesopfer fordern. Eine von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebene Umfrage hat in den letzten Märzwochen 2019 Einstellung und Wissen der EU-Bürger zu Impfungen erhoben. Die nun, knapp vier Wochen später, vorgestellten Ergebnisse [1] geben im Mittel eine durchaus positive Haltung der EU-Bürger zu Impfungen wieder, allerdings gibt es starke regionale und soziodemographische Unterschiede hinsichtlich des Wissenstands über Impfungen, der Falschmeinungen und damit in Zusammenhang der Durchimpfungsrate. Auch in Österreich sollte man danach trachten die Wissenslücken zu füllen und falsche Informationen zu korrigieren.
Impfungen bieten den besten Schutz vor schweren, lebensbedrohenden Infektionskrankheiten. Gesamt betrachtet ist in der EU die Durchimpfungsrate erfreulich hoch; allerdings gibt es Regionen mit unzureichendem Impfschutz -einerseits auf Grund eines ungleichen, schwierigeren Zugangs zu Impfstoffen, andererseits bedingt durch wachsende Skepsis hinsichtlich der Wirksamkeit und Sicherheit der Impfungen. So kommt es zu Ausbrüchen von Krankheiten, die durch Impfungen vermieden werden könnten.
Vermeidbare Tragödien
Aktuell macht der starke Anstieg der hochansteckenden Masern Schlagzeilen, einer Viruserkrankung, die zu schwersten bleibenden Schäden bis hin zu Todesfolgen führen kann. Laut WHO starben im Jahr 2017 weltweit etwa 110 000 Personen an Masern; vorläufige Daten zum ersten Quartal 2019 nennen bereits mehr als 112 000 Infektionen in 170 Ländern [2], die Dunkelziffer dürfte beträchtlich höher sein. In der Europäischen Region erkrankten im vergangenen Jahr rund 83 000 Menschen an Masern (3 mal so viele wie 2017) und 72 Kinder und Erwachsene starben. Dabei wiesen Nachbarstaaten der EU wie die Ukraine (über 72 000 Fälle), Albanien und Serbien aber auch EU-Länder wie die Slowakei und Griechenland hohe Inzidenzen auf (Daten 03.2018 - 01.2019; [3]).
Vermeidbar ist auch bakteriell verursachte Meningitis. Im Jahr 2016 gab es in 30 europäischen Ländern 3280 Fälle, davon 304 mit Todesfolgen. Durch Impfung vermeidbar sind auch Infektionen mit dem Hepatitis B Virus, von denen rund 4,7 Millionen Menschen im Europäischen Raum betroffen sind und an denen mehr Menschen sterben als an HIV/AIDS und Tuberkulose zusammengenommen [1].Vermeidbar wären 2017 auch 89 Tetanus-Fälle gewesen, die in 14 Fällen letal ausgingen [1].
Ein enormes Problem für das Gesundheitssystem stellen Influenzaepidemien dar. Allein in Österreich geht man (nach dem FluMOMO-Modell) von jährlich mehreren 100 bis mehreren Tausend durch Virusgrippe ausgelösten Todesfällen aus (Grippesaison 2016/17: 4454 Fälle, Saison 2017/18: 2868 Fälle, 2018/19: 616 Fälle [4]). Auch, wenn die aktuellen Impfstoffe noch Mängel aufweisen, bieten sie derzeit dennoch die wirksamste Möglichkeit der Influenza vorzubeugen.
Während die Impfpolitik in die Zuständigkeit der nationalen Behörden fällt, unterstützt die Europäische Kommission die Länder bei der Koordinierung ihrer Strategien zur Erhöhung und Überprüfung der Durchimpfungsraten. In Hinblick auf Impfstoffe will die EU i) den Zugang zu diesen für alle sicherstellen, ii) alle Impfstoffe kontrollieren, um höchste Sicherheitsstandards zu garantieren, iii) übersichtliche, unabhängige und transparente Informationen vermitteln und iv) die Forschung zur Entwicklung neuer Impfstoffe intensivieren.
