Was Sie schon immer über Klimamodelle wissen wollten – eine Einführung

Was Sie schon immer über Klimamodelle wissen wollten – eine Einführung

Do, 19.04.2018 - 17:34 — Carbon Brief Carbon BriefIcon GeowissenschaftenComputermodelle sind das Herzstück der Klimaforschung. Solche Modelle sind für ein Verstehen des Erdklimas unentbehrlich: ob sie nun Forschern helfen Eiszeitzyklen aufzuklären, die hunderttausende Jahre zurückliegen oder Prognosen für dieses oder auch das nächste Jahrhundert zu erstellen. Die britische Plattform Carbon Brief informiert in leicht verständlicher Form über die neuesten Entwicklungen in Klimaforschung, Klimapolitik und Energiepolitik und hat im Gespräch mit Klimaexperten eine Artikelserie veröffentlicht, die wesentliche Fragen zu Klimamodellen beantwortet. Der erste Teil dieser Serie dreht sich um die Frage: Was ist ein Klimamodell?*

Was ist ein Klimamodell?

Ein globales Klimamodell ist riesengroß. Üblicherweise ist das Programm in kodierter Form ausreichend, um 18 000 Druckseiten zu füllen; Hunderte Wissenschafter haben viele Jahre lang gearbeitet, um ein solche Programm zu erstellen und zu verbessern und ein Riesenrechner von der Größe eines Tennisplatzes kann benötigt werden, um es laufen zu lassen.

Klimamodelle selbst kommen in unterschiedlicher Form daher - von solchen, die eben nur eine bestimmte Region der Erde oder einen bestimmten Teil des Klimasystems erfassen bis hin zu solchen, die Atmosphäre, Ozeane, Eismassen und Landflächen für den ganzen Planeten simulieren.

Die Ergebnisse aus solchen Modellen bringen die Klimaforschung weiter und helfen den Wissenschaftern zu verstehen, wie menschliche Aktivitäten das Klima der Erde beeinflussen. Derartige Fortschritte waren in den letzten fünf Jahrzehnten eine Grundlage für die klimapolitischen Entscheidungen auf nationaler und internationaler Ebene.

In vielerlei Hinsicht ist Klimamodellierung nur eine Erweiterung der Wettervorhersage, allerdings konzentriert man sich auf Änderungen, die über Dekaden anstatt über Stunden verlaufen. Tatsächlich verwendet das britische Met Office Hadley Centre dasselbe "Unified Model" als Grundlage für beide Aufgabenbereiche.

Die enorme Rechenleistung, die für das Simulieren von Wetter und Klima benötigt wird, bedeutet dass moderne Modelle auf massiven Supercomputern laufen. Beispielsweise können die drei neuen Cray XC40 Supercomputer (siehe weiterführende Links) am Met Office Hadley Centre zusammen 14 000 Biillionen Rechenoperationen pro Sekunde ausführen.

Was genau findet nun Eingang in ein Klimamodell?

Grundsätzlich verwenden Klimamodelle Gleichungen, um die Vorgänge und Wechselwirkungen darzustellen, die das Klima der Erde antreiben. Diese Gleichungen umfassen die Vorgänge in der Atmosphäre, in Ozeanen, auf Landflächen und eisbedeckten Regionen der Erde.

Die Modelle basieren auf denselben Gesetzen und Gleichungen, die Grundlage für das Verstehen der physikalischen, chemischen und biologischen Mechanismen im System Erde sind. So verlangen die Wissenschafter von den Klimamodellen, dass sie fundamentalen physikalischen Gesetzen gehorchen müssen, wie

  • dem Satz von der Erhaltung der Energie (dem Ersten Hauptsatz der Thermodynamik), der besagt, dass in einem geschlossenen System Energie nicht entstehen oder verloren gehen kann, sondern nur von einer Form in die andere umgewandelt wird,
  • dem Stefan-Boltzmann Gesetz, das die Wärmeabstrahlung eines schwarzen Körpers in Abhängigkeit von seiner Temperatur beschreibt und mit dem der natürliche Treibhauseffekt erklärbar ist, der die Erdoberfläche um 33oC wärmer macht als sie ansonsten wäre,
  • Gleichungen zur Dynamik im Klimasystem - zur Abhängigkeit von Lufttemperatur und Wasserdampfdruck (Clausius-Clapeyron Gleichung),
  • den wichtigsten dieser Gesetze, den Navier-Stokes-Gleichungen für die Strömung von Flüssigkeiten, die Geschwindigkeit (v), Druck (p), Temperatur und Dichte (ρ) von Gasen in der Atmosphäre und von Wasser in den Ozeanen erfassen (Abbildung 1).

