Plankton-Gemeinschaften: Wie Einzeller sich entscheiden und auf Stress reagieren

Do, 14.11.2019 — Georg Pohnert

Georg Pohnert Icon Meere Einzellige Algen sind im Plankton und den Biofilmen unserer Ozeane allgegenwärtig. Georg Pohnert (Max-Planck Fellow und Univ.Prof) und seine Teams am Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie (Jena) und an der Friedrich-Schiller Universität (Jena) erforschen wie chemische Signale mikrobielle Gemeinschaften steuern, seien es die weiträumigen Ansammlungen von Algen im Plankton der Ozeane oder temporäre Biofilm-Gemeinschaften. Sie konnten zeigen, dass sowohl Mikroalgen als auch Bakterien im Plankton eine bislang unbekannte Schwefelverbindung produzieren und damit sowohl mikrobielle Interaktionen als auch den weltweiten Schwefelkreislauf grundlegend beeinflussen.*

Kieselalgen können gelöste Silikate im Wasser „riechen“

Kieselalgen (Diatomeen) sind ein Hauptbestandteil des Meeresphytoplanktons, wo sie freischwimmend im offenen Wasser verbreitet sind. Aber auch an Ufern und Stränden kann man sie als Biofilm auf Steinen und anderen Oberflächen finden. Die Algen sind nicht nur Nahrungsgrundlage vieler Meerestiere, sondern auch für eine überaus wichtige Ökosystemleistung verantwortlich: Sie tragen ganz erheblich zur globalen Photosynthese und somit zur Produktion von Sauerstoff in der Erdatmosphäre bei.

Die Kieselalge Seminavis robusta (Abbildung 1) eignet sich gut als Modellorganismus, um im Labor Verhaltensuntersuchungen im Biofilm durchzuführen: Sie kann sich sexuell vermehren und reagiert empfindlich auf unterschiedliche Umweltbedingungen. Zum Aufbau ihrer stabilen mineralischen Zellwände benötigen Kieselalgen das Baumaterial Silikat, das sie sich in ihrer Umgebung suchen müssen.

Abbildung 1. Ein ca. 40 µm langes Exemplar der einzelligen Kieselalge Seminavis robusta mit ihrer reich ornamentierten biomimeralischen Zellwand. Seminavis robusta ist zu einer bemerkenswerten Differenzierung von Signalstoffen fähig: Sie kann sich sowohl in Pheromon-Gradienten ihrer Artgenossen orientieren als auch Nährstoffquellen anorganischer Salze aufspüren. Sogar eine Priorisierung von Verhaltensmustern (der Suche nach dem Sexualpartner oder nach Nahrung) kann der Einzeller leisten. ©http://www.diatomloir.eu/

Unsere Experimente zeigten, dass sich die Einzeller im Zickzack-Kurs auf Silikat-Quellen zubewegen und dann an den Stellen verbleiben, an denen der Silikat-Gehalt besonders hoch ist. Während die Kieselalgen rund zwei Mikrometer pro Sekunde zurücklegen, werden sie ausschließlich vom „Duft“ der Silikate angezogen. Ersetzten wir das Mineralsalz durch strukturell sehr ähnliche Salze, die für die Algen giftig sind, bewegen sie sich von der Mineralquelle weg. Erstmals konnte so eine rezeptorvermittelte Suche von Mikroorganismen nach mineralischen Nährstoffquellen beobachtet werden. Die oft beobachtete Heterogenität von Biofilmen lässt vermuten, dass dieses Verhalten unter den Diatomeen weiter verbreitet sein könnte.

Essen oder Sex? Kieselalgen können sich zwischen Partner- oder Nahrungssuche entscheiden

In erster Linie vermehren sich die Algen ungeschlechtlich durch Zellteilung, episodisch ist aber auch die sexuelle Paarung überlebensnotwendig, denn die Zellen werden nach fortlaufender Teilung immer kleiner. Nur durch sexuelle Paarung können sie wieder die ursprüngliche Zellgröße erreichen. Um paarungsbereite Partner zu finden, folgen sie Pheromonspuren, die diese hinterlassen.

Unsere Experimente mit S. robusta ergaben, dass die Einzeller sogar in der Lage sind, ihr Verhalten flexibel an die Umweltbedingungen anzupassen und je nach Erfordernis der sexuellen Vermehrung unterschiedlich zu reagieren. Das heisst: Je nach Vermehrung oder Nahrungsknappheit lassen sich die Algen entweder von Sexualpheromonen oder Nährstoffen anlocken und zeigen damit tatsächlich eine primitive Verhaltensbiologie.

Für den Nachweis des priorisierten Verhaltens kultivierten wir die Zellen unter verschiedenen Bedingungen; insbesondere konfrontierten wir sie mit unterschiedlichen Mengen von Silikat sowie dem ersten für Kieselalgen beschriebenen Sexualpheromon di-L-Prolyl-Diketopiperazin, auch „Diprolin“ genannt. Wir konnten beobachten, dass die Einzeller sich zu Pheromonen oder Nahrungsquellen hinbewegen, je nachdem wie „hungrig“ sie nach Sex oder Nährstoffen waren. Diese Art von Entscheidungsfindung wurde bislang nur höheren Organismen zugeschrieben.

