Energiewende (4): Den Wandel zeitlich flexibel gestalten

Do, 08.08.2019 - 19:55 — Robert Schlögl

Robert SchlöglIcon Politik und GesellschaftDas Endziel der Energiewende ist ein vollständig defossilisiertes Energiesystem, das auf freien Elektronen und synthetischen Brennstoffen als zwei Erscheinungsformen erneuerbarer Energie basiert. Der Transformationsprozess kann aber auf Grund der systemischen Komplexität, der langen Dauer des Wandels und zahlreicher, von den Akteuren nicht beeinflussbarer Größen nicht nach einem straffen, zeitlich linearen Fahrplan erfolgen. In der 4. Folge seines Eckpunktepapiers „Energie. Wende. Jetzt“ schlägt Prof. Dr. Robert Schlögl (Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion; Mülheim a.d.R.) eine Zwischenlösung vor: möglichst viele Elemente und Relationen des heute existierenden Systems zu übernehmen und unter kontinuierlichem Monitoring nach Möglichkeit nur an den Energieträgern Veränderungen vorzunehmen. (Das für Deutschland erarbeitete Konzept hat in seinen Eckpunkten auch für den EU-Raum Gültigkeit.)*

Derzeit sind Politiker überzeugt, dass mengenmäßige Vorgaben an Aufbau und Einsparungen zeitlich klar gegliedert in offenbar jährlich nachvollziehbaren Schritten erfolgen sollen. Der Entwurf des deutschen Klimaschutzgesetzes sieht straffe Zeitpläne und Eskalationsstufen von Interventionen in jedem Sektor des Energiesystems vor. Dieser Planungsansatz passt nicht sehr gut zu Prozessen, die mit neuen Technologien und industriellen Strukturen die wirtschaftlich-technische Basis unseres Landes und Europas grundlegend verändern werden. Solche Prozesse bedürfen einer Anlaufphase, die von einer Hochlaufphase gefolgt ist um dann in ein gleichmäßiges Wachstum überzugehen. Die Entwicklungskurven von Photovoltaik (PV) und Windkraft sind hervorragende Beispiele aus dem bisher erreichten Umbau der Energieversorgung, wie man aus Abbildung 2 in "Energie. Wende. Jetzt - Ein Prolog" erkennen kann. Eine geforderte zeitlich lineare Abarbeitung über- oder unterfordert das System in seiner Umgestaltung. Das Ausbleiben eines kontinuierlichen Wachstums nach der Hochlaufphase ist symptomatisch für das nichtsystemische Handeln des Staates, der mit Festhalten an einer Technologieförderung das Wachstum bremst, anstatt durch Freigabe des Rahmens und Bepreisung von CO2 die Einkopplung der Erneuerbaren in andere Sektoren zu unterstützen.

Viel nützlicher als ein zeitlich linearer Verlauf ist ein kontinuierliches Monitoring der erfolgten Änderungen, um rechtzeitig gegensteuern zu können. Dieses Instrument ist in Deutschland mit der Monitoring-Kommission beim BMWi bereits eingerichtet. Sie hat einen sehr detaillierten Kriterienkatalog mit Indikatoren gesammelt, mit dem sie die Zielerreichung in vielen Dimensionen abbilden und auch im zeitlichen Verlauf vorausschätzen kann. Eine vertrauensvolle Nutzung dieses Instrumentes minimiert unnötige Aufwendungen für einen sachlich nicht gerechtfertigten linearen Verlauf der Umgestaltung des Systems.

Flexibilität im Umbauprozess

Eine zeitliche Flexibilität im Umbauprozess bedingt einen klaren, von allen Akteuren zur Kenntnis genommenen und zumindest mehrheitlich akzeptierten groben technischen Plan, wohin sich das Energiesystem entwickeln soll. Solch ein Plan könnte wie in Abbildung 1 skizziert aussehen. Das Grundkonzept in diesem Modell ist, möglichst viele Elemente und Relationen des heute existierenden Systems zu übernehmen und nach Möglichkeit nur an den Energieträgern (jeweils unterste Zeile in den Blöcken A, B, C) Veränderungen vorzunehmen. Am Ende des Prozesses ist das System vollständig defossilisiert und basiert auf freien Elektronen und synthetischen Brennstoffen (Kraftstoffe) als zwei Erscheinungsformen regenerativer Energie.

Abbildung 1. Ein Beispiel für einen Plan, wie sich dasEnergiesystem in Deutschland entwickeln könnte. In drei Phasen ist der derzeitige Zustand (A) ein Zwischenzustand (B, mit Ausstieg von Kohle und Öl) und ein Endzustand (C, defossilisiert) angedeutet.

Quantitative Ziele

Ein derartiger Plan, der die Richtung der Veränderung weist, muss schemenhaft bleiben, da über die Laufzeit zu viele Einzelheiten angepasst werden müssen. Nötig sind allerdings quantitative Ziele für jedes Element des Energiesystems, die in hinreichend langen Zeitabständen (Dekaden) gefasst sind. Diese sind beispielhaft angegeben (Abbildungen 2, 3).

Allerdings fehlen allgemein akzeptierte Transformationspfade dorthin. Bei der Aufstellung der quantitativen Ziele wurde kaum Rücksicht auf die systemische Wechselwirkung einzelner Festlegungen genommen.

