Verlust an biologischer Vielfalt - den Negativtrend umkehren
Verlust an biologischer Vielfalt - den Negativtrend umkehrenDo, 10.09.2020 — IIASA
Weltweit verschwinden Pflanzen- und Tierarten permanent infolge menschlicher Aktivitäten . Eine wichtige neue Untersuchung unter der Leitung des IIASA (International Institute of Applied Systems Analysis; Laxenburg bei Wien) kommt zu dem Schluss, dass bis 2050 (oder früher) der Niedergang der biologischen Vielfalt nur durch ambitionierte, integrierte Aktionen rückgängig gemacht werden kann, indem Schritte zur Erhaltung und Wiederherstellung der Natur mit einer Umgestaltung des Ernährungssystems verbunden werden.*
Die Biodiversität - d.i. die Vielfalt und Fülle der Arten zusammen mit der Größe und der Beschaffenheit der Ökosysteme, welche sie Heimat nennen - nimmt seit vielen Jahren mit besorgniserregender Geschwindigkeit ab. Verständlicherweise können wir nicht zulassen, dass sich der aktuelle Trend fortsetzt. Wenn es doch dazu kommt, wird ganz einfach nicht mehr genug Natur vorhanden sein, um künftigen Generationen eine Grundlage zu geben. Dazu wurden ehrgeizige Ziele vorgeschlagen - allerdings können praktische Probleme (wie die Frage nach der Ernährung einer wachsenden menschlichen Erdbevölkerung) das Erreichen solcher Ziele zu einer Herausforderung werden lassen.
Die vom IIASA geleitete Studie "Bending the curve of terrestrial biodiversity needs an integrated strategy" wurde im Fachjournal Nature veröffentlicht [1] und ist Teil des neuesten Living Planet Report des World Wide Fund for Nature (WWF) [2]. Die Studie hat sich zum ersten Mal mit der Erforschung von Biodiversitätszielen befasst, die den Ehrgeiz haben die globalen Biodiversitätstrends umkehren zu wollen und sie zeigt auf, was integrierte künftige Wege zur Erreichung dieses Ziels erfordern könnten.
„Wir wollten auf robuste Weise abschätzen, ob es möglich wäre den Negativtrend der (aufgrund der gegenwärtigen und künftigen Landnutzung) sinkenden terrestrischen Biodiversität umzukehren ohne aber gleichzeitig unsere Chancen zur Erreichung anderer Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals - SDGs) zu gefährden“, erklärt der Hauptautor der Studie , IIASA-Forscher David Leclère. "Sofern dies tatsächlich möglich ist, wollten wir auch untersuchen, wie man dorthin gelangen kann, insbesondere, welche Art von Maßnahmen erforderlich sind und wie eine Kombination verschiedener Arten von Maßnahmen die Kompromisse zwischen Zielvorstellungen verringern und stattdessen Synergien nutzen kann."
Die Studie hat eine Reihe von Modellen und neu entwickelte Szenarien eingesetzt, um zu untersuchen wie die einzelnen Aspekte beitragen die Ziele der Biodiversität zu erreichen und sie liefert daraus essentielle Informationen über Wege, welche die Vision der UN-Konvention von einer biologischen Vielfalt im Jahr 2050 verwirklichen könnten: „Leben im Einklang mit der Natur ”.
Um die globalen Abwärtstrends der von veränderter Landnutzung betroffenen, terrestrischen Biodiversität zu stoppen und bis 2050 oder schon früher eine Erholungsphase einzuleiten, sind nach Meinung der Forscher Maßnahmen in zwei Schlüsselbereichen erforderlich:
- Mutige Schritte zur Erhaltung und Wiederherstellung der Natur sowie eine höhere Effizienz des Managements müssen rasch intensiviert werden. Die Studie geht davon aus, dass Schutzgebiete schnell 40% der globalen terrestrischen Gebiete erreichen. Dies sollte mit großen Anstrengungen zur Wiederherstellung von degradiertem Land (das in den Studienszenarien bis 2050 etwa 8% der Landflächen erreicht) einhergehen und mit Planungen der Landnutzung, welche die Ziele von Produktion und Schutz auf allen bewirtschafteten Flächen in Einklang bringen. Ohne solche Bemühungen könnte der Rückgang der biologischen Vielfalt nur verlangsamt aber nicht gestoppt werden, und jedwede potentielle Erholung würde nur langsam vonstattengehen.
- Umgestaltung des Ernährungssystems: Da mutige Bemühungen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Natur wahrscheinlich allein nicht ausreichen, sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich, um dem globalen Druck auf das Ernährungssystem zu begegnen. Zu den Maßnahmen den Abwärtstrend der globalen terrestrischen Biodiversität umzubiegen, gehören eine Reduktion der Verschwendung von Lebensmitteln, Ernährungsweisen mit geringeren Auswirkungen auf die Umwelt sowie eine weitere Intensivierung der Nachhaltigkeit und ein nachhaltiger Handel.
In beiden Bereichen müssten jedoch gleichzeitig integrierte Maßnahmen ergriffen werden, um bis 2050 oder früher den Negativtrend der Biodiversität umzukehren.
