Auszeichnungen für die Grundlagenforschung: Fünf NIH-geförderte Forscher erhalten 2021 den Nobelpreis
Auszeichnungen für die Grundlagenforschung: Fünf NIH-geförderte Forscher erhalten 2021 den NobelpreisDo, 14.10.2021 — Francis S. Collins
Die US-National Institutes of Health (NIH) sind weltweit die größten öffentlichen Förderer der biomedizinischen Grundlagenforschung und investieren in diese jährlich 32 Milliarden $. Als return-on investment sind über ein Jahrhundert lang grundlegende Entdeckungen gemacht worden, die Leben retten und die Gesundheit verbessern und 163 NIH-unterstützte Forscher wurden mit Nobelpreisen ausgezeichnet. Francis S. Collins - ehem. Leiter des Human Genome Projects und Entdecker mehrerer krankheitsverursachender Gene - ist seit 2009 Direktor der NIH. In seine Ära fallen 39 NIH-geförderte Nobelpreisträger in den Disziplinen Medizin oder Physiologie, Chemie und nun auch Ökonomie. Mit diesem triumphalen Ergebnis für die Grundlagenforschung tritt Collins nun als Direktor ab, um wieder voll als Forscher in seinem Labor zu arbeiten.*
Die letzte Woche war sowohl für die NIH (US National Institutes of Health) als auch für mich von großer Bedeutung. Ich habe nicht nur meine Absicht angekündigt mit Jahresende als NIH-Direktor zurückzutreten, um voll in mein Labor zurückzukehren; die Bekanntgabe der Nobelpreise 2021 hat mir auch wieder vor Augen geführt, welche Ehre es bedeutet einer Institution anzugehören, die mit einem so starken, andauernden Engagement die Grundlagenforschung unterstützt.
Fünf neue vom NIH-unterstütze Nobelpreisträger
In diesem Jahr begann für die NIH die Nobel-Begeisterung in den frühen Morgenstunden des 4. Oktobers, als zwei vom NIH unterstützte Neurowissenschaftler in Kalifornien die Nachricht aus Schweden erhielten, dass sie den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin gewonnen hatten. Ein „Weckruf“ ging an David Julius, University of California, San Francisco (UCSF), der für seine bahnbrechende Entdeckung des ersten Proteinrezeptors ausgezeichnet wurde, der die Temperaturwahrnehmung des Körpers - die Thermosensation - steuert. Der andere Ruf ging an seinen langjährigen Mitarbeiter Ardem Patapoutian, Scripps Research Institute, La Jolla, CA, für seine bahnbrechende Arbeit, die den ersten Proteinrezeptor identifizierte, der unseren Tastsinn steuert. Abbildung 1.
Abbildung 1. Nobelpreis 2021 für Physiologie oder Medizin. Die Arbeiten von David Julius und Ardem Patapoutian wurden durch die Förderung der NÌH ermöglicht. Credit: Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach. |
Aber das war nicht das Ende der guten Nachrichten. Am 6. Oktober wurde der Nobelpreis für Chemie 2021 dem NIH-finanzierten Chemiker David W.C. MacMillan von der Princeton University, N.J verliehen, der sich diese Ehre mit Benjamin List vom deutschen Max-Planck-Institut teilte. (List erhielt auch zu Beginn seiner Karriere NIH-Unterstützung.) Die beiden Forscher wurden für die Entwicklung einer genialen Methode ausgezeichnet, die eine kosteneffiziente Synthese „grünerer“ Moleküle ermöglicht mit breiter Anwendung in Wissenschaft und Industrie, inklusive Design und Entwicklung von Medikamenten. Abbildung 2.
Abbildung 2. Nobelpreis 2021 für Chemie Die Arbeiten von David W.C. MacMillan wurden durch die Förderung der NÌH ermöglicht. Credit: Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach |
Um daraus einen echten Nobelpreis 2021-„Hattrick“ (im Sport ein Ausdruck für dreimaligen Erfolg desselben Spielers in Serie, Anm. Red.) für die NIH zu machen, erfuhren wir am 12. Oktober, dass zwei der drei diesjährigen Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften auch NIH-finanziert wurden. David Card, ein NIH-unterstützter Forscher an der Universität of California, Berkeley, wurde „für seine empirischen Beiträge zur Arbeitsökonomie“ ausgezeichnet. Er teilte sich den Preis 2021 mit dem NIH-Stipendiaten Joshua Angrist vom Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, und dessen Kollegen Guido Imbens von der Stanford University, Palo Alto, CA, „für ihre methodischen Beiträge zur Analyse kausaler Zusammenhänge“. Abbildung 3.
