Wissensvermittlung - Wiener Stil. 30 Jahre Wiener Vorlesungen

Do, 20.10.2016 - 09:25 — Inge Schuster

Inge SchusterIcon GebietSeit 1987 gibt es die Wiener Vorlesungen. Hubert Christian Ehalt, Historiker, Soziologe und Wissenschaftsreferent der Stadt Wien (und auch einer unser ScienceBlog Autoren) hat diese Initiative ins Leben gerufen und organisiert sie seitdem mit grenzenlosem Enthusiasmus und ungeheurem Arbeitseinsatz. Als Referenten fungieren führende Wissenschafter, Künstler, Experten und Politiker des In-und Auslands, die ein breites Spektrum an Themen - von Sozial-und-Kulturwissenschaften, (Gesellschafts)politik bis hin zu naturwissenschaftlichen und medizinischen Fragestellungen - diskutieren. Bis jetzt fanden 1500 Veranstaltungen - meistens im Festsaal des Wiener Rathauses - mit insgesamt rund 5000 Vortragenden statt. Öffentlich frei zugänglich erfreuen sich die Vorlesungen großer Beliebtheit - Tausend und mehr Besucher sind keine Seltenheit.

"Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, müssen wir alles verändern"

Giuseppe Tomasi:" Il Gattopardo"

Nichts beschreibt das offensichtliche Lebensmotto von Christian Ehalt besser, als der Ausspruch aus dem Roman "Il Gattopardi" (auf Deutsch nicht ganz richtig mit "Der Leopard" übersetzt), den er am vergangenen Montag zitiert hat. Anlass war eine Feier im Wiener Rathaus zu seinen "Wiener Vorlesungen", die nun ins dreißigste Jahr ihres Bestehens gehen.

Entsprechend dem obigen Motto wollte und will der Sozialhistoriker Ehalt den ständigen Veränderungsprozess, dem wir alle ausgesetzt sind, nicht passiv miterleben sondern die Möglichkeit nutzen diesen Wandel aktiv mitzugestalten. Dies hat er u.a. mit seinem Konzept der "Wiener Vorlesungen" bewirkt. Als Wissenschaftsreferent der Stadt Wien für die Förderung von Wissenschaft und Forschung zuständig, hat Ehalt im Jahr 1987 mit diesen Vorlesungen ein - wie er es ausdrückt - "intellektuelles Scharnier zwischen den Wiener Universitäten und dem Rathaus" geschaffen.

Was sind nun die "Wiener Vorlesungen"?

Die Information auf der Webseite der Stadt Wien nimmt sich eher sehr bescheiden aus:

"Die Wiener Vorlesungen laden wichtige Persönlichkeiten des intellektuellen Lebens in die Festsäle des Rathauses, um Analysen und Befunde zu den großen aktuellen Problemen der Welt vorzulegen. Seit 2. April 1987 sind die Wiener Vorlesungen das Dialogforum der Stadt Wien im Rathaus: öffentlich und frei zugänglich, kritisch, am Puls der Zeit.

Seither analysieren, befunden und bewerten die Wiener Vorlesungen die gesellschaftliche, politische und geistige Situation der Zeit."

Es ist auch vermerkt, dass die Konzeption und Koordination dieses Dialogforums Christian Ehalt innehat. Erst, wenn man dann unter den einzelnen Links auf der Seite nachsieht, wird man sich der enormen Dimensionen bewusst , welche die Wiener Vorlesungen inzwischen angenommen haben: enorm, sowohl was die Zahl der Veranstaltungen betrifft als auch das immens weite Spektrum der behandelten Themen. Dazu kommt deren Anspruch auf höchste Qualität und auch darauf schwierigste Sachverhalte leichtverständlich zu vermitteln.

Das Ausmaß der Veranstaltungen:

Unter dem Link "Veranstaltungsarchiv" findet man Titel und Referenten aller Vorträge: bis jetzt haben 1500 Veranstaltungen - Vorträge und/oder Diskussionen - stattgefunden mit insgesamt rund 5000 Referenten. Auf die einzelnen Jahre umgelegt sieht dies etwa so aus (Abbildung 1): Abbildung 1. Wiener Vorlesungen. Nach einer Anfangsphase hat sich die Zahl der jährlichen Veranstaltungen auf rund 50 eingependelt (für 2016 gibt es noch nicht alle Termine). Erfreulicherweise ist ein beträchtlicher Anteil naturwissenschaftlich/medizinischenThemen gewidmet. (Daten zusammengestellt aus: https://www.wien.gv.at/kultur/abteilung/vorlesungen/Veranstaltungsarchiv).

