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Ursprung des Lebens - Wie Einzeller kooperieren lernten

Do, 29.03.2018 - 13:14 — Christina Beck Christina BeckIcon Biologie

Die ursprünglichen "Membransäcke" - Bakterien und Archaebakterien - haben im Verlauf der Evolution Cyanobakterien und aerobe Bakterien aufgenommen, die sich im Inneren endosymbiontisch zu Plastiden und Mitochondrien entwickelten - Zellorganellen auf dem Weg zu höheren Organismen, den Eukaryonten. Die Zellbiologin Christina Beck, Leiterin der Kommunikation der Max-Planck-Gesellschaft, vermittelt einen leicht verständlichen Einblick in die sogenannte Endosymbiontentheorie.*

„Die Evolution muss außerordentlich zufrieden gewesen sein. So zufrieden, dass sie drei Milliarden Jahre weitestgehend verschlief. Vielleicht blickte sie auch einfach voller Stolz auf ihr Werk, ohne sich zu Höherem berufen zu fühlen. Sicher, dieser Membransack mit dem Supermolekül im Kern hatte sich als Husarenstück erwiesen, auf das man sich durchaus etwas einbilden konnte. Aber dreieinhalb Milliarden Jahre nichts als Einzeller?“ 

So flapsig und doch treffend zugleich steigt Frank Schätzing in seinem Buch „Nachrichten aus einem unbekannten Universum“ in die Geschichte der Evolution ein [1].

„Eine winzige Hülle, die im offenen Wasser treiben konnte, dabei aber immer alles hübsch beieinander hatte, was zur Erhaltung einer lebensfähigen Zelle vonnöten war. […] Damit war der Grundbaustein aller komplexen Wesen erfunden. Ein kleines Säckchen voll genetischer Information, ein praktischer Beutel. Die Handtasche der Evolution.“

Mehrfach hat sich dieser „Membransack“ entwickelt,

mit unterschiedlichen Resultaten. Archaebakterien und Eubakterien, die "echten" Bakterien, entstanden. Sie bilden zusammen die Familie der Prokaryonten. Karyon ist das griechische Wort für „Kern“, ein Prokaryont ist also eine Zelle vor der Erfindung des Zellkerns. Archaebakterien und Eubakterien enthalten nämlich kein inneres Membransystem und auch ihre DNA liegt als Molekül frei im Plasma der Zelle vor. Oder wie Schätzing schreibt: „In der Handtasche rutschte immer noch alles wild hin und her.“

Die Eukaryonten umfassen die übrigen Lebewesen. Sie unterscheiden sich von den Prokaryonten vor allem darin, dass sie einen echten Zellkern sowie membranumhüllte Organellen besitzen, von denen einige eigene Erbanlagen (Gene) enthalten.

Was genau aber ist passiert, damit aus Prokaryonten Eukaryonten werden konnten

– jene Zellen, die als Urväter der drei großen Reiche gelten, der Pilze, Pflanzen und Tiere?

Bereits 1867 hatte der Schweizer Botaniker Simon Schwendener erkannt, dass Flechten quasi Doppelorganismen aus Alge und Pilz sind. Sie bestehen aus einem oder mehreren Pilzen, den sogenannten Mycobionten, und einem oder mehreren Photosynthese betreibenden Partnern, den Photobionten. Das sind in der Regel Grünalgen oder Cyanobakterien (= Prokaryonten, möglicherweise die einfachsten und ältesten Lebewesen der Erde). Der Pilz bildet fast immer den eigentlichen Vegetationskörper, ein Geflecht aus Pilzfäden (Hyphen); darin eingeschlossen befindet sich eine Population der Photobionten (Abbildung 1).

Die Vorteile der Symbiose liegen stark auf der Seite des Mycobionten: Er wird von seinem Photobionten, der Alge, mit Nährstoffen versorgt, welche diese durch Photosynthese bildet. Schwendener schrieb daher auch von einer „Versklavung“ der eingefangenen Alge durch den Pilz; heute sprechen Forscher eher von „kontrolliertem Parasitismus“.

