Wie das Schuppentier zu seinen Schuppen kam

Do, 05.01.2017 - 06:27 — Ricki Lewis Ricki LewisIcon Biologie

Vor kurzem wurde das Genom des Schuppentiers sequenziert [1]. Es zeigt sich, dass im Vergleich zu anderen Säugetieren bestimmte Genfamilien geschrumpft sind und andere erweitert wurden. Insbesondere dürfte die Bildung des Panzers, der das Tier ja von Infektionen freihält, dazu geführt haben, dass ein Teil der Immunabwehr nicht mehr notwendig war und verloren ging. Die Genetikerin Ricki Lewis berichtet hier über dieses Beispiel natürlicher Selektion, die nach dem Motto erfolgt: Was nicht gebraucht wird, geht verloren.*

Kuriositäten im Tierreich sind allseits beliebt.

Darwin und Lamarck dachten über die Vorteile nach, welche Giraffen von ihren langen Beinen und langem Hals haben. Eine Dekade später erklärte Rudyard Kipling wie der Leopard zu seinen Flecken kam. Die Sequenzierung von Genomen lässt uns heute konkretisieren, was wir über Anpassungen im Tierreich vermuteten.

Anpassungen sind vererbte Eigenschaften, die für das Individuum die Wahrscheinlichkeit erhöhen zu überleben und sich fortzupflanzen. Anpassungen sind die Streifen des Zebras - die es unsichtbar machen, wenn es läuft -, die riesigen Ohren des Wüstenfuchs, die zur Hitzeabfuhr dienen und, um entfernte Raubtiere zu hören.

Vor Kurzem ist im Fachjournal "Genome Research" ein Bericht erschienen [1], der die Grundlage für die Geschichte schafft, wie das Schuppentier - der schuppige Ameisenfresser - zu seinen Schuppen gekommen ist. Diese schützen das Tier - aber in einer Weise die über das Ersichtliche hinausgeht. Wie aus dem Genom herauszulesen ist, hat der Panzer des Schuppentiers einen Teil seines Immunsystems ersetzt.

Gefährdete Spezies

Heute leben acht Spezies der Schuppentiere. Von ihrem gemeinsamen Vorläufer her begannen sie sich vor rund 60 Millionen Jahren zu entwickeln. Dieser diversifizierte sich von Insektenfressern, welche wiederum rund 100 Millionen Jahre den plazentalen Säugetieren vorausgingen, als behaarte Tiere gerade begannen die herrschenden riesigen Reptilien abzulösen.

Vier der modernen Schuppentierarten leben in Asien, vier in Afrika. Die Internationale Union für die Erhaltung der Natur und der natürlichen Ressourcen (IU) hat Schuppentiere auf der "Roten Liste Gefährdeter Spezies" stehen, betrachtet sie als kritisch gefährdet.

Schuppentiere sind die am meistgejagten und (illegal) -gehandelten Säugetiere. In der Vietnamesischen und Chinesischen Küche gilt ihr Fleisch als Delikatesse und ihre zerriebenen Schuppen finden in der Chinesischen Medizin Verwendung als Mittel gegen Krebs, bei verschiedenen Hautdefekten und Kreislauferkrankungen. Im afrikanischen Volkstum wurde dem Häuptling ein gefangenes Schuppentier gebracht, das man eine Zeitlang beobachtete, dann opferte und als Spezialität dem Häuptling und seiner Hauptfrau servierte.

Landwirtschaft und Waldrodung haben den Lebensraum der Schuppentiere ständig verkleinert; in Gefangenschaft lassen sich die Tiere aber nur sehr schwer halten.

Das Schuppentier stellt sich vor

Das Markenzeichen des Tieres ist sein Panzer, eine Hülle aus Haaren (vorwiegend Keratin), die zusammengeklebt in großen überlappenden Schuppen den ganzen Körper bedecken, ausgenommen ist nur der weiche Bauch. Bei Gefahr rollt sich das Tier zur Kugel zusammen und schützt so die weichen Teile. (Abbildung 1)

Abbildung 1. Schuppentiere klettern auf Bäume und rollen sich bei Gefahr zu Kugeln zusammen. (Rechtes Bild: von der Redaktion beigefügt, Quelle: Wikipedia, gemeinfrei.)

Das Tier ist zahnlos und nahezu kieferlos. Seine spitze Schnauze und starke Zunge eignen sich hervorragend um Nahrung in Form von Ameisen und Termiten aufzusaugen. Seine Sehkraft ist sehr schwach, der Geruchsinn jedoch scharf.

Sieben der acht Schuppentierarten sind klein - etwa in der Größe von Katzen -, jedoch das Riesenschuppentier (Manis gigantean) kann bis zu 2 Meter lang werden. Die Tiere leben auf Bäumen und auch im Boden, in Bauten, die von anderen(nur sehr entfernt verwandten) Insektenfressern gegraben wurden.