Abbildung 1. Die Navier-Stokes Gleichungen für inkompressible Strömung in drei Dimensionen (x, y, z). (Auch wenn die Luft in unserer Atmosphäre technisch komprimierbar ist, bewegt sie sich relativ langsam und wird daher als inkompressibel behandelt, um die Gleichungen zu vereinfachen.). Hinweis: Dieser Satz von partiellen Differentialgleichungen ist einfacher als diejenigen, die ein Klimamodell verwenden wird, da diese ja Flüsse über eine rotierende Kugel berechnen müssen.

Dieser Satz von partiellen Differentialgleichungen ist jedoch so komplex, dass keine genaue Lösung für sie bekannt ist (außer in einigen wenigen einfachen Fällen). Es bleibt eine der großen mathematischen Herausforderungen (und es wartet ein Preis von einer Million Dollar auf den, der beweisen kann, dass es immer eine Lösung gibt). Stattdessen werden diese Gleichungen im Modell "numerisch" gelöst, was bedeutet, dass es Näherungen sind.

Jedes dieser physikalischen Prinzipien wird in mathematische Gleichungen übersetzt, die Zeile um Zeile des Computercodes füllen - um ein globales Klimamodell zu erstellen, können daraus auch mehr als 1 Million Zeilen entstehen. Globale Klimamodelle werden häufig in "Fortran" geschrieben, einer Programmiersprache, die in den 1950er Jahren von IBM entwickelt wurde und wie eine menschliche Sprache aufgebaut ist. Wie solche Zeilen aussehen, zeigt ein kleiner Ausschnitt aus dem Code des Met Office Hadley Centre Modells (Abbildung 2). Wird das Modell zum Laufen gebracht, so erfolgt automatisch eine Übersetzung in Maschinencode, den der Rechner versteht. Abbildung 2. Ausschnitt aus dem Code für ein globales Klimamodell (HadGEM2-ES) geschrieben in der Programmiersprache Fortran. Er stammt aus dem Abschnitt Pflanzenphysiologie, der sich mit der Absorption von Licht und Feuchtigkeit durch unterschiedliche Vegetationsarten befasst.. Credit: Dr Chris Jones, Met Office Hadley Centre.

Der Klimaforschung stehen nun auch viele andere Programmiersprachen (beispielsweise "C", "Python", "R", "Matlab" und "IDL") zur Verfügung, von denen einige aber langsamer laufen als Fortran. Um ein globales Modell schnell auf einem Rechner laufen zu lassen, werden heute üblicherweise Fortran und "C" verwendet.

Räumliche Auflösung

Die Gleichungen im Programmcode beschreiben die zugrundeliegende Physik des Klimasystems - von der Bildung und dem Abschmelzen des Meereises in den arktischen Gewässern bis hin zum Austausch von Gasen und Feuchtigkeit zwischen Landoberflächen und darüber liegender Luft.

Von der Mitte der 1970er Jahre an wurden laufend mehr und mehr klimarelevante Prozesse in die globalen Klimamodelle eingebaut. Abbildung 3 zeigt die zunehmende Komplexität der Modelle bis zum 4. Sachstandsbericht ("AR4") des Weltklimarats (IPCC) im Jahr 2007, wobei die neu dazu gekommenen physikalischen Beziehungen durch Bilder symbolisiert sind.

Abbildung 3. Wie die globalen Klimamodelle erweitert wurden. Von Mitte 1970 bis zu den ersten vier Sachstandsberichten (Assessment Reports) des Weltklimarats ( International Panel on Climate Change - IPCC): "FAR" (1990), "SAR" (1995), "TAR" (2000) und "AR4" (2007). (Der 2014 erschienene 5. Assessment Report "AR5" wird hier nicht berücksichtigt.). Quelle: https://www.ipcc.ch/publications_and_data/ar4/wg1/en/figure-1-2.html

Wie kann nun ein Modell alle diese Gleichungen berechnen?

Da das Klimasystem hochkomplex ist und die Computerleistung Grenzen hat, kann ein Modell nicht alle klimarelevanten Prozesse für jeden Kubikmeter des Klimasystems rechnen. Stattdessen legt man ein Netz über die Erdoberfläche und teilt diese in eine Reihe von Boxen oder "Gitterzellen" auf. Ein globales Klimamodell kann dabei Dutzende Schichten in die Atmosphäre hinauf und in die Tiefe der Ozeane hinab reichen. Wie man sich das dreidimensional vorstellen kann, ist in Abbildung 4 gezeigt.

