Eurobarometer 516: Umfrage zu Kenntnissen und Ansichten der Europäer über Wissenschaft und Technologie - blamable Ergebnisse für Österreich

Eurobarometer 516: Umfrage zu Kenntnissen und Ansichten der Europäer über Wissenschaft und Technologie - blamable Ergebnisse für Österreich

Sa. 30.10.2021  — Inge Schuster

Inge SchusterIcon Politik & Gesellschaft Von Medien, akademischen Institutionen, Wirtschaft und Politik noch völlig ignoriert ist vor wenigen Wochen das Ergebnis der bislang umfangreichsten, von der Europäischen Kommission beauftragten Umfrage zum Thema Wissenschaft und Technologie erschienen (Special Eurobarometer 516). Es geht dabei um "Kenntnisse und Ansichten der europäischen Bürger zu Wissenschaft und Technologie". Aus der enormen Fülle der dort erhobenen Informationen wurde kürzlich im Scienceblog über die Aspekte "Interesse an Wissenschaft &Technologie und Informiertheit" berichtet - beide Voraussetzung für den Erwerb von Kenntnissen in den Wissenschaften, die das moderne Leben prägen. Mit diesen Kenntnissen und den Ansichten der Europäer zu Naturwissenschaften befasst sich der aktuelle Artikel, wobei speziell auch auf die Situation in Österreich Bezug genommen wird.

 

 

Wissenschaft* und Technologie spielen eine enorm wichtige Rolle für unsere Gesellschaften, sie sind die Grundlage für unser heutiges und zukünftiges wirtschaftliches und soziales Wohlergehen.Dass unter den EU-Bürgern aber nicht immer ein breites Verständnis für Naturwissenschaften und deren Methoden vorhanden ist, wurde in mehreren, von der EU beauftragten Umfragen ("Special Eurobarometer") zu verschiedenen Aspekten von Wissenschaft und Technologie aufgezeigt. Dies geht auch aus den Ergebnissen der letzten EU-weiten Umfragen 2010, 2013 und 2014 hervor. Über die Ergebnisse der Eurobarometer Umfragen 2010, 2013 und 2014 wurde mit speziellem Fokus auf Österreich im ScienceBlog berichtet [1 - 4].

Sieben Jahre später hat nun wieder eine europaweite Umfrage zu Wissen und Ansichten der europäischen Bürger zu Wissenschaft und Technologie ("European citizens’ knowledge and attitudes towards science and technology") stattgefunden. Diesmal wurden nun nicht nur Bürger der EU27 interviewt, sondern auch Bürger der Beitrittskandidaten in Südosteuropa und andere Nicht-EU-Mitglieder (Island, Norwegen, UK, Schweiz). Zu einer Menge neuer Fragen kamen bereits früher gestellte dazu und ermöglichen damit einen Vergleich der wissenschaftlichen Entwicklung einzelner Länder. Der vor vier Wochen erschienene Report dieser bislang umfangreichsten Studie enthält auf 322 Seiten eine so enorme Fülle an wichtigen Ergebnissen, dass diese auch nicht ansatzweise in einem Artikel zusammengefasst werden können [5]. Dass allerdings weder die europäische noch die internationale Presse darüber berichtete, erscheint dennoch verwunderlich.

Über den Aufbau dieser Studie und über die Ergebnisse zum Teilaspekt "Interesse der europäischen Bürger an Wissenschaft & Technologie und Informiertheit" hat kürzlich der ScienceBlog berichtet [6]. Daraus ging hervor, dass das Interesse der Europäer naturwissenschaftlichen und technologischen Themen seit 2010 gestiegen war und nun der überwiegende Anteil (82 - 89 %) der Befragten angab daran (sehr oder eher) interessiert zu sein. Gleichzeitig bedauerten die Menschen aber über naturwissenschaftliche Themen nicht sehr gut informiert zu sein - eine Situation, die sich seit 2010 nur schwach verbessert hat.

In Fortsetzung zu diesem Artikel wird heute ein weiterer Fragenkreis der Studie zu "Kennnissen und Ansichten der Europäer zu Naturwissenschaften und Technologie" behandelt. Wie auch in [6] wird dabei der Fokus auf die Ansichten der Österreicher im Vergleich zu den Ansichten anderer Europäer gelegt

Wie denken die europäischen Bürger über Wissenschaft und Technologie?

Nicht in Einklang mit dem bekundeten Interesse steht der persönliche Bezug vieler Europäer zu den Naturwissenschaften. Abbildung 1.