Um die Einstellung der EU-Bürger zu Impfungen, ihr Wissen über Impfungen und Gründe für ihre Impfskepsis kennenzulernen, hat die Kommission eine EU-weite Umfrage in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse nun in Form des Eurobarometer 488 Reports vorliegen [1].
Die EU-weite Umfrage…
Die Umfrage wurde in den 28 EU-Ländern durch das Kantar Netzwerk im Zeitraum 15. bis 29. März 2019 durchgeführt. In jedem Mitgliedsstaat wurden dabei jeweils rund 1000 aus verschiedenen sozialen und demographischen Gruppen stammende Personen im Alter über 15 Jahren in ihrem Heim und in ihrer Muttersprache interviewt - insgesamt waren es 27.524 Personen. In diesen persönlichen Interviews wurden die Personen in allen Ländern in der gleichen Weise zu folgenden Themenkreisen befragt:
- zu ihrer Einschätzung der Vermeidbarkeit von Krankheiten durch Impfungen und zu deren Wirksamkeit
- zu ihren Erfahrungen mit Impfungen (Gründe für Zustimmung/Ablehnung)
- zum Wissensstand über die Wirkungen von Impfungen
- zur ihrer Einstellung bezüglich der Wichtigkeit von Impfungen
- woher sie Informationen über Impfungen beziehen und wieweit sie diesen vertrauen.
…und ihre Ergebnisse [1]
Vermeidbarkeit von Krankheiten durch Impfungen und deren Wirksamkeit
Eingangs wurde eine Liste von Krankheiten gezeigt - Influenza, Meningitis, Hepatitis, Masern, Tetanus, Polio - und gefragt, welche davon in der EU heute noch Todesopfer fordern (siehe dazu oben: Vermeidbare Katastrophen). In dieser Bewertung gab es große regionale Unterschiede; im EU28-Mittel führte Influenza (56 %) und Meningitis (53 %) die Rangliste an, wesentlich weniger nannten Hepatitis (40 %), Masern (37 %) und Tetanus (22 %). Vergleichbare Bewertungen kamen auch aus Österreich.
Die zweite Frage lautete: "Alle in Frage 1 genannten Krankheiten sind Infektionskrankheiten, die verhindert werden können. Halten Sie hier Impfungen für wirksam?"
Hier war in allen Ländern die überwiegende Mehrheit der Befragten der Ansicht, dass Impfungen definitiv (im EU28-Mittel 52 % ) oder zumindest wahrscheinlich (im EU28-Mittel 33 % ) ein wirksames Mittel sind, um ansteckende Krankheiten zu vermeiden. Besonders hohes Vertrauen in die definitive Wirksamkeit von Impfungen (bis zu 81 %) gibt es in den nördlichen Ländern (NL, FI, SE, DK), am unteren Ende der Skala stehen Rumänien, Bulgarien, Lettland und (leider auch) Österreich. Abbildung 1.
Abbildung 1. Die überwiegende Mehrheit (m EU28-Mittel 85 % ) der Befragten ist der Ansicht, dass Impfungen definitiv oder wahrscheinlich ein wirksames Mittel sind, um ansteckende Krankheiten zu vermeiden (Zahl der Befragten: 27 524)
Die Einschätzung der Wirksamkeit geht dabei parallel mit dem Wissenstand über Impfstoffe, dem Bildungsgrad und dem sozialen Status der Befragten.
Zur Erfahrung mit Impfungen
Auf die Frage ob sie selbst oder Familienmitglieder in den letzten 5 Jahren geimpft worden wären, antworteten im Mittel 45 % der EU-Bürger, dass sie selbst geimpft worden wären, 27 %, gaben ihre Kinder an und 20 % andere Familienmitglieder. Wie bereits bei der Frage nach der Wirksamkeit von Vakzinen gibt es ein starkes West-Ost-Gefällemit einer besonders niedrigen Impfrate in den ehemaligen Ostblockländern Bulgarien, Kroatien, Polen, Ungarn und Rumänien. Österreich liegt im Mittelfeld. Abbildung 2.
