Do, 07.02.2019 - 14:05 — Redaktion
Ganz allgemein geht man davon aus, dass menschliche Intelligenz auf der effizienten Verarbeitung von Signalen durch Neuronen in unserem Gehirn beruht. Dass Dicke und Aktivität der grauen Substanz im Bereich des Schläfenlappens und Frontallappens mit den IQ-Werten korrelieren, ist bekannt, nicht aber, wie dies auf dem Niveau der einzelnen Neuronen zu verstehen ist. Eine eben im Journal eLife erschienene Untersuchung des Teams um Natalia Goriounova zeigt nun erstmals einen Zusammenhang zwischen morphologischen und physiologischen Eigenschaften bestimmter Neuronen (der sogenannten Pyramidenzellen) im temporalen Cortex und menschlicher Intelligenz.*
Sie erinnern sich wahrscheinlich, dass Sie als Kind in der Schule gelernt haben, wie man rechnet, wie man Geschichten liest und versteht und wie man Rätsel löst. Solche Aufgaben erscheinen Ihnen jetzt vielleicht einfach, tatsächlich sind sie aber recht anspruchsvoll, da sie ein hohes Maß an Verarbeitungsleistung unseres Gehirns erfordern.
IQ-Tests
Seit Jahrzehnten arbeiten Wissenschaftler an Methoden, um unsere Fähigkeit, Wissen in uns aufzunehmen und es auf neue Situationen anzuwenden - also unsere Intelligenz - zu quantifizieren. Sie haben auch die Merkmale des menschlichen Gehirns untersucht, welche zu individuellen Leistungsunterschieden bei solchen Aufgaben beitragen.
IQ-Tests werden zur Quantifizierung von Intelligenz verwendet, indem die individuelle Reaktion auf Fragen zu verbalem Verstehen, schlussfolgerndem Wahrnehmen und zum Arbeitsgedächtnis in vorgegebener Zeit bewertet wird. Viele Hypothesen wurden entwickelt, um neuronale Merkmale mit individuellen Unterschieden in den IQ-Testergebnissen zu verknüpfen.
Einige Studien am Menschen haben darauf hingedeutet, dass das Gehirns in seiner ganzen Größe mit dem Intelligenzniveau korreliert; andere Arbeiten wiederum haben gezeigt, dass es bessere Verbindungen zwischen bestimmten Hirnregionen, wie zwischen dem präfrontalen und dem parietalen Cortex, sind, die mit dem Intellekt zusammenhängen (McDaniel, 2005; Hearne et al., 2016). Des weiteren legen Vergleiche zwischen Säugetierarten nahe, dass die aktive kognitive Leistungsfähigkeit mit der Gehirngröße oder mit der bloßen Zahl von Neuronen in der Großhirnrinde korrelieren kann (MacLean et al., 2014; Herculano-Houzel, 2017). Wenn derartige Erkenntnisse auch dazu beitragen, dass man versteht, wie Gehirne aufgebaut sind, um komplexe Kalkulationen anzustellen, so ist es allerdings bis jetzt nie möglich gewesen zu prüfen, ob die Feinstruktur von Neuronen mit der Unterschiedlichkeit des menschlichen Intellekts korreliert.
Der methodische Ansatz
In eLife berichten Natalia Goriounova (Vrije Universiteit Amsterdam) und Kollegen, dass die mikroskopische Anatomie von Neuronen und deren physiologischen Eigenschaften mit individuellen Unterschieden bei den IQ-Werten zusammenhängen (Goriounova et al., 2018). Die Gruppe hatte eine gute Chance intakte Biopsien des temporalen Cortex zu untersuchen, die bei Operationen von Hirntumoren und von Epilepsiepatienten entfernt wurden. Abbildung 1.
Abbildung 1. Untersuchungen an Patienten (IQ-Tests) und an intakten Proben gesunden Gewebes aus derem Cortex (schwarzes Quadrat: Ort der Probennahme).Bestimmt wurden die Dicke des Cortex (mittels Magnetresonanz), die Morphologie einzelner Pyramidenzellen (mittels Mikroskopie) und deren Physiologie (Messung der Aktionspotentiale). Mit Hilfe von Computermodellenwurde simuliert, wie morphologische Veränderungen der Dendriten die Funktionsweise der Neuronen beeinflussen. (Die Abbildung stammt aus der zugrundeliegenden Arbeit Goriounava et al.,(2018), steht unter einer cc-by Lizenz und wurde von der Redaktion eingefügt.)
