Phänologische Veränderungen - Der Klimawandel verändert den Rhythmus der Natur

Fr, 18.03.2022 — Redaktion

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In dem kürzlich erschienenen Bericht „Frontiers 2022: Emerging Issues of Environmental Concern“ hat die Umweltorganisation der Vereinten Nationen (UNEP) vor drei drohenden und bisher unterschätzten Umweltgefahren gewarnt, darunter vor den durch den Klimawandel verursachten phänologischen Veränderungen, die zu Störungen der Ökosysteme führen [1]. Das schon seit Jahrhunderten etablierte Gebiet der Phänologie befasst sich mit den im Jahresablauf periodisch wiederkehrenden Wachstums- und Entwicklungserscheinungen von Organismen. Pflanzen und Tiere nutzen oft die Temperatur als Zeitgeber, um in das nächste Stadium eines saisonalen Zyklus einzutreten. Das Timing dieser Phasen ist entscheidend, um beispielsweise Pflanzenblüte und bestäubende Insekten oder eintreffende Zugvögel und deren Nahrungsangebot zu synchronisieren. Der Klimawandel beschleunigt sich nun schneller, als sich viele Pflanzen- und Tierarten anpassen können. Dies führt zu einem Auseinanderdriften (Mismatch) von synchronen pflanzen- und tierphänologischen Phasen. Die Wiederherstellung von Lebensräumen, der Bau von Wildtierkorridoren zur Verbesserung der Habitatkonnektivität, die Verschiebung der Grenzen von Schutzgebieten und die Erhaltung der Biodiversität in produktiven Landschaften können als Sofortmaßnahmen hilfreich sein. Allerdings: ohne starke Anstrengungen zur Reduzierung von Treibhausgas-Emissionen, werden diese Schutzmaßnahmen den Zusammenbruch wesentlicher Ökosystemleistungen nur verzögern.*

Timing bedeutet Alles für die Harmonie des Ökosystems

In der Natur ist das Timing entscheidend. Vogelküken müssen geschlüpft werden, wenn für sie Nahrung vorhanden ist, Bestäuber müssen aktiv sein, wenn ihre Wirtspflanzen blühen, und Schneehasen müssen ihre Farbe von Weiß zu Braun ändern, wenn der Schnee verschwindet. Die Phänologie untersucht das Timing von wiederauftretenden Phasen im Lebenszyklus, welche von Umwelteinflüssen angetrieben werden, und wie interagierende Arten auf Änderungen im Timing innerhalb eines Ökosystems reagieren. Pflanzen und Tiere nutzen häufig Temperatur, Tageslänge, den Beginn der Regenfälle oder andere physikalische Veränderungen als Zeitgeber für die nächste Phase in ihrem jahreszeitlichen Kreislauf. Setzt der Frühling früher ein, reagieren viele Vögel mit einem früheren Brüten, passend zur schneller aufkommenden Nahrung für ihre Nestlinge, wenn es warm wird. Da die Temperatur einen so starken Einfluss als Auslöser hat, gehören die phänologischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte zu den sichtbarsten Folgen des globalen Klimawandels, zumindest in den gemäßigten und polaren Regionen der Erde. Abbildung 1.

Abbildung 1. Die Kirschblüte als Symbol des wiedererwachenden Lebens wird in Japan mit rauschenden Festen gefeiert. Beobachtungsreihen existieren seit 705 a.D.; von 1830 an hat sich die Kirschblüte schrittweise zu früheren Zeitpunkten hin verlagert, parallel zu den meteorologischen Daten der steigenden Temperaturen. Trendlinie: 50-Jahre-Mittelwerte. (Bild leicht modifiziert aus [1 ]. Lizenz: cc-by)

