Seetang - eine noch wenig genutzte Ressource mit hohem Verwertungspotential - soll in Europa verstärkt produziert werden

Seetang - eine noch wenig genutzte Ressource mit hohem Verwertungspotential - soll in Europa verstärkt produziert werden

Do. 17.08.2023 — Redaktion

Redaktion Icon Meere Als wertvolle und noch wenig genutzte Ressource aus den Ozeanen und Meeren bieten Algen ein weites Spektrum an gesundheitlichen und ökologischen Vorteilen. Auf Grund ihres hohen Verwertungspotenzials wachsen Nachfrage und Markt für Seetang, "Meersalat" und andere Algen. Um deren Produktion in Europa zu steigern, hat die Europäische Kommission 2022 einen Aktionsplan herausgegeben, in dem intensivierte Forschung zur Optimierung der Algenarten und Züchtungstechnologien eine zentrale Rolle spielen. Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick über die Forschung, die von der EU finanziert wird.*

Wenn auch die Vorstellung noch nicht verlockend ist, dass man fermentierten Seetang den Mahlzeiten daheim zufügt, so wird sich das bald ändern, glaubt Ólavur Gregersen. Seit zehn Jahren experimentieren Gregersen und seine Familie auf den Färöer-Inseln mit allen Arten einer durch Algen inspirierten Küche. Die Ergebnisse reichen von Algenbutter bis zu seinem neuen Lieblingsgericht: Algenpesto.

Tägliche Dosis

"Wir achten wir darauf, dass wir täglich einen Esslöffel Algen zu einer unserer Mahlzeiten essen", so Gregersen. Ob zum Frühstück über das Joghurt gestreut, über den Salat zum Mittagessen oder über Fleisch und Fisch am Abend - er ist überzeugt, dass Algen nicht nur gut schmecken, sondern auch von großem Nutzen sowohl für die Gesundheit als auch die Umwelt sind.

Was die menschliche Gesundheit betrifft, so ist Seetang vollgepackt mit essenziellen Nährstoffen wie Eiweiß und Omega-3-Fettsäuren. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat 2019 auf Seetang als ein "Superfood" hingewiesen und dessen hohen Nährwert angeführt.

Abbildung 1. Wegen des Nutzens für Gesundheit und Umwelt will Europa die Produktion von Meeresalgen ausweiten. Bildnachweis: Bjoertvedt, CC BY-SA 4.0

Auch aus ökologischer Sicht bieten die Algen viele Vorteile: Sie "saugen" CO2 auf und benötigen weder Zusatzstoffe noch Dünger oder Frischwasser. Einem Bericht der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2023 zufolge hat die Algenzucht das Potenzial, "viele" Vorteile für die Umwelt zu bieten, darunter auch für den Kampf gegen den Klimawandel. In Kenntnis des gesamten Potentials hat die Europäische Kommission 2022 einen Aktionsplan zur Steigerung der Produktion von Meeralgen in Europa herausgegeben [1]. Die Intensivierung der Forschung ist ein zentraler Bestandteil der Strategie, ebenso wie eine verbesserte Gesetzgebung, eine gezielte Unternehmensförderung und eine stärkere öffentliche Wahrnehmung. Abbildung 1.

Meeralgen können im offenen Meer oder in Tanks an Land gezüchtet werden. Die EU gehört derzeit zu den weltweit größten Importeuren von Meeresalgen, die aus China, Südkorea und Chile zur Nutzung als Lebensmittel und für industrielle Zwecke (beispielsweise Düngemittel) geliefert werden.

Im Jahr 2021 belief sich der Weltmarkt für Meeralgen auf fast 14 Milliarden Euro und er soll nach Angaben der niederländischen Regierung bis 2028 voraussichtlich auf mehr als 22 Milliarden Euro anwachsen.

Da die Nachfrage in Europa von 270 000 Tonnen im Jahr 2019 laut EU auf 8 Mio. Tonnen bis 2030 steigen dürfte, könnte der europäische Markt für Meeralgen im Jahr 2030 einen Wert von 9 Mrd. EUR erreichen. Durch die steigende Produktion in Europa könnten rund 85 000 Arbeitsplätze geschaffen werden.

Lebensmittel, Futtermittel und mehr

Gregersen ist Unternehmer und Mitbegründer des Unternehmens Ocean Rainforest, das seit 2010 auf den Färöer Inseln Pionierarbeit bei der Züchtung von Meeresalgen vor der Küste leistet. Er koordiniert auch ein europäisches, mit EU-Mitteln gefördertes Forschungsprojekt, um neue Produkte auf Algenbasis zu entwickeln. Die vierjährige Initiative mit dem Namen SeaMark läuft bis Juni 2026 [2].