Goriounova und ihr Team untersuchten in diesen Geweben einige Eigenschaften der Neuronen und zeichneten deren elektrische Aktivität auf. Dann untersuchten sie, ob diese Variablen mit Intelligenzbewertungen auf Basis von IQ-Tests in Verbindung gebracht werden könnten. Einen einzelnen IQ-Wert dem Intellekt eines Individuums zuzuordnen, war kontrovers diskutiert worden (Gould, 1981), das Team verwendete als geeignete Messgröße aber IQ-Scores, die mehrere Aspekte der kognitiven Informationsverarbeitung widerspiegeln dürften.
Höhere IQ-Scores korrelieren mit einem dickeren Cortex und längeren und stärker verästelten Dendriten der Pyramidenzellen
Basierend auf Bestimmungen von präoperativ ausgeführten Magnetresonanz (MRI)-Scans bestätigten die Forscher zunächst, dass höhere IQ-Scores mit einem dickeren temporalen Cortex korrelieren. Dann wählten sie aus den oberen Cortex-Schichten jedes Patienten zwei oder drei Pyramidenzellen aus und untersuchten diese. Bei diesen großen Zellen handelt es sich um den dominierenden Typ von Neuronen, die man im Cortex (der Großhirnrinde) findet. Abbildung 2.
Pyramidenzellen erhalten Informationen von benachbarten Zellen über Dendriten, d.i. über verästelte Fortsätze, die in als Synapsen bezeichneten Strukturen an anderen Neuronen anknüpfen. Zur Weiterleitung der Information "feuern" dann die Pyramidenzellen. Abbildung 2. Die Architektur einzelner Neuronen im menschlichen Cortex und die IQ-Scores hängen zusammen. Rechts: Der temporale Cortex des menschlichen Gehirns ist in Schichten aufgebaut, welche Pyramidenzellen (schwarz) enthalten. Diese Neuronen- links im Detail gezeigt - sammeln Informationen von ihren Nachbarn über verästelte Strukturen - sogenannte Dendriten - integrieren diese Informationen und leiten sie in andere Regionen des Cortex weiter. Goriounova et al. entdeckten, dass ein höherer IQ-Score (linke Seite des rechten Bildes) mit einem dickeren temporalen Cortex korreliert war, der Pyramidenzellen mit ausgeprägteren dendritischen Netzwerken aufweist, die schneller feuern (Kurve unten). Ein niedrigerer IQ-Wert (rechte Seite, rechts) war mit einem dünneren temporalen Cortex assoziiert, in welchem die Pyramidenzellen weniger komplexe dendritische Netzwerke besitzen und langsamer feuern.(Bild links von Redn eingefügt; es stammt von Fabuio, Wikipedia und steht unter cc-by 4.0 Lizenz.)
Unterschiede in Länge und Verästelungen der Dendriten konnten rund 25% der inter-individuellen Varianz von IQ-Scores in einem Kollektiv von 25 Patienten erklären. Längere Dendriten haben eine vergrößerte Oberfläche - dies mag dazu beitragen, dass das Neuron eine höhere Zahl an Synapsen bilden kann. Mit einem Mehr an solchen Verbindungswegen können Pyramidenzellen ein Ausgangssignal erzeugen, das pro Zeiteinheit mehr Input-Signale von benachbarten Neuronen integriert.
Schließlich wurden dann Computermodelle angewandt, um zu untersuchen, wie Änderungen in der Morphologie von Dendriten die Funktionsweise der Neuronen beeinflussen könnten. Die Analysen ergaben, dass Pyramidenzellen mit größeren dendritischen Ästen schneller feuern und ihnen damit eine schnellere Übertragung von Informationen möglich wird. Als die Aktivität von Zellen in Hirnschnitten von 31 Patienten aufgezeichnet wurde, zeigte es sich tatsächlich, dass höhere IQ-Scores mit Neuronen assoziiert sind, die schneller feuern, insbesondere während einer andauernden neuronalen Aktivität. Sogar ein geringer Anstieg in der Schnelligkeit mit der Neuronen Informationen weiterleiten, kann Reaktionszeiten verbessern und letztendlich Verhaltensreaktionen beeinflussen (Nemenman et al., 2008). Bei rund 16 Milliarden Neuronen in der menschlichen Großhirnrinde können kleine Unterschiede in deren anatomischen und physiologischen Eigenschaften die intellektuelle Leistungsfähigkeit verändern (Herculano-Houzel, 2009).
