Feierliche Sitzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW): Bilanz mit Licht und Schatten
Feierliche Sitzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW): Bilanz mit Licht und SchattenFr, 17.05.2013 - 04:20 — Helmut Denk
Die österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist Gelehrtengesellschaft und größter außeruniversitärer Forschungsträger unseres Landes. Im Rahmen der traditionellen Feierlichen Sitzung der ÖAW am 15. Mai 2013 hat der scheidende Präsident der ÖAW, Helmut Denk, über die während seiner Amtsperiode erfolgte Neustrukturierung der ÖAW berichtet: hin zu einer von Administration entlasteten Gelehrtengesellschaft und zu einem modern organisierten, auf Spitzenforschung fokussierten Forschungsträger (Ansprache leicht gekürzt).
Hauptsitz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (erbaut 1755; ehem. Universitätsgebäude; 1010 Wien Dr. Ignaz Seipel-Platz 2)
Wenn ich auf die vergangenen vier arbeitsreichen Jahre zurückblicke, zeigt sich mir ein vielfältiges Bild mit viel Licht aber auch einigem Schatten. Wie sieht unsere Bilanz nach vierjähriger Amtsperiode aus?
Wo standen wir bei Amtsantritt im Juli 2009? Was wollten wir erreichen? Was haben wir erreicht? Was bleibt zu tun?
Die dunklen Wolken der Finanzkrise überschatteten den Beginn unserer Tätigkeit. Die Akademie steckte in den Anfängen eines noch recht zaghaften Reformprozesses. Sie betrieb 64 Forschungseinheiten unterschiedlicher Fachrichtungen und Größe und mit uneinheitlicher Organisation. Personalstand, Budgeterwartungen und Berufungszusagen entsprachen noch den vergangenen „fetteren“ Jahren und mussten nun der finanziellen „Dürreperiode“ angepasst werden. Zahlreiche Gremien, mit beratenden Funktionen und ohne weitere Rechte, zeigten das Bemühen um Steigerung von Expertise und Transparenz. Die Verzahnung der Gelehrtengesellschaft mit dem Forschungsträger in administrativer Hinsicht wurde als Hemmschuh für die zeitgemäße Führung eines großen Forschungsbetriebs empfunden und von Akademiemitgliedern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von Experten aus dem In-und Ausland, dem Rechnungshof und vom Geldgeber als inadäquat und konfliktträchtig kritisiert.
Somit standen „Sparprogramm“, „Fokussierung“ und „administrative Professionalisierung“ als zu lösende Probleme im Vordergrund. Dies unter der Prämisse, die hervorragende Stellung der ÖAW in der nationalen und internationalen Wissenschaftslandschaft zu erhalten, ja möglichst noch zu verbessern.
Also Reform!
Reform ist noch kein Wert an sich, Reform muss richtungsweisend sein, ein Weg, der beherzte Schritte erfordert. Reform bedeutet, heiße Eisen anzufassen. „Never waste a crisis“ hat Ram Emanuel, ein Berater von Barack Obama, einmal gesagt. Krisen treiben Reformen, aber diese Reformen können auch selbst als Krise empfunden werden, bedürfen sie doch schmerzhafter Eingriffe und erzeugen Unsicherheit. Reform im Sinne ständiger Erneuerung ist wahrer Wissenschaft inhärent. Wissenschaft ist revolutionär, stellt Vertrautes in Frage, schafft aber neben Wissen kontinuierlich Unwissen. Die Akademie steht in ständigem Wettstreit. Um ihre Existenz zu rechtfertigen und zu sichern, müssen wir, ohne unsere Wurzeln zu vergessen, den Blick nach vorne richten und stets aufs Neue den geänderten Bedingungen entsprechend handeln.
Was wollten wir erreichen?
- Eine von Administration entlastete aktive Gelehrtengesellschaft als beachtete Stimme der Wissenschaft.
- Einen modern organisierten, auf Spitzenforschung konzentrierten Forschungsträger.
- Eine Entflechtung von Gelehrtengesellschaft und Forschungsträger in administrativer Hinsicht bei gegenseitiger wissenschaftlicher Befruchtung.