Abbildung 3. Nobelpreis 2021 für Wirtsschaftswissenschaften.Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 2021. Die Arbeiten von David Card und Yoshua D. Angrist wurden durch die Förderung der NÌH ermöglicht. Credit: Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach |
Was war das für ein Jahr!
Investieren in Grundlagenforschung
Die Leistungen dieser und der 163 früheren Nobelpreisträger der NIH zeugen davon, welche Bedeutung das Investment in die biomedizinische Grundlagenforschung in der langen und stabilen Geschichte unserer Behörde hatte. In diesem Forschungsbereich stellen Wissenschaftler grundlegende Fragen dazu wie Leben funktioniert. Die Antworten, die sie aufzeigen, helfen uns, die Prinzipien, Mechanismen und Prozesse zu verstehen, die lebenden Organismen zugrunde liegen, inkludieren den menschlichen Körper in Gesundheit und Krankheit.
Dazu kommt, dass jeder Fortschritt auf früheren Entdeckungen aufbaut - oft auf unerwartete Weise - und es manchmal Jahre oder sogar Jahrzehnte dauert, bis diese in praktische Anwendungen umgesetzt werden können. Zu den jüngsten Beispielen für lebensrettende Durchbrüche, die auf jahrelanger biomedizinischer Grundlagenforschung aufbauen, gehören die mRNA-Impfstoffe gegen COVID-19 und die Immuntherapieansätze, die heute Menschen mit vielen Krebsarten helfen.
Sensoren für Temperatur und Druck
Nehmen Sie den Fall der neuesten Nobelpreisträger. Es waren grundlegende Fragen zur Reaktion des menschlichen Körpers auf Heilpflanzen, welche Julius an der UCSF zu seinen Arbeiten ursprünglich inspirierten. Er hatte aus ungarischen Studien gesehen, dass eine natürliche Chemikalie in Chilischoten, genannt Capsaicin, eine Untergruppe von Neuronen aktiviert, um das schmerzhafte, brennende Gefühl zu erzeugen, das die meisten von uns durch ein bisschen zu viel scharfe Soße erfahren haben. Was jedoch nicht bekannt war, war der molekulare Mechanismus, durch den Capsaicin diese Empfindung auslöste.
Nachdem Julius und Kollegen sich 1997 für einen optimalen experimentellen Ansatz zur Untersuchung dieser Frage entschieden hatten, haben sie Millionen DNA-Fragmente von Genen gescreened (durchgemustert), die in den sensorischen, mit Capsaicin interagierenden Neuronen exprimiert wurden. Innerhalb weniger Wochen hatten sie das Gen lokalisiert, das für den Proteinrezeptor kodiert, über den Capsaicin mit diesen Neuronen interagiert [1]. In Folgestudien stellten Julius und sein Team dann fest, dass der Rezeptor, später TRPV1 genannt, auch als Wärmesensor auf bestimmte Neuronen im peripheren Nervensystem wirkt. Wenn Capsaicin die Temperatur in einen schmerzhaften Bereich steigert, öffnet der Rezeptor einen porenartigen Ionenkanal im Neuron, der dann ein Signal für das unangenehme Gefühl an das Gehirn weiterleitet.
In Zusammenarbeit mit Patapoutian hat Julius dann seine Aufmerksamkeit von heiß auf kalt geschwenkt. Die beiden nutzten die Empfindung von Kälte, die Menthol, die aktive Substanz in Minze vermittelt, um ein Protein namens TRPM8 zu identifizieren: den ersten Rezeptor, der Kälte wahrnimmt [2, 3]. Es folgte die Identifizierung weiterer porenartiger Kanäle, die mit TRPV1 und TRPM8 in Verbindung stehen und durch eine Reihe unterschiedlicher Temperaturen aktiviert werden.
