Herausforderung Alter(n) – Chancen, Probleme und Fragen einer alternden Gesellschaft

Fr, 06.02.2015 - 08:12 — Christian Ehalt

Christian EhaltIcon Politik & FGesellschaftWie wollen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur mit der Bevölkerungsentwicklung umgehen, die die Generationskohorten größenmäßig zugunsten der älteren Menschen verändert? Der Historiker, Soziologe und Wissenschaftsvermittler Christian Ehalt zeigt hier Chancen für positive Neugestaltungen im späten Leben, ebenso aber auch den Verlust an Lebensqualität in einem der Wachstumspolitik völlig untergeordneten Dasein*.

Die gegenwärtige Welt steht vor vielen Herausforderungen. Da Staaten und Kontinente in vielfältigen Entwicklungen der „Globalisierung“ gesellschaftlich, wissenschaftlich, aber auch unter dem Aspekt der Bewertung ökologischer Probleme zusammenwachsen, macht es erstmals in der Geschichte Sinn, von „der Welt“ zu sprechen. Die nationalen Perspektiven haben ausgedient, werden jedenfalls zurückgedrängt, und auch der europäische Blickwinkel erscheint zunehmend zu eng – er vermittelt außerdem Tradition und Primat einer eurozentrischen Perspektive. Die Kulturen der Welt sind interdependent geworden. Ihre Relationen gestalten sich nicht in feststehenden Beziehungen mit gleichbleibenden Proportionen. Sie sind vielmehr in einem systemischen Zusammenhang, der durch eine „longue duree“, aber auch durch singuläre historische Ereignisse beeinflusst wird. Da können – wie die Chaostheorie feststellt – durch kleine Ursachen große Wirkungen erzielt werden.

Die Rahmenbedingungen geschichtlicher Entwicklungen und Auswirkungen haben sich im Vergleich zu früheren Epochen nicht fundamental geändert. „Geschichte funktioniert“ wie eh und je als Machtspiel, in dem viel Gestaltungsraum für individuelle Begabung und Potential und die spezifische Konstellation, aber auch für den Zufall ist. Seit dem 20. Jahrhundert schlägt Quantität häufig in Qualität um – es sind die Größenordnungen, die Zahl der agierenden Menschen, die Stärke der eingesetzten Mittel, die Wirksamkeit der Technologien, der eminente Verbrauch an Energie und an den Energie spendenden Ressourcen, die aus quantitativen Änderungen qualitative machen.

Der „erste Hauptsatz der Ökonomie“,

der die Knappheit der Ressourcen betrifft, macht den Menschen vor allem zu schaffen. Es ist nicht gleichgültig, wie viele Menschen auf der Erde leben. Das säkulare Bevölkerungswachstum seit dem 19. Jahrhundert bewirkt, dass die für die Menschen wertvollen Rohstoffe immer knapper und damit auch wertvoller werden. Die Ressourcenknappheit verschärft unausweichlich das Verteilungsproblem und vergrößert die Schere zwischen Arm und Reich. Der „ökologische Fußabdruck“ der einzelnen Individuen, eine der Maßzahlen für die Grenzen der Belastbarkeit des Planeten Erde, ist schon lange viel zu groß. Die Berechnungen für den Energieverbrauch in nächster Zukunft sagen allesamt, dass die „Grenzen des Wachstums“, um die legendäre Studie von Dennis Meadows et al. zu zitieren, längst überschritten sind. Die Zahl der Menschen ist vor allem im Zusammenhang mit der mangelnden Bereitschaft, Prinzipien der Nachhaltigkeit in der internationalen Politik zu etablieren, ein Problem.

In der Politik und ihrem Handeln sollte es um die Menschen gehen, um die Zukunft der Menschen nicht nur in dem kleinen und überschaubaren Zeitraum der nächsten fünf bis zehn Jahre, die von aktuell gewählten und agierenden Regierungen gestaltet werden (können). Es soll, ja es muss gelingen, im Dienst von Nachhaltigkeit zu denken, zu planen, zu gestalten. Nachhaltigkeit meint eine Politik, die eine längere Wirksamkeit bei geringerem Ressourcenverbrauch anstrebt. Eingriffe in die ökologischen Systeme sollten eingeschränkt und zurückgefahren werden, die „Natur“ in größeren Bereichen „sich selbst überlassen“ werden.

