Das geklonte Przewalski-Pferd und die Aussicht auf Wiederbelebung ausgestorbener Tierarten

Das geklonte Przewalski-Pferd und die Aussicht auf Wiederbelebung ausgestorbener Tierarten

Do, 01.10.2020 Ricki Lewis Ricki LewisIcon Biologie

Weltweit ist ein dramatischer Rückgang der Biodiversität zu beobachten. Przewalski-Pferde, einst die natürlichen Bewohner der asiatischen Steppen, haben strengere Winter, übermäßiges Bejagen und Vordringen des Menschen in ihren Lebensraum nach dem zweiten Weltkrieg praktisch völlig verschwinden lassen. Basierend auf wenigen, zuvor auf freier Wildbahn gefangenen Tieren (insgesamt 12) wurde in Zoos ein Zuchtprogramm aufgebaut, das schon rund 2 000 Tiere hervorgebracht hat, allerdings das Problem der Inzucht in sich birgt. Mit einem bereits 40 Jahre alten, in der genetischen Datenbank "San Diego Frozen Zoo" konservierten genetischen Material eines Przewalski-Hengstes konnte nun ein erstmals ein gesundes Hengstfohlen geklont werden. Dass das genetische Material so langfristige Stabilität zeigt, lässt Hoffnung für die Wiederbelebung auch anderer aussterbender Spezies aufkommen. Die Genetikerin Ricki Lewis berichtet über dieses erfolgreiche Projekt.*

Am 6. August wurde Kurt, das erste geklonte Przewalski-Pferd, in Texas geboren. Abbildung 1.

Abbildung 1. Kurt, das geklonte Przewalski-Pferd.

Am Anfang von Kurt stand ein Zellkern, der vor 40 Jahren von einem anderen Artgenossen im San Diego Zoo eingefroren worden war; ein gewöhnliches Hauspferd war seine Leihmutter. Das Klonierungsprojekt geht auf den San Diego Zoo Global (https://www.sandiegozooglobal.org/), auf Revive & Restore (einer führenden Organisation, die natürliche Lebensformen bewahren möchte und dazu auch biotechnologische Praktiken anwendet; Anm. Red.) und auf Viagen Equine (ein auf das Klonen von Pferden spezialisiertes erfolgreiches Unternehmen; Anm. Redn.) zurück.

Shawn Walker, Chief Science Officer bei ViaGen kommentierte: „Das neue Przewalski-Hengstfohlen wurde völlig gesund und reproduktiv normal geboren. Es versetzt Kopfstöße, schlägt aus, wenn sein Platz streitig gemacht wird und verlangt Milch von seiner Leihmutter “.

Diese Nachricht hat mich begeistert, weil diese letzten überlebenden Wildpferde bei mir in meiner Jugend einen dauerhaften Eindruck hinterlassen hatten.

Wilde Wildpferde

Die Catskill Wildfarm war in den 1960er Jahren ein zauberhafter Ort für eine angehende Biologin. Meine Erfahrungen mit Wildtieren in der Stadt beschränkten sich auf Tauben, Eichhörnchen und gelegentliche Kaulquappen, die im Brooklyn Botanical Gardens aus dem Teich gesfischt wurden.

Stadtkinder wie ich konnten auf der Wildfarm in einem riesigen, eingezäunten Gebiet umherwandern zwischen Ziegen, Schafen, Schweinen, Hirschen, Kaninchen und Gänsen und sogar einem Elefantenbaby, die dort umherstreiften, dahinwatschelten und herumhüpften. Die weitläufige Menagerie, etwa zwei Autostunden nördlich von New York, verzauberte Tierliebhaber von 1933 bis 2006. Der Besitzer Roland Lindemann nahm auch „exotische“ Kreaturen auf, insgesamt waren es 150 Arten. Das US-Landwirtschaftsministerium (USDA) beurteilte 1958 den Ort offiziell als Zoo, allerdings als Streichelzoo. Im Laufe der Jahre lebten hier mehr als 2 000 Tiere.

Meine Lieblingsinsassen waren drei ruhige Przewalski-Pferde. Sie standen in ihrem Gehege, kindshoch, hinter Tafeln, die ihre faszinierende Geschichte erklärten und wie die Wildfarm die Paarung unterstütze, um die Herde der ernsthaft gefährdeten Pferde zu vergrößern.