Die Temperatur ist nicht die einzige Umgebungsvariable, welche die Phänologie beeinflusst. Eine weitere kritische Variable ist in höheren Breiten die jahreszeitlich variierende Tageslänge (Photoperiode). Während die Tageslänge selbst nicht vom Klimawandel beeinflusst wird, kann das Ausmaß des Temperatureffekts auf die Phänologie davon abhängen: in einigen Systemen können hohe Temperaturen das nächste Stadium während langer Tage, nicht aber während kürzerer Tage auslösen. In höheren Breitengraden brauchen einige Pflanzen und Insekten auch einen Zeitraum niedriger Temperatur, einen sogenannten Kältereiz, um richtig zu reagieren, sobald es wärmer wird. Einige Arten sind auf Brände angewiesen, um Lebenszyklusstadien zu initiieren, wie beispielsweise die Freisetzung von Samen aus den Zapfen und die Samenkeimung, die durch Feuer stimuliert werden. Ein Beispiel aus der Wasserwelt ist der Einfluss von Regen auf die Abflüsse, die - zusammen mit Faktoren wie Wassertemperatur und Tageslänge - wiederum Timing und Dauer der Fischwanderung beeinflussen.

Die Phänologie in tropischen Regionen ist aufgrund geringerer Schwankungen von Temperatur und Tageslänge schwieriger zu erkennen, als in Regionen mit deutlichen jährlichen saisonalen Zyklen. Tropische Arten zeigen unterschiedliche phänologische Strategien, so können sich Individuen innerhalb einer Population nicht synchronisieren und Zyklen kürzer als 12 Monate dauern. Verschiedene Faktoren, darunter Regen, Dürre, vorhandene Feuchtigkeit und reichlich Sonneneinstrahlung können die nächste Lebenszyklusphase in tropischen Regionen auslösen.

Ein wesentliches Problem von den, auf den Klimawandel zurückzuführenden, phänologischen Veränderungen besteht darin, dass in einem bestimmten Ökosystem sich nicht alle voneinander abhängigen Arten in die gleiche Richtung oder mit dem gleichen Tempo verändern. Der Grund dafür ist, dass jeder Organismus auf verschiedene treibende Faktoren der Umwelt reagiert oder unterschiedliche Grade von Sensitivität gegenüber einem einzelnen Umweltfaktor aufweist. Innerhalb der Nahrungsketten können Pflanzen ihre Entwicklung schneller ändern als Tiere, die diese als Futter nutzen - dies führt zu phänologischen Fehlanpassungen (Mismatches). Detaillierte Studien zu verschiedenen Phasen des Lebenszyklus bei einer Vielzahl von Pflanzen- und Tierarten haben signifikante phänologische Mismatches entdeckt. Solche Fehlanpassungen zwischen Räuber und Nahrungsquelle innerhalb eines Nahrungsnetzes beeinflussen Wachstum, Fortpflanzungs- und Überlebensraten der Individuen und haben schlussendlich Auswirkungen auf ganze Populationen und Ökosysteme.

Störungen in der Harmonie des Ökosystems

Durch Klimawandel verursachte phänologische Veränderungen wurden in unterschiedlichen Stadien festgestellt: u.a. in Reproduktion, Blüte, Blattaustrieb, Beginn der Larvenentwicklung, Mauser, Winterschlaf und Migration. Daten dazu kommen aus vergleichenden Studien zu phänologischen Veränderungen in großen Gruppen von Arten – Pflanzen, Insekten, Fische, Amphibien, Vögeln und Säugetieren -, die in Langzeitreihen in beiden Hemisphären aufgezeichnet wurden. In mehreren Regionen haben Forscher zudem eine zunehmende Wahrscheinlichkeit für phänologische Mismatches verfolgt, unter anderem wurden 10.000 Datensätze zu Pflanzen und Tieren im gesamten Vereinigten Königreich, zu terrestrischen Spezies in den Alpen, mehr als 1.200 Zeitreihen phänologischer Trends in der südlichen Hemisphäre und von marinen Spezies in verschiedenen Ozeanen verwendet. Abbildung 2