Die Welt braucht eine Politik, das heißt Gestaltungen in allen Segmenten der menschlichen Kultur, die wenigstens in Hinblick auf das Postulat einer Minimierung des Ressourcenverbrauchs auf einem allgemeinen Konsens beruht. Die die Ressourcen betreffenden Strategien sollten auf längere Zeiträume ausgerichtet sein. Anders formuliert: es sollte gelingen, das Management der Ressourcen aus der Tagespolitik fast völlig herauszubekommen; das wird schwierig sein, da Ressourcen ja den Kern des Wertvollen repräsentieren und Politik das Ringen um die Aufteilung der knappen Güter darstellt; und Aufteilung darf nicht mehr auf Kosten von Zerstörung gehen. Die Ressourcen müssen erhalten bleiben. Politik ist dazu gegenwärtig noch nicht fähig. Problem und die daraus resultierenden Lösungsvorschläge werden auf Grund präziser Analysen wohl erkannt, es mangelt jedoch an Umsetzungswillen, an Umsetzungsfähigkeit, an Umsetzungsmöglichkeit. Man begegnet den Problemen noch nicht mit wirksamen Mitteln, weil Politik in einer systemimmanenten „Falle des Kurzzeitdenkens“ (Irenäus Eibl-Eibesfeld) gefangen ist.

Die alternde Gesellschaft…

Zu den Problemen, die in der gegenwärtigen Welt konstruktiv zu bearbeiten sind, gehört die Tatsache einer langfristigen Veränderung in den generativen Verhaltensweisen und den daraus resultierenden demographischen Strukturen und Entwicklungen. Aktuelle Veränderungen des demographischen Aufbaus der Gesellschaften zeigen tendenziell eine Zunahme der Bevölkerungsanteile im Alter über 60 und eine Abnahme jener im Alter unter 20. Die Jungen werden weniger, weil im „westlichen Muster“ des generativen Verhaltens tendenziell immer weniger Kinder geboren werden, während andererseits das Lebensalter der Individuen wächst. Die einzelnen Individuen werden älter, die Gesellschaften als Ganzes altern (Abbildung 1). Der alternde „alte Kontinent“

Abbildung 1 Der alternde „alte Kontinent“. Anteile der 60+ Jahre alten Bevölkerung im Jahr 2010 (Daten CIA World Factbook File:Europe_population_over_65.png; Wikimedia).

Der langfristige Bevölkerungsschwund durch die sinkenden Geburtsziffern wird durch die davon betroffenen westlichen Gesellschaften nolens volens durch Migration ausgeglichen. In Afrika und Asien wachsen die Bevölkerungen – trotz eindrucksvoller Bemühungen der Regierungen, die Fortpflanzung zu kontrollieren und einzuschränken – noch immer dynamisch an. Mangelnde Bildung und Arbeitsmöglichkeiten führen zu einem stetig wachsenden Bevölkerungsdruck der armen südlichen auf die reichen westlichen Länder.

…und positive Perspektiven für den Einzelnen

Die Veränderungen des demographischen Aufbaus in der westlichen Hemisphäre beruhen durchwegs auf positiven Entwicklungen für die einzelnen Individuen. Die Menschen haben in den letzten 200 Jahren auf der Grundlage unterschiedlicher Entwicklungen Möglichkeiten und Chancen bekommen, älter zu werden. Dieses Phänomen vergrößert die Selbstverwirklichungs- und Glückschancen. Das Leben erschöpft sich für den Großteil der Menschen nicht mehr in wenigen Jahrzehnten eines harten Arbeitslebens. Menschen, die in den Ruhestand treten, haben noch einen Lebenshorizont; sie können noch machen – aktiv gestalten -, was sie sich immer gewünscht haben: sich mit interessanten Dingen auseinandersetzen, sich bilden, ein Studium absolvieren, reisen, Sprachen lernen, sich mit Philosophie und existentiellen Fragen beschäftigen. Im Grunde sind dies gerade jene Tätigkeiten, die ein qualitätsvolles Leben auszeichnen könnten: nicht nur mehr festgehalten sein im Reich der Notwendigkeiten, sondern selbstständig und ermächtigt in einem Reich der Freiheit sich mit der eigenen Existenz auseinandersetzen zu können.

Allein die Tatsache, dass sich eine wachsende Gruppe von Menschen (gegenwärtig in der westlichen Welt bereits mehr als ein Viertel der Bevölkerung) in wirtschaftlich gesicherten Verhältnissen mit existentiellen Fragen beschäftigen kann, oder jedenfalls könnte, zeigt einen Qualitätsgewinn des Lebens. Die Geschichte und die Menschen als ihre Gestalter und Marionetten – sie sind ja immer beides – sind aber wie stets widersprüchlich, in ihrem Denken und handeln ambivalent.