Das Modell berechnet nun für jede Zelle den Zustand des Klimasystems unter Berücksichtigung von Temperatur, Luftdruck, Feuchtigkeit und Windgeschwindigkeit.

Abbildung 4. Klimarelevante Prozesse (links unten), die ein Modell für jede Zelle in dem 3D- Gitter berechnet. (Quelle: Geophysical Fluid Dynamics Laboratory, https://www.gfdl.noaa.gov/climate-modeling/)

Für Prozesse, die in Skalen stattfinden, die kleiner sind als die Gitterzelle (beispielsweise Konvektion), verwendet das Modell "Parametrisierungen" - Näherungen, die Prozesse vereinfachen und erlauben, dass sie in das Modell aufgenommen werden. (Parametrisierungen werden in einem späteren Kapitel behandelt werden.)

Die Größe der Zellen bestimmt die räumliche Auflösung. Ein relativ grobes Klimamodell hat Zellen, die sich in mittleren geographischen Breiten rund 100 km in Richtung Längen- und Breitengrade erstrecken. Da die Erde eine Kugel ist, sind die Zellen am Äquator größer als an den Polen. In zunehmendem Maße werden daher alternative Netze verwendet, die dieses Problem nicht haben (Ikosaeder- und "cubed-sphere"-Gittertechniken).

Ein hochauflösendes Modell hat dann mehr und kleinere Zellen. Je höher die Auflösung ist, desto spezifischere Klimainformationen wird dann ein Modell für eine bestimmte Region liefern - da dafür mehr Rechenoperationen erforderlich sind, geht dies aber auf Kosten einer längeren Rechendauer. Im Allgemeinen bedeutet die Erhöhung der räumlichen Auflösung um einen Faktor zwei, dass bei gleichbleibender Rechendauer eine zehnfache Rechnerleistung erforderlich ist.

Wie sich die räumliche Auflösung zwischen dem 1. Sachstandsbericht (FAR 1990) und dem 4. Sachstandsbericht (AR 4 2007) des IPCC verbessert hat, ist in Abbildung 5 dargestellt. Es wird deutlich sichtbar, wie dabei die Topgraphie der Landoberfläche entstanden ist. Abbildung 5. Räumliche Auflösung der Klimamodelle in den Sachstandsberichten des IPCC "FAR" (1990), "SAR" (1995), "TAR" (2000) und "AR4" (2007). (Quelle: IPCC AR4, Fig 1.2). Der 2014 erschienene 5. Assessment Report "AR5" wird hier nicht berücksichtigt.

Zeitliche Auflösung

Ein ähnlicher Kompromiss wie bei der räumlichen Auflösung muss auch bei der zeitlichen Auflösung - d.i. wie oft das Modell den Zustand des Klimas berechnet - gemacht werden. In der realen Welt verläuft die Zeit kontinuierlich, ein Modell muss die Zeit aber in Abschnitte zerstückeln, um die Berechnungen handhabbar zu machen.

"Jedes Klimamodell macht das in irgendeiner Form, der häufigste Ansatz ist so eine Art "Bocksprung" ("Leapfrogging")- Methode, erklärt Paul Williams, Professor für Atmosphärenforschung an der Universität Reading. "Wie ein Kind am Spielplatz einen Bocksprung über ein anderes Kind macht, um von hinten nach vorne zu kommen, so springt das Modell über die Gegenwart, um von der Vergangenheit in die Zukunft zu gelangen."

Das Modell nimmt also die Information, die es von dem vergangenen und dem gegenwärtigen Zeitabschnitt hat, um auf den nächsten Abschnitt zu extrapolieren und fährt dann in dieser Weise weiter fort.

So wie bei der Größe der Gitterzellen, bedeuten kürzere Zeitabschnitte , dass das Modell genauere Informationen zum Klima liefert. Es bedeutet aber auch mehr Rechenoperationen in jedem Schritt.

Um beispielsweise den Zustand des Klimasystems für jede Minute eines ganzen Jahrhunderts zu berechnen, würden mehr als 50 Millionen Rechenoperationen je Gitterzelle erforderlich sein, für jeden Tag dagegen nur 36 500 Operationen. Das ist eine ziemliche Bandbreite - wie also entscheiden Wissenschaftler, welchen Zeitschritt sie verwenden?

Man muss hier einen Kompromiss finden, meint Paul Williams:

"Von der Seite der Mathematik her wäre es der richtige Ansatz, den Zeitabschnitt so lange zu verringern, bis die Simulationen konvergieren und sich die Ergebnisse nicht mehr ändern. Für Modelle mit einem so kleinen Zeitintervall fehlen uns aber normalerweise die Rechenressourcen. Daher sind wir gezwungen, einen größeren Zeitschritt in Kauf zu nehmen, als wir es idealerweise wollten."