Abbildung 2. Veränderungen erkennen, Trends verfolgen. Jüngste Abschätzungen um wie viele Tage pro Dekade sich die Lebensstadien von Tieren und Pflanzen verschoben haben. A: Terrestrische Spezies, B: Marine Spezies. Kreise: quantifizierte Rate der beobachteten phänologischen Reaktion einer bestimmten Spezies, wenn sie ein Lebenszyklusstadium um eine Anzahl von Tagen pro Jahrzehnt nach früher oder später verschiebt. (Bild leicht modifiziert aus [1 ]. Lizenz: cc-by)

Studien an Vögeln liefern zahlreiche Beweise für Fehlanpassungen, die eine erfolgreiche Vermehrung beeinträchtigen. Arten wie Trauerschnäpper (Ficedula hypoleuca) und Kohlmeisen (Parus major) müssen ihre Küken schlüpfen lassen, wenn ihr normales Nahrungsangebot an Raupen am reichlichsten ist. Diese Zeit des maximalen Nahrungsangebots ist kurz und dauert nur wenige Wochen. Das richtige Timing ist also entscheidend. Andere Vögel, wie die gemeinen Trottellummen (Uria aalge), müssen ihre Fortpflanzung genau auf die Küstenwanderung ihrer Hauptbeute, kleinen Futterfischen, abstimmen.

Innerhalb des Jahreszyklus ist es notwendig, dass sich verschiedene Lebensphasen synchronisieren. Für wandernde Arten umfassen die Jahreszyklen Phasen des Umzugs in die Brutgebiete, der Fortpflanzung, der Mauser und der Rückkehr in die Überwinterungsgebiete. Einige Stadien des Lebenszyklus, wie die Reproduktion, sind überaus temperaturempfindlich. Mit steigenden Temperaturen verschiebt sich die reproduktive Phänologie, während andere Stadien, wie die Mauser, empfindlicher auf Lichtverhältnisse reagieren, sodass sie nicht synchron auftreten.

Die phänologischen Reaktionen unterscheiden sich überall in marinen Ökosystemen und in saisonalen Zyklen, was zu Mismatches zwischen Arten und Gruppen im Nahrungsnetz führt. Wie Untersuchungen zeigen, erfolgen phänologische Reaktionen auf den Klimawandel in marinen Umgebungen schneller als an Land. Die verschiedenen Meeresspezies, vom Plankton bis hin zu höheren Räubern, verändern ihre Phänologie mit unterschiedlicher Geschwindigkeit; dies bedeutet, dass der Klimawandel auch zu Mismatches in gesamten ozeanischen Gemeinschaften führen kann.

Unterschiede in den Geschwindigkeiten mit denen die Phänologie auf die Erwärmung in terrestrischen Systemen, Süßwasser- und Meeresökosystemen reagiert, könnten sich letztendlich auf Arten auswirken, die von verschiedenen Ökosystemen abhängig sind, um phänologische Übergänge in die nächste Lebenszyklusphase mitzunehmen. Beispiele hierfür sind Fische, die zwischen Meeres- und Süßwasserökosystemen wandern, und viele Insekten, Amphibien und Vögel, deren Lebenszyklusstadien sowohl von terrestrischen als auch von aquatischen Ökosystemen abhängen. Nicht übereinstimmende phänologische Verschiebungen könnten weit verbreitete Störungen des Nahrungsnetzes und ökologische Folgen verursachen.

Während phänologische Reaktionen auf den Klimawandel gut dokumentiert sind, verlangen weitere Fragen zu den Zusammenhängen mit Populationen und zu den Folgen für Ökosysteme größere Aufmerksamkeit. In der Arktis hat sich nach der Schneeschmelze die Vegetation, auf die Karibus (Rangifer tarandus)-Mütter und -Kälber angewiesen sind, auf Grund der höheren Temperaturen schneller entwickelt. Jetzt werden Karibu-Kälber zu spät geboren, was zu einem75-prozentigen Rückgang der Nachkommen führt. Auch bei Rehen (Capreolus capreolus) verringert das zunehmende Auseinanderlaufen von Geburtsdatum und Nahrungsverfügbarkeit die Überlebenschancen der Kälber.