Was haben wir erreicht?
- Präzisierung des Kurses der Akademie auf Basis eines mehrjährigen Entwicklungsplans
- Reorganisation und Fokussierung des Forschungsbereiches
- Dreijährige Budget- und Planungssicherheit durch die mit dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung geschlossene Leistungsvereinbarung
- Budgetkonsolidierung bis Ende 2014
- Exzellenzsicherung durch ein klar strukturiertes Evaluierungssystem
- Leistungsgerechte Budgetierung der Institute im Rahmen von Zielvereinbarungen
- Professionalisierung von Administration und Finanzverwaltung
- Erweiterte Kompetenzen für Präsidium, Finanzdirektor und Institutsdirektoren
- Einrichtung eines Akademierats mit Kontroll-, Anhörungs- und Zustimmungskompetenz.
Wo stehen wir heute?
Die fachlich breit zusammengesetzte Gelehrtengesellschaft ist legitimiert, autonom Zukunftsthemen zu formulieren, interdisziplinär zu diskutieren und gegenüber der Öffentlichkeit zu vertreten. Die ethischen Aspekte der Wissenschaft dürfen dabei nicht zu kurz kommen. Hohe Priorität gilt daher der Belebung des wissenschaftlichen Diskurses in der Gelehrtengesellschaft. Diesem Ziel dient die Einrichtung von disziplinären Sektionen und von interdisziplinären Kommissionen. In prominent besetzten Symposien und Vorträgen werden wichtige Fragen behandelt, die von personalisierter Medizin über Finanzkrise und Staatsbankrott, Ökosystemprobleme, Migration und Integration, gesellschaftlichen Wandel, Beschäftigungssicherheit, Nationalismus in Südosteuropa bis zur Auseinandersetzung mit unserer eigenen Vergangenheit reichen. Der Synthetischen Biologie ist unser diesjähriges Symposium gewidmet. Die Öffentlichkeit wird zum Dialog eingeladen. Durch die Vernetzung mit ausländischen Akademien und europäischen Akademieverbünden, wie Leopoldina, EASAC und ALLEA, reichen diese Aktivitäten über unsere Grenzen hinaus.
Innovation wird erst dann wirksam, wenn sie in die eigene Lebenswelt integriert wird. So kann auch Wissenschaftserziehung nicht früh genug einsetzen. Aus Hören, Sehen, Tasten, Erleben und Diskutieren soll Verstehen werden. Durch Vorträge in Schulen, über Internet, Einrichtung von Schülerlaboratorien, Einladung der Jugend zu unseren Vortragsveranstaltungen, aber auch durch Motivierung der Lehrer versuchen wir, diesem Ziel in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen näher zu kommen.
Neustrukturierung des Forschungsträgers
Mit Dezember 2012 war die Neustrukturierung des Forschungsträgers weitgehend abgeschlossen. Statt 64 Instituten und wissenschaftlichen Kommissionen befinden sich jetzt nur mehr 28 Institute unter unserem Dach. Bestimmend für diese Reduktion war die Konzentration auf Gebiete, in denen eine nationale und internationale Spitzenstellung besteht. Wir konzentrieren uns auf die Biomedizin mit besonderer Berücksichtigung molekularbiologischer Aspekte und personalisierter Medizin, auf Evolutionsbiologie, Quanten-, Hochenergie-, Material- und Weltraumphysik mit technologischen Anwendungsaspekten, angewandte Mathematik, auf Sozialwissenschaften mit Betonung demographischer, juridischer und medienwissenschaftlicher Aspekte, auf Asienwissenschaften, Geschichtswissenschaften sowie auf Fächer, die sich der Interpretation und Wahrung unseres kulturellen Erbes verschrieben haben. Die Grenzen innerhalb der Naturwissenschaften, aber auch zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften verschwimmen dabei zusehends.
Die Umstrukturierung des Forschungsträgers erfolgte
- einerseits ÖAW- intern durch Bündelung fachnaher Bereiche, vor allem in den Geistes- und Kulturwissenschaften, zu größeren, international besser sichtbaren Instituten.
