Leben im Fluss nach (Extrem-) Hochwässern I

Fr, 31.10.2014 - 08:52 — Mathias Jungwirth & Severin HohensinnerIcon Geowissenschaften

Matthias JungwirthSeverin Hohensinner

Hochwässer spielen eine zentrale Rolle für die ökologische Funktion von Flusslandschaften; die ständige Zerstörung und Neuschaffung von Habitaten generiert eine enorm hohe Artenvielfalt von Vegetation und Tierwelt. Die Gewässerökologen Mathias Jungwirth und Severin Hohensinner (Universität für Bodenkultur, Wien) charakterisieren intakte Flusslandschaften und zeigen auf wie Flussregulierungen und Kraftwerksbau diese gravierend verändert haben [1].

Teil 1: Intakte und gestörte Flusslandschaften

Seit altersher hängen wir Menschen von den vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten ab, die uns ein Fluss bietet. Es sind dies die Möglichkeiten zu jagen und zu fischen, Trinkwasser zu gewinnen und Abwässer zu entsorgen, die Wasserstraße als Transportweg zu nutzen und schließlich die Wasserkraft zur Energiegewinnung zu nutzen. Seit jeher erfahren Menschen, die am Fluss und mit dem Fluss leben, aber auch seine andere Seite als katastrophale Ereignisse in Form enormer Hochwässer und gewaltiger Eisstöße.

Stärker in die Flusslandschaften einzugreifen begann der Mensch seit dem Mittelalter. Dies geschah vor allem um Transportprozesse – Schifffahrt und Holztransporte – zu ermöglichen. Um Schiffe und Flöße auch flussaufwärts ziehen zu können, legte man Treppelwege an. Primär um die Schifffahrt – weniger um den Hochwasserschutz – ging es auch bei der systematischen Regulierung der österreichischen Donau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als Folge aller regulierenden Eingriffe wurden die ursprünglich komplexen Flusslandschaften mehr und mehr in ihrem typischen Charakter verändert. An der Donau auf österreichischem Staatsgebiet gibt es daher heute keine naturbelassenen Abschnitte mehr (s.u.).

Wie ursprüngliche Flusslandschaften ausgesehen haben, lässt sich heute meist nur mehr an Hand alter Karten feststellen. Beispielsweise sieht man, dass das historische Stadtzentrum Wiens im Jahre 1780 (Abbildung 1) an eine überaus komplexe, wilde Flusslandschaft der Donau angrenzte. Es handelte sich um ein Flussgebiet mit äußerst hoher Biodiversität, in dem sich sogar Störe fanden, die vom Schwarzen Meer flussauf zum Laichen ziehend, bis über 7 m Länge und 3000 kg Gewicht erreichen konnten.

Donau im Wr. Becken um 1780Abbildung 1. Donau in der Wiener Beckenlandschaft um 1780 (Josephinische Landesaufnahme, ÖstA, Kriegsarchiv)

Für die Entstehung und Erhaltung derartig komplexer Flusslandschaften spielen Hochwässer eine Schlüsselrolle. Welche ökologische Bedeutung nun Hochwässer – in positivem wie auch negativem Sinn – haben, soll in der Folge an Hand systematischer Untersuchungen dargestellt werden, die wir zu einem rund 10 km langem Donauabschnitt im östlichen Machland anstellten [2]. Dieses Untersuchungsgebiet liegt an der niederösterreichisch/oberösterreichischen Grenze zwischen Wallsee und Ardagger (Abbildung 2); etwas flussauf münden die Zubringer Traun und Enns ein, direkt im Untersuchungsgebiet die Naarn.

