Können wir die Erde mit einer eisfreien Arktis kühlen?
Können wir die Erde mit einer eisfreien Arktis kühlen?Fr, 16.01.2020 — IIASA
Die Arktis erwärmt sich schneller als jeder andere Ort auf der Erde, und da jedes Jahr mehr Meereis verloren geht, spüren wir bereits jetzt die Auswirkungen. Forscher am International Institute of Applied Systems Analysis (IIASA, Laxenburg bei Wien) haben Szenarien eines, auch während des Winters eisfreien Polarmeeres analysiert, in welchem die Wärmeabstrahlung in den Weltraum größer sein würde als die Albedo- bedingte Wärmeabsorption. Mit Strategien, die zur Erhöhung des Salzgehaltes in den oberflächlichen salzarmen Schichten des Polarmeeres führen, könnten die wärmeren Wassermassen des Nordatlantiks an die Oberfläche des Polarmeeres fließen, durch Wärmeabstrahlung abkühlen und langfristig möglicherweise auch eine globale Abkühlung bewirken.*
Wissenschaftler rechnen damit, dass das sommerliche Meereis im Nordpolarmeer innerhalb einer Generation weitgehend verschwunden sein wird. Für die Welt ist dies eine schlechte Nachricht, da Eis und Schnee einen hohen Anteil der Sonnenenergie in den Weltraum reflektieren und so den Planeten kühl halten. Wenn die Arktis Schnee und Eis verliert, werden nacktes Gestein und Wasser freigelegt und absorbieren in zunehmendem Maße Sonnenenergie; dadurch wird es wärmer - ein Vorgang, der als Albedo-Effekt bekannt ist.
Dass es sehr schwierig sein würde, diesen Trend umzukehren, selbst wenn wir es schaffen, das im Pariser Abkommen festgelegte Ziel von 1,5 ° C Erwärmung zu erreichen, ist eine Tatsache. Angesichts dessen haben IIASA-Forscher nun untersucht, was passieren würde, wenn wir die Kausalität umdrehten und die Arktis zu einer Region machten, die einen Nettobeitrag zur Abkühlung der Weltmeere und damit auch der Erde erbringt. In ihrem neuen Artikel, der in der Springer-Fachzeitschrift SN Applied Sciences veröffentlicht wurde [1], haben die Autoren analysiert, welchen Beitrag die Arktis zur globalen Erwärmung leisten würde, wenn es sogar während der Wintermonate keine Eisdecke gäbe. Sie haben auch nach Möglichkeiten gesucht, wie sich die Welt an die daraus resultierenden neuen Klimabedingungen anpassen könnte.
„Das Eis des Arktischen Ozeans wirkt als starker thermischer Isolator, der verhindert, dass die Wärme des Ozeans unterhalb der Eisdecke die darüber liegende Atmosphäre (im Mittel bei - 20 °C) aufwärmt. Würde diese Eisschicht jedoch entfernt, so würde sich die Temperatur der Atmosphäre im Winter um bis zu 20 °C erhöhen. Dieser Temperaturanstieg würde wiederum die in den Weltraum abgestrahlte Wärme erhöhen und damit die Ozeane abkühlen “, erklärt Studienleiter Julian Hunt, der derzeit als Postdoc am IIASA arbeitet. Abbildung 1.
Abbildung 1. Die Eisdecke des Arktischen Ozeans wirkt als starker thermischer Isolator. Berechnungen zeigen, dass im offenen Meer die Wärmeabstrahlung in die Atmosphäre und den Weltraum höher ist als die solare Absorption durch den Albedo-Effekt. (Bild aus Hunt et al., 2019 [1]).
Für den Bestand der Eisdecke in der Arktis ist - nach Meinung der Autoren - hauptsächlich der Umstand verantwortlich, dass an der Oberfläche des Meeres (d.i, in den obersten 100 Metern) ein Salzgehalt vorliegt, der um 5 Gramm pro Liter niedriger ist als im Atlantik. Dies verhindert, dass der wärmere Atlantik über das kalte arktische Gewässer strömt.
Die Autoren erörtern nun, dass bei einem Anstieg des Salzgehalts in der obersten Schichte des Arktischen Ozeans der wärmere und dann weniger salzhaltige Nordatlantische Ozean die Oberfläche des Arktischen Ozeans überschichten könnte; dadurch würde sich die Temperatur in der arktischen Atmosphäre erheblich erhöhen und die unter dem Eis eingeschlossene Ozeanwärme freigesetzt werden. Abbildung 2.
Abbildung 2. Die Oberfläche (bis in 100 m Tiefe) des Arktischen Ozeans hat - bedingt durch den stetigen Süßwasserzufluss grosser Ströme (Ob, Yenissei, Lena, Mackenzie) einen niedrigeren Salzgehalt (a) und schwimmt auf den einströmenden dichteren und wärmeren Schichten des Nordatlantik (b). An den Übergangszonen entsteht eine Salzgehaltssprungschicht (Halokline). (Bild aus Hunt et al., 2019 [1]).
