Von antibakteriellen Beschichtungen zu Implantaten
Von antibakteriellen Beschichtungen zu ImplantatenFr, 06.03.2015 - 15:35 — Helmuth Möhwald & Katja Skorb
Einfache, in Flüssigkeiten anwendbare Methoden ermöglichen die Herstellung von Oberflächen mit definierter Porosität. Die Prozesse erlauben den Einbau von Wirkstoffen in die Grenzfläche und mit geeigneter Beschichtung auch deren gezielte Freisetzung. Bei vielversprechenden sehr harten Materialien für Implantate wie Titan ist es daher möglich, das Wachstum von Osteoblasten, den häufigsten Zellen in Knochen, zu stimulieren. Der Physiker Helmuth Möhwald, em. Gründungsdirektor des Max-Planck Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung (Potsdam) und die Chemikerin Katia Skorb beschreiben wie der Kontakt zwischen der Grenzfläche und benachbarten Zellen maßgeschneidert werden kann.*
In populären Zeitschriften findet man häufig Fotos von Menschen, die zeigen, dass zu fast jedem Organ oder Körperteil auch ein synthetisches Ersatzteil hergestellt werden kann. Dessen Bedeutung wird mit der Alterung der Bevölkerung zunehmen, da zum einen der Bedarf an Herzen, Knien, Hüften etc. steigen wird, zum anderen auch Fortschritte der Werkstoffwissenschaften und der Immunologie und Medizin neue Möglichkeiten eröffnen. Dieser Entwicklung sind jedoch Grenzen gesetzt, und eine wichtige Limitierung besteht in der Beherrschung der Grenzfläche zwischen künstlichem und biologischem Material.
Die Kontrolle dieser Grenzfläche ist essentiell nicht nur für Implantate, sondern auch für viele andere wichtige Probleme wie die Vermeidung von Algenbelag auf Oberflächen von Schiffen, von Bakterienwachstum auf Schläuchen oder die Erhöhung der Stabilität von Biosensoren.
Wenn auch die Bedeutung der Grenzfläche offensichtlich ist, so ist es doch erstaunlich, dass z. B. das Problem des Anwachsens eines Implantats weitestgehend von Medizinern behandelt wurde und Grenzflächenwissenschaftler wenig beigetragen haben. Dieser Beitrag soll zeigen, dass bei Beseitigung dieses Defizits erhebliche Fortschritte erzielt werden können. Die Grenzfläche kann Prozesse steuern und dynamisch und in Rückkoppelung das Zellwachstum beeinflussen. Im Mittelpunkt der Betrachtung soll die Oberfläche von Metallen stehen, da diese vielfältig bei Implantaten oder der Stammzellenforschung verwendet werden. Zudem können viele der Detail- Erkenntnisse an diesen Materialien auf andere übertragen werden.
Die geeignete Grenzfläche
Die Anforderungen an ein Implantat sind unter anderem hohe Beständigkeit insbesondere in biologischem Milieu, mechanische Festigkeit und Zuverlässigkeit. Es muss aber auch mit anwachsenden Zellen verträglich sein, und hierzu ist die gezielte Einstellung seiner Oberfläche erforderlich. Dies ist deshalb eine erhebliche Herausforderung, da Beständigkeit und Festigkeit jede Manipulation der Oberfläche erschweren. Ein Ausweg ist die Beschichtung mit Substanzen, die die Bioverträglichkeit ermöglichen, aber dabei stellt sich das Problem der Haftung dieser Substanzen. Ein geeigneter und besonders vielversprechender Weg ist, das Material zunächst durch elektrochemische oder sonochemische Methoden aufzurauen und auch zu oxidieren oder zu reduzieren. Da die Sonochemie zwar viel verwendet wird, aber nicht verstanden ist, soll sie hier kurz erklärt werden:
Setzt man eine Flüssigkeit Ultraschall hoher Intensität aus, können Gasblasen entstehen, und diese können im Schallfeld wachsen. Bei einer kritischen Größe um 100 μm (0,1 mm)kollabieren diese in sogenannten Kavitationsblasen, und die gespeicherte mechanische und Oberflächenenergie wird frei und fokussiert auf ein Volumen <1 μm3. Dabei entstehen über kurze Zeiten (<1 μsec) Drucke um 1000 atm und Temperaturen um 10 000 K. Die Methode ermöglicht also Chemie unter extremen Bedingungen, aber mit einem Reaktor unter Normalbedingungen. Beim Kollaps entstehen Schockwellen und ein Flüssigkeitsjet wie auch Radikale. Letztere hängen ab vom verwendeten Lösungsmittel. Da die Methode keine zusätzlichen Chemikalien erfordert, kann sie als „grüne“ Methode bezeichnet werden. Abbildung 1: Oben: Schematische Darstellung der Porenbildung durch Ultraschall bei Metallen. Unten: Oberflächen verschiedener Metalle (Elektronenmikroskopaufnahmen). © Ekaterina V. Skorb / Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung
Betreibt man nun Ultraschallchemie in der Nähe einer Grenzfläche, so kann letztere als Keim für die Blasenbildung dienen und durch die Kavitation in ihrer Nähe chemisch und physikalisch verändert werden.