Die Website des San Diego Frozen Zoos hat mir geholfen, Lücken in meinen Erinnerungen zu füllen. Die Pferde Roland, Belina und Bonnette waren 1966 auf der Catskill Wildfarm angekommen. Bonnette brachte 1969 Bolinda zur Welt und Belina ein Jahr später dann Belaya. Belina und Bonnette hatten sich offenbar mit ihrem Vater gepaart. Glücklicherweise hatten sie Nachwuchs bekommen, denn solch eine enge Inzucht kann auf Grund des gepaarten Auftretens rezessiver Mutationen die Fortpflanzung zum Scheitern verurteilen.

Ich nehme an, Roland hätte seine Töchter und Enkelinnen nicht für immer schwängern können. Also wurden die fünf Bewohner von Catskill in den San Diego Zoo umgesiedelt, um sich bald nach der Geburt weiteren Artgenossen anzuschließen.

Die traditionelle Züchtung ließ die Herde im Laufe der Jahrzehnte allmählich wachsen, was ziemlich oft zu Blutsverwandtschaften geführt haben muss. Seit der Ankunft der Catskill-Tiere wurden dort 149 weitere Przewalski-Pferde geboren, von denen leben jetzt etwa ein Dutzend in San Diego. Die Tiere lieben es sich im Staub zu wälzen, zu fressen und gegenseitige Fellpflege zu betreiben.

Einiges zum Przewalski-Pferd....

Das Przewalski-Pferd, auch bekannt als asiatisches oder mongolisches Wildpferd, ist nach dem Offizier Nikolai Przewalski benannt, der 1881 Wissenschaftlern in einem Museum in St. Petersburg Haut und Schädel des Pferdes vorführte. Aber dies war wahrscheinlich nicht die erste Beschreibung, da die Tiere Pferden ähneln, wie sie vor 30.000 Jahren in Höhlenmalereien in Frankreich und Spanien dargestellt wurden. Das Tier war kaum ein noch nicht benanntes Pferd.

Das Przewalski-Pferd und die Hauspferde sind, gemeinsam mit Zebras und wilden Eseln, Unterarten der Familie Equidae. Das Tier ist klein und stämmig mit einem gelblich-braunen Fell. Der Kopf ist groß, der Hals dick, mit einem dunklen Streifen am Rücken und einem gefiederten Schwanz. Der Bauch ist blass und die Hinterbeine gestreift wie die eines Zebras oder eines somalischen Wildesels. Es gibt keine Mähne, aber an Kinn und Nacken wächst im Winter die Behaarung. Abbildung 2.

Abbildung 2. Ausgewachsene Przewalski-Pferde (Bild von Redn. eingefügt aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Equidae#/media/Datei:PrzewalskiHerde.jpg, Lizenz: gemeinfrei)

Das Wildpferd ist fast 210 cm lang, 120 - 150 cm hoch und wiegt 200 bis 300 kg. Es lebt 25 bis 30 Jahre. Przewalski-Pferde fressen Gräser in der Wildbahn und Luzerne, Heu und Karotten im San Diego Zoo.

Stuten bringen nach einer elfmonatigen Tragezeit ein einzelnes Fohlen zur Welt, das etwa 30 kg wiegt. Weibliche Tier sind mit 3 Jahren geschlechtsreif, männliche Tier zwei Jahre später.

Obwohl Przewalski-Pferde 66 Chromosomen haben und Hauspferde 64, können sie fortpflanzungsfähige Nachkommen haben, die dann 65 Chromosomen besitzen. Diese Hybriden sehen dem Przewalski-Pferd so ähnlich, dass eine Untersuchung der Chromosomen erforderlich ist, um eine Unterscheidung zu treffen. Während der Evolution der Equidae verschmolzen wahrscheinlich die zwei kleinen Chromosomen der Przewalski 's zu einem großen Chromosom der Hauspferde.

... und seinem Genom

Der Vergleich von Pferdegenomen kann künftige Züchtungsbemühungen leiten und auch Einblicke in die ferne Vergangenheit gewähren.

Forscher des Zentrums für GeoGenetik am Naturhistorischen Museum Dänemarks haben das Genom eines Pferdes sequenziert, das vor 700.000 Jahren gelebt hat; sie isolierten es aus Zellen in einem Fragment eines Beinknochens, das aus dem Yukon-Permafrost herausragte, und verglichen es mit modernen Pferdegenomen.

