Hydrologie: Über die Mathematik des Wassers im Boden

Fr, 16.08.2013 - 08:08 — Gerhard Markart

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Welche Faktoren spielen zusammen, wenn Wasser über die Ufer tritt? Was versteht man unter der Versiegelung des Bodens und welche Auswirkungen hat sie auf den Wasserkreislauf?

Starkregen – die Bedeutung des Waldes und funktionierender Böden

Waldbestände halten große Niederschlagsmengen im Kronenraum zurück. Diese Interzeptionsverdunstung liegt je nach Baumart und Dichte des Bestandes bei vier bis sechs Millimeter pro Niederschlagsereignis, bei Nadelbäumen ist der Kronenrückhalt größer als bei Laubbäumen. Der Kronendurchlass (Wasser, das auf den Waldboden trifft) kann im Wald in der Regel leichter versickern als im umgebenden Freiland. Deshalb sind Wälder so wichtige Regulative im hydrologischen Haushalt.

Die Reaktion des Bodens ist stark von der Intensität und der Dauer des Niederschlagsereignisses abhängig. Besonders bei kurzzeitigen Starkregen (Gewitterregen) ist auf feinteilreichen Böden mit geringer Deckung und auf versiegelten Standorten mit einem sehr hohen Abfluss zu rechnen.

Beim Aufprall auf vegetationslosen Flächen bzw. solchen mit geringer Vegetationsdeckung verdichten die Tropfen die oberste Bodenschicht und zerplatzen. Diese kleineren Tropfen werden nach allen Seiten weggeschleudert und können dabei bis zu 100 Prozent ihrer eigenen Masse an Feststofffracht bewegen, ein Vorgang, der auch als Splash-Erosion – Effekt bezeichnet wird. Die erodierten Partikel werden an anderer Stelle eingeschlämmt, versiegeln die Oberfläche und vermindern dadurch sukzessive die Infiltrationsleistung des Bodens, das heißt die Fähigkeit des Bodens Niederschläge aufzunehmen, ist deutlich reduziert.

Zusätzlich ist das Retentionsvermögen – die Aufnahmefähigkeit – des Bodens auch vom Grad der Vorbefeuchtung und Porenausstattung abhängig. Bei Gewitterregen unter extrem trockenen Bedingungen dauert es vor allem bei humusreichen und feinteilreichen Böden länger, die durch die Austrocknung entstandenen Benetzungswiderstände zu überwinden (vergleichbar einem trockenen Schwamm, den man auch einige Zeit benetzen bzw. sogar „durchkneten“ muss, damit er wieder Wasser aufnimmt). Hohe Vorfeuchte reduziert das Aufnahmevermögen, weil das Wasser durch das schon im Boden enthaltene Wasser und Luftpolster, die nicht entweichen können, an der Infiltration gehindert wird.

Auf Grünland mit hohen Anteilen an abgestorbenen Pflanzenteilen gelangt ein hoher Anteil des Niederschlages oft gar nicht in den Boden. Dachziegelartige Anordnung der toten Blattteile, dichter Wurzelfilz und eine benetzungshemmende Wirkung des toten Materials bewirken einen Strohdacheffekt, dadurch fließt ein großer Teil des Wassers direkt an der Oberfläche ab.

Abflussgeschwindigkeit und Abflussdämpfung

Wenn man über das Abflussverhalten von Wasser spricht, dann ist neben der Rauigkeit der Oberfläche (z.B. Höhe, Dichte und Struktur der Vegetation) die Beschaffenheit des Bodens von zentraler Bedeutung: Die Retentionsfähigkeit des Bodens, also die Fähigkeit des Bodens, Wasser in seinen Poren zu speichern und in den tieferen Untergrund weiterzuleiten, trägt maßgeblich zur Dämpfung von Hochwässern bei. Technische Maßnahmen wie Rückhaltebecken, Dämme oder Deiche beeinflussen zwar den Prozess der Abflusskonzentration, nicht aber die Menge selbst. Deshalb gewinnt der dezentrale Hochwasserschutz zunehmend an Bedeutung. Dieser setzt bei der Entstehung des Abflusses an: Möglichst viel Wasser soll zumindest temporär nahe am Ort des Niederschlages gebunden werden. Der Niederschlag soll in den Boden infiltrieren, durch Pflanzen (z.B. Bäume, Büsche, Zwergsträucher) über direkten Rückhalt in der Blattmasse (Interzeption) und Transpiration an die Atmosphäre zurück gegeben bzw. über den Zwischenabfluss (Interflow) im Boden im unterliegenden geologischen Substrat oder im Grundwasserstrom zeitverzögert dem Vorfluter zugeführt werden (siehe Abb. 1).

Kenngrößen des Wasserhaushaltes – Wege des WassersAbbildung 1. Kenngrößen des Wasserhaushaltes – Wege des Wassers

Auf unbefestigten vegetationsfreien Oberflächen und dichten Böden entsteht rasch Oberflächenabfluss, dieser konzentriert auch auf Flächen, die für das menschliche Auge relativ gleichförmig erscheinen, oft schon nach wenigen Metern in den vorhandenen Tiefenlinien im Gelände (linearer Abfluss, siehe Abb.2): Die Fließgeschwindigkeit steigt vom flächigen Sheet – Flow (Zentimeter pro Sekunde) nach wenigen Metern um den Faktor zehn auf Dezimeter pro Sekunde, in Wildbächen und Flüssen werden besonders bei Starkregen Geschwindigkeiten von mehreren Metern pro Sekunde erreicht.