Abbildung 1. Flechten sind eine Symbiose von Grünalgen oder Cyanobakterien und Pilzen. Hier liegt oben eine Rindenschicht aus dichtem Pilzmycel und darunter folgt eine Schicht mit den symbiontischen Trebouxia Grünalgen. Unter dieser Algenschicht folgt dann lockeres Pilzmycel und den Abschluss nach unten bildet eine braune Rindenschicht, gebildet aus dicht verfilzten Hyphen.© Dr. R. Wagner

Die Eigenschaften der Flechten unterscheiden sich deutlich von jenen der Organismen, aus denen sie sich zusammensetzen. So bilden sich erst in der Symbiose die typischen Wuchsformen der Flechten heraus, und nur in Lebensgemeinschaft mit einem Photobionten bilden die Mycobionten die charakteristischen Flechtensäuren.

Für den russischen Naturforscher Konstantin Mereschkowski lieferten Flechten daher einen ersten Hinweis darauf, dass neue Lebensformen durch Kombination von Einzelorganismen entstehen können. 1905 veröffentlichte er eine erste theoretische Arbeit, „Über Natur und Ursprung der Chromatophoren im Pflanzenreich“, die noch heute als die grundlegende Publikation zur Endosymbiontentheorie gilt. Sie sollte sich als revolutionär erweisen für das Verständnis vom Ursprung eukaryotischen Lebens.

Wohngemeinschaft mit gravierenden Folgen

Die Idee war allerdings nicht neu, andere Biologen, u.a. Andreas Schimper, hatten sich bereits in den 1880er-Jahren darüber Gedanken gemacht. Doch erst Mereschkowski legte eine schlüssige Herleitung vor, dass Chloroplasten – jene Organellen, in denen die Photosynthese, also der Aufbau von Glucose aus Kohlendioxid und Wasser im Sonnenlicht, stattfindet – auf ehemals frei lebende Prokaryonten zurückgehen: Sie waren von artfremden, eukaryotischen Wirtszellen aufgenommen, aber nicht verdaut worden, sondern hatten zunächst eine stabile Form der Partnerschaft mit den Wirtszellen gebildet. „Das war der Moment, in dem die Wohngemeinschaft erfunden wurde, wissenschaftlich Endosymbiose. Sozusagen Kommune 1“, schreibt Schätzing. (Abbildung 2)

Abbildung 2. Neue Lebensformen entstehen durch Kombination von Einzelorganismen. (Cartoon: © The Amoeba Sisters)

Ein wichtiges Indiz war für Mereschkowski die Tatsache, dass Chloroplasten immer durch Teilung aus ihresgleichen hervorgehen, und nicht, wie man es von Zellbestandteilen erwarten würde, im Zyklus der Zellteilung neu gebildet werden. Ferner besaßen die blaugrün gefärbten Plastiden auffallende physiologische und morphologische Ähnlichkeiten mit den photosynthetisch aktiven Cyanobakterien. Auch wenn die Beobachtung dieser extrem kleinen Organismen mit Mikroskopen zu dieser Zeit alles andere als einfach war – Mereschkowski war überzeugt: Cyanobakterien besaßen weder einen Kern noch Chloroplasten; das Cyanobakterium als Ganzes war ein einzelner Chloroplast.

Auch die gut bekannten Fälle von Symbiose unterstützten seine Behauptung, dass Chloroplasten in Wirklichkeit Cyanobakterien sind. Mereschkowski wies auf Algen (Zoochlorellen und Zooxanthellen) hin, die symbiotisch in Protozoen, Süßwasserschwämmen, Hydra und bestimmten Plattwürmern leben. Symbiotische Algen, so sein Argument, konnten in fast jeder Klasse von "niederen wirbellosen Tieren" gefunden werden.

Belege der Endosymbiontentheorie durch die Molekularbiologie

Was Mereschkowski noch nicht wissen konnte, haben inzwischen moderne Methoden der Molekularbiologie enthüllt:

  • Studiert man die Struktur von Plastiden (und übrigens auch von Mitochondrien) genau, fällt auf, dass sie sich durch zwei Hüllmembranen gegen das Cytoplasma - die Grundsubstanz im Innern der Zelle - abgrenzen: ein Ergebnis der sogenannten Phagocytose, also der Einverleibung einer Zelle in eine andere. Dabei ist die äußere Membran typisch eucytisch, die innere hingegen weist protocytische, also bakterielle Merkmale auf.
  • Chloroplasten besitzen eine eigene zirkuläre DNA; DNA-Vervielfältigung und Proteinherstellung ähneln dabei denen von Bakterien. So besitzt die Chloroplasten-DNA bakterienartige Promotoren, das sind jene Sequenzbereiche, welche das Ablesen eines Gens regulieren. Anders als eukaryotische Zellen besitzen Chloroplasten sogenannte 70S-Ribosomen, die auch für Bakterien charakteristisch sind. Und ihre Gene weisen eine hohe Übereinstimmung mit cyanobakteriellen Genen auf.

