Verringerung der Lärmbelastung durch abgelenkte Schallwellen und gummiasphaltierte Straßen

Do, 27.10.2022 — Redaktion

Redaktion

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Laut WHO rangiert Umgebungslärm nach Luftverschmutzung an zweiter Stelle als Verursacher von Gesundheitsproblemen. Der Verkehr ist eine der Hauptursachen für beide Probleme. Neben Anstrengungen den Verkehr insgesamt zu reduzieren, wird an Lösungen zur Minimierung der Lärmbelastung gearbeitet. Zwei EU-finanzierte Projekte haben dazu marktfähige Lösungen entwickelt: Im WHISSPER-Projekt sind dies Lärmschutzwände, die mittels einer innovativen Technologie den Schall nach oben ablenken; im SILENT RUBBER PAVE-Projekt führt gummimodifizierter Asphalt zur erhöhten Absorption des Schalls.*

In den Städten der Europäischen Union stellt Lärm neben der Luftverschmutzung ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar. Rund 22 Millionen Menschen leiden unter chronisch hoher Lärmbelastung und jedes Jahr sterben 12 000 Menschen vorzeitig an den Folgen einer langfristigen Belastung durch Umweltlärm, wobei der Verkehr eine der Hauptquellen ist. Abbildung 1.

Abbildung 2. Eine zentrale Herausforderung in städtischen Gebieten ist die Begrenzung der verkehrsbedingten Lärmbelastung. Bildnachweis: Pexels via Pixabay

Doch so wie beim Klimawandel geht es der EU bei der Bekämpfung der Lärmbelastung nicht nur um Schadensbegrenzung, sondern auch um Anpassung. Zwar kann der Verkehr durch eine bessere Stadtplanung reduziert werden, doch der motorisierte Verkehr wird auch weiterhin Lärm emittieren, und eine zentrale Herausforderung besteht darin, Wege zu finden, die Auswirkungen auf die Menschen zu begrenzen.

Hier betritt Bart Willems die Szene. Er ist begeistert von einer Art von Wand, die seiner Meinung nach die Menschen mehr vereinen als trennen kann. Willems war an einem Forschungsprojekt beteiligt, bei dem es darum ging, belastenden Straßen- und Eisenbahnlärm zu reduzieren, indem man Barrieren einsetzt, die Schallwellen ablenken und sie von den Gebäuden wegleiten. Das Phänomen ist als Beugung bekannt.

Nervenaufreibend

Das Ziel war ein ernstzunehmendes, jedoch unterschätztes Umweltproblem aus einer neuen Sichtweise anzugehen. Konventionell existieren zwei Methoden zur Lärmreduktion: Blockierung des Schalls durch hohe Lärmschutzwände und Verwendung von Materialien für Straßen und Schienen, die den Lärm besser absorbieren. Die Beugung bietet eine dritte Lösung", sagte Willems, dessen niederländisches Unternehmen 4Silence BV (https://www.4silence.com/) das EU-Horizon-finanzierte WHISSPER-Projekt koordiniert hat.

Das niederländische Unternehmen 4Silence hat Wände mit unterschiedlich breiten Rillen entwickelt, die den horizontalen Lärm reduzieren, indem sie ihn in vertikaler Richtung nach oben ablenken. Die Methode wird im WHISSPER-Projekt folgendermaßen beschrieben [1]: „Die Innovation nutzt das Prinzip aus, dass Schallwellen durch Überlagerung mit anderen Schallwellen gebrochen werden. Dabei erzeugen die aus vorbeifahrenden Fahrzeuge in die Rillen schießenden Schallwellen Resonanz. Der daraus entstehende Luftwiderstand hemmt wiederum die horizontale Ausbreitung der Schallwellen. Da sich Schall ähnlich wie Wasser den Weg des geringsten Widerstands sucht, tendieren problematische Schallwellen dazu, der in den Rillen erzeugten Resonanz nach oben „auszuweichen“, was die Lärmbelastung für das Straßenumfeld reduziert. Die innovativen Lärmschutzwände können auch neben Zuggleisen angebracht werden."