Asynchrone phänologische Veränderungen bei einem breiten Spektrums interagierender Arten haben das Potenzial, das Funktionieren ganzer Ökosysteme und die Bereitstellung von Ökosystemleistungen, von denen menschliche Systeme abhängen, zu stören. Verschiebungen in der Phänologie kommerziell wichtiger Meeresarten und ihrer Beute haben erhebliche Folgen für alle Aspekte der Fischerei. Die phänologischen Reaktionen von Nutzpflanzen auf jahreszeitliche Schwankungen werden angesichts des Klimawandels eine Herausforderung für die Nahrungsmittelproduktion darstellen. Zum Beispiel führen Obstbäume, die früh blühen und dann in der Spätsaison Frost erleiden, zu großen wirtschaftlichen Verlusten für Obstplantagen. Phänologische Veränderungen erschweren weltweit bereits jetzt eine klimafreundliche landwirtschaftliche Anpassung für wichtige Nutzpflanzen.

Unglaubliche Reisen: Die Herausforderung der Migration zum falschen Zeitpunkt

Migration ist eine Verhaltensanpassung an die Saisonalität. Periodische Wanderungen von Tieren zwischen Lebensräumen ermöglichen es ihnen, die Ressourcen an mehreren Orten zu verschiedenen Jahreszeiten zu optimieren. Migration ist auch erforderlich, wenn saisonale Luft- oder Wassertemperaturen für die Zucht oder Aufzucht von Nachkommen ungünstig werden. Die meisten wandernden Arten stammen daher aus Regionen in hohen Breiten, in denen die Jahreszeiten und die verfügbaren Ressourcen am ausgeprägtesten sind. Verschiedene Arten von Insekten, Krebstieren, Reptilien, Fischen und Säugetieren wandern, und viele legen bemerkenswerte Entfernungen zurück. Einige Migranten unter den Vögeln nisten in der hohen Arktis und entfliehen ihrem Winter in niedrigere Breiten; Wale wandern zwischen Äquator und polaren Nahrungsgründen; und wandernde pflanzenfressende Säugetiere folgen saisonalen Veränderungen in der Vegetation über Kontinente hinweg.

Über Langstrecken migrierende Spezies sind besonders anfällig für phänologische Veränderungen durch Effekte der Klimaerwärmung, die über die Regionen hinweg nicht einheitlich sind. Lokale klimatische Zeitgeber, die normalerweise eine Migration auslösen, können nicht mehr genau vorhersagen wie die Bedingungen am Zielort und auch an den Zwischenstopps entlang der Route sind. Die Herausforderung ist noch größer für migrierende Arten, die in Polarregionen zurückkehren, wo Voranschreiten und Ausmaß des Klimawandels am größten sind. Folglich haben viele wandernde Arten Schwierigkeiten anzukommen, wenn hochwertige Nahrung noch reichlich vorhanden ist, das Wetter für bestimmte Lebenszyklusstadien geeignet ist, Raubtier- oder Konkurrenzdruck geringer ist, oder es weniger Parasiten und Krankheitserreger gibt. Eine frühere Frühlings-Phänologie in hohen Breiten hat zu einem zunehmenden Grad an ökologischer Fehlanpassung für wandernde Arten geführt, mit möglichen demografischen Folgen.

Arten haben bewiesen, dass sie fähig sind ihr Migrationsverhalten zu ändern, vom Anpassen des Zeitpunkts bis hin zur Änderung von Routen und Orten. Ihre Anpassungsfähigkeit als Reaktion auf den Klimawandel wird aber bereits durch andere anhaltende Bedrohungen beeinträchtigt. Ökologischer Abbau, Zersplitterung und Verlust von Nahrungs-, Brut- und Rasthabitaten, Jagd, Umweltverschmutzung und andere Gefahren bedrohen wandernde Arten auf langen Reisen mit steigendem Druck, sich an schnelle Umweltveränderungen anzupassen.