Abbildung 1: Persönliche Standpunkte zu den Naturwissenschaften: Angaben (%) für den EU27-Schnitt und für Österreich (AT) . Standpunkt 1 und 3 waren neu, die Bedeutung der Naturwissenschaften im täglichen Leben wurde bereits in früheren Umfragen erhoben (hier 2010). Ganz rechts (rot) zeigt den Platz Österreichs im entsprechenden Ranking der 27 EU-Staaten. Die Daten wurden aus Tabellen und Grafiken des Special Eurobarometer 516-Reports [5] entnommen.

Zu kompliziert - ich verstehe ja kaum etwas

Knapp die Hälfte der befragten EU-Bürger (46 %) beklagt, dass Naturwissenschaften derart kompliziert sind, dass sie davon kaum etwas verstehen, nur 28 % sind der gegenteiligen Meinung. Es besteht dabei ein starker Süd/Ost - Nord/West- Trend: den höchsten Mangel am Verständnis geben Bulgarien (70 %), Zypern (69 %) und Griechenland (67 %) an, den niedersten Belgien (23 %), Irland (24 %) und Holland (24 %) am andern Ende der Reihung. Fünf der EU-Beitrittskandidaten in Südosteuropa (incl. Kosovo) fügen sich mit 57 - 60 % in das Ranking der süd/östlichen EU-Staaten ein. Albaniens Angabe - nur für insgesamt 23 % erscheinen Naturwissenschaften zu kompliziert - steht in krassem Widerspruch zu den weiter unten festgestellten geringfügigen Kenntnissen.

Österreich (51 % ) liegt - etwas schlechter als der EU27 Schnitt - an 13. Stelle der EU-Länder umgeben von zahlreichen ehemaligen Oststaaten.

Bedarf für mehr Informationen zu wissenschaftlichen Entwicklungen

Im EU27-Schnitt erklären mehr als die Hälfte (54 %) der Befragten, dass sie sich beispielsweise in Museen, Ausstellungen und Büchereien über wissenschaftliche Entwicklungen informieren möchten. Besonders interessiert erscheinen die Befragten in Portugal (80 %), Irland (68 %), Luxemburg (65 %) und Zypern (64%), am wenigsten interessiert in Bulgarien, Österreich und Kroatien (jeweils 41 %). Österreich steht in dieser Reihung an vorletzter (26.) Stelle und hat mit 35 % ablehnenden Antworten den Spitzenplatz an Desinteresse inne. Nur im Beitrittsland Serbien ist das Desinteresse noch etwas höher (37 %).

Naturwissenschaftliche Kenntnisse im täglichen Leben? Es geht auch ohne

Abbildung 2: In einigen europäischen Ländern braucht nur eine Minderheit naturwissenschaftliche Kenntnisse, um im täglichen Leben zurechtzukommen. Antworten (%) der EU27-Länder und der EU-Beitrittskandidaten (rechts: RS: Serbien, ME: Montenegro, BA: Bosnien-Herzegowina, XK: Kosovo, MK: Nord-Mazedonien, Al: Albanien). Die Grafiken stammen aus dem Special Eurobarometer 516-Report.

Während im EU27-Schnitt ein Drittel der Bürger diese Ansicht vertreten, fast die Hälfte (46 %) aber angibt solche Kenntnisse im täglichen Leben zu brauchen, hält mehr als die Hälfte (53 %) der befragten Österreicher solche Kenntnisse für unwichtig und nur 29 % erklären darauf angewiesen zu sein. Im Vergleich zu den Erhebungen von 2010 ist der Anteil derer, die damals ohne Kenntnisse auskamen (57 %), nur leicht gesunken, derer die damals solche benötigten (25 %) etwas gestiegen (Abbildung 1). In dieser "es geht auch ohne" Reihung nimmt Österreich Platz 3 nach Bulgarien (57 %) und Griechenland (53 %) ein, gefolgt von ehemaligen Ostblockländern wie Slowakei, Ungarn, Polen und Rumänien. Ähnlich negative Werte sehen wir ansonsten nur bei den Beitrittsländern Serbien und Montenegro. Abbildung 2.

Am anderen Ende der Reihung stehen Länder wie Portugal, Malta, Tschechei und Finnland, in denen bis über 70 % der Befragten naturwissenschaftliche Kenntnisse im täglichen Leben für wichtig erachten.

Soll sich die Jugend für Naturwissenschaften interessieren?