Integrierung älterer Menschen in das Arbeitsleben

Obwohl die Wirtschaft und ihre Gestaltungskräfte und Technologien immer wirksamer wurden und werden, obwohl die „Wertschöpfung“ mit wachsender Effizienz immer größer wurde, scheint es so, als ob die Menschheit sich ein Wachstum an Freiheit, Freizeit und Muße im Allgemeinen und der älteren Menschen im Besonderen nicht leisten kann. Überall ist gegenwärtig – mit dem Hinweis auf wachsende Kosten – von einer Erhöhung der Maßzahlen für die Arbeitszeit der Individuen im Tages-, Monats-, Jahres- und Lebensmaßstab die Rede.

Die längere Integrierung älterer Menschen in das Arbeitsleben kann für die Unternehmungen, die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Welt als Ganzes und für die Individuen durchaus positiv sein. Sie schleust die Erfahrungen der Älteren, die ja weitgehend auf sozialem und nicht eindimensional auf technologischem Wissen beruhen, in die aktuellen Arbeitszusammenhänge, sie mindert den Bruch und Konflikte zwischen den Generationen, sie wirkt konservierend, weil von älteren Menschen eher als von jüngeren eine bremsende und bewahrende Haltung ausgeht (im Gegensatz zu früheren Epochen wird Bewahrung zunehmend zu einer Überlebenschance der Menschheit), und sie spart nicht zuletzt Kosten auf dem Arbeitsmarkt.

Alte Menschen bedeuten – insbesondere in der gegenwärtig wachsenden Zahl – neue Fragestellungen (ich will bewusst nicht sagen Probleme) für Wirtschaft und Gesellschaft. In den letzten Jahrzehnten erreichen weitaus mehr Menschen gesund ein höheres Lebensalter als dies früher der Fall war. Die Kosten für medizinische Versorgung und Pflege müssen also nicht in einer unausweichlichen Linearität ansteigen. Es erscheint auf der Grundlage gerontologischer und geriatrischer Erkenntnisse auch durchaus denkbar und möglich, dass die diesbezüglichen Kosten trotz des eindeutigen demographischen Befunds einer wachsenden Zahl älterer Menschen sinken können.

Ein reflexives und verantwortungsvolles Leben ermöglicht und gestaltet jene Erfahrungen, die die Welt, das heißt die Gesellschaft und ihre Menschen brauchen (würden), um den Planeten Erde und das Leben auf ihm zu erhalten. Der Menschheit muss es in den nächsten Jahrzehnten gelingen, von einer Situation eines dynamischen, ungebremsten, weitgehend unkritisierten Ressourcenverbrauchs in eine neue, auf Nachhaltigkeit eingestellte Entwicklung umzusteigen. Nachhaltigkeit ist ein Schlagwort, das sehr abgebraucht ist, aber es gibt die richtige Richtung an, weil es sowohl auf die Wirtschaft (die Produktion von Gütern), die Gesellschaft (die Organisation des sozialen Lebens) als auch auf das Leben der Einzelnen (mehr nachdenken, mehr Verantwortung, mehr Gemeinsamkeit, mehr Freude am Gemeinsinn) anwendbar ist.

Das Paradigma des Wirtschaftswachstums…

In den aktuellen Diskussionen über Wirtschaft und Gesellschaft, damit auch über Demographie gibt es einen unaufgelösten Widerspruch, der für emotionale, oft ideologisch höchst aufgeladene Diskussionen sorgt.

Die Wirtschaft geht von einem kaum widersprochenen Wachstumsparadigma aus.

Ökologisch orientiertes auf Nachhaltigkeit fokussiertes Denken muss dagegen in vielen Bereichen Schrumpfen fordern.

Schrumpfen ist in hohem Maße unpopulär. Wachsen und Wachstum erscheint, gleich worum es geht, als einzig mögliche Erfolgsstrategie. So ist die Debatte um die schrumpfenden und alternden westlichen Gesellschaften in höchstem Maße paradox.