Maßnahmen zur Maximierung des Anpassungspotenzials und zur Stärkung der Resilienz von Artenpopulationen erfordern eine Reduzierung konventioneller Bedrohungen und eine Änderung bestehender Naturschutzrichtlinien und -strategien angesichts des Klimawandels. Ein umfangreiches Netzwerk verschiedener kritischer Standorte und geschützter Lebensräume könnte das Anpassungspotenzial wandernder Arten maximieren. Es ist auch unerlässlich, die Konnektivität von Land- und Meereslebensräumen, die für die Ausbreitung jetzt und in Zukunft entscheidend sind, sicherzustellen und zu verbessern. Eine zunehmende Konnektivität von Lebensräumen wird dazu beitragen, die adaptive genetische Variation und die Überlebensfähigkeit zu erhalten, die für den Fortbestand der Arten erforderlich sind.

Entwicklung zu neuen Synchronitäten

Um beobachtete Fehlanpassungen dem Klimawandel zuzuschreiben bedarf es einer Langzeit-Forschung zur Phänologie interagierender Arten innerhalb eines Ökosystems. Langzeitstudien sind unerlässlich, aber die größte Herausforderung ist der Nachweis der Kausalität. Der Klimawandel kann Temperaturen und Niederschläge beeinflussen, aber andere Faktoren können gleichzeitig die Reaktionen der Arten beeinflussen, wie z. B. Änderungen der Landnutzung, Übernutzung von Ressourcen, invasive Arten und andere ökologische Stressoren. Die Unsicherheit in Bezug auf die Kausalität kann teilweise durch Minimierung von Variablen angegangen werden: Beobachtung von Reaktionen entweder an verschiedenen Orten - indem Populationen in Gebieten mit starker Erwärmung mit solchen mit geringer Erwärmung verglichen werden - oder in verschiedenen Zeiträumen - indem Populationen in Jahren mit schnell steigenden Temperaturen mit solchen in Jahren mit langsamerer Erwärmung verglichen werden. Solche Ansätze ermöglichen es die spezifische Wirkung des Temperaturanstiegs auf die Phänologie der Spezies besser abzuschätzen, auch wenn sie Probleme mit anderen Temperatur-sensitiven Umweltfaktoren nicht lösen. In vielen Regionen ändern sich beispielsweise die Niederschlagsmuster unter variierenden klimatischen Bedingungen dramatisch, wobei Zeitpunkt, Häufigkeit und Intensität der Regenzeiten verändert werden. Mit zunehmender Datenfülle erkennen die Forscher, dass Kombinationen phänologischer Mechanismen – beispielsweise Temperatur, Photoperiode und Niederschlag – zusammenkommen müssen, um als phänologisches Signal zu wirken.

Eine starke phänologische Veränderung einer Population infolge von Umweltveränderungen ist ein Hinweis darauf, dass ein großer Teil der Individuen in der Lage ist, das Timing in die gleiche Richtung zu ändern - bekannt als phänologische Plastizität. Empirische Hinweise legen nahe, dass diese Plastizität der wesentliche Ursprung für die beobachteten Klima-bezogenen phänologischen Verschiebungen ist. Die Plastizität von Individuen oder Populationen kann möglicherweise aber nicht mit den schnellen Umweltveränderungen, die wir erleben, Schritt halten. Arten benötigen auch genetische Veränderungen, um sich erfolgreich anzupassen; dies ist bei Arten mit kurzer Generationszeit, wie Insekten, wahrscheinlicher,als bei Bäumen, die sich über Jahrzehnte regenerieren. Es gibt eine Handvoll Beispiele - hauptsächlich bei Insekten und einigen Vögeln -, bei denen genetische Veränderungen als Reaktion auf den Klimawandel als Mikroevolution erkannt werden können. Gesamt gesehen erfolgen genetische Veränderungen viel langsamer als der Klimawandel.

Die phänologische Mikroevolution - der Prozess der natürlichen Selektion, bei dem genetische Veränderungen die Phänologie von Arten verändern, um diese besser an das veränderte Klima anzupassen - hat höchstwahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der Anpassung von Arten und Ökosystemen an vergangene Erwärmungsperioden gespielt. Da die Erwärmung jetzt jedoch viel rascher erfolgt – vielleicht um den Faktor 100 – wird wahrscheinlich sogar die Mikroevolution sich als zu langsam für die derzeitige Geschwindigkeit des Klimawandels herausstellen.