Abbildung 3: Ist das Interesse junger Menschen an Naturwissenschaften Grundvoraussetzung für einen künftigen Wohlstand? Antworten (%) der EU27-Länder und der EU-Beitrittskandidaten (rechts: RS: Serbien, ME: Montenegro, BA: Bosnien-Herzegowina, XK: Kosovo, MK: Nord-Mazedonien, Al: Albanien). Die Grafiken stammen aus dem Special Eurobarometer 516-Report.

Die überwiegende Mehrheit in den EU27 Staaten stimmt voll oder eher zu (insgesamt 68 - 98 %) , dass das Interesse junger Menschen an Naturwissenschaften Grundvoraussetzung für einen künftigen Wohlstand ist. Abbildung 3. Auch hier ist ein starker Nord/West - Süd/Ost Trend bemerkbar. In 16 EU- Staaten stimmt mehr als die Hälfte der Befragten voll zu, angeführt von Portugal (80 %), Schweden (64 %), Estland (67 %) und Irland (69 %), am anderen Ende sind hauptsächlich ehemalige Ostblockländer, Italien und - leider wiederum - Österreich. Nur 27 %, die voll zustimmen und 11 %, die meinen "brauchen wir (eher) nicht", sind ein Armutszeugnis für ein Land, das so viel in Bildung investiert.

Kenntnisse in naturwissenschaftlichen Gebieten

Insgesamt wurde den befragten Personen eine Liste mit 11 Aussagen vorgelegt, welche die Kenntnisse über einen weiten Bereich naturwissenschaftlicher Gebiete - Naturgeschichte und Geographie, Bio- und physikalische Wissenschaften - und dazu auch den Glauben an Verschwörungstheorien - testeten. Aufgabe war es zu entscheiden ob die Aussagen richtig oder falsch wären, bzw. "ich weiß nicht" anzugeben.

Naturgeschichte und Geographie

Dieses Themengebiet enthielt 4 Aussagen; die Antworten im EU27-Schnitt und aus Österreich sind in Abbildung 4 zusammengefasst. Auch hier ist ein starker Nord/West - Süd/Ost Trend richtiger Antworten ersichtlich (die auch den Trends in Abbildung 2 und 3 entsprechen) und ein ähnliches Abschneiden der EU-Beitrittskandidaten wie in deren EU-Nachbarländern (die Trends sind im Report [5] nachzusehen).

"Die Kontinente, auf denen wir leben, haben sich seit Millionen Jahren bewegt und werden sich auch in Zukunft bewegen". Dass dieses Statement richtig ist, weiß der bei weitem überwiegende Teil der Befragten in den EU27-Staaten. Angeführt wird die Reihung der richtigen Antworten von Deutschland (92 %), Schweden (91 %) und Irland (91 %), am anderen Ende der Liste sind Polen (72 %), Bulgarien (67 %) und Rumänien (62 %). Österreich steht mit 78 % in dieser Reihung an 20. Stelle und hat sich seit 2005 (88 %) um 10 Punkte verschlechtert. Die richtigen Antworten der Beitrittskandidaten liegen zwischen 35 % (Albanien) und 74 % (Montenegro).

Abbildung 4: Kenntnisse in Naturgeschichte und Geographie in den EU27-Staaten. Angaben (%) für den EU27-Schnitt und für Österreich (AT) . Frage 1,2 und 4 wurden bereits auch 2005 gestellt. Ganz rechts (rot) zeigt den Platz Österreichs im entsprechenden Ranking der 27 EU-Staaten. Die Daten wurden aus Tabellen und Grafiken des Special Eurobarometer 516-Reports entnommen.

Dass der Mensch sich aus früheren Tierspezies entwickelt hat, wissen im EU27-Schnitt rund 2/3 der Befragten: die meisten davon gibt es in Irland (84 %), Schweden (83 %) und Luxemburg (83 %), die wenigsten in Zypern (48 %), Lettland (39 %) und der Slowakei (36 %). Richtige Antworten der Beitrittskandidaten gibt es von 22 % (Kosovo) bis 51 % (Nord-Mazedonien). Österreich rangiert in der EU am 13. Platz und hat seit 2005 dazugelernt.

Es gibt derzeit mehr als 10 Milliarden Menschen auf der Erde. Ein relativ hoher Anteil der Bevölkerung hält diese falsche Aussage für richtig: 37 % im EU27-Schnitt, gleich viele in Österreich. Die höchste Rate der Fehleinschätzungen gibt es in Zypern (51 %), Spanien (45 %) und Polen (44 %), die geringste Rate in Lettland (24 %), Dänemark (23 %) und Luxemburg (21 %). Die Fehlschätzungen in den Beitrittskandidaten liegen zwischen 54 % (Montenegro) und 26 % (Kosovo). Österreich liegt im Mittelfeld auf Stelle12.