Abbildung 2. Frage 3: Haben Sie in den letzten 5 Jahre eine Impfung erhalten? (Zahl der Befragten: 27 524)
Einen Impfpass besitzen im EU28-Mittel 47 % der Befragten (AT: 69%)
Diejenigen, die geimpft worden waren, nannten als Grund für die Impfung vor allem die Empfehlung durch medizinisches Fachpersonal , insbesondere durch den Hausarzt aber auch durch Gesundheitsbehörden (in Österreich trifft beides auf 92 % der Geimpften zu).
Wird eine höhere Durchimpfungsrate angestrebt, ist es besonders wichtig zu erfahren, warum sich Menschen nicht impfen ließen. Hier standen eine Reihe von Begründungen zur Auswahl (Abbildung 3): Von den EU-weit insgesamt 15 156 Befragten wurde am häufigsten genannt, dass man keine Notwendigkeit zur Impfung sehe und dass noch von früheren Impfungen Schutz bestehe. Dazu kommen Ausreden (der Doktor hat keine Impfung empfohlen), Falschmeinungen (Impfungen sind nur etwas für Kinder) und Furcht vor Nebenwirkungen. Auch Kosten und "Strapazen" haben Personen vom Impfen abgehalten Für die Befragten aus Österreich besteht offensichtlich Bedarf für mehr Information durch den Hausarzt und Gesundheitsinstitutionen.
Abbildung 3. Frage 4: Warum haben Sie sich in den letzten 5 Jahren nicht impfen lassen? (EU28-Mittel basiert auf 15156 Interviews, Österreich auf 513 Interviews)
Zum Wissensstand über Impfungen
Frage 7.4.: Werden Impfstoffe rigoros getestet bevor sie die Zulassung erhalten? Die EU-Bürger sind sich da weitgehend sicher: Im Mittel bejahen dies 80 % der EU-Bürger; die geringsten Zweifel daran haben Staaten im Nordwesten (88 - 93 % Zustimmung), am unsichersten sind Staaten wie Bulgarien, Rumänien, Lettland.
Frage 7.1.: Überlasten und schwächen Vakzinen das Immunsystem? Hier herrscht ein Falschmeinung vor. Dass dies nicht der Fall ist, wissen im EU28-Mittel nur 55 % der Befragten; in den nördlichen Staaten (NL, SE, DK. FI) geben 70 - 79 % die richtige Antwort, in Staaten wie Bulgarien, Lettland, Tschechien, Slowenien sind es unter 40 %.
Frage 7.2.: Können Vakzinen die Krankheit hervorrufen, gegen die sie schützen? Auch dies ist eine Falschmeinung. Dies wissen im Mittel nur 49 % der EU-Bürger. Wieder ist der Wissenstand in Ländern wie Schweden (61 %) und Holland (57 %) am höchsten, in Ländern wie Slowenien (39 %) oder Bulgarien (37 %) am niedrigsten.
Frage 7.3.: Lösen Vakzinen häufig schwere Nebenwirkungen aus? Dies ist nicht der Fall - im Mittel sind es aber nur 41 % der Befragten, die die richtige Antwort geben (Abbildung 4). In nur 4 Ländern - wiederum sind es Schweden, Holland, Dänemark und Finnland - wissen das mehr als 50 % der Bürger (auch hier sind also Wissenslücken).
Abbildung 4. Eine Mehrheit der EU-Bürger befürchtet fälschlicherweise schwere Nebenwirkungen durch Impfstoffe. (Zahl der Befragten: 27 524)
Zur Einstellung bezüglich der Wichtigkeit von Impfungen
Dass Impfungen wichtig sind, um sich selbst und andere zu schützen, bejahen im Schnitt 86 % der EU-Bürger. In Österreich und Rumänien findet sich die niedrigste Zustimmung mit immerhin auch noch 75 %. Dass die Impfung anderer - der Herdenschutz - von entscheidender Bedeutung für Menschen ist, die selbst nicht geimpft werden können - beispielsweise neugeborene Babys, immungeschwächte oder schwerkranke Personen - wird ebenfalls von der überwiegenden Mehrheit der Europäer (87 %) bejaht. Auch dazu finden sich die meisten negativen/neutralen Stimmen in Österreich und Rumänien.