Starkregensimulation auf einer planierten SchipisteAbbildung 2. Starkregensimulation auf einer planierten Schipiste mit = 100 mm Niederschlag pro Stunde (Boden: Braunlehm). Trotz der okular relativ gleichförmigen Oberfläche ist nach einer Fließstrecke von zehn bis zwölf Metern bereits eine deutliche Konzentration des Oberflächenabflusses zu erkennen. Als Farbtracer wurde Lebensmittelfarbe (brilliant-blue), diese ist biologisch abbaubar, verwendet.

Auswirkungen von Landnutzung und Bodenversiegelung

Eine hohe Rauigkeit der Oberfläche ist wichtig für die Verzögerung des Abflusses. So bremst z.B. eine gut gestufte Vegetationsdecke (Wald mit Unterwuchs, hoher Humusauflage und / oder hohem Totholzanteil, Zwergstrauchheide, Wiese vor der Mahd, bewegtes Kleinrelief…) die Geschwindigkeit des Oberflächenabflusses und erleichtert damit die Infiltration in den Boden.

Katastrophenereignisse und Bodenversiegelung

Das aktuelle großflächige Hochwasserereignis in Österreich und zahlreiche Katastrophenereignisse der letzten Jahre, unter anderem jene im August 2005 in Westösterreich, haben gezeigt, dass die Mehrwassermengen von Oberflächenabflüssen aus versiegelten Flächen einen wesentlichen und nicht zu unterschätzenden Faktor im Abflussverhalten von Wildbächen und ihren Vorflutern darstellen können. Während aus unbebautem Gelände in der Regel ein geringerer Teil der Niederschlagsmenge oberflächlich abfließt und im Vorfluter abflusswirksam wird, tritt der Abfluss aus versiegelten Flächen verstärkt und beschleunigt auf. Dies bedeutet neben der ungünstigen Beeinflussung des Gesamtwasserhaushaltes häufig auch eine Verschärfung der Hochwassersituation.

Durch die Ausdehnung der Siedlungsgebiete und Verkehrswege und der damit verbundenen Versiegelung von Flächen kann Niederschlagswasser immer weniger natürlich in den Untergrund versickern. Über die Kanalisation abgeführtes Niederschlagswasser konzentriert die Abflüsse, verringert die Grundwasserneubildung, belastet Oberflächengewässer und reduziert die Reinigungsleistung der Abwasserreinigungsanlagen. Niederschlagswasser sollte deshalb nach Möglichkeit versickern und dem Grundwasserkörper zugeführt werden.

Versickern – retendieren – schadlos ableiten

Zur Beherrschung des Wasseranfalls aus Versiegelungsflächen gibt es eigentlich nur drei Möglichkeiten:

  1. Die kontrollierte Versickerung (möglichst dezentral, erforderlichenfalls im Kombination mit Rückhaltemaßnahmen zur Kappung anfallender Abflussspitzen). Sie funktioniert nur auf Böden mit ausreichender Durchlässigkeit, mögliche negative Auswirkung en auf die Hangstabilität (Gefahr von Rutschungen) und die Gefahr eines schnell austretenden Zwischenabflusses (Returnflow oder Reflow) müssen ausgeschlossen werden können. Es macht keinen Sinn, Wasser zu versickern, wenn es nach kurzer Strecke wieder konzentriert an die Oberfläche kommt.
  2. Die Retention, also der Rückhalt in Retentionsbecken, Stauraumkanälen, etc. mit dosierter Abgabe, um den Wassermehranfall für den Vorfluter (das Gewässer, in die ein anderes Gewässer mündet bzw. Wässer eingeleitet werden sollen) möglichst gering zu halten.
  3. Die direkte Ableitung über Oberflächenwasserkanäle in die Vorfluter.

 

Die zuletzt angeführte Variante ist die gefährlichste. Durch die massiv zunehmende Besiedelung, Bebauung, Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen Flächen mit schwerem Gerät u.a. stoßen gerade die Gewässer im Bereich der Siedlungsgebiete bei Starkregenereignissen immer rascher an die Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit.


Anmerkung der Redaktion

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Presseaussendung des Insituts für Naturgefahren (BFW), er erschien auch vor 2 Monaten im bioskop, der Zeitschrift der Austrian biologist Association (ABA).

Weiterführende Links

Interview mit dem Autor (2011): Wälder statt Sturzbäche.Bodenmanagement mindert Klimawandel-Folgen Video (5:46 min, abgerufen am 14. August 2013)

Die sehr schön und informativ gestaltete Website http://www.waldwissen.net enthält einige Artikel des Autors, welche das Thema des Blogbeitrags im Detail und in leicht verständlicher Form behandeln, u.a.:

Markart, G.; Kohl, B. (2009): Wie viel Wasser speichert der Waldboden? Abflussverhalten und Erosion. BFW-Praxisinformation 19, 25 – 26.

K.Klebinder et al., (2008): Auswirkungen der Versiegelung einfach berechnen.

G. Markart et al., (2005): Vom Hubschrauber aus Hinweise auf mögliche Naturgefahren erhalten.

G. Markart et al., (2007) Wald und Massenbewegungen.

Empfehlenswerte weitere Artikel zur “Mathematik des Wassers im Boden“

G. Markart et al. (2005) Geländeanleitung zur Abschätzung des Oberflächenabflussesbeiwertes bei Starkregen – Grundzüge und erste Erfahrungen (PDF-download)

Kohl et al. (2008) Analyse und Modellierung der Waldwirkung auf das Hochwasserereignis im Paznauntal vom August 2005. (PDF DOwnload)

Zum Thema Hochwasser

Hochwasser 2005 Paznauntal 4:03 min Website, welche die Hochwasser-gefährdeten Gebiete in Österreich sehr detailliert ausweist: https://hora.gv.at/ Im ScienceBlog: Günter Blöschl; 17.01.2013: Kommt die nächste Sintflut?