Vor der Weltklimakonferenz COP28: durch Landnutzung entstehende Treibhausgas-Emissionen werden von Ländern und IPCC unterschiedlich definiert

Vor der Weltklimakonferenz COP28: durch Landnutzung entstehende Treibhausgas-Emissionen werden von Ländern und IPCC unterschiedlich definiert

Fr, 24.11.2023 — IIASA

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Der Sektor Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft spielt eine wesentliche Rolle bei der Erreichung der globalen Klimaziele - allerdings klafft eine beträchtliche Lücke darin, wie in diesem Sektor die Emissionen durch globale wissenschaftsbasierte Modellierungen abgeschätzt werden und in welcher Weise die Staaten diese berichten. In einer neuen Studie zeigt ein u.a. am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA, Laxenburg bei Wien) arbeitendes Forscherteam auf, wie sich die Benchmarks für die Minderung der Emissionen ändern, wenn die Szenarien des Weltklimarats (IPCC) aus der Perspektive der nationalen Bestandsanalysen bewertet werden; demnach sollten die Netto-Null-Ziele bis zu fünf Jahre früher erreicht werden, und die kumulativen Emissionen bis zum Netto-Null-Ziel um 15 bis 18 % weniger betragen.*

Eine effektive Landnutzung, sei es für Landwirtschaft, Wälder oder Siedlungen, spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung des Klimawandels und bei der Erreichung künftiger Klimaziele. Strategien zur Abschwächung des Klimawandels im Bereich der Landnutzung sehen den Stopp der Entwaldung und eine bessere Waldbewirtschaftung vor. Den Staaten ist die Bedeutung des Sektors Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (Land use, land use change and forestry: LULUCF) bewusst. 118 von 143 Staaten haben die Reduzierung der durch Landnutzung entstehenden Emissionen und deren Entfernung aus der Atmosphäre in ihre national festgelegten Verpflichtungen (Nationally Determined Contributions - NDCs) aufgenommen; diese NDCs sind das Herzstück des Pariser Abkommens zur Erreichung der langfristigen Klimaziele.

Unterschiedliche Schätzungen der Land-basierten Emissionen

Wie eine neue, im Fachjournal Nature veröffentlichte Studie zeigt, differieren die Schätzungen der von Landnutzung ausgehenden aktuellen Emissionen, wie sie auf Grund wissenschaftsbasierter Untersuchungen (Modellen der IPCC-Sachstandsberichte) erhoben werden und wie sie Staaten in nationalen Treibhausgasbilanzen (Treibhausgasinventaren) berichten [1]. Der Grund liegt darin, dass unterschiedlich definiert wird, was als "bewirtschaftetes" Land und was als vom Menschen durch Landnutzung verursachte (anthropogene) und aus der Atmosphäre entfernte Emissionen angesehen wird; die Studie zeigt auch, wie sich die globalen Benchmarks der Emissionsminderung ändern, wenn mit den wissenschaftlichen Klimamodellen die LULUCF-Flüsse aus der Perspektive der nationalen Treibhausgasbilanzen abgeschätzt werden. Um Fortschritte im Pariser Klimaabkommen zu bewerten, ist es nach Ansicht des Forscherteams notwendig Gleiches mit Gleichem zu vergleichen - dabei müssen die Staaten ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen ergreifen, wenn sie ihre nationalen Ausgangspunkte mit globalen Modellen vergleichen.

"Die Staaten schätzen ihre LULUCF-Flüsse (Emissionen und Entnahme aus der Atmosphäre) auf unterschiedliche Weise. Direkte Flüsse sind das Ergebnis direkter menschlicher Eingriffe, wie beispielsweise in der Landwirtschaft oder der Holzernte. Die Modelle in den Bewertungsberichten des Weltklimarates (IPCC) verwenden diesen Bilanzierungsansatz, um das verbleibende Kohlenstoffbudget und den Zeitplan für das Erreichen von Netto-Null-Emissionen zu bestimmen. Indirekte Flüsse sind die Reaktion des Bodens auf indirekte, vom Menschen verursachte Umweltveränderungen, wie z. B. die Zunahme des atmosphärischen CO2 oder die Stickstoffablagerung, die beide die Kohlenstoffentnahme aus der Atmosphäre erhöhen", erklärt Giacomo Grassi, ein Mitautor der Studie und Forscher am Joint Research Centre der Europäischen Kommission.

Grassi weist darauf hin, dass es praktisch nicht möglich ist, direkte und indirekte Flüsse durch Beobachtungen wie nationalen Waldinventaren oder Fernerkundungen voneinander zu separieren. Daher folgen die nationalen Methoden zur Treibhausgasinventarisierung Normen, die anthropogene Flüsse anhand eines landbasierten Ansatzes definieren, wobei alle auf bewirtschafteten Flächen auftretenden Flüsse als anthropogen gelten. Im Gegensatz dazu werden die Treibhausgasflüsse auf unbewirtschafteten Flächen nicht in die Berichterstattung einbezogen. Abbildung.

Eine Lücke von 4 - 7 Gigatonnen CO2

Weltweit ergibt sich zwischen den Berechnungsmodellen und den Treibhausgasbilanzen der Länder ein Unterschied von etwa 4 - 7 Gigatonnen CO2 oder rund 10 % der heutigen Treibhausgasemissionen, allerdings variiert dieser Unterschied von Land zu Land.