Rekonstruktion intakter Fluss-Auensysteme im Machland

Als Grundlage für die Studie wurden zahlreiche historische Kartenwerke des Machlandes aus drei Jahrhunderten digitalisiert, mittels Geoinformationssystem qualitativ und quantitativ ausgewertet und daraus die ursprüngliche Flusslandschaft zwei- und dreidimensional rekonstruiert. Die Ergebnisse zeigen, dass dieser Donauabschnitt ein hochdynamisches Flusssystem war, ein komplexes Netzwerk aus Flussarmen, Inseln und Schotterbänken. Die Verbindungen zwischen den einzelnen aquatischen Lebensräumen (Habitaten) dieses Systems veränderten sich im Jahresverlauf in Abhängigkeit von den hydrologischen Verhältnissen – Schneeschmelze und Hochwässer – ständig. Enorme Umlagerungsprozesse waren dabei typisch (Abbildung 2). In einem Zeitraum von 5 Jahren (1812 bis 1817, linkes unteres Bild) trug der Fluss durch Erosion (pink) vor allem an den Außenufern Material ab und bildete an den Innenufern sowie in breiteren Abschnitten Anlandungen (gelb). So wurden in den besagten 5 Jahren insgesamt 35 % des neuzeitlichen, seit ungefähr 1500 n. Chr. entstandenen Augebietes einer Umlagerung unterzogen. In längeren Zeiträumen – in 46 Jahren (1775 – 1821, rechtes unteres Bild) – machten die umgelagerten Habitate (blaue Flächen) bereits 76 % des neuzeitlichen Augebietes aus (laut historischen Berichten traten in diesem Zeitraum 32 Hochwässer auf, davon waren 5 Katastrophenhochwässer). Donau im Wr. Becken um 1780Abbildung 2. Dynamik, Konnektivität (Habitatvernetzung), Erosion und Anlandung im untersuchten Donauabschnitt im östlichen Machland (die Lage ist durch das Rechteck links oben gekennzeichnet). Rechts oben: Die komplexe Flusslandschaft im Jahr 1715. Links unten: Umlagerungen durch Anlandungen (gelb) und Erosion (pink) innerhalb von 5 Jahren (1812 – 1817). Rechts unten: Umgelagerte Habitate (blau) innerhalb von 46 Jahren (1775 – 1821).

Im Querprofil betrachtet zeigt das Flusssystem von 1812 die beiden Hauptarme, mehrere kleinere Nebenarme und dazwischen die (überhöht dargestellten) Auflächen (Abbildung 3 oben). Bei jedem Hochwasser (auch kleineren) wurden Sedimente in Form von Sand und Schluff („Letten“) auf den Auflächen abgelagert und damit Anlandungen des Auniveaus verursacht. Diesem Anwachsen wirkte die durch die dynamischen Flussarme hervorgerufene Seitenerosion entgegen. Sofern sich die äußeren Rahmenbedingungen nicht veränderten (Klima, menschliche Eingriffe etc.), existierte ein natürliches Gleichgewicht aus Auflandung und Wieder-Abtrag. Diese anhaltende Dynamik war die Grundlage für die ehemals enorme Habitatvielfalt (Abbildung 3 unten).

Querprofil & Dynamisches GleichgewichtAbbildung 3. Die Donau im Machland 1812. Querprofil durch die in Abbildung 2 gezeigte Flusslandschaft (oben). Das „Dynamische Gleichgewicht“ zwischen Anlandung und Erosion führte zu hoher Habitavielfalt (unten).

Die Habitatvielfalt…

In den unterschiedlichen Zonen der Flusslandschaft existierten völlig unterschiedliche Habitate (Abbildung 3 unten): im zentralen Bereich, in dem besonders viele und häufige Umlagerungen stattfanden, entwickelte sich eine junge Weichholzau (primär aus verschiedenen Weiden). An den etwas stabileren, geschützteren Standorten gab es eine alte Weichholzau (zumeist Grauerlen), an den älteren und teilweise auch weiter entfernten Standorten war ein Übergang zur Hartholzau (Eschen, Erlen) zu beobachten.

Stetige Verjüngungsprozesse, ein immer wieder erfolgender Neubeginn, waren (und sind) für die Vegetation aber auch für die Tierwelt von fundamentaler Bedeutung.