Es gibt somit eine Fülle von Belegen für die Endosymbiontentheorie, was aber nicht heißt, dass nicht auch noch viele Fragen offen wären, insbesondere wie beziehungsweise wie oft und wann genau die verschiedenen Stufen der Endosymbiose stattgefunden haben. Hier liegt noch vieles im Dunkeln.

Bezüglich des "Wie oft" der Chloroplasten-Bildung kann die Wissenschaft immerhin schon sagen, dass alle Chloroplasten (auch die komplexen) der (ein- und mehrzelligen) Algen und Landpflanzen monophyletischen Ursprungs sind, also auf ein einzelnes Endosymbiose-Ereignis zurückgehen. Über das "Wann" bestand allerdings lange Zeit Uneinigkeit: Die Datierungen für den gemeinsamen Vorfahren aller Eukaryonten gingen weit auseinander – sie variierten zwischen 1,5 und 2,8 Milliarden Jahren.


[1] Frank Schätzing, Nachrichten aus einem unbekannten Universum, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2006. Ausschnitte, darunter die zitierten Stellen sind nachzulesen unter: https://bit.ly/2Ick0tL


* Dies ist der 1. Teil des unter dem Titel: "Der Ursprung des Lebens - oder wie Einzeller zu kooperieren lernten" in BIOMAX 34 (Winter 2017/2018) der Max-Planck-Gesellschaft erschienenen Artikels (https://www.max-wissen.de/287242/BIOMAX_34-web.pdf ). Dieser wurde freundlicherweise von der Autorin ScienceBlog.at zur Verfügung gestellt und praktisch unverändert in den Blog übernommen (nur einige Absätze und Untertitel wurden eingefügt), allerdings auf Grund seiner Länge in 2 Teilen gebracht. Teil 2 erscheint in Kürze.


Weiterführende Links

Zu Teil 1: Endosymbiontentheorie

Zellorganellen – die Endosymbiontentheorie. Video 4:52 min. Max-Planck-Gesellschaft (2015) www.youtube.com/watch?v=9LTMDLDsL98 . Standard-YouTube-Lizenz

Diese versucht die Entstehung der eukaryotischen Zelle, die u.a. durch den Besitz von Zellorganellen wie Plastiden und Mitochondrien charakterisiert ist, zu erklären. Danach sollen gärende zellwandfreie Bakterien im Verlauf der Evolution symbiontisch Cyanobakterien und aerobe Bakterien aufgenommen haben, die sich dann zu Plastiden und Mitochondrien entwickelten. Für die E. sprechen die eigenständige Vermehrung (Autoreduplikation) der Zellorganellen, ihre hinsichtlich der "Wirtszelle" andersartige DNA und Eiweißsynthese sowie die Doppelmembran der Organellen.

Zu Teil 2:

Zellorganellen – Gene auf Wanderschaft. Video 7:40 min. Max-Planck-Gesellschaft (2015) www.youtube.com/watch?v=FHt197dkNU Standard-YouTube-Lizenz

Tiefenbohrung in die Erdgeschichte, MaxPlanckForschung 3/2015, www.mpg.de/9688346/

Christian Hallmann 20.11.2015: Von Bakterien zum Menschen: Die Rekonstruktion der frühen Evolution mit fossilen Biomarkern

Eukaryoten: Eine neue Zeittafel der Evolution (2015) https://www.mpg.de/forschung/eukaryoten-evolution?filter_order=L&research_topic= Eukaryoten sind in der Evolution später entstanden als angenommen

Artikel zur Evolution von Organismen im ScienceBlog

Im Themenschwerpunkt Evolution gibt es zahlreiche Artikel zur

  • Entstehung des Lebens, primitive Lebensformen. http://scienceblog.at/entstehung-des-lebens-primitive-lebensformen
  • Evolution komplexer Lebensformen. http://scienceblog.at/evolution-komplexer-lebensformen

 

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