Für die Atmosphärenkomponente von Klimamodellen erscheint ein Zeitschritt von rund 30 Minuten "ein vernünftiger Kompromiss" zwischen Genauigkeit und Prozessorzeit zu sein, sagt Williams:

"Ist das Intervall kürzer, wäre die dann höhere Genauigkeit nicht hinreichend, um den zusätzlichen Rechenaufwand zu rechtfertigen. Bei jedem längeren Intervall würde das Modell dann zwar sehr schnell laufen, aber mit Einbußen in der Qualität der Simulation."

Zusammenfassung

Wissenschafter übersetzen die grundlegenden physikalischen Gleichungen des Erdklimas in ein Computermodell, das dann, beispielsweise, die Zirkulation der Ozeane, den Zyklus der Jahreszeiten und den Kohlenstoffkreislauf zwischen Landoberflächen und Atmosphäre simulieren kann. Gavin Schmidt, Direktor des NASA Goddard Institute for Space Studies, zeigt in seinem 2014 gehaltenen TED-Vortrag auf, wie effizient heutige Klimamodelle sind: sie simulieren alles, von der Verdunstung der Feuchtigkeit auf der Erdoberfläche zur Bildung der Wolken, wohin der Wind diese trägt und wo schließlich der Regen niedergeht (siehe weiterführende Links). Dabei ist ein in 30-Minuten-Intervallen laufendes Klimamodell in der Lage eine Darstellung des gesamten Klimasystems über viele Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte hinweg zu erzeugen.


*Der Artikel ist der homepage von Carbon Brief: "Q&A: How do climate models work?" entnommen und ist der Anfang einer, von mehreren Autoren stammenden Serie, die am 15. Jänner 2018 online gestellt wurde: https://www.carbonbrief.org/qa-how-do-climate-models-work . Der unter einer cc-by-nc-nd 4.0 Lizenz stehende Artikel wurde im Einverständnis mit Carbon Brief möglichst wortgetreu von der Redaktion aus dem Englischen übersetzt und von Carbon Brief freigegeben.

Carbon Brief ist eine britische Website, die die neuesten Entwicklungen in den Bereichen Klimawissenschaft, Klimapolitik und Energiepolitik abdeckt. Die Seite bemüht sich um klare Daten-basierte Artikel und Illustrationen, um mitzuhelfen das Verstehen des Klimawandels von der Seite der Wissenschaft und auch der Politik zu verbessern . Im Jahr 2017 wurde Carbon Brief bei den renommierten Online Media Awards als"Best Specialist Site for Journalism" ausgezeichnet.

 


Weiterführende Links

Informationen zu Carbon Brief: https://www.carbonbrief.org/about-us

Installation of the final phase of the Met Office Supercomputer (2017). Video 1:51 min. Zeitrafferaufnahmen. Standard-YouTube-Lizenz. https://www.youtube.com/watch?time_continue=18&v=q4uKS_wcfow

Gavin Schmidt, The emergent patterns of climate change.(2014). Video 12:10 min (deutsche Untertitel) TED Talk; Standard-YouTube-Lizenz. https://www.youtube.com/watch?time_continue=66&v=JrJJxn-gCdo

Met Office Hadley Centre: https://www.metoffice.gov.uk/climate-guide/science/science-behind-climate-change/hadley

Geophysical Fluid Dynamics Laboratory: https://www.gfdl.noaa.gov/climate-modeling/

Peter Lemke: Dossier: Die Wetter- und Klimamaschine: http://www.klimafakten.de/klimawissenschaft/dossier-die-wetter-und-klima...

Eis, Meer und Klima - Mit Polar- und Meeresforschung unsere Erde verstehen. Video 7:24 min (2016). https://www.youtube.com/watch?v=tqLlmmkLa-s, Was müssen wir tun, um das Klimasystem der Erde zu verstehen? Der Film zeigt, wie das Alfred-Wegener-Institut mit Polar- und Meeresforschung das System Erde kontinuierlich entschlüsselt. Standard-YouTube-Lizenz.


Artikel im ScienceBlog

Peter Lemke, 30.10.2015: Wie Natur und Mensch das Klima beeinflussen und wie sich das auf die Energiebilanz der Erde auswirkt

Peter Lemke: 06.11.2015: Klimaschwankungen, Klimawandel – wie geht es weiter?


 

inge Thu, 19.04.2018 - 13:07