In der Praxis könnten Maßnahmen zu Erhaltung und Management von Ökosystemen ergriffen werden, um günstige Bedingungen für eine Mikroevolution zu fördern. Eine Maßnahme besteht darin, die genetische Vielfalt von Populationen zu unterstützen und zu pflegen, da dies die entscheidende Voraussetzung für Mikroevolution und natürliche Selektion ist. Habitatkorridore zur Erhöhung der ökologischen Konnektivität würden die Besiedlung durch Pflanzen und die Mobilität von Tierarten mit neuem genetischem Material innerhalb eines bestimmten Ökosystems ermöglichen, die genetische Vielfalt fördern und die Chancen einer erfolgreichen Anpassung erhöhen.

Brücken zu neuen Harmonien

Phänologische Veränderungen können nur aus Langzeitaufzeichnungen ermittelt werden. Die Datenerhebung wird von wissenschaftlichen Einrichtungen, Universitäten, Regierungen und NGOs durchgeführt. Initiativen wie das African Phenology Network, das Australia's TERN-Projekt, Indiens SeasonWatch, der UK Nature’s Calendar und das USA National Phenology Network inkludieren Beobachtungen von Bürgern zur Verfolgung von Pflanzen, Insekten, Vögeln und Säugetieren. Diese umfassenden Datensätze ermöglichen es den Wissenschaftlern Arten und Standorte herauszusuchen, die am meisten gefährdet sind. Sie liefern auch Daten für den Weltklimarat (IPCC) zur Abschätzung der für Ökosysteme tolerierbaren Erwärmungsraten und untermauern die Ziele von Regierungen, die globale Erwärmung auf die im Pariser Abkommen festgelegten Grenzen zu reduzieren.

Seit Jahrhunderten haben in der ganzen Welt Landwirte, Gärtner und Naturliebhaber ihr Wissen über phänologische Phasen genutzt. Regionale und lokale Netzwerke ermöglichen es den Mitgliedern Wissen und Ratschläge zu verschiedenen Umgebungen und Ökosystemen auszutauschen. Mit modernen Kommunikationsmitteln ist die Identifizierung und Verfolgung der Entwicklung von Pflanzen und Tieren in vielen Ländern zu einem weit verbreiteten Zeitvertreib geworden. Citizen Science-Beiträge zum phänologischen Wissen reichen von der Notierung von Blütedaten in den Gärten bis hin zu Beobachtungen wandernder Herden zur Verifizierung von Luft- und Satellitenbildern Abbildung 3.

Abbildung 3. Phänologische Beobachtungen und Citizen Science. (Bild leicht modifiziert aus [1 ]. Lizenz: cc-by)

Phänologische Veränderungen und Mismatches, die dem Klimawandel zugeschrieben werden, haben die landwirtschaftlichen Ökosystemleistungen seit Jahrzehnten belastet. Um die Probleme längerer Vegetationsperioden, durch Hitze oder Dürre verkürzter Wachstumsphasen und anderer Auswirkungen des Klimawandels zu mildern, haben Landwirte klimaresistentere Sorten ausgewählt. Die Einführung neuer Techniken, das Ausprobieren neuen Saatguts, die gemeinsame Nutzung von Saatgutbanken und die Nutzung von Beratungsdiensten sind alles Aspekte einer klimafreundlichen Landwirtschaft, die von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, vielen NGOs und nationalen und sub-nationalen Stellen gefördert wird.

