Schwerpunktsthema. Unter „Pharmazeutische Wissenschaften“ wird ein neues interdisziplinäres Gebiet an der Schnittstelle von Pharmazie und molekularen Lebenswissenschaften verstanden, dessen Fokus auf Forschung und Entwicklung neuer Therapeutika ausgerichtet ist. Rund 40 Artikel im ScienceBlog befassen sich mit Aspekten dieses Gebiets.
Kenntnisse über Heilmittel und Gifte, deren Herstellung und Anwendung – also pharmazeutisches Wissen und Erfahrung – datieren in die frühesten Kulturen zurück und wurden in Kräuterbüchern und später in Rezeptsammlungen (sogenannten Pharmakopöen) weitergegeben. Die ältesten Aufzeichnungen sind bereits über 5000 Jahre alt, stammen aus China und beschreiben hochwirksame Heilpflanzen, die beispielsweise gegen Malaria (die Alkaloid-haltige Pflanze Dichroa febrifuga) oder gegen Asthma (die Ephedrin-haltige Pflanze Ephedra sinica) Anwendung fanden. Eine lange Liste von Heilmitteln findet sich auch in Papyri aus dem alten Ägypten: diese reichen von Abführmitteln, über Hustenmittel, Mittel zur Behandlung von Hauterkrankungen und Wunden, bis hin zu Rheumamitteln und gegen Parasiten wirkende Medikamente (ein auf Granatapfel basierendes Mittel gegen den Bandwurm war bis vor 50 Jahren in Verwendung).
Ein sehr interessantes Buch aus dem Jahr 1891: J Berendes „Die Pharmacie bei den alten Culturvölkern“(free download: https://archive.org/details/diepharmaciebeid00bere) In unseren Kulturkreisen wurde das Wissen um die Heilmittel ("Materia medica") und ihre Wirkungen anfänglich von Mönchen und auch von Medizinern weitergegeben. Bereits im Mittelalter trennte sich die Pharmazie aber von der Medizin und es entstanden in der Folge an mehreren Universitäten Lehrstühle für Arzneikunde.
Damals wurde - wie zumeist auch heute - der Pharmazeut mit dem Beruf des Apothekers assoziiert. Dessen Aufgabe ist es Menschen mit Medikamenten zu versorgen und in Gesundheitsfragen zu beraten. Die Behandlung von Krankheiten mit Arzneimitteln ist dann dem Arzt vorbehalten. Die Berufsbilder von Medizinern und Pharmazeuten überlappen also teilweise; demnach sollten Ärzte Grundlegendes über Medikamente und deren Wirkung wissen, Pharmazeuten über Physiologie und Pathologie des menschlichen Organismus. Dennoch erfahren – zumindest in unserem Kulturkreis - beide Berufsgruppen eine unterschiedliche Ausbildung und dringen relativ wenig in das Nachbargebiet ein.
Der Apotheker bedient einen Kunden, sein Gehilfe zerreibt Material im Mörser. (Coloured etching by H. Heath, 1825. Iconographic Collections Keywords: Henry Heath.)
Beginnend mit der steigenden Bedeutung der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert - als die neuen Disziplinen Chemie und Botanik im Pharmaziestudium dazukamen - wurde die Pharmazie mehr und mehr zu einem molekular geprägten Forschungsgebiet. Auf der Suche nach Ansatzpunkten für neue Wirkstoffe mit neuen Wirkmechanismen ist heute ein Verständnis in Gebieten wie der Molekularbiologie, Genetik, Immunologie, Biotechnologie aber auch im Computer-unterstützten Modellieren und der Bioinformatik unabdingbar geworden.
Brauchen wir überhaupt noch neue Medikamente?
Diese Frage muss eindeutig mit Ja beantwortet werden: Für rund zwei Drittel der über 30 000 klassifizierten Krankheiten (laut WHO) gibt es noch keine oder eine nur unbefriedigende Therapie. Dazu gehören häufige Krankheiten wie Tumoren (u.a. des Magen-Darmtrakts, des Pankreas, der Lunge, des Gehirns), Autoimmunerkrankungen, chronischer Schmerz, neurodegenerative/neurologische Erkrankungen, u.v.a., ebenso wie die meisten seltenen Krankheiten.
Was bereits (z.T. schon sehr lange) existierende Arzneimittel betrifft, so ist in vielen Fällen nicht geklärt, wie diese wirken und welche Nebenerscheinungen sie auslösen können.
Es besteht also dringender Handlungsbedarf.
Bis vor einem Jahrzehnt hat die Pharmaindustrie praktisch „im Alleingang“ die Forschung & Entwicklung (F&E) neuer Medikamente vorangetrieben. Pharma gehört zwar - nach dem Finanzsektor - zu den größten globalen Industriesektoren, hat seit der Jahrtausendwende ihre Umsätze auf das 2, 5 fache gesteigert und (trotz Wirtschaftskrise) nun nahezu die Marke von 1000 Mrd US $ erreicht. Dennoch steckt sie in einer schweren Krise: das Risiko ein neues Medikament auf den Markt zu bringen ist enorm hoch geworden. Bei explodierenden Kosten und einer übermäßig langen Entwicklungsdauer werden viel zu wenige neue, Gewinn versprechende Produkte zugelassen. Um den zu erwartenden niedrigeren Einnahmen gegenzusteuern, fusionieren die Konzerne und reduzieren ihre Forschungskapazitäten. Hier könnte es nun zu neuen Kooperationen kommen: Grundlagenforschung in akademischen Institutionen könnten therapeutische Lösungsansätze erarbeiten, die in fairer Weise von der Pharmaindustrie übernommen und zur Marktreife entwickelt werden.
Es besteht damit in akademischen, ebenso wie in industriellen Einrichtungen ein Bedarf an Experten, die, über das pharmazeutische Wissen hinaus, Kenntnisse in den für Forschung und Entwicklung notwendigen Fächern besitzen und diese auch anwenden können.
Was sind pharmazeutische Wissenschaften?
Dem Bedarf an transdisziplinär ausgebildeten, pharmazeutisch orientierten Experten wird seit einigen Jahren Rechnung getragen: Studiengänge zu dem neuen Fachgebiet „Pharmazeutische Wissenschaften“ werden an mehreren Orten angeboten. Im deutschen Sprachraum, beispielsweise an der ETH (Zürich), den Universitäten Basel , München und Freiburg.
Kurz umrissen: Pharmazeutische Wissenschaften sind auf Forschung und Entwicklung neuer Therapeutika ausgerichtet. Sie umfassen state-of-the-art Technologien und grundlegendes Wissen über
- die chemischen, physikalischen und biologischen Charakteristika von Wirk- und Hilfsstoffen,
deren Herstellungstechnologien und Nachweisverfahren - deren «Schicksal» im menschlichen Körper und
- deren Wirkungsprinzipien (erwünschte/unerwünschte Wirkungen)
Die Ausbildung in Pharmazeutischen Wissenschaften bereitet vor allem auf eine Forschungs- und Entwicklungstätigkeit an akademischen Einrichtungen oder in der pharmazeutischen Industrie vor. Die Pharmazie-Ausbildung führt meistens zum Beruf des Apothekers.
Das Berufsbild des Pharmazeutischen Wissenschafters unterscheidet sich damit wesentlich von dem des Pharmazeuten. Im ersten Fall liegt der Fokus auf moderner Pharmaforschung, bereitet also auf eine Forschungs- und Entwicklungstätigkeit an akademischen Einrichtungen oder in der pharmazeutischen Industrie vor. Die Pharmazie-Ausbildung führt meistens zum Beruf des Apothekers.
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