„Nach unserer Schätzung haben sich vor 38.000 bis 72.000 Jahren die Populationen von Przewalski's und Hauspferden voneinander getrennt, und wir finden keine Hinweise darauf, dass in jüngster Zeit eine Vermischung zwischen den Hauspferderassen und dem Przewalski-Pferd stattgefunden hätte. Dies stützt die strittige Annahme, dass Przewalski-Pferde die letzte überlebende Population von Wildpferden darstellen. Wir finden bei Przewalski 's und Hauspferdpopulationen ähnliche Level genetischer Variationen, was darauf hinweist, dass erstere genetisch stabil sind und Schutzbemühungen verdienen “, schrieben sie im Fachjournal Nature.

Schwindende Zahlen

Przewalski-Pferde gab es einst in großer Zahl auf den weiten Graslandschaften, die von Ostasien bis nach Spanien und Portugal reichten. Als aber vor ungefähr 15.000 Jahren die Gletscher zurückgingen und die Steppen sich bewaldeten, litten die Tiere darunter und das Verbreitungsgebiet schrumpfte.

Ein Zeitsprung an das Ende des 18. Jahrhunderts zeigt nur mehr wenige Tiere, die in der Mongolei, in Polen und in Südrußland übergeblieben waren. Dann trieb die Landwirtschaft die Pferde in noch kleinere Lebensräume. Einige wurden auch als Haustiere gehalten.

Mehrere Literaturverweise geben an, dass alle heutigen Przewalski-Pferde von nur 12 oder 14 Tieren abstammen, die in der Zeit von 1910 bis 1960 in der Wildnis gefangen wurden, wobei vier Hauspferde zu dem Genpool hinzukamen.

1977 wurde die Stiftung zur Erhaltung und zum Schutz des Przewalski-Pferdes gegründet und erleichterte den Austausch von Tieren zwischen den Zoos. In den 1980er Jahren verblieben in der Mongolei nur noch wenige in freier Wildbahn, und die Unterart wurde bald für ausgestorben erklärt. Die Züchter erhöhten aber die Anzahl langsam, beginnend mit der Freilassung von 16 Pferden im Jahr 1992.

Heute gibt es weltweit eine Population von etwa 2.000 Tieren, die Hälfte davon in Freilandhaltung. Sie durchstreifen mit Gazellen und Rotwild Reservate in der Mongolei, in Kasachstan und in Nordchina. Die Tiere werden in der Mongolei "Takhi" genannt, was "Geist" bedeutet.

Ein Klon zu sein

Die Paarung von reinen Przewalski-Pferden oder der Versuch ein Przewalski-reiches Genom durch die Paarung von Hybriden aufzubauen, die aufgrund ihrer genetischen Vielfalt ausgewählt wurden, geht nur langsam voran. Aber die Biotechnologie beschleunigt die Dinge. Das Klonen erzeugt eine genetische Nachbildung eines Individuums, während die Paarung genetisches Material von zwei Individuen kombiniert.

In fiktiven Geschichten haben Wissenschaftler bereits Nazis, Politiker, Dinosaurier, Kinder und Organspender geklont. Die TV-Show Orphan Black hat von 2013 bis 2017 das verwirrende Leben einer Frau mit vielen Klonen durchleuchtet. Tatsächlich haben echte Wissenschaftler Schafe, Mäuse, Ratten, Katzen, Schweine, Affen, Hunde, Hirsche, Kaninchen und Ochsen geklont.

Wer ausreichend Mittel zur Verfügung hat, kann seine Haustiere klonen lassen. Ein Unternehmen berechnet 35.000 USD für Katzen, 50.000 USD für Hunde und 85.000 USD für Pferde. Das Katzen- und Pferdegenom ist ungefähr gleich groß und jeweils größer als ein Hundegenom. Das Klonen von Katzen ist also entweder ein Schnäppchen oder die Spezies wird von den bestimmenden Personen völlig unterbewertet.

Das Klonen von Haustieren ist ein falscher Weg, da es Umwelteinflüsse auf Verhalten und Persönlichkeit ignoriert. Das Klonen zur Wiederbelebung/Wiederherstellung von Populationen stark gefährdeter Arten ist jedoch eine andere Sache.

