Do, 28.07.2022 — Felix Warmer
Die Energiequelle der Sonne auf der Erde nutzbar zu machen ist das ehrgeizige Ziel der Fusionsforschung. Derzeit gibt es vor allem zwei mögliche Varianten, ein Kraftwerk zu realisieren: Tokamak und Stellarator. Felix Warmer vom Max-Planck-Institut für Plasma Physik (Greifswald), das den Stellarator Wendelstein 7-X beheimatet, beschreibt hier, wie seit Jahren eine Simulationsplattform entwickelt wird, mit der sich sowohl die physikalischen als auch technischen Anforderungen an einen Stellarator ganzheitlich simulieren lassen. Dieser digitale Zwilling soll das Zusammenwirken aller Systemkomponenten beschreiben, um ein Fusionskraftwerk schneller zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen.*
Aus der Fusion von Wasserstoff (genauer: dessen schweren Varianten Deuterium und Tritium) Energie zu gewinnen ist ein lang gehegter Traum. Mit einem nahezu unerschöpflichen Brennstoffreservoir und dem CO2-freien Betrieb könnte diese Technik eine der Stützen einer nachhaltigen Energieversorgung werden. Mit ihrer großen elektrischen Leistung würden Fusionskraftwerke vor allem die Grundlast bedienen und so in idealer Weise die von der Witterung abhängigen Wind- und Sonnenkraftwerke ergänzen.
Im südfranzösischen Cadarache entsteht derzeit der Experimentalreaktor Iter. Er soll erstmals im großen Maßstab demonstrieren, dass diese Art der Energiegewinnung technisch möglich ist. Iter basiert auf dem Prinzip des sogenannten Tokamak. In ihm wird das rund hundert Millionen Grad heiße Plasma in einem Magnet feldkäfig eingesperrt. Dieser wird indes auf eine Weise erzeugt, dass ein Tokamak ohne Zusatzmaßnahmen nur in gepulstem Betrieb, also mit r egelmäßigen Unterbrechungen arbeiten kann.
Wegen dieser Einschränkung wird parallel dazu ein anderes Anlagenprinzip namens Stellarator erforscht. Es bietet eine attraktive Alternative, da Stellaratoren im Dauerbetrieb arbeiten können. Die größte und erfolgreichste Experimentieranlage dieses Typs ist der seit 2015 in Greifswald laufende Wendelstein 7-X.
Das Stellarator-Konzept erschien anfänglich herausfordernder, weil dabei zum Einschluss des Plasmas wesentlich komplexer geformte Magnetspulen nötig sind als in einem Tokamak. Wendelstein 7-X hat bewiesen, dass solche Spulen mit der erforderlichen Genauigkeit realisierbar sind. Diese Anlage hält den Stellarator-Weltrekord für das Fusionsprodukt aus Temperatur, Plasmadichte und Energieeinschlusszeit. Es gibt an, wie nahe man den Werten für ein selbstständig brennendes Plasma kommt.
Abbildung 1: , Das Modell eines Stellarators bildet ein Spulensystem mit realistischen Abmessungen und Betriebseigenschaften ab und berücksichtigt die technischen Randbedingungen. Der Farbcode gibt die Magnetfeldstärke in Tesla an. Die kleinen Pfeile stellen lokale elektromagnetische Kräfte an den Spulen dar, die großen Pfeile zeigen die Richtung und, qualitativ, die Stärke der summierten Kräfte für eine Spule. |
Das Ziel: ein ökonomisches Kraftwerk
Die für die Planung des Stellarators verwendeten Computerprogramme wurden bereits in den 1990er-Jahren entwickelt. Sie berechnen das Magnetfeld, welches das heiße Fusionsplasma einschließt, sowie die Spulen, die das Feld erzeugen. Bislang existierte jedoch kein systematischer Rahmen, der weitere technische Anforderungen berücksichtigt, die für einen Betrieb große Bedeutung haben. Aufbauend auf den bisherigen erfolgreichen Codes haben wir in den vergangenen Jahren – weltweit erstmalig – neue Modelle entwickelt, die genau diese Randbedingungen in einer Simulationsplattform einbeziehen, um alle Komponenten eines Stellarators gewissermaßen ganzheitlich zu beschreiben. Unser Ziel ist es also, einen flexiblen digitalen Zwilling eines Fusionskraftwerks am Computer zu schaffen, mit dem man die Auswirkung neuer Techniken, physikalischer Erkenntnisse oder Unsicherheiten auf den Entwurf untersuchen und ein optimales Konzept für ein Stellarator-Fusionskraftwerk erstellen kann. Dieser digitale Zwilling optimiert dabei nicht nur die physikalischen, sondern auch die ingenieurstechnischen Aspekte einer solchen Anlage. Abbildung 1.