- und andererseits durch Übertragungen an Universitäten. Nicht immer ist uns dieser fachlich aber auch budgetär motivierte Transfer leicht gefallen. Das Positive überwiegt: durch die Übertragungen werden Arbeitsplätze erhalten und Forschung und Lehre an den Universitäten gestärkt; die frei werdenden Budgetmittel kommen den verbliebenen ÖAW Instituten zugute. Ich möchte an dieser Stelle dem BMWF und den Universitätsleitungen für die konstruktive Zusammenarbeit danken.
Neben den naturwissenschaftlichen Schwerpunkten ist die ÖAW traditionell ein Hort der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Über die Geisteswissenschaften entwickelt die moderne Gesellschaft ein strukturiertes Wissen von sich selbst: Woher kommen wir? Wo stehen wir? Wohin könnten wir gehen? Geisteswissenschaften vertiefen das Verständnis für kulturelle Unterschiede, Verhaltensmuster und soziale und ökonomische Zusammenhänge. Sie tragen damit zum friedlichen Zusammenleben in einer modernen Gesellschaft bei.
Die Gewinnung der besten Köpfe als Voraussetzung für Spitzenforschung setzt Planungssicherheit voraus. Aus diesem Grund wird derzeit ein neues Karrieremodell erarbeitet. Die Besten ins Boot zu holen, ist nicht einfach; müssen wir doch mit Institutionen im In- und Ausland konkurrieren, die über mehr Finanzmittel und längerfristige Budgetsicherheit verfügen. Trotzdem sind in den letzten Jahren exzellente Berufungen gelungen.
Entflechtung der Gelehrtengesellschaft und des Forschungsträgers
Im Oktober 2012 fasste die Gesamtsitzung nach intensiven Vorarbeiten und Diskussionen den Grundsatzbeschluss zur administrativen Entflechtung der Gelehrtengesellschaft und des Forschungsträgers.
Warum Entflechtung? Die Akademie zieht damit die Konsequenz aus der Erfolgsgeschichte der letzten dreißig Jahre, in denen sie sich von einer Gelehrtengesellschaft mit nur wenigen und kleinen Forschungseinrichtungen in ein Unternehmen mit mehr als 1.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entwickelt hat. Die Entflechtung erleichtert die zeitgemäße Führung des Forschungsträgers und minimiert Interessenskonflikte.
Warum nicht komplette Trennung? Warum ein gemeinsames Dach?
In dem gemeinsamen Dach sehe ich das besondere Potential unserer Akademie. Es sichert die Expertise der Gelehrtengesellschaft für den Forschungsträger. Natürlich beruht der wissenschaftliche Fortschritt primär auf der Tätigkeit der Spezialisten in den Instituten. Je höher aber der Grad der Spezialisierung, desto wichtiger ist das Zusammenwirken des spezialisierten Wissens. Innovative Ideen und Problemlösungen entstehen oft an den Schnittstellen traditioneller Fachgebiete. Der Dualismus von Gelehrtengesellschaft und Forschungsträger spielt hier eine wichtige Rolle.
Wissenschaftliche Exzellenz ist die Voraussetzung für die Errichtung und Weiterführung von Forschungseinheiten. Risikoreiche Grundlagenforschung ohne Erfolgsgarantie bedarf der Finanzierung durch die öffentliche Hand. Dieses Basisbudget wird nun auf Grund von Zielvereinbarungen leistungsgerecht an die Institute vergeben. Dafür wurde in den letzten zwei Jahren ein einheitliches Evaluierungssystem etabliert, das sich an internationalen Vorbildern orientiert. Zusätzlich sind Drittmittel kompetitiv einzuwerben. Dabei sind die meisten ÖAW Institutionen sehr erfolgreich. Mit 16 laufenden Grants des European Research Council mit einem Fördervolumen von >24 Mio. Euro belegt die ÖAW den zweiten Platz in Österreich nach der Universität Wien.
„I have a dream“: eines Tages wird die Bundesregierung diesen Erfolg durch Verdoppelung der eingeworbenen Drittmittel anerkennen. Damit können wir dem Ziel, aus der Gruppe der „Innovation Followers“ zu den „Innovation Leaders“ in Europa aufzusteigen, näher kommen.