…führt zur Artenvielfalt

Die Habitatvielfalt ist die Grundlage für Artenvielfalt und genetische Vielfalt (Vielfalt innerhalb von Arten). Dies lässt sich generell nachweisen: in der Vogelwelt, ebenso wie in der Amphibien-, Reptilien- und Fischfauna. Beispielsweise finden sich bei den Fischen strömungsliebende Kieslaicher bevorzugt im rasch fließenden Bereichen des zentralen Flusses, Stillgewässer bevorzugende Pflanzenlaicher hingegen in isolierten Augewässern mit teichartigem Charakter.

Charakteristisch für intakte Flusslandschaften

sind hoch dynamische Prozesse, die in drei räumlichen Ebenen ablaufen. Diese multidimensionale Natur von Fluss-Landschaftssystemen umfasst

  • longitudinale Prozesse – diese betreffen den Feststoffhaushalt, die Wanderungen von Organismen,
  • horizontale Prozesse – Wechselwirkungen oder Verbindungen zwischen dem Fluss und den Auen, die regelmäßig auf jährlicher Basis stattfinden (Schneeschmelze, Hochwasser),
  • vertikale Prozesse – Austauschvogänge zwischen Fluss, Bettsedimenten (Flusssohle) und Grundwasserkörper.

Die vielfältigen Vernetzungen zwischen den einzelnen Habitaten (Konnektivität) ändern sich unter natürlichen Bedingungen saisonal und von Jahr zu Jahr. Daraus resultiert ein extrem heterogener, sich ständig verändernder Habitatskomplex. Die Anteile der einzelnen Habitattypen bleiben dabei aber überraschend konstant – ein „shifting mosaic in a steady state“. Für die außergewöhnlich hohe Biodiversität solcher Systeme spielen Hochwässer eine zentrale Rolle. Werden Hochwässer verhindert oder stark eingeschränkt (beispielsweise durch alpine Speicher, die Hochwasserspitzen abfangen), entfallen die Erneuerungsprozesse und die solchermaßen gekennzeichneten Fluss-Auen-Systeme altern und sterben.

Gestörte Flusslandschaften

Mit der großen Donauregulierung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts und der folgenden Errichtung der Donau-Kraftwerke im 20. Jahrhundert entstanden gravierende Veränderungen in den Flusslandschaften. Der untersuchte Donauabschnitt im Machland wurde dabei durch die Errichtung der Kraftwerke Ybbs-Persenbeug und Wallsee-Mitterkirchen stark beeinflusst. (Mittlerweile gibt es an der Donau eine Kette von 10 Kraftwerken und nur noch 2 Fließstrecken in der Wachau und östlich von Wien.) All diese Eingriffe führten zur Einengung des ehemals verzweigten Flusssystems auf lediglich einen Hauptarm (Abbildung 4).

regulierte Donau im MachlandAbbildung 4. Die regulierte Donau im Machland 1991. Das Querprofil durch die Flusslandschaft zeigt die Eintiefung des Hauptarms und die Tendenz zum Absinken des Grundwasserspiegels (oben). Die Habitate mit Fließgewässercharakter haben von 33 % vor der Regulierung auf ungefähr 13 % abgenommen.

Entkoppelung des Niveaus von Au und Fluss

Wird ein Flusssystem auf einen zentralen Arm zusammengedrängt, so zeigt dieser in vielen Fällen Tendenz zur Eintiefung. Grund dafür ist, dass einerseits die Regulierung häufig zu eng bemessen und damit zu viel Material ausgetragen wird. Zudem transportieren unsere alpinen Flüsse als Folge von Geschiebesperren und Wehranlagen oft nur mehr viel zu wenig Geschiebe, insbesondere Kies, flussab. Reduzierter Eintrag bei gleichzeitig zu hohem Austrag führt zur Eintiefung der Flusssohle und bewirkt ein Absinken des Grundwasserspiegels. Da Extremhochwässer weiterhin die Au erreichen und dort zur Auflandung führen, kommt es zunehmend zur Entkopplung des Niveaus von Fluss und Au. Beispielsweise beträgt die Eintiefung an der Donau östlich von Wien ca. 2,5 cm pro Jahr, unterhalb von Gabcikovo – als Folge des Kraftwerkes – liegt die jährliche Eintiefung im Dezimeterbereich.