Abbildung. Flüsse aus Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF): Anpassung von konventionellen wissenschaftlichen Modellen und nationalen Treibhausgasbilanzen. Abweichungen ergeben sich aus den Unterschieden, welche Flächen als bewirtschaftet gelten und ob Flüsse im Zusammenhang mit Umwelt- und Klimaveränderungen einbezogen werden.NGHGI: nationales Treibhausgasinventar [2].(Bild modifiziert aus Gidden et al., [1], Lizenz cc-by)

Die Forscher haben die wichtigsten Klimaschutz-Benchmarks anhand des Bestandsaufnahme-basierten LULUCF-Ansatzes bewertet. Sie sind zu dem Ergebnis gelangt, dass  zur Erreichung des langfristigen Temperaturziels des Pariser Abkommens von 1,5 °C die Netto-Null-Emissionen ein bis fünf Jahre früher als bisher angenommen erreicht werden müssen, die Emissionssenkungen bis 2030 um 3,5 bis 6 % stärker ausfallen und die kumulativen CO2-Emissionen um 55 bis 95 Gt CO2 geringer sein müssen. Das Forscherteam betont, dass die Ergebnisse nicht im Widerspruch zu den vom IPCC festgelegten Benchmarks stehen, sondern die gleichen Arten von Benchmarks mit einem Bestandsaufnahme-basierten Ansatz bewertet werden.

"Um die globale Temperaturreaktion auf anthropogene Emissionen zu berechnen, verwenden die IPCC-Sachstandsberichte direkte, landbasierte Emissionen als Input und beziehen die indirekten Emissionen aufgrund von Klima- und Umweltreaktionen in ihre physikalische Klimaemulation ein. In unserer Analyse machen wir deutlich, dass wir diese beiden Arten von Emissionen getrennt betrachten. Das Klimaergebnis jedes der von uns bewerteten Szenarien bleibt dasselbe, aber die Benchmarks - betrachtet durch die Linse der nationalen Konventionen zur Bilanzierung von Treibhausgasinventaren - verschieben sich. Ohne Anpassungen könnten die Länder in einer günstigeren Lage erscheinen, als sie tatsächlich sind", erklärt Thomas Gasser, Mitautor der Studie und leitender Forscher in den beiden IIASA-Programmen Advancing Systems Analysis und Energy, Climate, and Environment.

"Unsere Ergebnisse zeigen die Gefahr auf, Äpfel mit Birnen zu vergleichen: Um das Pariser Abkommen zu erreichen, ist es entscheidend, dass die Länder das korrekte Ziel anstreben. Wenn Länder bei nationaler Bilanzierung modellbasierte Benchmarks anstreben, werden sie das Ziel verfehlen", sagt Matthew Gidden, Studienautor und leitender Forscher im IIASA-Programm Energy, Climate, and Environment.

Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz COP28

(die vom 30. November - 12 Dezember 2023 in Dubai stattfindet) und der ersten globalen Bestandsaufnahme - ein Prozess, der es den Ländern und anderen Interessengruppen ermöglicht zu sehen, wo sie gemeinsam Fortschritte bei der Erfüllung der Ziele des Pariser Abkommens machen und wo nicht - drängen die Forscher auf detailliertere nationale Klimaziele. Sie empfehlen separate Ziele für den Klimaschutz an Land, getrennt von Maßnahmen in anderen Sektoren.

"Länder können Klarheit über ihre Klimaziele schaffen, indem sie ihre geplante Nutzung des LULUCF-Sektors getrennt von Emissionsreduktionen in anderen Sektoren kommunizieren. Während Modellierer und Praktiker zusammenkommen können, um die Vergleichbarkeit zwischen den globalen Pfaden und den nationalen Bilanzierungen zu verbessern, ist es wichtig die Botschaft, dass in diesem Jahrzehnt erhebliche Minderungsanstrengungen erforderlich sind, nicht in den Details der technischen Berichterstattung untergehen zu lassen", schließt Gidden.


[1] Gidden, M., Gasser, T., Grassi, G., Forsell, N., Janssens, I., Lamb, W., Minx, J., Nicholls Z., Steinhauser, J., Riahi, K. (2023). Aligning climate scenarios to emissions inventories shifts global benchmarks. Nature DOI: 10.1038/s41586-023-06724-y

[2] FAO elearning academy: The national greenhouse gas inventory (NGHGI) for land use. https://elearning.fao.org/course/view.php?id=650


 *Die Presseaussendung "Mind the gap: caution needed when assessing land emissions in the COP28 Global Stocktake" https://iiasa.ac.at/news/nov-2023/mind-gap-caution-needed-when-assessing-land-emissions-in-cop28-global-stocktake ist am 22. November 2023 auf der IIASA Website erschienen. Der Artikel wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu übersetzt und mit Untertiteln ergänzt. IIASA hat freundlicherweise der Veröffentlichung der von uns übersetzten Inhalte seiner Website und Presseaussendungen in unserem Blog zugestimmt.


 

inge Sat, 25.11.2023 - 00:37