Mittels mathematischer Modelle konnten wir die komplexen Wechselwirkungen in den Gemeinschaften nachvollziehen und damit belegen, dass tatsächlich chemische Signale die Lebensgemeinschaften organisieren. Ein Verständnis davon, wie die Einzeller, die über kein Nervensystem verfügen, diese Reize verarbeiten, stellt nun die nächste große Herausforderung dar. Die Entscheidungen einzelner Algen erklären auch Aspekte der Dynamik von Biofilmen, in denen sich unzählige Kieselalgen zu Lebensgemeinschaften zusammenschließen.

Der Metabolismus von Einzellern hat Konsequenzen für globale Stoffkreisläufe

Abbildung 2. Selbst aus dem Weltall (hier ein Satellitenbild der NASA) lässt sich die Masse der einzelligen Algen (im Bild die Kalkalge Emiliania huxleyi) des Planktons erkennen. Mit ihrer hohen Produktivität tragen sie zu knapp der Hälfte der globalen Photosyntheseleistung bei. Aber auch der weitere Stoffwechsel der Algen beeinflusst unser Weltklima. Wir konnten z.B. eine neue schwefelhaltige Verbindung identifizieren, welche die Algen in Mengen von mehreren Millionen Tonnen jährlich produzieren. © NASA

Dass Mikroalgen in unglaublichen Mengen im Plankton vorhanden sind (Abbildung 2) und fast die Hälfte der globalen Photosyntheseleistung beitragen, macht sie auch zu Schlüsselspielern in globalen Stoffkreisläufen. Die Entdeckung von neuen Stoffwechselwegen in planktonischen Algen hat somit direkte Konsequenzen für unser Verständnis von globalen Prozessen.

Das konnten wir eindrucksvoll für den Schwefelkreislauf zeigen. Schwefel findet sich in ganz unterschiedlichen Verbindungen überall auf der Erde, und für marine Prozesse gibt es einen allgemein bekannten Kreislauf, bei dem Sulfat durch Algen reduziert und der reduzierte Schwefel bei osmotischem Stress oder Zelltod ins Wasser freigesetzt wird. Von dort gelangt der Schwefel in Form von Dimethlysulfid in die Atmosphäre, wird an der Luft oxidiert und regnet als gelöstes Sulfat wieder ab. Den Geruch des Dimethylsulfids verbinden wir Menschen mit „Meer“.

Mit einer ausgeklügelten Analytik konnten wir jetzt die wenig verstandenen hochpolaren Naturstoffe aus Mikroalgen untersuchen und fanden dabei das bislang unbekannte schwefelhaltige Stoffwechselprodukt Dimethylsulfoxoniumpropionat (DMSOP). Viele einzellige Algen, aber auch Bakterien, die ebenfalls im Plankton des Meeres dominieren, produzieren diese Schwefelverbindung. Sie spielt nicht nur eine wichtige Rolle in der Stressantwort der Algen, sondern trägt auch global zum Schwefelkreislauf bei: Von der Arktis bis zum Mittelmeer fanden wir in allen Planktonproben DMSOP. Überall in den Meeren sind die Produzenten der schwefelhaltigen Verbindung zu finden und die Verbindung stellt eine Abkürzung im etablierten Schwefelkreislauf dar. Auch wenn eine Mikroalge nur verschwindend kleine Mengen der Verbindung abgibt, sind das in der Summe mehrere Milliarden Kilogramm pro Jahr. Die Stressantwort der einzelligen Algen hat also globale klimarelevante Konsequenzen.

Fazit

Die Organisation von mikrobiellen Gemeinschaften im Ozean ist von globaler Bedeutung. Wir beginnen zu verstehen, wie chemische Signale in Biofilmen und im Plankton des offenen Meeres organisierend wirken. Unsere Forschung zeigt, wie die Physiologie und sogar eine primitive Verhaltensbiologie von Einzellern unsere Welt beeinflussen.


* Der vorliegende Artikel ist im Jahrbuch 2018 der Max-Planck-Gesellschaft unter identem Titel "Plankton-Gemeinschaften: Wie Einzeller sich entscheiden und auf Stress reagieren" erschienen https://www.mpg.de/12639353/ice_jb_2019?c=155396 und wurde mit freundlicher Zustimmung der MPG-Pressestelle ScienceBlog.at zur Verfügung gestellt. Der Artikel wurde unverändert übernommen, allerdings ohne Literaturzitate - diese können im Original nachgesehen werden.


Weiterführende Links

Max-Planck-Institut für chemische Ökologie www.ice.mpg.de

Georg Pohnert homepage: https://www.ice.mpg.de/ext/index.php?id=hopa&pers=gepo2404 und https://www.ice.mpg.de/ext/index.php?id=plankton-interaction#header_logo

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