Alterung der Habitate…

Am Beispiel der aquatischen und terrestrischen Habitate im Machland sehen wir, dass diese bis 1840 ein mittleres Alter von rund 50 Jahren aufwiesen. Seit der großen Regulierung der Donau und verschärft durch die Kraftwerke erhöht sich das mittlere Habitatalter und beträgt mittlerweile rund 180 Jahre. Es wird weiterhin linear zunehmen, da es keine Verjüngungs- prozesse mehr gibt und demzufolge Alterung und Seneszenz der Habitate im Fluss-Auensystem dominieren.

…und Verluste der Habitate

Zudem sind die Verluste der Habitate mit Fließgewässercharakter dramatisch – symptomatisch für alle anderen Abschnitte der Donau haben diese im Machland von 33 % vor der Regulierung auf ungefähr 13 % abgenommen.

Fazit

Fasst man die Konsequenzen der Stabilisierung- und regulierungsbedingten Profileinengung der Donau zusammen, so ergeben sich:

  • Eintiefungen der Flusssohle,
  • Aufhöhungen der Auen,
  • Entkoppelungen der Niveaus von Fluss und Au,
  • Uferwallbildungen durch Feinmaterial, das bei Hochwässern aus den Staustufen ausgetragen wird und vor allem in den ufernahen Bereichen sedimentiert,
  • reduzierte Häufigkeit und Dauer der Hochwässer, die die Au noch erreichen,
  • Reduktion der Habitat- und Artenvielfalt,
  • herabgesetzte Nutzungsmöglichkeiten – u.a. der Grundwasserneubildung und damit der Trinkwasserversorgung. In manchen Gebieten hinter den Kraftwerksdämmen wird die Bevölkerung nun statt mit Brunnen mit Wasserleitungen versorgt,
  • infolge der Eintiefung müssen z.T. auch die Fundamente der Brücken und Regulierungen erneuert/tiefergelegt werden.

Dies alles führt auch zu erhöhten Folgekosten für die Wasserwirtschaft, die man in dieser Form ursprünglich nicht erwartet hatte.


[1] Der Artikel basiert auf einem gleichnamigen Vortrag, den Mathias Jungwirth anlässlich der Tagung „Land Unter - Leben mit Extremhochwässern“ an der ÖAW gehalten hat. Ein Audio-Mitschnitt und die von ihm gezeigten Bilder finden sich auf der Seite: http://www.oeaw.ac.at/kioes/wasser2.htm. Teil 2 des Artikels wird sich mit der ökologischen Bedeutung von Hochwässern befassen und in Kürze erscheinen.

[2] Severin Hohensinner „Rekonstruktion ursprünglicher Lebensraumverhältnisse der Fluss-Auen-Biozönose der Donau im Machland auf Basis der morphologischen Entwicklung von 1715 - 1991“, Dissertation an der Universität für Bodenkultur 2008. https://forschung.boku.ac.at/fis/suchen.hochschulschriften_info?sprache_... (abgerufen 16.8.2014)


Weiterführende Links

Severin Hohensinner:

  • Querung der Wiener Donau 1570, Video 2,45 min https://www.youtube.com/watch?v=RKpbhTnxnPY
  • Donau im Machland 1715 – 1991 , Video 0:47 min. Rekonstruktion der morphologischen Veränderungen der Flusslandschaft basierend auf 120 historischen Karten und Vermessungen. Vergleich der Situation vor der Regulierung (1725 – 1821), nach der Regulierung (1832 – 1925) und Kraftwerkserrichtungen (1991). https://www.youtube.com/watch?v=zZEG_ln3IYo
  • Donau-Hochwasser im Machland 1812 , Video 0:47 min. Die Rekonstruktion der Überflutung des Augebietes beruht auf Wasserspiegellagen und Geländehöhen, die im Jahr 1812 vermessen wurden. Sie zeigt, wie das Auensystem im Machland (Ober-/Niederösterreich) bei einem 3- bis 5-jährlichem Hochwasser vermutlich überflutet wurde. https://www.youtube.com/watch?v=HqCdEsM6r_U

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