Im Schnitt finden also jährlich rund 50 Veranstaltungen statt; wie oben erwähnt, konzipiert und koordiniert von Christian Ehalt, der - mit Enthusiasmus und ungeheurem Arbeitseinsatz - dazu noch mindestens die Hälfte der Veranstaltungen moderiert und die Diskussionen leitet.

Ein Projekt der Aufklärung des 21. Jahrhunderts

Nicht minder imposant wie die Zahl der Vorlesungen ist das immens breite Spektrum der Themen: Fachgrenzen überschreitend werden brennende Probleme der Gegenwart, Fragen des sozialen und kulturellen Lebens diskutiert, nach den biologischen Grundlagen des Lebens und den Möglichkeiten dieses gesund und lang zu erhalten, gesucht.

Die Grenzen zum Bürger überschreitend bieten die Wiener Vorlesungen eine beispielgebende Form von Volksbildung - Aufklärung über die Welt, in der wir leben und wie wir darin leben -, die von den Besuchern geschätzt wird. Tausend und mehr Besucher im Festsaal des Rathauses sind keine Seltenheit.

Eine Zusammenstellung wesentlicher Themen ist in Form einer Schlagwortwolke in Abbildung 2 gegeben: bei der riesigen Fülle an unterschiedlichen, transdisziplinären Vortragsinhhalten wären zweifellos noch wichtige Ergänzungen anzubringen, auch bietet die Darstellung keine korrekte Gewichtung der einzelnen Themen.

Abbildung 2. Wesentliche Themen der Wiener Vorlesungen.

Wer sich über die Themenvielfalt informieren möchte, sollte am besten auf der oben erwähnten Webseite der Wiener Vorlesungen nachsehen. Medienberichte und auch ein einschlägiger Artikel in Wikipedia betonen vor allem die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Angebote und verschweigen, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Vorlesungen (zum Teil bahnbrechende) naturwissenschaftliche Erkenntnisse und mögliche Durchbrüche in der medizinischen Forschung betrifft. (Auch die Reden anlässlich der 30-Jahr Feier der Wiener Vorlesungen haben da keine Ausnahme gemacht.)

Wissenschaft wirksam machen

Die Wiener Vorlesungen bieten also:

  • Ein ungemein breites Spektrum an hochaktuellen Themen: nach dem Motto "wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen" wird nahezu jeder für ihn interessante Themen vorfinden.
  • Wissenschafter zum Anfassen: Es ist ein Reigen prominenter Wissenschafter - darunter zahlreiche Nobelpreisträger - , Künstler, Philosophen und Politiker aus dem In- und Ausland, die als Referenten in den Wiener Vorlesungen fungieren und mit denen das Publikum auf Augenhöhe diskutieren kann.
  • Wissenschaft als Fest: die meisten Veranstaltungen finden im prächtigen Festsaal des Wiener Rathauses statt; trotz seiner riesigen Dimensionen ist dieser häufig bis auf den letzten Platz gefüllt.
  • Wissenschaft zum Nulltarif: die Veranstaltungen sind öffentlich und gratis für jeden zugänglich.
  • Wissenschaft ohne Grenzen: Kooperationen mit den TV-Sendern ORF III und OKTO ermöglichen Interessierten auch außerhalb Wiens die Vorlesungen mitzuerleben. Zu knapp 60 Vorlesungen gibt es im Netz frei abrufbare Videos. Eine Reihe von Vorträgen liegt in 300 Bänden zum Nachlesen vor.

Fazit:

Die Wiener Vorlesungen sind aus dem kulturell-geistigen Leben Wiens nicht mehr wegzudenken. Man kann jedem nur empfehlen an der einen oder anderen Vorlesung teilzunehmen!

Lieber Christian Ehalt:

Was du hier tust, ist sehr wichtig, wir brauchen das und wollen das auch weiterhin!


Links:

Wiener Vorlesungen - das Dialogforum der Stadt Wien 61 Videos diverser Vorlesungen

Hubert Christian Ehalt in ScienceBlog:

06.02.2015: Herausforderung Alter(n) – Chancen, Probleme und Fragen einer alternden Gesellschaft