Die frühesten Menschen lebten gleichzeitig mit den Dinosauriern. Zwei Drittel der Befragten im EU27-Schnitt konstatierten diese Aussage als falsch. Die Meisten in der Tschechei, Belgien und Schweden (82 -86 %), die Wenigsten in Rumänien, Italien und Ungarn, wo rund ein Drittel der Personen diesen Satz für richtig hielt. In der Reihung nach falschen Einschätzungen nimmt Österreich mit 28 % den 6. Platz ein und hat sich seit 2005 um 12 Punkte verschlechtert. Von den Beitrittskandidaten liegt nur noch Albanien (48 %) schlechter als Ungarn.

Naturwissenschaften/Physik ("Science")

Dieses Themengebiet enthielt 5 Aussagen; die Antworten im EU27-Schnitt und aus Österreich auf 4 dieser Aussagen sind in Abbildung 5 zusammengefasst. (Auf das 5. Statement "The methods used by the natural sciences and the social sciences are equally scientific", dass sich also Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften gleichwertiger wissenschaftlicher Methoden bedienen" wird hier nicht eingegangen, da nicht klar ist, was unter "equally scientific" zu verstehen ist; die Analyse kann in [5] nachgelesen werden.)

Wie in den Aussagen zu Naturgeschichte und Geographie besteht auch hier ist ein starker Nord/West - Süd/Ost Trend der richtigen Antworten (die einzelnen Trends sind im Report [5] nachzusehen).

Abbildung 5: Kenntnisse in Biowissenschaften und Physik. Angaben (%) für den EU27-Schnitt und für Österreich (AT) . Fragen 1 - 3 wurden bereits 2005 gestellt. Ganz rechts (rot) zeigt den Platz Österreichs im entsprechenden Ranking der 27 EU-Staaten. Die Daten wurden aus Tabellen und Grafiken des Special Eurobarometer 516-Reports [5] entnommen.

Der Sauerstoff, den wir atmen, kommt von den Pflanzen. Der bei weitem überwiegende Anteil der Bevölkerung weiß, dass diese Aussage richtig ist: 82 % im EU27 Schnitt, mit höchsten Werten in Schweden, Lettland und Finnland (89 - 97 %). Auch am andern Ende der Reihung in Rumänien, Ungarn und Belgien gibt es 70 - 75 % richtige Antworten. Österreich liegt mit 81 % an 19. Stelle der Reihung - immerhin 16 % - 6 Punkte mehr als 2005 - halten die Aussage für falsch. Mit Ausnahme Albaniens (52 % richtig) gaben die Beitrittskandidaten zwischen 70 und 89 % richtige Antworten.

Antibiotika töten Viren ebenso wie Bakterien. Mehr als die Hälfte (55 %) der Befragten im EU27-Schnitt betrachtet diese Aussage als falsch - um 9 Punkte mehr als 2005. Auch die meisten EU-Staaten haben hier dazugelernt. Dies ist leider nicht der Fall in Staaten wie Griechenland (68 %), Bulgarien (65 %) und Rumänien (63 %), die sich seit 2005 um 10 - 20 Punkte verschlechtert haben. Zypern mit 71 % (2005: 74 %) nimmt den obersten Platz in der Reihung der falschen Antworten ein. Am anderen Ende der Skala stehen Finnland, Schweden und Belgien mit 7 - 10 % Personen, die grippale Infekte vermutlich mit Antibiotika zu behandeln versuchen. In Österreich ist der Anteil derer, die bei viralen Erkrankungen Antibiotika geben von 40 % im Jahr 2005 auf nun 26 % gesunken; es steht auf Stelle 13 der Reihung.

Laser arbeiten indem sie Schalwellen fokussieren. Dass diese Aussage falsch ist wird im EU27-Schnitt von nur 42 % der Befragten erkannt, rund ein Viertel (26 %) halten sie für richtig und etwa ein Drittel (32 %) gibt zu darüber nichts zu wissen. Die Liste der falschen Antworten führen Polen (43 %), Österreich (42 %) und Italien (40 %) an, die wenigsten falschen Antworten stammen aus Irland, Belgien und Portugal (8 - 10 %). Bei den Beitrittskandidaten liegen die richtigen Antworten zwischen 20 und 38 %.