Gregersen sieht in Europa ein großes ungenutztes Potenzial für Seetang, der in der asiatischen Küche jaseit Jahrhunderten ein Grundnahrungsmittel ist. Er möchte beweisen, dass in Europa die Züchtung von Meeralgen gewinnbringend sein kann und für diese vielfältige Verwendungsmöglichkeiten bestehen. Im Rahmen des Projekts werden 12 Produkte entwickelt, die von Lebensmittelzutaten und Futtermittelzusatzstoffen bis hin zu Nahrungsergänzungsmitteln und Verpackungsmaterial reichen [2]. Konkrete Beispiele sind Algenfasern, die auf Grund ihrer wasserbindenden und gelbildenden Eigenschaften in Lebensmitteln Anwendung finden, Beta-Glucane für die Hautpflege und Verbindungen für pelletierte Bio-Verpackungsmaterialien.

"Mit Seamark wollen wir zeigen, dass es möglich ist, den Prozess der Algenzüchtung effizienter zu gestalten und dass es in Europa einen großen Markt für diese Produkte gibt", so Gregersen.

Ein Teil des Projekts befasst sich mit der Weiterentwicklung der milchsauren Vergärung (Laktofermentation) von Meeresalgen, damit diese in Tierfutter verwendet werden können. Erste Ergebnisse an mit Algen gefütterten Schweinen haben gezeigt, dass diese infolge verbesserter Mikroflora im Darm mehr Milch produzierten und weniger Futter benötigten. Dies wird nun mit 500 Mutterschweinen in einem Betrieb in Dänemark untersucht.

Wachstumspotenzial

Was die Züchtung betrifft, so ist die für SeaMark besonders interessante Algenart eine Braunalge, die als Zuckertang bekannt ist, wie Lasagne-Nudeln aussieht und einen süßen Geschmack hat. Sie ist auch unter dem Namen Saccharina latissima bekannt und wächst in der Natur an den Küsten Nordeuropas und im Süden bis nach Galicien in Spanien. Zuckertang lässt sich schnell züchten und ist daher ideal für die Produktion, solange die Kosten niedrig gehalten werden können. Abbildung 2.

Abbildung 2. Der Forscher Mike Murphy hält eine Saccharina latissima (Zuckertang) hoch. Bild: Wikipedia, gemeinfrei

Eine eng verwandte Art ist in der japanischen Küche bekannt und wird in Japan als "Kombu" geerntet und verkauft.

Auf den Färöer Inseln, wo Temperatur, Nährstoffe und Licht optimal für das Wachstum von Algen sind, hat das SeaMark-Team neue Geräte getestet, die im Meer die Anzucht der Algen beschleunigen - das Äquivalent zur Aussaat von Samenreihen auf einem Acker. Unabhängig davon werden im Rahmen des Projekts Maschinen getestet, die die Ernte beschleunigen, sobald die Biomasse bereit steht. Die Geräte können laut Gregersen zeitaufwändige Handarbeit ersetzen, die Produktionskosten senken und den Weg für eine höhere Produktion ebnen.

Ocean Rainforest weitet seine Aktivitäten mit Versuchen zum Offshore-Anbau in Norwegen und zum Anbau von Meeresalgen an Land in Island aus.

Seetang-Stämme

An der Westküste Irlands stützt sich SeaMark auf das Fachwissen des Algenspezialisten Dr. Ronan Sulpice von der Universität von Galway. Sulpice hilft bei der Identifizierung der besten Algenstämme für die Züchtung von Zuckertang und der als Meersalat bekannten Ulva, die neben ihrem Nährwert auch Stoffe enthält, die zur Herstellung von Arzneimitteln extrahiert werden können. Ziel ist es, hohe Erträge und optimale Qualität - insbesondere hinsichtlich des Proteingehalts - zu gewährleisten.

Sulpice leitet auch ein separates, von der EU finanziertes Forschungsprojekt, um Algenstämmen zu identifizieren, die sich ideal für die Aquakultur eignen. Das Projekt mit der Bezeichnung ASPIRE dauert bei einer Laufzeit von zwei Jahren bis September 2024 [3].

Um Saatgut für die Zucht zu finden, fahren Algenzüchter in der Regel ins Meer hinaus oder die Küste entlang, um Wildstämme zu sammeln. Diese Praxis bedeutet jedoch, dass die gezüchteten Algen von Jahr zu Jahr stark variieren können. Angesichts des zunehmenden Interesses an diesen Pflanzen möchte Sulpice den Farmern helfen, die Auswahl der Sorten zu verbessern und die Produktion zu steigern.

"Die Art und Weise, wie wir derzeit in Europa Saatgut für Meeresalgen züchten, ähnelt der Art und Weise, wie wir vor 10 000 Jahren Landpflanzen angebaut haben - dies ist noch sehr urtümlich, aber die Entwicklung schreitet fort", sagte er. ASPIRE bietet die Möglichkeit, Algensorten zu züchten, die nach den Wünschen der Erzeuger und Verbraucher ausgewählt wurden.