„In einem Szenario, das nur vermehrte Anstrengungen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Natur beinhaltet, konnte fast die Hälfte der im Business-as-usual-Szenario geschätzten Verluste an biologischer Vielfalt nicht vermieden werden. Ein Umbiegen des Negativtrends wurde nicht in allen Modellsimulationen beobachtet, und wenn dies auftrat, kam es häufig erst in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts dazu. Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass mutige Bemühungen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Natur allein betrachtet den Preis für Lebensmittelprodukte erhöhen und damit künftige Erfolge im Kampf gegen den Hunger möglicherweise beeinträchtigen können “, sagt Michael Obersteiner, IIASA-Forscher und Direktor des Environmental Change Institute an der Universität Oxford.
Szenarien, in denen verstärkte Bemühungen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Natur mit Maßnahmen zur Umgestaltung des Ernährungssystems kombiniert wurden, zeigten dagegen, dass nun bessere Möglichkeiten für ehrgeizige Bemühungen zur Erhaltung und Wiederherstellung der Natur bestanden und potenzielle nachteilige Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit entschärft wurden. Damit wurde ein Aufwärtstrend der durch veränderte Landnutzung betroffenen Biodiversität sichergestellt. Schlussendlich kann eine solche tiefgreifende Änderung der Ernährungs- und Landnutzungssysteme auch erhebliche Vorteile mit sich bringen, wie einen wesentlichen Beitrag zu ehrgeizigen Klimaschutzzielen, einen verminderten Druck auf die Wasserressourcen, ein reduziertes Ausmaß s an reaktivem Stickstoff in der Umwelt und gesundheitliche Vorteile.
Die wesentlichen Ergebnisse der Studie sind in Abbildung 1 dargestellt.
Abbildung 1. Der bislang rasche Niedergang der Biodiversität setzt sich fort im "Business as usual", wird zum Stoppen gebracht im Szenario 1 "Erhaltung und Wiederherstellung der Natur" und führt zur Erholung der Biodiversität, wenn Szenario 1 mit einer Änderung des Ernährungssystems kombiniert wird. |
Indem sie auf den Niedergang der Biodiversität in Zusammenhang mit dem Klimawandel eingehen, meinen die Autoren, dass eine echte Umkehrung des Niedergangs wahrscheinlich ein noch breiteres Spektrum von Maßnahmen erforderlich macht.
„Wachsende Bedrohungen für die biologische Vielfalt wie Klimawandel und biologische Invasionen können - falls sie nicht gemindert werden - in Zukunft genauso wichtig werden wie Änderungen der Landnutzung, die bislang die größte Bedrohung der biologischen Vielfalt ist. Ein echtes Umkehren der Verluste an biologischer Vielfalt erfordert einen ehrgeizigen Klimaschutz, der Synergien mit der biologischen Vielfalt nutzt, anstatt die biologische Vielfalt weiter zu untergraben “, sagt Andy Purvis, Professor am Imperial College London und Forscher am National History Museum in Großbritannien. Da der Strategieplan für Biodiversität 2011-2020 mit uneinheitlichen Ergebnissen endet, sind die Ergebnisse der Studie direkt relevant für die laufenden Verhandlungen zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt.
„Diese Studie zeigt, dass die Welt den Verlust der Natur möglicherweise noch stabilisieren und rückgängig machen kann. Um dies jedoch bereits 2030 tun zu können, müssen wir die Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren und konsumieren ändern, sowie mutigere und ehrgeizigere Bemühungen zum Umweltschutz ausüben“, sagt Mike Barrett, Executive Director für Wissenschaft und Naturschutz beim WWF -UK und Mitautor der Studie. "Wenn wir dies nicht tun und wie gewohnt weitermachen, werden wir einen Planeten haben, der für gegenwärtige und zukünftige Generationen von Menschen keine Grundlage bieten kann." Nie zuvor war ein „New Deal für Natur und Menschen“ nötiger, der den Verlust der biologischen Vielfalt stoppt und rückgängig macht. “
[1] Leclere D, Obersteiner M, Barrett M, Butchart SHM, Chaudhary A, De Palma A, DeClerck FAJ, Di Marco M, et al. (2020). Bending the curve of terrestrial biodiversity needs an integrated strategy. Nature DOI: 10.1038/s41586-020-2705-y
[2] Living Planet Reports 2020 (Kurzfassung, in Deutsch) https://www.wwf.ch/sites/default/files/doc-2020-09/WWF_LPR_2020_summary_D_WEB.pdf
* Der von der Redaktion möglichst wortgetreu aus dem Englischen übersetzte Artikel ist am 10. September 2020 auf der IIASA Webseite unter dem Titel: " Bending the curve of biodiversity loss" https://iiasa.ac.at/web/home/about/news/200910-biodiversity.html erschienen. IIASA hat freundlicherweise der Veröffentlichung von Inhalten seiner Website und Presseaussendungen in unserem Blog zugestimmt.
Weiterführende Links
IIASA : https://iiasa.ac.at/
Fragen und Antworten: EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 – Mehr Raum fürdie Natur in unserem Leben. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/QANDA_20_886