Do, 22.12.2022 — Redaktion
In den letzten Jahren häufen sich die dramatischen Berichte über den enormen Rückgang der Insekten, wobei sich die Beobachtungen oft nur auf kurze Zeiträume und begrenzte Standorte erstrecken und die Biomasse gefangener Tiere zur Abschätzung der reduzierten Biodiversität (Artenzusammensetzung) herangezogen wird. Eine bahnbrechende Studie hat nun erstmals Anzahl und Biodiversität der Insektenarten an Hand von über drei Jahrzehnte lang gesammelten und konservierten Baumblättern verfolgt. Aus diesen Blättern wurden DNA-Spuren - sogenannte Umwelt-DNA (eDNA) - , wie sie von Insekten beim Fressen von Blättern zurückbleiben, extrahiert, analysiert und Tausende Insektenarten nachgewiesen. Es zeigte sich, dass die Gesamtzahl der Insektenarten im Laufe der Zeit weitgehend gleich blieb, viele einzelne Arten jedoch zurückgingen und durch neue, sich weiter verbreitende Arten ersetzt wurden.*
Insekten stellen ein Barometer für die Gesundheit der Umwelt dar. Ökosysteme auf der ganzen Welt sind beispiellosen, vom Menschen verursachten Belastungen ausgesetzt, die sich vom Klimawandel über die Umweltverschmutzung bis zur intensiven Landnutzung hin erstrecken. Diese Belastungen wurden in letzter Zeit mit mehreren dramatischen Rückgängen der Insektenpopulationen in Verbindung gebracht, insbesondere in Gebieten, die von stark industrialisierter Landwirtschaft betroffen sind.
Ohne darauf weiter einzugehen - die Zusammenhänge zwischen Insektenrückgang, Umweltbelastung und r Gesundheit der Ökosysteme sind derzeit nur wenig verstanden. Ein Rückgang in einem Gebiet mag wohl katastrophal aussehen, könnte aber auch einfach Teil normaler, längerfristiger Veränderungen sein. Oft wissen wir nicht, ob der Insektenrückgang ein lokales Phänomen ist oder weitergehende Umwelttrends widerspiegelt. Zudem reichen die meisten Studien zeitlich nicht weit genug zurück oder decken keinen ausreichend großen geografischen Bereich ab, um solche Unterscheidungen treffen zu können.
Probenmaterial: eDNA aus Baumblättern
Will man den Insektenrückgang verstehen und dagegen ankämpfen, so braucht man zuverlässige Methoden, um Insektenpopulationen über lange Zeiträume verfolgen zu können. Zur Lösung dieses Problems hat ein Forscherteam um den Biogeographen Henrik Krehenwinkel (von derUniversität Trier) für Untersuchungen an Insektengemeinschaften eine neue Quelle herangezogen, nämlich Baumblätter. Es ist dies ein Probenmaterial, das ursprünglich für andere Zwecke - nämlich zur Untersuchung der Luftverschmutzung - gesammelt und in der deutschen Bundesumweltprobenbank archiviert wurde. Dieses Material enthält aber auch die DNA von Insekten, die damit vor dem Einsammeln in Kontakt gekommen sind: beispielsweise ist dies in Kauspuren zurückgebliebene DNA, d.i. an Stellen wo die Insekten die Blätter angeknabbert hatten. Diese DNA wird als Umwelt-DNA oder kurz eDNA bezeichnet.
Abbildung 1: Sammelstellen von Baumblättern und Baumarten(A) und repräsentative Typen der Landnutzung (B). Analysen der Pestizidbelastung zu drei Zeitpunkten zeigen eine gleichbleibende, mit durchschnittlich 5 Pestiziden höchste Belastung auf landwirtschaftlich genutzten Flächen. (Bild von Redn. eingefügt aus H.Krehenwinkel et al., 2022 [1]; Lizenz: cc-by) |
Um die Insektengemeinschaften, die in diesen Bäumen lebten, zu untersuchen, haben Krehenwinkel und sein Team zunächst die eDNA aus den Blättern extrahiert und sequenziert. Die Blätter stammten dabei von vier Baumarten - Buche, Föhre, Lombardeipapel und Fichte -, die an 24 Standorten in ganz Deutschland fachgerecht unter standardisierten Bedingungen über einen Zeitraum von 30 Jahren gesammelt und konserviert worden waren. Die Standorte waren für vier Landnutzungstypen repräsentativ: landwirtschaftlich benutzte Flächen, städtische Parks, Wälder und Nationalparks. Abbildung 1.