Mit dieser Technologie können niedrigere Wände verwendet werden, um mehr Lärm von den Menschen in der Umgebung abzulenken. "Wenn eine unserer Schallschutzwände einen Meter hoch ist, reduziert sie den Lärm um sieben bis neun Dezibel", so Willems. Eine normale Wand müsste drei Meter hoch sein, um den gleichen Effekt zu erzielen. Abbildung 2.

Abbildung 2. Ablenkung der Schallwellen: Die Lärmschutzwand WHISwall, installiert in Belgien an der N445 in der Nähe von Zele. Ein 1,00 m hohes Element in Kombination mit einem beugenden Element (Resonator) führt zu einer Lärmreduzierung, die einer 3,00 m hohen Schallschutzwand entspricht. © 4Silence, 2022

Diese Technologie wurde im Rahmen des WHISSPER-Projekts von 2019 bis Anfang 2022 getestet. Pilotversuche wurden in den Niederlanden, Belgien, Deutschland und Dänemark durchgeführt und die signifikante Minderung des Geräuschpegels und die Marktfähigkeit demonstriert; nach Angaben des Unternehmens sind die schallumlenkenden Wände einfach zu installieren und zu warten. Man will jetzt damit auf den Markt kommen.

"Wir haben inzwischen mit unseren ersten kommerziellen Projekten in den Niederlanden begonnen", so Willems. "Und wir sind bestrebt, unsere Wände in verschiedenen Ländern zu vermarkten."

Für diese Initiativen arbeitet 4Silence generell mit lokalen Behörden, wie denen der Stadt Eindhoven oder der Provinz Utrecht zusammen. In Deutschland und im Vereinigten Königreich wurden kommerzielle Projekte für das Staatliche Bauamt Augsburg und für Transport for London gestartet. Für die kommenden Monate sind neue Kunden aus ganz Europa angekündigt, wobei 4Silence Kunden in Ländern wie Belgien und Dänemark ins Auge fasst.

Entlastung des Budgets

Lärmschutzwände entlasten auch die öffentlichen Haushalte, denn sie sind nur halb so teuer wie herkömmliche Maßnahmen zur Lärmreduktion. Die öffentlichen Kassen für Infrastrukturen sind bereits stark strapaziert. Die Ausgaben für die Bekämpfung von Straßen- und Schienenlärm belaufen sich in Europa auf etwa 5,4 Milliarden Euro pro Jahr, das sind 6 % der jährlichen Gesamtausgaben für beide Verkehrsträger.

Doch die Belastung der Menschen durch Verkehrslärm nimmt in der EU zu. Mehr als jeder vierte Europäer ist zu Hause, in der Schule und am Arbeitsplatz gesundheitsgefährdenden Lärmpegeln ausgesetzt.

Gute Vibrationen

Inzwischen wird an Verbesserungen der klassischen Methoden zur Bekämpfung von Verkehrslärm gearbeitet. Ein separates, von Horizon finanziertes Projekt namens SILENT RUBBER PAVE [2] macht Asphalt auf umweltfreundliche Weise schwammiger und hoffentlich leiser. An dem Projekt ist ein spanisches Unternehmen namens Cirtec (https://cirtec.es/) beteiligt. Abbildung 3.

Abbildung 3. Der Flüsterbelag wird aufgebracht (Quelle: [2] © SILENT RUBBER PAVE)

Cirtec steht kurz vor dem Verkauf eines neuen Asphaltzusatzes namens RARx, der aus Gummi von Altreifen hergestellt wird. RARx wird dem Asphalt beigemischt, um einen Teil des Straßenverkehrslärms zu dämpfen.