Das Genom des Schuppentiers

Siew Woh Choo (Universität Malaya) und Kollegen haben das Genom des Schuppentiers sequenziert und zwar von einem malayischen Tier und einem chinesischen Tier, beide waren Weibchen [1]. Das Genom des malayischen Tiers enthält 23 446 Gene, das chinesische 20 298 Gene - eine ganz ähnliche Zahl wie das menschliche Genom. volutionsgenetiker untersuchen Genome auf Anzeichen von positiver und negativer natürlicher Selektion. Gene, die über Individuen hinweg sich nur wenig in der DNA-Sequenz unterscheiden, deuten auf positive Selektion - wie auch immer die Sequenz aussieht, das damit kodierte Protein ist funktionsfähig. Im Gegensatz dazu kann ein nicht mehr funktionierendes Gen voll von Mutationen sein, die von Individuum zu Individuum stark variieren können. Wenn das entsprechende Protein inaktiv ist, oder überhaupt nicht produziert wird, ist es ja gleichgültig, wie die zugrundeliegende DNA-Sequenz aussieht. Gene, die sich in ihrer Sequenz so weit von der ursprünglichen Sequenz entfernt haben, dass sie ihre Funktion verloren haben, werden als Pseudogene bezeichnet.

Was nicht gebraucht wird, häuft Fehler an: Pseudogene und schrumpfende Genfamilien

Eine Reihe von Schuppentier-Genen wurden zu Pseudogenen, haben ihre Funktion verloren.

  • Ein Gen - ENAM - das für das größte Protein im Zahnschmelz kodiert, ist voll von Fehlern - vorzeitigen Stoppcodons, Verdoppelungen und Deletionen. Dies ist ebenso der Fall bei den Genen von zwei weiteren Zahnschmelzproteinen, Ameloblastin und Amelogenin. Andere zahnlose Tiere wie Bartenwale, Schildkröten und Vögel weisen ebenfalls Mutationen in diesen Genen auf.
  • Mehrere Gene, die das Sehen betreffen, sind durch Mutationen stillgelegt
  • Interferone regulieren die Aktivität des Immunsystems. Das Interferon epsilon (IFNE) Gen wird in 71 Spezies von (plazentalen) Säugetieren exprimiert und dient bei Infektionen der Haut als "vorderste Verteidigungslinie". Dieses Gen ist in beiden Schuppentierarten funktionslos und ebenso auch in deren afrikanischen Verwandten. Einige andere Interferone, die mit Infektion, Entzündung und Wundheilung zu tun haben, fehlen ebenso. Während andere Säugetiere ein komplettes Set von 10 Interferongenen aufweisen, hat das malayische Schuppentier drei und das chinesische Tier nur zwei funktionierende Gene.
  • Das Schuppentiergenom weist auch weniger funktionierende Hitzeschockgene auf. Dies erklärt vielleicht die Stressanfälligkeit der Tiere und die Schwierigkeiten sie in Zoos zu halten.

Erweiterte Funktionen

Verglichen mit anderen (plazentalen) Säugetieren gibt es bei Schuppentieren Genfamilien, die mehr Mitglieder enthalten. Diese Gene kodieren für:

  • Proteine, die das Cytoskelett aufbauen, die Zellkontakte bilden, die die Funktion des Nervensystems und der Signalübertragung positiv beeinflussen - notwendige Funktionen für die Schuppenbildung
  • Kathepsine und Septine, welche bakterielle Infektionen unterdrücken,
  • Geruchsrezeptoren, die dem hervorragenden Geruchsinn des Schuppentiers zugrunde liegen.

Die Geschichte des Schuppentiers erzählt von der natürlichen Selektion

An einem bestimmten Zeitpunkt hatten einige Schuppentiere - dank zufälliger Mutationen - stärkere Haare. Weitere Mutationen brachten diese Haare dazu, dass sie schließlich überlappten und den Körper abschirmten. Tiere, deren Haare in überlappende Schuppen übergingen, hatten eine geringere Wahrscheinlichkeit an bakteriellen Infektionen zu erkranken. Sie überlebten vermehrt und konnten ihre Eigenschaften vererben. Vielleicht hat sie der Panzer auch für den Partner attraktiver gemacht und zu mehr Sex geführt.

Die Hinweise im Genom des Schuppentiers - welche Genfamilien geschrumpft sind und welche erweitert wurden - legen es nahe, dass der Panzer einen Teil der Immunabwehr ersetzt hat. Die dicht verwobenen, zähen Schuppen schrecken nicht nur Raubtiere ab (Abbildung 2), sondern halten das Tier auch frei von Infektionen.

Abbildung 2. Der Panzer des Schuppentiers frustriert hungrige Löwen.

Auch wenn es verlockend ist sich Ursachen vorzustellen, warum Tiere so sind, wie sie eben sind - vom Giraffenhals, zur Leopardenzeichnung und dem Panzer des Schuppentiers - , so bieten DNA-Sequenzierungen ein breiteres und weniger subjektives Bild von adaptiven Merkmalen, von Merkmalen, die sich im Verlauf der Evolution als brauchbar erwiesen haben zu solchen, die auf den Müllhaufen des Genoms entsorgt wurden.


*Der Artikel ist erstmals am 20. Oktober 2016 in PLOS Blogs - DNA Science Blog unter dem Titel "How the Pangolin Got Its Scales – A Genetic Just-So Story" erschienen (http://blogs.plos.org/dnascience/2016/10/20/how-the-pangolin-got-its-scales-a-genetic-just-so-story/) und steht unter einer cc-by Lizenz . Die Autorin hat sich freundlicherweise mit der Übersetzung ihrer Artikel durch ScienceBlog.at einverstanden erklärt. Die Übersetzung folgt so genau als möglich der englischen Fassung.


[1] Siew Wo Choo et al., (2016) Pangolin genomes and the evolution of mammalian scales and immunity. Genome Res. 26:1-11 (free access). http://genome.cshlp.org/content/early/2016/09/13/gr.203521.115


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