Portugal, Irland untersuchen

Sulpice hat bereits portugiesischen Züchtern, die Ulva anbauen, geholfen, indem er verschiedene Stämme, die an sein Labor in Irland geschickt wurden, untersucht hat. Die Ergebnisse haben erhebliche Unterschiede in den Wachstumsraten zwischen den besten und den schlechtesten Stämmen gezeigt; einige lieferten fünfmal mehr Biomasse. Dank dieser Erkenntnisse konnte ein Betrieb in Portugal seine Produktivität verdoppeln, so Sulpice.

Das Hauptaugenmerk von ASPIRE liegt jedoch auf einer rötlich-braunen Meeresalge namens Palmaria palmata. Sie hat einen hohen Proteingehalt, wächst im Atlantik von Schweden bis Portugal und schmeckt gebraten wie Speck. Die Nachfrage nach Palmaria palmata, auch bekannt als Lappentang, Dulse oder Dillisk, ist groß und die Ernte kann bis zu 250 € pro Kilogramm einbringen. Im Vergleich dazu kostete importierter Seetang in Teilen Europas etwa 6 € pro Kilogramm im Jahr 2020.

Sulpice ist überzeugt, dass ASPIRE den Algenunternehmen in Europa, einschließlich der irischen Unternehmen, helfen kann, dieses Potenzial zu nutzen. Ein solches Unternehmen ist Mungo Murphy's Seaweed, eine Meeresalgenfarm im Bezirk Connemara im Westen Irlands. Seit 2014 züchtet Mungo Murphy's Algen wie Ulva und Palmaria palmata zusammen mit Abalonen (Meeresschnecken) und Seegurken in Becken an Land an. Laut Cindy O'Brien, die das Unternehmen gegründet und die Farm aufgebaut hat, ist dies eine Form von Aquakultur, die in Irland zunehmend an Bedeutung gewinnt. Sie betreibt diese jetzt zusammen mit ihrer Tochter Sinead. Abbildung 3.

Abbildung 3. Sinead O'Brien mit einer Handvoll Seetang. © Mungo Murphy’s Seaweed Co

Attraktivität für den Verbraucher

Mungo Murphy's hofft, dass die Zusammenarbeit mit Sulpice die Möglichkeit bietet, die angebauten Produkte weiter zu entwickeln. "Diese Zusammenarbeit wird es uns ermöglichen, mehr Rohmaterial durch Aquakultur zu produzieren und nicht von wild geerntetem Seetang abhängig zu sein", sagt Cindy O'Brien.

Die auf der Farm gezüchteten Algen werden zu einer Reihe von Verbraucherprodukten verarbeitet. Dazu gehören Kosmetika wie Algen-gefüllte Badesäckchen und Gesichtsmasken und Lebensmittel wie Algengewürze für Suppen, Brote, Salate und sogar Popcorn. O'Brien sagt, dass die Menschen oft von der Vielseitigkeit der Algen überrascht sind. Mungo Murphy empfiehlt Köchen  Algen in ihren Gerichten zu verwenden und hebt ihren Einsatz in Konsumgütern hervor.

ASPIRE ist nun in der Hälfte seiner Laufzeit; O'Brien rechnet damit, dass das Projekt dazu beitragen wird, die allgemeine Attraktivität von Algen zu erhöhen."Das wird uns helfen, mehr gesunde Produkte für den menschlichen Verzehr herzustellen", sagte sie.


[1] United Nations Environment Programme (2023). Seaweed Farming: Assessment on the Potential of Sustainable Upscaling for Climate, Communities and the Planet. Nairobi.https://wedocs.unep.org/bitstream/handle/20.500.11822/42642/seaweed_farming_climate.pdf?sequence=3&isAllowed=y

[2] SeaMark - Seaweed based market applications. https://cordis.europa.eu/project/id/101060379

[3] ASPIRE - Accelerated Seaweed Production for Innovative and Robust seaweed aquaculture in Europe.. https://cordis.europa.eu/project/id/101066815/de


*Dieser Artikel wurde ursprünglich am 9. August 2023 von Andrew Dunne in Horizon, the EU Research and Innovation Magazine unter dem Titel "From butter to baths, seaweed’s potential is being tapped in Europe" https://ec.europa.eu/research-and-innovation/en/horizon-magazine/butter-baths-seaweeds-potential-being-tapped-europe publiziert. Der unter einer cc-by-Lizenz stehende Artikel wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu aus dem Englischen übersetzt. Abbildung 2 und Beschriftung wurden von der Redaktion eingefügt.


Über Braunalgen im ScienceBlog:

Susanne Coelho, 02.09.2021: Das Privatleben der Braunalgen: Ursprünge und Evolution einer vielzelligen, sexuellen Entwicklung


 

inge Thu, 17.08.2023 - 23:14