Zusammengenommen haben diese bahnbrechenden Entdeckungen Forschern auf der ganzen Welt die Tür geöffnet, um genauer zu untersuchen, wie unser Nervensystem die oft schmerzhaften Reize von Hitze und Kälte erkennt. Solche Informationen können sich bei der ständigen Suche nach neuen, nicht süchtig machenden Schmerztherapien als wertvoll erweisen. Die NIH verfolgen aktiv einige dieser Wege durch die Initiative „Helping to End Addiction Long-termSM“ (HEAL).
Währenddessen war Patapoutian damit beschäftigt, die molekulare Grundlage einer anderen fundamentalen Sinnesempfindung - der Berührung - zu knacken. Zuerst identifizierten Patapoutian und seine Mitarbeiter eine Mauszelllinie, die ein messbares elektrisches Signal erzeugte, wenn einzelne Zellen angestoßen wurden. Sie vermuteten, dass das elektrische Signal von einem Proteinrezeptor erzeugt wurde, der durch physikalischen Druck aktiviert wurde, mussten aber noch den Rezeptor und das dafür kodierende Gen identifizieren. Das Team hat 71 Kandidaten-Gene ohne Erfolg überprüft. Bei ihrem 72. Versuch haben sie dann ein Gen identifiziert, das für den Berührungsrezeptor kodiert, und es Piezo1 genannt, nach dem griechischen Wort für Druck [4].
Patapoutians Gruppe hat seitdem weitere Piezo-Rezeptoren gefunden. Wie so oft in der Grundlagenforschung wurden die Forscher durch ihre Ergebnisse in eine Richtung gelenkt, die sie sich so nie hätten vorstellen können. Sie haben beispielsweise entdeckt, dass Piezo-Rezeptoren an der Kontrolle des Blutdrucks beteiligt sind und dass sie erkennen, ob die Harnblase voll ist. Faszinierenderweise scheinen diese Rezeptoren auch eine Rolle bei der Kontrolle des Eisenspiegels in den roten Blutkörperchen zu spielen sowie bei der Regulation der Wirkung bestimmter weißer Blutkörperchen, der sogenannten Makrophagen.
Organokatalyse - kleine organische Moleküle als neuartige Katalysatoren
Wenden wir und nun dem Nobelpreis 2021 für Chemie zu. Hier hat die Grundlagenforschung von MacMillan und List den Weg geebnet, um einen großen ungedeckten Bedarf in Akademie und Industrie zu decken: den Bedarf an kostengünstigeren und umweltfreundlicheren Katalysatoren. Und was ist ein Katalysator? Um die synthetischen Moleküle zu bauen, die in Medikamenten und einer Vielzahl anderer Materialien verwendet werden, verlassen sich Chemiker auf Katalysatoren, das sind Substanzen, die chemische Reaktionen steuern und beschleunigen, ohne Teil des Endprodukts zu werden.
Lange dachte man, es gebe nur zwei Hauptkategorien von Katalysatoren für die Synthese organischer Verbindungen: Metalle und Enzyme. Enzyme sind aber große, komplexe Proteine, die sich nur schwer auf industrielle Prozesse skalieren lassen. Metallkatalysatoren andererseits können für Arbeiter giftig und für die Umwelt schädlich sein. Dann, vor etwa 20 Jahren, entwickelten List und MacMillan unabhängig voneinander eine dritte Art von Katalysator. Dieser Ansatz, bekannt als asymmetrische Organokatalyse [5, 6], basiert auf Katalysatoren aus kleinen organischen Molekülen, die ein stabiles Gerüst aus Kohlenstoffatomen aufweisen, an die aktivere chemische Gruppen binden können, die häufig Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel oder Phosphor enthalten.
Die Anwendung von Organokatalysatoren hat sich als kostengünstiger und umweltfreundlicher erwiesen als die Verwendung herkömmlicher Metall- oder Enzymkatalysatoren. Tatsächlich wird dieses präzise neue Werkzeug für die Konstruktion von Molekülen derzeit verwendet, um alles zu bauen, von neuen Pharmazeutika bis hin zu lichtabsorbierenden Molekülen, die in Solarzellen verwendet werden.