Abbildung 1 zeigt, dass dies selbst bei besonders harten und inerten Materialien wie Titan gelingt. (Die Kavitation an Grenzflächen ist übrigens auch der zentrale Mechanismus der üblichen Reinigung von Oberflächen im Ultraschallbad). Der Trick, der dies ermöglichte, bestand in der Auswahl des geeigneten Lösungsmittels, das die entsprechende chemische Reaktion begünstigte . Es ist offensichtlich, dass die in diesem Fall entstandene poröse Oxidschicht sehr gut auf dem Metall haftet, auf dem sie erzeugt wurde. Andererseits ist zu erwarten, und dieses wurde experimentell bestätigt, dass auch ein organischer oder biologischer Film sehr gut auf dieser Schicht haftet.
Grenzflächen als Wirkstoffträger
Eine genauere Analyse der Grenzfläche zeigt, dass sie bis zu einer Tiefe von etwa 0,5 μm aus einer porösen Struktur mit Poren in Dimensionen um 100 nm besteht. Diese Poren können nun mit einem Wirkstoff gefüllt werden, der später (bei Bedarf) freigesetzt wird. Dabei stellt sich natürlich die Herausforderung, die Poren möglichst quantitativ und tief zu beladen, und hierbei ist der Ultraschall ein sehr einfaches und wirksames Hilfsmittel. Abbildung 2 zeigt hierzu, dass direkt bei Ultraschallbehandlung zur Erzeugung der Poren das Zellgift Doxorubizin in diese Poren eingebracht werden kann. Dieses verhindert dann das Wachstum von Zellen in und an dieser Oberfläche. Abbildung 2: Oben: Schematische Darstellung des Einbaus des fluoreszierenden Wirkstoffs Doxorubizin (links) und Nachweis des Einbaus in die Oberfläche (grün, rechts). Mitte rechts: pH-abhängige Freisetzung des Wirkstoffs. Unten: Anhaftende lebende Zellen (links) und durch den Wirkstoff getötete (rechts).
Gezielte Wirkstofffreisetzung von Oberflächen
Im Experiment der Abbildung 3 ist zu erwarten, dass unter Bedingungen, in denen der Wirkstoff in der Umgebung gelöst wird, dieser innerhalb weniger Stunden aus dem Material verschwindet. In Anwendungen ist jedoch eine Wirkung über eine längere Zeit erwünscht, d. h. eine verzögerte Freisetzung. Noch wünschenswerter wäre eine Freisetzung bei Bedarf, z. B. durch einen äußeren Stimulus durch Licht, Schall, durch eine elektrische Spannung oder durch eine Änderung der Umgebungsbedingungen. Dieses kann erreicht werden, indem die Grenzfläche durch eine organische Schicht bedeckt wird. Diese übernimmt dann die Funktion einer schaltbaren Barriere. In unseren Arbeiten werden durch Adsorption gegensätzlich geladener Polymere Schichten mit Dickenkontrolle im Nanometer-Bereich hergestellt. Diese Polymere können so gewählt werden, dass sie mit anhaftenden Zellen kompatibel sind.
Alternativ oder komplementär können diese Schichten auch als Wirkstoffdepot verwendet werden, indem die Wirkstoffe direkt oder in Nanokapseln verpackt in diesen Film eingefügt werden. Unser Interesse gilt dabei weniger Zellgiften sondern Wachstumsfaktoren, die das Wachstum bestimmter Zellen fördern. Für Knochenimplantate sind dabei Wirkstoffe für das Wachstum von Osteoblasten und Osteoklasten von besonderer Bedeutung (Abbildung 3). Aber offensichtlich eröffnet sich hier auch ein interessantes Feld der Zelldifferenzierung, z. B. in der Stammzellenforschung. Abbildung 3: Oben: (links) Schematische Ansicht eines dreidimensionalen Modellgerüsts; (Mitte) Durch Ultraschall modifizierte Ti-Oberfläche (Mikroskopaufnahme) mit einer anwachsenden Osteoblastenvorläuferzelle (Fluoreszenzmikroskopieaufnahme); (rechts) Elektrochemisch modifizierte Ti-Oberfläche mit sehr langsam anwachsender Osteoblastenvorläuferzelle. Unten: Sonochemisch modifizierte Kanäle in Ti mit Zellwachstum an der Kante (rechts, rot markiert). © Ekaterina V. Skorb / Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung
Rückkoppelnde Grenzflächen
Im vorigen Abschnitt wurde die Wirkstofffreisetzung bei Bedarf diskutiert. Noch vielversprechender wäre es, wenn das biologische System, das an die Grenzfläche koppelt, das Signal bei Bedarf selbst aussendet. Ein einfaches Beispiel für dieses Signal durch Aussenden eines Metaboliten ist in Abbildung 4 dargestellt. Hier handelt es sich um Bakterien, die Milchsäure produzieren. Nähern sich diese Bakterien einer Grenzfläche, so wird im Spalt dazwischen die Milchsäure angereichert und damit die Protonenkonzentration erhöht. Die pH-Erniedrigung kann zur Wirkstofffreisetzung führen. Im Beispiel der Abbildung 4 führt sie zu einer Bürstenbildung, d. h. Streckung einer Polymerschicht auf der Oberfläche und damit zur Abstoßung der Bakterien. Hier eröffnet sich also die Möglichkeit der Herstellung einer Oberfläche, die resistent ist gegen den Befall durch Algen oder Pilze, die aber Gifte nur lokal aussendet, wo sie benötigt werden.