Um dies zu bewerkstelligen, schlagen die Forscher drei Strategien vor:
- Die erste Strategie impliziert, dass der Einstrom der großen Flüsse aus Russland und Kanada in die Arktis reduziert wird, indem das Wasser in Regionen in den USA und Zentralasien gepumpt wird, wo es in südlicheren, wasserarmen Gebieten zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion verwendet werden könnte.
- Als zweite Strategie nennen die Forscher die Errichtung von Dämmen und treibenden Barrieren vor den grönländischen Gletschern, um den Kontakt mit wärmerem Meerwasser und das Abgleiten und Abschmelzen der Eisschilde zu verringern.
- Die dritte Strategie besteht darin, Wasser von der Oberfläche des Arktischen Ozeans in die Tiefsee zu pumpen, sodass es mit dem salzigeren Wasser unten vermischt wird. Die Pumpen in einem solchen Projekt würden mit Strom aus intermittierenden Solar- und Windquellen betrieben, was eine reibungslosere Implementierung dieser Technologien ermöglichen würde.
Die Analyse der Forscher ergab, dass diese Strategien bei einer durchschnittlichen Energie von 116 GW während eines 50-jährigen Betriebs den Salzgehalt der oberflächlichen Gewässer des Arktischen Ozeans um 2 g / l steigern könnten. Dies würde die Strömung des Nordatlantiks in die Arktis erhöhen und die Eisbedeckung der Arktis im Winter erheblich verringern.
Trotz der Bedenken über den Verlust von Meereis in der Arktis weisen die Autoren darauf hin, dass ein eisfreies Szenario in der Arktis mehrere Vorteile hat: beispielsweise könnte Schiffe das ganze Jahr den Arktischen Ozean befahren, wodurch sich die Entfernung für den Warentransport von Asien nach Europa und Nordamerika verringert. Darüber hinaus würde die Temperatur in der Arktis in den Wintermonaten ansteigen, was den Heizbedarf in Europa, Nordamerika und Asien im Winter verringern würde. Die Häufigkeit und Intensität von Wirbelstürmen im Atlantik könnte auch aufgrund der Temperatursenkung in den Gewässern des Atlantiks verringert werden. Darüber hinaus könnte das eisfreie Wasser dazu beitragen, mehr CO2 aus der Atmosphäre aufzunehmen.
Hunt rät zu Vorsicht; während es zwar Vorteile für eine eisfreie Arktis gibt, ist es aber schwierig die Auswirkungen auf die globalen Meeresspiegel vorherzusagen, da die höheren Temperaturen in der Arktis dazu führen würden, dass die grönländische Eisdecke stärker schmilzt. Es ist auch schwierig, die Veränderungen des Weltklimas vorherzusagen.
„Obwohl es wichtig ist, die Auswirkungen des Klimawandels durch die Reduzierung der CO2-Emissionen zu mildern, sollten wir uns auch überlegen, wie wir die Welt an die neuen Klimabedingungen anpassen können, um einen unkontrollierbaren, unvorhersehbaren und zerstörerischen Klimawandel zu vermeiden, der zu einem sozioökonomischen und ökologischen Zusammenbruch führt. Der Klimawandel ist ein zentrales Thema; wenn man sich damit auseinandersetzt sollten alle Optionen sollten in Betracht gezogen werden “, schließt Hunt.
[1] Hunt J et al., (2019). Cooling down the world oceans and the earth by enhancing the North Atlantic Ocean current. SN Applied Sciences DOI: 10.1007/s42452-019-1755-y. Der Artikel steht unter einer Creative Commons CC BY license.
* Der von der Redaktion möglichst wortgetreu aus dem Englischen übersetzte Artikel ist am 10. Dezember 2019 auf der IIASA Webseite unter dem Titel: " Could we cool the Earth with an ice-free Arctic?" erschienen (https://www.iiasa.ac.at/web/home/about/news/191206-cooling-the-oceans.html ). IIASA hat freundlicherweise der Veröffentlichung von Inhalten seiner Website und Presseaussendungen in unserem Blog zugestimmt. Der Text wurde von der Redaktion durch passende Abbildungen aus [1] und Legenden ergänzt.
Weiterführende Links
Maribus (2019): „World Ocean Review“ (WOR 6) Arktis und Antarktis – extrem, klimarelevant, gefährdet
Artikel zu verwandten Themen im ScienceBlog:
- Peter Lemke, 30.10.2015: Wie Natur und Mensch das Klima beeinflussen und wie sich das auf die Energiebilanz der Erde auswirkt.
- Walter Kutschera, 22.01.2016: Radiokohlenstoff als Indikator für Umweltveränderungen im Anthropozän
- Carbon Brief, 01.11.2018: Klimamodelle: wie werden diese validiert?
- Redaktion, 07.11.2019: Permafrost - Moorgebiete: den Boden verlieren in einer wärmer werdenden Welt