In eingeschränktem Maß wurde untersucht, wie sich phänologische Veränderungen und Mismatches auf das Management natürlicher Ressourcen und den Erhalt der biologischen Vielfalt auswirken, wobei es für die Manager oft nicht klar ist, wie sie die Daten in die Praxis einbauen sollen. Phänologische Daten könnten Klimamaßnahmen anzeigen, die Implementierung der Überwachung optimieren und die Abschätzung der Vulnerabilität durch den Klimawandel unterstützen. Dies ist besonders in weniger gut untersuchten Gebieten wichtig, wie z. B. an vielen Orten der südlichen Hemisphäre. Manager müssen berücksichtigen, wie sich phänologische Veränderungen auf ihre aktuellen Strategien auswirken. Beispielsweise machen Fischereimanager in der Regel jährlich eine Erhebung der Fischpopulationen und bestimmen Zeitpunkte, an denen die Populationen in einem Gebiet am häufigsten vorgekommen sind. Phänologische Veränderungen könnten dazu führen, dass Erhebungen zur falschen Jahreszeit durchgeführt werden, was Populationsschätzungen und erlaubte Fangquoten verfälschen würde.

Aktuelle Übersichtsartikel zu mehreren spezifischen Fallstudien haben Beispiele für Phänologie, phänologische Veränderungen und phänologische Mismatches in erweiterter Form dargestellt. Mit der höheren Anzahl an Spezies, Ökosystemen und Regionen und diversen phänologischen Mechanismen, kann über Ansätze informiert werden, die zur Unterstützung menschlicher Gemeinschaften und Ökosysteme bei der Anpassung an die Bedingungen des Klimawandels erforderlich sind.

Größere Anstrengungen zur Unterstützung der Intaktheit der biologischen Vielfalt werden die Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit aller Ökosysteme stärken. Sanierung von Lebensräumen, Bau von Lebensraumkorridoren zur Verbesserung der ökologischen Konnektivität und genetischen Vielfalt, Anpassung der Grenzen von Schutzgebieten an die veränderten Verbreitungsgebiete der Arten und Erhaltung der biologischen Vielfalt in produktiven Landschaften sind alles notwendige sofortige Eingriffe des Managements.

Fazit

Der anthropogene Klimawandel führt zu phänologischen Verschiebungen sowohl in terrestrischen als auch in aquatischen Ökosystemen. Diese Veränderungen können zu Mismatches führen, mit schwerwiegenden Folgen für einzelne Individuen, Populationen, Gemeinschaften und ganze Ökosysteme. Der Klimawandel beschleunigt sich zu schnell, als dass sich viele Arten durch ihre natürlichen phänologischen Fähigkeiten anpassen könnten. Die Erhaltung der Integrität einer funktionierenden biologischen Vielfalt, die Beendigung der Zerstörung von Lebensräumen und die Wiederherstellung von Ökosystemen werden die natürlichen Systeme stärken, von denen wir abhängig sind. Ohne fortgesetzte Bemühungen zur drastischen Reduzierung der Treibhausgasemissionen werden diese Schutzmaßnahmen jedoch den Verlust dieser wesentlichen Ökosystemleistungen nur verzögern. Damit sich Arten und Ökosysteme den beschleunigten Rhythmen anpassen können, den der Klimawandel vorgibt, werden Zeit und Möglichkeit neue Harmonien zu erreichen nötig sein.


[1] Marcel E. Visser: "Phenology - Climate change is shifting the rhythm of nature" in: UN-Environment Programme. Frontiers 2022 Report. Emerging Issues of Environmental Concern. https://www.unep.org/resources/frontiers-2022-noise-blazes-and-mismatches  


*Der Artikel "Phenology - Climate change is shifting the rhythm of nature“ verfasst von Marcel E. Visser (Institut of Ecology, Wageningen; Netherlands) stammt aus dem unter [1] angeführten UNEP-Report „Frontiers 2022: Noise, Blazes and Mismatches“ (17. Feber 2022). Der Text des unter einer cc-by Lizenz stehenden Artikels wurde in etwas verkürzter Form von der Redaktion möglichst wortgetreu aus dem Englischen übersetzt und durch 3 Bilder aus dem Original ergänzt.


 UN-Environment Programme: https://www.unep.org/

UNEP's Frontiers Reports: Emerging environmental issues that we should be paying attention to. The 2022 Report: Video 2:06 min.  https://www.youtube.com/watch?v=PPniKJyH_rg&t=14s