Die Analyse der verschiedenen DNA-Sequenzen aus den Blattproben
ergab nicht nur die Anzahl der Insektenarten, sondern auch die Häufigkeit (oder Seltenheit) der einzelnen Arten innerhalb der einzelnen Gemeinschaften. Die eDNA-Analyse hat subtile Veränderungen in der Zusammensetzung der Gemeinschaften der Waldinsekten ergeben. In den Wäldern, aus denen die untersuchten Blätter herstammten, ist die Gesamtzahl der Insektenarten im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte weitgehend gleich geblieben. Viele einzelne Arten sind zwar zurück gegangen, aber nur um dann durch neue Arten abgelöst zu werden.
Abbildung 2: Änderungen von Diversität und Zahl (Biomasse) der Insektenarten in allen Standorten im Zeitraum von 30 Jahren. Oben links: Über alle Standorte ist die Diversität der Insektenarten nahezu unverändert geblieben; die Reduktion einiger Arten wurde durch neue Besiedler abgelöst Oben rechts: gleichbleibende Diversität von Insektenklassen. Unten: Bei gleichbleibender Diversität ist über den Zeitraum ein Rückgang der Biomasse zu beobachten. (Bilder von Redn. eingefügt aus H.Krehenwinkel et al., 2022 [1]; Lizenz: cc-by) |
Solche Veränderungen haben sich für alle Insektenordnungen als unabhängig von der Art der Landnutzung erwiesen. Die neuen Besiedler haben sich bereits weit verbreitet - dies führt wahrscheinlich zu einem Gesamtmuster mit weniger Arten, die sich aber weiter verbreiten - mit anderen Worten zu mehr Homogenität der Populationen. Abbildung 2.
Fazit
Der Ansatz von Krehenwinkel, et al. [1] bietet eine zuverlässige Methode, um Insektenpopulationen über mehrere Jahrzehnte hinweg im Detail zu untersuchen. Dabei ist es essentiell auf archiviertes Probenmaterial aus Umweltstudien zurück greifen zu können. Informationen, die daraus gewonnen werden, haben praktische Bedeutung für Umweltfragen von enormen sozialen Auswirkungen, die vom Naturschutz über die Landwirtschaft bis hin zur öffentlichen Gesundheit reichen.
[1] Henrik Krehenwinkel et al., (2022): Environmental DNA from archived leaves reveals widespread temporal turnover and biotic homogenization in forest arthropod communities. eLife 11:e78521. https://doi.org/10.7554/eLife.78521.
* Eine leicht verständliche Zusammenfassung (Digest) des Artikels von H. Krewinkel et al., 2022, [1] ist am 20.12.2022 unter dem Titel "Insect data grown on trees" im eLife Magazin erschienen: https://elifesciences.org/digests/78521/insect-data-grown-on-trees. Der Digest wurde von der Redaktion ins Deutsche übersetzt und mit 2 Abbildungen aus dem Originaltext [1] plus Legenden ergänzt. eLife ist ein open access Journal, alle Inhalte stehen unter einer cc-by Lizenz .
Weiterführende Links:
Uni Trier (2022) eDNA: Ein entscheidender Fortschritt für das Biomonitoring. Video 4:00 min. https://www.youtube.com/watch?v=F0sTyYRiCvA
Artikel im ScienceBlog:
- Ricki Lewis, 15.12.2022: Ein 2 Millionen Jahre altes Ökosystem im Klimawandel mittels Umwelt-DNA rekonstruiert
- Ricki Lewis, 21.11.2021: Umwelt-DNA (eDNA) erlaubt einen Blick in die Dämmerzone der Meere
- Redaktion, 28.12.2017: Artikel über den dramatischen Rückgang der Insekten erzielt 2017 Top-Reichweite in Fachwelt und Öffentlichkeit
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