Der Annäherung von Wissenschaft und Wirtschaft darf sich auch die Akademie nicht verschließen. Innovative, wirtschaftlich verwertbare Produkte setzen Grundlagenforschung voraus. „Anwendungsoffene“ Grundlagenforschung bezieht sich aber nicht nur auf die Zusammenarbeit zwischen Natur- und Ingenieurwissenschaften und Industrie, wie sie das kürzlich eröffnete Christian-Doppler-Laboratorium am Zentrum für Molekulare Medizin praktiziert, sondern schließt auch die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften ein. Innovation ist ja nicht nur im technologischen Sinn, sondern umfassender im Sinne intellektueller Kreativität als Basis jeglicher Kultur zu verstehen. Ist nicht auch die Tätigkeit der Gelehrtengesellschaft anwendungsoffen, wenn sie wissenschaftliche Erkenntnisse als Entscheidungshilfe der Gesellschaft vermittelt?
Ohne Nachwuchs keine Zukunft!
In der Nachwuchsförderung sieht die ÖAW eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Dazu dienen die erfolgreichen Stipendienprogramme und das soeben angelaufene, von der Nationalstiftung finanzierte „New Frontiers Groups“ Impulsprogramm. Damit wird jungen Forschern aus dem In- und Ausland die Möglichkeit geboten, völlig frei ihren innovativen Ideen in einem ÖAW-Institut nachzugehen. Die ersten drei ausgewählten Kandidaten, nämlich eine Frau und zwei Männer, vertreten die Gebiete Mathematik, Molekularbiologie und Hochenergiephysik. Nachwuchsförderung wird auch in unseren Instituten hoch gehalten. Die Institute IMBA und CeMM können stolz sein: sie landeten im Vorjahr im internationalen Ranking in der Spitzengruppe jener Institutionen mit weltweit höchster Attraktivität für Nachwuchswissenschaftler.
Was bleibt zu tun?
Am Ende unserer Amtsperiode können wir mit Genugtuung feststellen, dass richtungsweisende Reformen umgesetzt und die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft unserer Akademie gestellt sind. Zugegeben, wichtige weitere Vorhaben, die für die Neustrukturierung und Belebung der Gelehrtengesellschaft angedacht wurden, konnten noch nicht konkretisiert werden. Details zur Entflechtung von Gelehrtengesellschaft und Forschungsträger unter einem gemeinsamen Dach harren noch des Feinschliffs.
Wahre Wissenschaft sprengt Grenzen und dringt in Neuland, in das Unwissen vor. Wie die Wissenschaft selbst erfordert auch die Reform einer Wissenschaftsakademie Einsatzfreude, Kompromissbereitschaft, Frustrationstoleranz, und den Mut, Rückschläge und sogar Scheitern in Kauf zu nehmen. Die Reformschritte müssen dann den Test der Praxis bestehen, nach dem Motto von Gottfried Wilhelm Leibniz, „Theoria cum Praxi“. Ich danke meiner Kollegin und meinen Kollegen im Präsidium, Sigrid Jalkotzy-Deger, Arnold Suppan und Georg Stingl, die sich nicht gescheut haben, mit mir heiße Eisen anzufassen und dafür manche Kritik zu ernten. Zusammenarbeit und die große Unterstützung in schwieriger Zeit; „Viribus unitis“ war unser Leitspruch in den vergangenen Jahren. Meinem Nachfolger Anton Zeilinger danke ich für die Bereitschaft, neben der Würde die Bürde des Amtes auf sich zu nehmen, und wünsche ihm und seinem Team Standfestigkeit und Erfolg.
Auf Grund persönlicher Erfahrung zitiere ich in diesem Zusammenhang den scheidenden Erzbischof von Canterbury Rowan Williams bei der Amtsübergabe an seinen Nachfolger:
“You have to preach with the bible in one hand and a newspaper in the other. I would hope that my successor has the constitution of an ox and the skin of a rhinozeros.”