Fazit
Goriounova und ihr Team haben gezeigt, dass deutliche Veränderungen in der Mikroanatomie von Pyramidenzellen die Arbeitseigenschaften dieser Zellen beeinflussen. Aus Pyramidenzellen mit komplexeren dendritischen Netzwerkenein kann wiederum ein dickerer Cortex entstehen. Dies kann dann zu einer schnelleren Informationsverarbeitung und letztendlich zu einer Steigerung der intellektuellen Leistungsfähigkeit führen. Ähnliche Beobachtungen wurden bei einem unserer nächsten lebenden Verwandten, dem Schimpansen, gemacht: hier konnten dickere Hirnrinden mit höheren Scores bei Intelligenztests assoziiert werden (Hopkins et al., 2018). Menschliche Hirnrinden haben robustere dendritische Netzwerke als Schimpansen - dies mag Unterschiede in den kognitiven Fähigkeiten zwischen Menschen und nicht-menschlichen Primaten erklären (Bianchi et al., 2013).
Allerdings: Merkmale auf der neuronalen Ebene erklären nur einen kleinen Teil der Variation in den IQ-Scores. Andere Eigenschaften auf Ebene der Moleküle, der Interaktionen und Regulationen können ebenfalls eine wesentliche Rolle spielen. In Summe helfen diese Ergebnisse, die neuronale Basis und die Entwicklung der menschlichen Intelligenz zu erfassen.
Literaturangaben
Bianchi S, et al, 2013. Dendritic morphology of pyramidal neurons in the chimpanzee neocortex: regional specializations and comparison to humans. Cerebral Cortex 23:2429–2436. DOI: https://doi.org/10.1093/cercor/bhs239 , PMID: 22875862
Goriounova NA, et al; 2018. Large and fast human pyramidal neurons associate with intelligence. eLife 7:e41714. DOI: https://doi.org/10.7554/eLife.41714 PMID: 30561325
Gould SJ. 1981. The Mismeasure of Man. New York: Norton.
Hearne LJ, Mattingley JB, Cocchi L. 2016. Functional brain networks related to individual differences in human intelligence at rest. Scientific Reports 6:32328. DOI: https://doi.org/10.1038/srep32328 , PMID: 27561736
Herculano-Houzel S. 2009. The human brain in numbers: a linearly scaled-up primate brain. Frontiers in Human Neuroscience 3:1–11. DOI: https://doi.org/10.3389/neuro.09.031.2009 PMID: 19915731
Herculano-Houzel S. 2017. Numbers of neurons as biological correlates of cognitive capability. Current Opinion in Behavioral Sciences 16:1–7. DOI: https://doi.org/10.1016/j.cobeha.2017.02.004
Hopkins WD, Li X, Roberts N. 2018. More intelligent chimpanzees (Pan troglodytes) have larger brains and increased cortical thickness. Intelligence. DOI: https://doi.org/10.1016/j.intell.2018.11.002
MacLean EL, et al., 2014. The evolution of self-control. PNAS 111:E2140–E2148. DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.1323533111 PMID: 24753565
McDaniel M. 2005. Big-brained people are smarter: a meta-analysis of the relationship between in vivo brain volume and intelligence. Intelligence 33:337–346. DOI: https://doi.org/10.1016/j.intell.2004.11.005
Nemenman I, et al., 2008. Neural coding of natural stimuli: information at sub-millisecond resolution. PLoS Computational Biology 4:e1000025. DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pcbi.1000025 , PMID: 18369423
*Der von Elaine N Miller und Chet C Sherwood stammende Artikel: "Human Intelligence: What single neurons can tell us" ist am 5. Feber 2019 erschienen in: eLife 2019;8:e44560 doi: 10.7554/eLife.44560 erschienen. Es ist eine leicht verständliche Zusammenfassung ("Insight") der oben zitierten Untersuchung von Natalia A Goriounova et al. "Large and fast human pyramidal neurons associate with intelligence". Der Artikel wurde von der Redaktion ins Deutsche übersetzt und geringfügig für ScienceBlog.at adaptiert (Untertitel, Abbildung 1 aus Wikipedia). eLife ist ein open access Journal, alle Inhalte stehen unter einer cc-by Lizenz.
Weiterführende Links
Artikel von der Website: dasgehirn.info, u.a.: Ragnar Vogt (2014): Intelligenz in Zahlen
Christian Wolf (2014): Was uns schlau macht
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