Abbildung 2. Zielsysteme für die Energieversorgung. Energiekonzept 2010. In Deutschland wird der gezeigte hierarchische Ansatz verfolgt. Neben dieser Hierarchie hat man eine Kategorie weiterer Ziele geschaffen, die neben den obigen Zielen stehen wie Versorgungssicherheit, Kernenergieausstieg (bis 2022), Bezahlbarkeit & Wettbewerbsfähigkeit, Umweltverträglichkeit, Netzausbau, Sektorkopplung & Digitalisierung, Forschung & Innovation, Investitionen & Wachstum & Beschäftigung.

Ein Beispiel hierfür wäre die Bevorzugung der Elektromobilität im System. Daher ist es notwendig, unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung des Gesamtsystems die Zielkorridore noch einmal zu überprüfen. Dies sollte ausgehend von einer Information über den gegenwärtigen Stand und einer nachvollziehbaren Begründung für das Zahlenwerk in einem wesentlich transparenteren Prozess geschehen als er bisher Verwendung fand. Ein ungünstiges Beispiel für solch einen Prozess ist die Darstellung der Arbeit der Kohlekommission in Deutschland, die eine transparente Begründung für ihre Empfehlungen nicht gegeben hat.

Abbildung 3. Quantitative Ziele der Energiewende und Status quo (2016) in Deutschland und auf EU-Ebene.(Abkürzungen: THG Treibhausgasemissionen, EE erneuerbare Energien, ETS Emissions Trading System, PEV Primärenergieverbrauch)

Eine Konzeption des Energiesystems und eines Transformationspfades ist kein Fahrplan,

da die systemische Komplexität, die lange Dauer des Transformationsprozesses und die Existenz zahlreicher von den Akteuren nicht beeinflussbarer Größen eine Planung in Einzelheiten verunmöglichen.

Ein immerwährendes ad-hoc-Aushandeln der Richtung des Umbaus der Energieversorgung verbunden mit wiederholten Debatten über die Ziele und Grundlagen dazu kann es nicht geben. Dazu ist die Bedeutung des Energiesystems im Gefüge einer Gesellschaft zu groß. Eine fortwährende Einflussnahme wechselnder politischer Strömungen auf den Umbau der Energieversorgung kann es auch nicht geben. Dazu sind die Zeitspannen, in denen sich ein Wandel der Infrastruktur vollzieht, zu lange.

Daher ist die absolut vordringliche Aufgabe, eine verbindliche Einigung der relevanten Akteure über ein Konzept als notwendige Ergänzung zur Festlegung von Zielen, die weitgehend erfolgt ist, herbeizuführen. Eine „Ansage“ zu diesen Zielen ist kein geeignetes Mittel in europäischen Gesellschaften. Vielmehr sind umfangreiche Anstrengungen zur Information über Optionen an die Bevölkerung erforderlich. Allerdings sind die Methoden dazu nicht gut entwickelt, und die Kommunikation bedarf einer leistungsfähigen Begleitforschung, um die Konsequenzen der resultierenden Willensbildung differenziert genug einzufangen und für den Entscheidungsprozess verfügbar zu machen


*Dies ist Teil 4 des Artikels von Robert Schlögl "Energie. Wende. Jetzt", der am 7.Mai 2019 auf der Webseite des Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion erschienen ist (https://cec.mpg.de/fileadmin/media/Presse/Medien/190507_Eckpunktepapier__Energie.Wende.Jetzt__-_Erstfassung_final.pdf ). Der Artikel wurde mit freundlicher Zustimmung des Autors und der MPG-Pressestelle ScienceBlog.at zur Verfügung gestellt; der Text blieb weitestgehend unverändert, aus dem Anhang 12 des Artikels wurden zwei Abbildungen (2 und 3) eingefügt. Literaturzitate wurden allerdings weggelassen - sie können im Original nachgelesen werden.

Vorherige Folgen: Teil 1: R.Schlögl, 13.06.2019: Energie. Wende. Jetzt - Ein Prolog.

Teil 2: R.Schlögl, 27.06.2019: Energiewende (2): Energiesysteme und Energieträger

Teil 3: R.Schlögl, 18.07.2019: Energiewende (3): Umbau des Energiesystems, Einbau von Stoffkreisläufen.


Der demnächst erscheinende Teil 5 wird sich mit der Forschung zu Energiesystemen und dem Setzen des Gesamtziels befassen.


Weiterführende Links

Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion (MPI CEC ) https://cec.mpg.de/home/

Woran forscht das MPI CEC? Video 3:58 min. https://www.youtube.com/watch?v=-aJJi6pFOKc&feature=youtu.be

Oppermann, Bettina/Renn, Ortwin (März 2019) Partizipation und Kommunikation in der Energiewende. Analyse des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ https://energiesysteme-zukunft.de/publikationen/analyse-partizipation/

R. Schlögl (2017): Wasserstoff in Ammoniak speichern. https://www.solarify.eu/2017/09/10/254-wasserstoff-in-ammoniak-speichern/

Die österreichische Klima-und Energiestrategie: "#mission2030" (Mai 2018). https://mission2030.info/wp-content/uploads/2018/10/Klima-Energiestrategie.pdf

Artikel zum Thema Energie/Energiewende im ScienceBlog:

Eine Liste der Artikel findet sich unter R. Schlögl: 13.06.2019: Energie. Wende. Jetzt - Ein Prolog. http://scienceblog.at/energie-wende-jetzt-ein-prolog