Ein wesentliches Missverständnis liegt in der Ansicht vor, dass Impfungen nur für Kinder wichtig sind. Dem stimmen aber in einigen Ländern (BG, HR, HU, IT, RO, PL) zwischen 42 und 52 % der Befragten völlig oder eher zu, dagegen nur 9 - 14 % in den skandinavischen Ländern.
Woher EU-Bürger Informationen über Impfungen beziehen
In einer Zeit, in der die sozialen Netzwerke boomen, sind die Ergebnisse überraschend . Abbildung 5. Die überwiegende Mehrheit der EU-Bürger (79 %) wendet sich auch heute primär vertrauensvoll an den Hausarzt oder den Kinderarzt, dann an anderes medizinisches Fachpersonal (29 %), an Gesundheitsbehörden (25 %) und an den Apotheker (20). Information aus dem Internet spielt nur in den skandinavischen Ländern eine größere Rolle, soziale Netzwerke werden offensichtlich nicht sehr bemüht.
Auf die Frage, ob sie im letzten Halbjahr irgendeine Information über Impfungen aus den Medien gesehen oder gehört hätten, nannten im Mittel 51 % der Befragten das TV, wesentlich weniger Personen - und dies sehr stark länderabhängig - gaben Zeitungen und Journale (17 %) und Radio (14 %) an, 10 resp. 12 % soziale Netzwerke und Internet. Insgesamt 34 % erklärten nichts gesehen oder gehört zu haben.
Abbildung 5. Information über Impfungen: "Frag' den Arzt oder Apotheker"
Schlussfolgerungen
Die erste Umfrage zur Einstellung der Europäer zu Impfungen brachte teils erfreuliche teils beunruhigende Ergebnisse.
Erfreulich ist, dass die überwiegende Mehrheit der Europäer Impfungen für wirksam und notwendig erachtet um sich und andere vor schweren ansteckenden Krankheiten zu schützen. Die EU-Bürger sind auch von der Qualität der Impfstoffe überzeugt, da diese strengste Prüfungen erfolgreich durchlaufen müssen, bevor sie die Zulassung erhalten und angewendet werden können. Auch die Qualität der Informationen über Impfungen ist gut: Man wendet sie sich vertrauensvoll an Personen mit einschlägiger Expertise: den Arzt, medizinisches Fachpersonal, Gesundheitsbehörden und Apotheker.
Beunruhigend ist aber, dass viele Europäer falsche Vorstellungen von Wirkung und Nebenwirkungen von Impfstoffen haben, dass sie meinen, diese hätten häufig schwere Nebenwirkungen und lösten die Krankheiten aus, vor denen sie schützen sollten. Derartige Meinungen führen zu Impfskepsis und einer unzureichenden Durchimpfungsrate, die Ausbrüche und Epidemien von Infektionen ermöglicht. Besonders beunruhigend ist dabei ein massiver Nordwest - Ost-Trend: eine Zunahme der Impfskepsis bei gleichzeitiger Abnahme des Wissenstands.
Das Füllen von Wissenslücken und Korrigieren von falschen Informationen muss daher zur vordringlichen Aufgabe in ganz Europa, insbesondere in den östlichen Regionen werden.
[1] Special Eurobarometer 488: Europeans’ attitudes towards vaccination. http://ec.europa.eu/commfrontoffice/publicopinion/index.cfm/Survey/getSurveyDetail/instruments/SPECIAL/surveyKy/2223
[2] WHO: New measles surveillance data for 2019. https://www.who.int/immunization/newsroom/measles-data-2019/en/
[3] Measles Updates including 2019. https://www.slideshare.net/who_europe/measles-and-rubella-monthly-update-for-the-who-european-region-140574101?next_slideshow=1
[4] Grippe - Mortalität: https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/grippe/
Weiterführende Links
Im ScienceBlog gibt es bereits mehr als 25 Artikel über Infektionskrankheiten; diese stammen von verschiedenen Autoren und geben einen breiten Überblick über das Gebiet. Titel und Links zu diesen Artikeln finden sich in den Themenschwerpunkten Mikroorganismen und in Pharmazeutische Wissenschaften unter Infektionen
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