Der Klimawandel wird größtenteils durch natürliche Kreisläufe und nicht durch menschliche Aktivitäten verursacht. Dieser Meinung ist im EU27-Schnitt rund ein Viertel (26 %) der Befragten, zwei Drittel (67 %) sehen den Menschen als Verursacher. Problematisch für einen EU-weiten effizienten Kampf gegen den Klimawandel erscheint der relativ hohe Anteil an Klima(wandel)leugnern in den ehemaligen Ostblockstaaten, vor allem in Ungarn (48 %), Rumänien (47 %) und der Slowakei (43 %). In den Staaten am anderen Ende der Skala - Belgien, Holland und Portugal - gibt es immerhin auch noch noch 13 -14 % Klima(wandel)leugner. Österreich nimmt mit 30 % den 9.Platz unter den Klimaleugnern ein. Mit Ausnahme Albaniens (56 %) rangieren die Beitrittskandidaten zwischen 31 und 39 % Klima(wandel)leugnern, gleichauf mit dem Großteil ihrer EU-Nachbarstaaten.

Glaube an Verschwörungstheorien

Der Test umfasste hier zwei falsche Thesen mit medizinisch-biologischem Background. Wie auch bei den Antworten zu den wissenschaftlichen Fragen besteht in beiden Fällen ein sehr starker Süd/Ost - Nord/West Gradient.

Es gibt Mittel Krebs zu heilen, von denen die Öffentlichkeit aus kommerziellen Gründen nichts erfährt. Daran glaubt im Schnitt rund ein Viertel (26 %) in den EU27-Ländern, 56 % sind gegenteiliger Meinung und 18 % enthalten sich der Einschätzung. Besonders viele Verschwörungstheoretiker sind in Zypern (58 %), Griechenland (52 %) und Ungarn (48 %) anzutreffen, gefolgt von den Oststaaten. Auch in den Beitrittskandidaten-Ländern finden sehr viele Bürger diese These richtig (44 - 68 %). Die wenigsten der daran glaubenden Menschen gibt es in Finnland, Dänemark und Schweden (4 - 7 %). Österreich liegt mit 21 % auf Platz 16 der Skala der Verschwörungstheoretiker.

Viren sind in staatlichen Labors produziert worden, um unsere Freiheit einzuschränken. Hier ergibt sich ein ganz ähnliche Bild wie zur ersten These. 28 % im EU27-Schnitt halten dies für richtig, 55 % für falsch und 17 % geben dazu keine Meinung ab. Wiederum sind die meisten daran Glaubenden in Süd/Ost anzutreffen, mit Rumänien, Zypern und Bulgarien in den obersten EU-Rängen (52 - 53 %) - und ebenfalls sehr hohen Zahlen in den EU-Beitrittskandidaten-Ländern (51 - 71 %). Schweden, Holland und Dänemark liegen mit 6 - 7 % am unteren Ende der Skala. In Österreich sind 21 % der falschen Meinung - dies ergibt wiederum Platz 16 der Skala der Verschwörungstheoretiker.  

Wie gut sind in Summe die naturwissenschaftlichen Kennnisse der Europäer und wie korrelieren sie mit dem bekundeten Interesse?

Abbildung 6: Kenntnisse der europäischen Bürger in den Naturwissenschaften getestet anhand von 11 Fragen (oben) und geäußertes Interesse an naturwissenschaftlichen Entdeckungen und Entwicklungen (unten; diese Grafik wurde auch in [6] gezeigt). Die Grafiken sind aus dem Special Eurobarometer 516-Reports [5] entnommen.

 

Die Bewertung der 11 Antworten erfolgte nach dem Schlüssel mehr als 8 richtige, 5 - 8 richtige und weniger als 5 richtige Antworten - in Schulnoten ausgedrückt wäre das in etwa: gut bis sehr gut, befriedigend bis genügend und nicht genügend. Abbildung 6.

Im EU27-Schnitt erzielten 24 % der Befragten mehr als 8 richtige Antworten, 56 % zwischen 5 und 8 richtige und 20 % weniger als 5 richtige Antworten - in Summe ergibt das ein zwischen befriedigend und genügend liegendes Resultat.

Zwischen den einzelnen Ländern herrschen sehr große Wissensunterschiede. Die besten Resultate erzielten nordwestliche Staaten wie Luxemburg, Belgien, Schweden, Irland. Finnland und Dänemark mit 39 - 46 % mehr als 8 richtigen Antworten und nur 7 - 10 % weniger als 5 richtigen Antworten. Die schlechtesten Ergebnisse liefern  EU-Länder des ehemaligen Ostblocks, dazu Zypern und Griechenland; noch schlechter sieht es in Albanien und im Kosovo aus. Diese Staaten haben zweifellos ein Manko zu verstehen, was in der Welt um sie herum vorgeht, um auf diverseste Engpässe und Bedrohungen in adäquater Weise zu reagieren.