Abbildung 4: Unten: Schematische Darstellung eines Rückkopplungsmechanismus, bei dem die Zelle einen Metaboliten produziert, durch den sie wegen der pH-Änderung abgestoßen wird. Oben wird durch Fluoreszenzmarkierung der Zellen gezeigt, dass das Konzept funktioniert. © Ekaterina V. Skorb / Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung
Dreidimensionale Grenzflächen
Während unsere Gruppe wie andere die meisten Experimente an planaren Grenzflächen durchführt, sind für das Anwachsen von Implantaten dreidimensionale Gerüste die wichtigste Ausgangsstruktur. Hier stellen sich dann weitere Probleme des Stofftransports und der Zell-Zell-Interaktion, aber auch der gezielten Manipulation von Grenzflächen im Inneren dieser Gerüste. Glücklicherweise kann auch diese Grenzfläche mithilfe der Ultraschallbehandlung manipuliert werden. Am Beispiel eines Gerüsts aus der Abteilung Biomaterialien unseres Instituts war so zu sehen (Abb. 3 unten), dass Zellen bevorzugt in Hohlräumen mit viel Kontakt zur Wand anhaften und diese Wechselwirkungen durch unsere Methoden manipuliert werden können.
Ausblick
In diesem kurzen Beitrag sollte das Potential der gezielten Manipulation von Grenzflächen dargestellt werden. Den Schwerpunkt bildete dabei der Zell-Oberflächen-Kontakt, da hierauf eine Vielfalt von Anwendungen aufbauen. Allerdings gibt es zahlreiche offene Fragen:
- Die Wirkung von Ultraschall auf Grenzflächen ist wegen der lokalen und dynamischen Prozesse nicht verstanden.
- Die Wirkung einer festen oder weichen Oberfläche auf verschiedene Zelltypen ist nicht verstanden.
- Die verschiedenen materialspezifischen Mechanismen der Freisetzung sind qualitativ verstanden, aber quantitativ noch nicht beherrscht.
Daher sollte hier betont werden, dass sich die weitere Forschung unserer Gruppe auf Kooperationen zu diesen offenen Fragen konzentrieren wird, nicht auf Erweiterungen der Anwendungen.
Andererseits sind viele angesprochene Aspekte sehr generelle Fragen der Materialforschung. Zum Beispiel kann durch Einbringen von verkapselten Korrosionsinhibitoren in eine Deckschicht eine rückkoppelnde Beschichtung aufgebaut werden. Dabei wird durch einen Defekt in der Schicht der Inhibitor freigesetzt, wodurch sich die Schicht selbst repariert. Diese Anwendung ist vielleicht weniger spekulativ, aber von großer wirtschaftlicher und ökologischer Bedeutung. Auch wenn wir auf diesem Gebiet näher an einer Entwicklung sind, so gibt es doch auch hier noch eine erhebliche Distanz zur Anwendung. Dies ist aber kein Grund zur Entmutigung sondern vielmehr Ansporn, die Entwicklung der Grundlagenforschung zur forcieren.
*Dieser Artikel ist im Jahrbuch 2014 der Max-Planck Gesellschaft erschienen und wurde mit freundlicher Zustimmung der Autoren und der MPG-Pressestelle ScienceBlog.at zur Verfügung gestellt. Der Artikel erscheint hier in voller Länge, es fehlen aber die Literaturzitate; diese sind aus der Originalarbeit zu entnehmen: http://www.mpg.de/7790800/MPIKG_JB_20141?c=8236817.
Weiterführende Links
Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung: http://www.mpikg.mpg.de/
Im ScienceBlog
Ein Artikel über Implantate von der Seite des Mediziners aus betrachtet:
Georg Wick: Erkrankungen des Bindegewebes: Fibrose – eine häufige Komplikation bei Implantaten