Die wissenschaftliche Herausforderung beim Erarbeiten eines Kraftwerkskonzepts besteht darin, aus laufenden Stellarator-Experimenten wie Wendelstein 7-X die physikalischen Erkenntnisse mit aktuellen technischen Entwicklungen zu verbinden, um daraus einen ökonomisch attraktiven Kraftwerksentwurf abzuleiten. Abbildung 2. Besonders anspruchsvoll ist es, alle technischen Komponenten miteinander in Einklang zu bringen: supraleitende Spulen, Stützstruktur, Kühlsysteme und viele weitere Systeme müssen aufeinander abgestimmt werden und genügend Platz für Vorrichtungen lassen, die eine Wartung aus der Ferne erlauben. Unsere Simulationsplattform öffnet neue Wege, um solch komplexe technische Herausforderungen virtuell darzustellen und zu bewältigen.
Abbildung 1: , 2016 und 2017 wurden in der Plasmakammer von Wendelstein 7-x unter anderem 8000 Graphitkacheln montiert. Daten, die Forschende in der Anlage seither gesammelt haben, fließen auch in das virtuelle Modell des Stellarators. |
Test für unterschiedliche Reaktoren
Wendelstein 7-X hat bereits experimentell bewiesen, dass das Stellarator-Konzept funktioniert. Ein zukünftiger Reaktor kann jedoch in sehr unterschiedlichen Formen gebaut werden, wobei die optimale räumliche Gestalt erst noch gefunden werden muss. Wir haben unseren Code namens Process daher auf zwei unterschiedliche Stellarator-Konzepte angewendet. Zum einen haben wir drei reaktorgroße Stellaratoren mit unterschiedlichen Seitenverhältnissen simuliert. Zum anderen haben wir drei Spulensätze mit einer unterschiedlichen Zahl an Spulen durchgerechnet. Hierbei spielen Volumen und Oberfläche des Plasmas eine bedeutende Rolle, wenn es um weitere Berechnungen beispielsweise der Fusionsleistung, der Füllraten oder der Materialbelastung geht. Process berücksichtigt in Magnetfeldrechnungen die Materialeigenschaften von Supraleitern und technische Randbedingungen, etwa die Regeln für eine Schnellabschaltung der Spulen. Das Modell erzeugt somit ein funktionstüchtiges Spulensystem mit realistischen Abmessungen und Betriebseigenschaften. Diese Simulationen ermöglichen zum ersten Mal den Vergleich verschiedener Stellarator-Konfigurationen innerhalb des gleichen ganzheitlichen Systemcodes und tragen somit zur Stellarator-Optimierung bei.
Ein weiterer Clou von Process ist die Geschwindigkeit: Die Ergebnisse liegen bereits nach wenigen Sekunden vor. Das ermöglicht es uns, eine nahezu endlose Zahl alternativer Entwürfe parallel zu untersuchen und den großen Parameterbereich entscheidend einzugrenzen. Bei der Konstruktion der Codes haben wir auf die Rechengeschwindigkeit geachtet, wobei dies mit einem Kompromiss zwischen Supergenauigkeit und Schnelligkeit einhergeht. Haben wir mit Process einen optimalen Bereich eingegrenzt, kann diese Konfiguration mit hochauflösenden Simulationen detaillierter untersucht werden. Dies geschieht innerhalb des EU-Projekts EUROfusion. Es vereint derzeit 30 Forschungseinrichtungen in 25 EU-Mitgliedstaaten sowie der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und der Ukraine. Koordiniert wird es vom IPP in Garching. In diesem Forschungsverbund sind Fachleute versammelt, die sich auf bestimmte Teilaspekte spezialisiert haben und diese detailliert berechnen können. Mit ihnen kooperieren wir intensiv. Diese Forschung erzeugt daher starke Synergie-Effekte und fördert länderübergreifenden Austausch und Zusammenarbeit.
Bislang sind längst nicht alle technischen Aspekte eines Stellarator-Kraftwerks abgedeckt. So arbeiten wir derzeit an Modellen, welche die mechanischen Spannungen in den Spulen und ihrer Stützstruktur hinreichend genau vorhersagen können. Solche Spannungen entstehen vor allem durch die starken elektromagnetischen Kräfte zwischen den Spulen. Letztlich müssen wir alle physikalischen und technischen Aspekte in unserem digitalen Zwilling zusammenzuführen. Wir sind davon überzeugt, dass unsere Strategie dazu beitragen kann, die Entwicklung eines Stellarator-Kraftwerks voranzutreiben.
* Der Artikel ist unter dem Titel "Das virtuelle Fusionskraftwerk" in der Sammlung Highlights aus dem Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft 2021 https://www.mpg.de/18802436/jahrbuch-highlights-2021.pdf im Mai 2022 erschienen und wird hier unverändert wiedergegeben . Die MPG-Pressestelle hat freundlicherweise der Verwendung von Jahrbuch-Beiträgen im ScienceBlog zugestimmt.
Kernfusion im ScienceBlog:
Roland Wengenmayr, 13.05.2022: Die Sonne im Tank - Fusionsforschung
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