Österreich erreicht mit Platz 11 ein befriedigendes Ergebnis. Problematisch erscheint der relativ hohe Anteil (17 %) der Personen, die weniger als 5 Fragen richtig beantworten konnten.

Wie korrelieren nun Interesse und Wissen?

Im Allgemeinen gehören die Länder, die im Test am besten abschnitten auch zu denen, die hohes Interesse an Naturwissenschaften bekundeten. Abbildung 6. Im Umkehrschluss bedeutet die Aussage sehr interessiert zu sein aber nicht auch entsprechendes Wissen zu haben (oder anzustreben). Dies zeigen die Beispiele Portugal, das nur mittelmäßig abschnitt, Zypern, das zu den Ländern mit geringstem Wissen zählt und der Kosovo, wo das vorgebliche Interesse sich keineswegs in Kenntnissen wiederspiegelte. (Eine derartige Diskrepanz war auch im Fall der Türkei zu sehen, die in diesem Artikel aber fehlt.) Es erscheint durchaus möglich, dass das Interesse den Interviewern also nur vorgespiegelt wurde.

Fazit

Durch Europa zieht sich ein Graben. Zwar hat eine überwiegende Mehrheit in allen Staaten (sehr großes oder mäßiges) Interesse an Wissenschaft und Technologie bekundet [6], doch besteht ein enormer Unterschied darin, wie der Norden und Westen Europas und die Länder im Süden und Osten diese Gebiete tatsächlich einschätzen und in Folge agieren. Abgesehen vom persönlichen Interesse, das sich auch in guten Kenntnissen manifestiert, sehen die Länder im Norden und Westen auch das Potential von Wissenschaft und Technologie zur Schaffung neuer Anwendungsgebiete und damit von Arbeitsplätzen. Wissenschaft und Technologie gehören für diese Länder zum täglichen Leben, sie schneiden in Wissenstests gut ab und es ist ihnen wichtig die Jugend für diese Gebiete zu interessieren.

Das Gegenteil ist der Fall in den Ländern im Süden und im Osten Europas. Dort sind für viele Wissenschaft und Technologie viel zu kompliziert - sie verstehen nichts davon, ihre Kenntnisse sind dürftig, im Alltagsleben kommen sie auch ohne diese zurecht und sie schließen daraus, dass dies auch für ihre Jungen genügen wird. Noch krasser sieht es in den EU-Beitrittskandidaten am Balkan aus.

Trotz eines sehr hohen Lebensstandards und hohen Ausgaben für Erziehung und Bildung reihen sich die Ergebnisse aus Österreich im Wesentlichen in die der ehemaligen Oststaaten ein. Es ist eine Grundhaltung die unser großer Kabarettist Helmut Qualtinger vielleicht so subsummiert hätte: "Wos, Travnicek, geben Ihnen Wissenschaft und Technologie?" Antwort: "Wos brauch i des; de san ma Wurscht!" Eine überaus blamable Situation!

 


*Unter Wissenschaft sind hier – dem englischen Begriff „science“ entsprechend – ausnahmslos die Naturwissenschaften gemeint.


 [1] J.Seethaler, H.Denk, 17.10.2013: Wissenschaftskommunikation in Österreich und die Rolle der Medien — Teil 1: Eine Bestandsaufnahme [2]

J.Seethaler, H. Denk Wissenschaftskommunikation in Österreich und die Rolle der Medien. — Teil 2: Was sollte verändert werden?

[3] I. Schuster, 28.02.2014: Was hält Österreich von Wissenschaft und Technologie? — Ergebnisse der neuen EU-Umfrage (Spezial Eurobarometer 401)

[4] I. Schuster, 02.01.2015: Eurobarometer: Österreich gegenüber Wissenschaft*, Forschung und Innovation ignorant und misstrauisch

[5] [Special Eurobarometer 516: European citizens’ knowledge and attitudes towards science and technology. 23. September 2021. ebs_516_science_and_technology_report - EN

[6] I. Schuster, 3.10.2021: Special Eurobarometer 516: Interesse der europäischen Bürger an Wissenschaft & Technologie und ihre Informiertheit

inge Sat, 30.10.2021 - 18:36