Arbeitsökonomie und Analyse von Kausalzusammenhängen
Damit sind wir beim Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Die diesjährigen Preisträger zeigten, dass es möglich ist, auf sozialwissenschaftliche Fragen Antworten zu Ursache und Wirkung zu finden. Der Schlüssel liegt darin, Situationen in Gruppen von Menschen zu bewerten, die unterschiedlich behandelt werden - ganz ähnlich wie es im Design klinischer Studien in der Medizin stattfindet. Mit diesem Ansatz des „natürlichen Experiments“ erstellte David Card Anfang der 1990er Jahre neuartige Wirtschaftsanalysen, die zeigten, dass eine Erhöhung des Mindestlohns nicht unbedingt zu weniger Arbeitsplätzen führt. Mitte der 1990er Jahre verfeinerten Angrist und Imbens dann die Methodik dieses Ansatzes und zeigten, dass aus natürlichen Experimenten, die Kausalzusammenhänge aufzeigen, präzise Schlüsse gezogen werden können.
Ausblick
Letztes Jahr hat das NIH die Namen von drei Wissenschaftlern in seine illustre Liste von Nobelpreisträgern aufgenommen. In diesem Jahr sind fünf weitere Namen hinzugekommen. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten werden zweifellos noch viele weitere hinzukommen. Wie ich in den letzten 12 Jahren oft gesagt habe, ist es eine außergewöhnliche Zeit, ein biomedizinischer Forscher zu sein. Während ich mich darauf vorbereite, als Direktor dieser großartigen Institution zurückzutreten, kann ich Ihnen versichern, dass die Zukunft von NIH nie besser war.
[1] The capsaicin receptor: a heat-activated ion channel in the pain pathway. Caterina MJ, Schumacher MA, Tominaga M, Rosen TA, Levine JD, Julius D. Nature 1997:389:816-824.
[2] Identification of a cold receptor reveals a general role for TRP channels in thermosensation. McKemy DD, Neuhausser WM, Julius D. Nature 2002:416:52-58.
[3] A TRP channel that senses cold stimuli and menthol. Peier AM, Moqrich A, Hergarden AC, Reeve AJ, Andersson DA, Story GM, Earley TJ, Dragoni I, McIntyre P, Bevan S, Patapoutian A. Cell 2002:108:705-715.
[4] Piezo1 and Piezo2 are essential components of distinct mechanically activated cation channels. Coste B, Mathur J, Schmidt M, Earley TJ, Ranade S, Petrus MJ, Dubin AE, Patapoutian A. Science 2010:330: 55-60.
[5] Proline-catalyzed direct asymmetric aldol reactions. List B, Lerner RA, Barbas CF. J. Am. Chem. Soc. 122, 2395–2396 (2000).
[6] New strategies for organic catalysis: the first highly enantioselective organocatalytic Diels-AlderReaction. Ahrendt KA, Borths JC, MacMillan DW. J. Am. Chem. Soc. 2000, 122, 4243-4244. -
*Dieser Artikel von NIH Director Francis S. Collins, M.D., Ph.D. erschien zuerst (am 12. Oktober 2021) im NIH Director’s Blog unter dem Titel: "NIH’s Nobel Winners Demonstrate Value of Basic Researchwinners-demonstrate-value-of-basic-research/.https://directorsblog.nih.gov/2021/10/12/nihs-nobel-winners-demonstrate-value-of-basic-research/. Er wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu übersetzt und geringfügig (mit einigen Untertiteln) für den ScienceBlog adaptiert. Reprinted (and translated by ScienceBlog) with permission from the National Institutes of Health (NIH).
Weiterführende Links
National Institutes of Health (NIH): https://www.nih.gov/
Nobelpreise 2021:
- Physiologie oder Medizin: https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/
- Chemie: https://www.nobelprize.org/prizes/chemistry/
- Wirtschaftswissenschaften: https://www.nobelprize.org/prizes/economic-sciences/
Artikel im ScienceBlog:
Benjamin List, 07.10.2021; Ein Leben ohne Katalyse ist nicht denkbar. Organokatalyse - eine neue und breit anwendbare Synthesemethode