Einerseits ist leicht einzusehen, dass die Welt in Hinblick auf die vorhandenen Rohstoffe und die daraus zu gewinnende Energie bereits viel zu dicht bevölkert ist, andererseits gibt es eine sehr selbstbewusste, wenig Widerspruch zulassende Argumentation, dass die Gesellschaften wieder fruchtbarer werden müssten, dass es mehr junge Menschen geben müsste, um den Anforderungen um den Anforderungen einer alternden Gesellschaft mit weniger Arbeitskräften und größerem Pflegebedarf zu begegnen und gegenzusteuern. Politische Konzepte einer Forcierung von Geburtenzahlen, aber auch jene, die auf Beschränkung der Geburten abzielen, hatten stets auch (man denke an den Nationalsozialismus) den Charakter eines mehr oder weniger diktatorischen Eingreifens von Politik in die Privat- und Intimsphäre. Da in der Hierarchie westlicher Werte Demokratie, bürgerliche Selbstbestimmung und Menschenrechte ganz oben stehen, wird es darauf ankommen, den Bereich des generativen Verhaltens von staatlichen Kontrollen und direktiven freizuhalten.

Das gesamte – „westlich“ – gesellschaftliche Reflexionssystem ist gegenwärtig auf Wachstum eingestellt. Der Westen ist in dieser Hinsicht das universelle Modell der Menschheit geworden. Dem Wirtschaftswachstum muss alles folgen, obwohl längst alte und neue intellektuelle Eliten sehr aussagekräftige Befunde dafür haben, dass das Wachstumsparadigma revidiert werden muss. Immer mehr Menschen ist klar, dass insbesondere alle Fragen des sozialen Lebens, der Gestaltung der Beziehungen nicht nur nach den Zwängen des Wirtschaftswachstums zu beantworten sind.

…versus Lebensqualität

Die Realisierung des Postulats des Wirtschaftswachstums macht zwei Systemschwächen deutlich und lässt sie gleichsam wirksam werden: Wirtschaftswachstum bedeutet erstens Ressourcenverbrauch, der schon lange die Grenzen des für ökologische Systeme Verkraftbaren überschritten hat; und zweitens ist Wirtschaftswachstum schon lange nicht mehr mit einer Steigerung der Lebensqualität der Menschen verbunden. Da der einzige Wachstumsindikator, der im gegenwärtigen Wirtschaftssystem tatsächlich wachsen muss, der Shareholdervalue ist und die Realwirtschaft in einer wachsenden internationalen Konkurrenz steht, ist das Wirtschaftswachstum – auch, wenn es tatsächlich stattfindet - häufig mit kleiner werdenden Einkommen für die Beschäftigten verbunden.

Leidtragende sind ältere Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz verlieren und sich mit kleineren Pensionen abfinden müssen und ebenso jüngere Berufstätige, die damit rechnen können, dass Lebensalter und Pensionsalter immer stärker konvergieren werden und, dass auf ihren Schultern die Lasten des zukünftigen Pensionssystems liegen werden.

Warum in einer historischen Entwicklung, in der Effizienz und Wirksamkeit von Arbeit durch wissenschaftliche Innovation, Logistik und wachsende „Hebelwirkung“ immer größer werden, die Arbeitenden in immer prekäreren Verhältnissen leben, liegt vermutlich daran, dass die Früchte von Effizienz, Rationalisierung und angewandter innovativer Wissenschaft nicht zu ihren Gunsten verteilt wurden.

Unverständlich jedoch ist, warum die Wachstumsdiskussionen, die die westliche Politik kennzeichnen, nur im Hinblick auf Wirtschaftsdaten geführt werden, die schon lange keine Zunahme von Wohlstand spiegeln und nicht in Hinblick auf Faktoren, in denen Lebensqualität von Menschen (unversehrte Naturräume, Zeit zu leben, zu denken, für Beziehungen, für Kunst und für das Nachdenken über das Leben) zum Ausdruck kommt.

Das Wachstumsdenken fördert bei Menschen einen neuen Sklavenstatus und eine entsprechende Mentalität, in denen Menschen bereit sind, ihre gesamte Zeit, ihr gesamtes Streben und Denken dem nackten – fremdbestimmten Überleben zu widmen.

Das Durchschnittsalter der europäischen Bevölkerung steigt gemäß der Bevölkerungsprognose der EU kontinuierlich an – gegenwärtig liegt es bei 39, 3 Jahren. Im Jahr 2030 wird es nach aktuellen Schätzungen zwischen 42 und 48 Jahren liegen. Dementsprechend werden die Berufstätigen im Durchschnitt älter sein, die Zahl der zwischen 50 und 60 Jahre alten stark ansteigen, die Zahl der unter 29-jährigen dagegen abnehmen. Die Kosten der ständig wachsenden Zahl der über 60-Jährigen belasten das Pensionssystem (Abbildung 2).