Die Beimischung von Gummipulver zu Asphalt (auch als Bitumen bekannt) wurde zwar schon früher ausprobiert, aber es ergaben sich technische Schwierigkeiten. "Früher mischten die Bauunternehmer die Gummimischung direkt in das Bitumen, was viele Probleme verursachte", so Guillermo Rodríguez Marfil von Cirtec. "Probleme mit dem Mischung und mit der anschließenden Reinigung der Gerätschaften."

Bei RARx wird das Gummipulver vom Hersteller mit mineralischen Zusätzen wie Bitumen gemischt, so dass es für die Asphalthersteller einfacher zu verarbeiten ist. Rodríguez Marfil zufolge wird der Lärm der Fahrzeuge um 4-5 Dezibel reduziert. "Das Gemisch verringert die Steifigkeit des Asphalts, was zu einer geringeren Vibration im Reifen und damit zu weniger Lärm führt", sagt er.

Außerdem kann damit die Lebensdauer des Straßenbelags verlängert und so die Wartungskosten reduziert werden. Zudem entspricht RARx dem Recycling -Gedanken, da die Gummimischung aus Altreifen hergestellt wird.

RARx wird derzeit in Ländern wie Spanien eingeführt. Tests und Bauprojekte wurden auch in Deutschland, Italien, Portugal und Irland durchgeführt, teilweise unter dem Dach von SILENT RUBBER PAVE. Neben der Produktion in Spanien wird RARx auch in einer zweiten Fabrik hergestellt, die derzeit in Mexiko gebaut wird - laut Rodríguez Marfil der größte Markt für Cirtec.

Die Zukunft sieht rosig aus", sagte er. Wir arbeiten auf mehreren Kontinenten und unser Einfluss wächst. Wir sparen den öffentlichen Verwaltungen Geld und verringern den Lärm für die Bürger.

Regulatorische Hürden

Cirtec und 4Silence hoffen nicht nur auf neue Märkte für ihre neuen Produkte zur Lärmminderung, sondern auch auf Änderungen der Rechtsvorschriften, um ihr Geschäft auszubauen.

"Da Straßen oft von Regierungen und deren Subunternehmern gebaut werden, ist diese Tätigkeit stark reguliert. Im Straßenbau wird seit Ewigkeiten das Gleiche getan, und dies lässt sich nur schwer überwinden," so Rodríguez Marfil. Willems von 4Silence schließt sich diesem Standpunkt an: "Die Infrastruktur entwickelt sich nicht schnell, vor allem, wenn Gesetze geändert werden müssen, bevor wir unsere Technologie einführen können", sagt er. "Wir sind dennoch optimistisch, dass die Menschen in Europa in den kommenden drei Jahren an den Anblick unserer Barrieren gewöhnt sein werden."


 [1] WHISSPER-Projekt (06. 2019 - 03. 2022) - Ergebnisse: : https://cordis.europa.eu/article/id/442164-sound-wave-bending-innovation-cuts-noise-pollution/de . DOI10.3030/859337

[2] SILENT RUBBER PAVE-Projekt (04.2017 - 31.03.2020) - Ergebnisse: https://cordis.europa.eu/article/id/422356-novel-asphalt-additive-for-better-safer-and-environment-friendly-roads/de  DOI10.3030/760564


*Dieser Artikel wurde zuerst am 21.Oktober 2022 von Tom Cassauwers in Horizon, the EU Research and Innovation Magazine unter dem Titel "Reducing noise pollution with acoustic walls and rubberised roads https://ec.europa.eu/research-and-innovation/en/horizon-magazine/reducing-noise-pollution-acoustic-walls-and-rubberised-roads  publiziert. Der unter einer cc-by-Lizenz stehende Artikel wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu aus dem Englischen übersetzt Ein Absatz zur Funktion der Lärmschutzwände und Abbildung 2. wurden aus [1] eingefügt, Abbildung 3 stammt aus [2].


Video: Horizon EU: Reducing noise pollution with acoustic walls and rubberised roads (1:17 min) https://www.youtube.com/watch?v=x5A9woyJd_w&t=77s