Der San Diego Frozen Zoo ist führend im Einsatz von Fortpflanzungstechnologien, um mitzuhelfen Artenpopulationen, die im Aussterben begriffen sind, wieder herzustellen. Der Frozen Zoo beherbergt mehr als 10.000 Zellkulturen, Eizellen, Spermien und Embryonen, die fast 1.000 Arten von Organismen repräsentieren. Bei den Zellen lagern Hunderte potenzieller zukünftiger Przewalski-Pferde auf Eis.

Der Prozess des Klonens,

technisch als "somatischer Zellkerntransfer" bezeichnet, beginnt mit Zellen der gewünschten Spezies oder Subspezies - in Kurts Fall waren es Fibroblasten aus der 40 Jahre lang tiefgefronenen Haut.

Nach dem Auftauen der Zellen werden ihre Kerne abgetrennt und in Eizellen von weiblichen Hauspferden transferiert, deren Zellkerne entfernt worden waren. (Abbildung 3, von Redn. eingefügt). Es sind keine Spermien notwendig: Die transferierten Zellkerne besitzen ja bereits zwei Kopien jedes Chromosoms (anstelle einer aus einem Sperma und einer aus einer Eizelle bei einer normalen Befruchtung).

Die so behandelten Eizellen teilen sich in Glasschalen einige Male und bilden und falten sich zu winzigen Embryonen, die dann in normale Pferde als Leihmütter überführt werden. Die transferierten Genome treiben dann die Entwicklung. Die Leihmutter trägt nur ihre Mitochondrien bei, die einige Gene tragen, und das Zytoplasma aus ihrer gespendeten, entkernten Eizelle. Ihre Gene sind ansonsten vollständig ersetzt worden.

Abbildung 3. Das Klonen eines ganzen Organismus durch Nukleustransfer in eine entkernte Eizelle und Überführung des mehrzelligen Klons in die Leihmutter. (Bild von Rednn. eingefügt; Ausschnitt aus: Schorschski / Dr. Jürgen Groth in https://de.wikipedia.org/wiki/Klonen#/media/Datei:Cloning_diagram_deutsch.png. Lizenz: cc-by-sa 3.0

Der biologische Vater des Hengstfohlens Kurt wurde 1975 in Großbritannien geboren und 1978 in die USA gebracht. Seine Hautzellen wurden 1980 gespeichert. Er starb 1998. Der Klon Kurt ist nach einem Gründer des Frozen Zoos, Kurt Benirschke, benannt.

Wenn Kurt älter ist, wird er sich einer Zuchtherde im San Diego Zoo Safari Park anschließen. Man erwartet von ihm, "dass er eines der genetisch wichtigsten Individuen seiner Spezies ist. Wir hoffen, dass er die für die Zukunft der Population von Przewalski-Pferden wichtigen genetischen Variationen zurückbringen wird“, sagte Bob Wiese, Chief Life Sciences Officer bei San Diego Zoo Global.


 * Der Artikel ist erstmals am 17. September 2020 in PLOS Blogs - DNA Science Blog unter dem Titel "A Cloned Przewalski’s Horse Evokes Memories of the Catskill Game Farm" https://dnascience.plos.org/2020/09/17/a-cloned-przewalskis-horse-evokes-memories-of-the-catskill-game-farm/ erschienen und steht unter einer cc-by Lizenz . Die Autorin hat sich freundlicherweise mit den Übersetzungen ihrer Artikel durch ScienceBlog.at einverstanden erklärt, welche so genau wie möglich der englischen Fassung folgen. Der gegenständliche Text wurde geringfügig gekürzt (es fehlt der letzte Absatz) und durch zwei passende Abbildungen plus Legenden von der Redaktion ergänzt.


Weiterführende Links

San Diego Zoo Global: https://www.sandiegozooglobal.org/

Kurt, the cloned Przewalski's foal, August 31, 2020, Video 0:15 min. https://www.youtube.com/watch?time_continue=4&v=JJ0oh7Al0HI&feature=emb_logo

Przewalski-Pferde: Die letzten echten Wildpferde. Video 4:04 min. https://www.youtube.com/watch?v=HgLpSpLAxqw

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inge Thu, 01.10.2020 - 00:04