2060 wird im Schnitt ein 65+ Jähriger auf 2 Personen im erwerbsfähigen Alter kommenAbbildung 2. 2060 wird im Schnitt ein 65+ Jähriger auf 2 Personen im erwerbsfähigen Alter kommen (Prognose der Europäischen Kommission, http://epthinktank.eu/2013/12/19/ageing-population-projections-2010-2060-for-the-eu27/fig-3-7)

Es wird daher fraglos notwendig sein, dass das reale Pensionsantrittsalter höher wird.

Auch dies ist ambivalent. Einerseits lindert eine höhere Zahl von älteren Berufstätigen in der Arbeitswelt die Kluft zwischen ihnen und Rentnern und den daraus resultierenden Generationenkonflikt. Andererseits ist die Arbeitswelt in den letzten 15 Jahren keineswegs ruhiger, kreativer, kollegialer, soldarischer geworden – genau das Gegenteil ist der Fall. Die Anforderungen sind extrem gestiegen, Kontrolle, Disziplinierung, Überwachung jedes Arbeitsschritts (euphemistisch „Monitoring“) sind ständig gewachsen und viele reagieren auf diesen Druck mit Burn-out.

Wenn ein Arbeitsleben in dieser Anforderungs- und Drucksituation nicht mehr nur einen Lebensabschnitt, sondern tendenziell das ganze Leben ausfüllt, dann erscheint dies auch als Rückfall in die vorindustrielle Gesellschaft bei Verschärfung einer in Hinblick auf das 19. Jahrhundert mindestens verdoppelten Lebenserwartung. Von den Menschen wird erwartet, dass sie mehr und länger arbeiten und eine immer größere Verantwortung dafür übernehmen, dabei gesund zu bleiben. Arbeitswelten, die immer stärkere Leistungs- und Effizienzdrucke ausüben und gleichzeitig jene Werte und Sinne reduzieren, die die Arbeit und letztlich auch das Leben sinnvoll und lebenswert gemacht haben, beeinträchtigen empfindlich die viel zitierte „Work-Life-Balance“, Die tendenzielle Verlängerung des Arbeitslebens – mit dem Zielpunkt „lebenslänglich“ – bedeutet letztlich auch eine Minderung des Lebenssinnes, den Menschen haben und leben können.

Wie geht es weiter?

Wie wollen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur mit den Tatsachen der Bevölkerungsentwicklung umgehen, die jedenfalls im Westen die Anteile der Generationskohorten größenmäßig zugunsten der älteren Menschen verändert?

Die Gesellschaft mit mehr älteren, mehr alten Menschen, der Umgang mit den daraus resultierenden Problemen, für alle gesellschaftlichen Teilsysteme, für die Institutionen und natürlich für die Menschen selbst ist eine Herausforderung für die Individuen und die Kollektive.


*) Der vorliegende Artikel ist die leicht gekürzte und für den Blog adaptierte Fassung des Essays, mit dem der Autor den Sammelband „Herausforderung Alter(n)“ eingeleitet hat. Dieser erste Band einer Buchreihe „Herausforderungen“ ist vor wenigen Wochen erschienen (Hubert Christian Ehalt Hsg, Verlag Bibliothek der Provinz, edition seidengasse; http://www.bibliothekderprovinz.at/buch/6351/) .


Weiterführende Links

European Commission: The 2015 Ageing Report http://ec.europa.eu/economy_finance/publications/european_economy/2014/p...

Bevölkerungsprognosen für Österreich (2014) http://www.statistik.at/web_de/statistiken/bevoelkerung/demographische_p...

Wolfgang Lutz: Demographische Entwicklung und Humanressourcen für Österreichs Zukunft. 10.10.2011

Präsentation: http://www.sozialpartner.at/sozialpartner/badischl_2011/Bad-Ischl-Lutz.pdf

Videos

Forschung trifft Praxis: Alternde Welt? Demografischer Trend und entwicklungspolit. Herausforderung (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ). Video 5: 40 min.

Artikel im ScienceBlog zum Thema Altern

Ilse Kryspin-Exner: Aktiv Altern: 2012 war das Europäische Jahr für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen http://scienceblog.at/aktiv-altern-2012-war-das-europäische-jahr-für-aktives-altern-und-solidarität-zwischen-den-generatio.

Assistive Technologien als Unterstützung von Aktivem Altern

Georg Wick: Auf dem Weg zu einer neuen Emeritus-Kultur in Österreich?