Themenschwerpunkt: Viren

RDo, 04.06.2020 — Redaktion

RedaktionIcon Medizin Alle Formen des Lebens sind seit ihrer Frühzeit dem Angriff der nicht lebenden Viren ausgesetzt. Die rasch veränderlichen Viren nutzen zu ihrer rasanten Vermehrung den Stoffwechsel der Wirtsorganismen, üben auf diese damit einen enormen Selektionsdruck aus möglichst effiziente Abwehrmechanismen zu entwickeln und haben so die Evolution der Arten mitgeprägt. Über verschiedenste Aspekte der Viren sind im ScienceBlog bereits zahlreiche Artikel erschienen, die vom Kampf gegen virale Infektionen bis zu einigen nutzbringenden Anwendungen viraler Prinzipien reichen. Diese Artikel sind nun in einem Schwerpunkt zusammengefasst.

Die COVID-19 Pandemie führt uns vor Augen, wie wir in unserer modernen, globalisierten Welt von Seuchen bedroht sind, die sich rasend schnell ausbreiten, weil weder Breitband-wirkende antivirale Medikamente noch Vakzinen vorhanden sind. Wie bereits seit Jahrhunderten sind Techniken der Abschottung - des social distancing - noch immer Mittel der Wahl, um zumindest die Ausbreitung einzudämmen. Nicht aber, um hunderttausenden schwer erkrankten Menschen das Leben zu retten.

Virologie rückt in den Brennpunkt des Interesses

Die Hotspots der neuen Seuche sind (noch) Staaten der westlichen Welt in Europa und Nordamerika. Dementsprechend gibt es enorme finanzielle Unterstützung für Projekte, die wesentliche Eigenschaften des neuen Virus erforschen oder klinische Untersuchungen zur Identifizierung potentieller Medikamente oder Impfstoffe anstreben. Vor 10 Wochen hatten wir im ScienceBlog von 178 klinischen Studien berichtet, die unter dem Stichwort "COVID-19 " Eingang in das weltweit größte Register von sowohl aus öffentlicher Hand als auch von privaten Sponsoren finanzierten klinischen Studien - der US National Library of Medicine (NIH) betriebenen Datenbank ClinicalTrials.gov - gefunden haben. Inzwischen ist deren Zahl bereits auf 2032 Studien angewachsen (um 107 mehr als am Vortag). Ob diese Initiativen schnell zu wirksamen Medikamente und/oder über längere Zeit effektiven Vakzinen führen werden, ist ungewiss.

Womit wir aber sicherlich rechnen können, ist, dass viele bislang unerforschte weiße Flecken auf der Landkarte der Virologie nun neues Wissen hervorbringen werden.

Eine Erde ohne Viren ist undenkbar

Diese winzigen biologischen Partikel bevölkern in enormer Vielfalt und unvorstellbar hoher Zahl unseren Planeten; Schätzungen gehen von 1033 (1 Trillion Billiarden) Exemplaren aus.

Viren dürften bereits früh in der Erdgeschichte entstanden sein - möglicherweise um die Zeit als das Leben seinen Ursprung hatte -und kommen in allen Habitaten und allen Lebensformen vor, in Bakterien und Archaea ebenso wie in allen höheren Lebewesen, Menschen mit eingeschlossen. Die rund 30 Billionen (30.1012) menschlichen Zellen in einem gesunden Individuum koexistieren mit etwa 39 Billionen Bakterien und 100 mal so vielen Viren. (Die Funktion dieser Viren gehört zu den weißen Flecken auf der Landkarte.)

Vermehrung durch Infektion

Da Viren im Wesentlichen bloß aus einer von einer Proteinhülle umschlossenen Erbsubstanz (RNA oder DNA, die jeweils nur ein paar Gene enthalten) bestehen, also keinen eigenen Stoffwechsel besitzen, werden sie nicht lebenden Spezies zugerechnet (allerdings auch in der wissenschaftlichen Literatur meistens unter Mikroorganismen geführt).

Wie Viren aussehen und zusammengesetzt sein können, zeigt Abbildung 1 am Beispiel des neuen Coronavirus SARS-CoV-2.

Abbildung 1. Das neue Coronavirus - SARS-CoV-2 - , das COVID-19 verursacht. (Abbildung übernommen aus: Francis S. Collins: Strukturbiologie weist den Weg zu einem Coronavirus-Impfstoff) Links: Elektronenmikroskopische Aufnahme von Viren, die von einem US-Patienten isoliert wurden.  Spikes, welche kronenartig die Oberfläche des Virus säumen, haben zur Bezeichnung Coronavirus geführt (Credit: NIAID RML). Rechts: Graphische Darstellung des Coronavirus in der Lunge. Das Virus ist von einer Membran umschlossen, aus welcher das für die Anheftung an und das Eindringen in die Körperzellen verantwortliche Spike-Protein (lila) herausragt.. Ein Kanal-Protein in der Membran (rosa) ist in die Abschnürung des Virus involviert. Im Innern findet sich die genomische RNA (weiße Stränge), daran gebunden viele Kopien des Nucleocapsid-Proteins (blau). Das Virus ist vom Abwehrsystem der Lunge umringt: Mukus (grüne Bänder), sezernierten Antikörpern (gelb) und verschiedenen kleineren Proteinen des Immunsystems (Bild von David S. Goodsell, RCSB Protein Data Bank; doi: 10.2210/rcsb_pdb/goodsell-gallery-019).

Viren können sich nur vermehren, indem sie eine passende Wirtszelle finden, an diese spezifisch andocken, eintreten und deren Stoffwechsel dahingehend manipulieren, dass diese mit ihren Bausteinen und Synthesemaschinerien nun zu einer Virenfabrik wird. Rasch entstehen massenhaft Kopien des viralen Genoms und seiner anderen Bestandteile, werden zu ganzen Viren zusammengebaut, aus der Wirtszelle durch Knospung oder Zerstörung der Wirtszelle (Lyse) freigesetzt und können nun weitere Zellen infizieren. An Hand von Viren, die Bakterien befallen - sogenannten Bakteriophagen (Phagen) -, ist dieser Vorgang in Abbildung 2 dargestellt.

Abbildung 2. Infektion einer Bakterienzelle durch einen Phagen. Der Bakteriophage dockt an passende Rezeptoren an der Oberfläche des Bakteriums an (a) und injiziert die phageneigene DNA bzw. RNA (b). Dann beginnt die Transkription des Virusgenoms und es kommt zur Produktion der Virusbestandteile (c). Diese werden zu reifen Phagen zusammengebaut (d). Die fertigen Phagen werden durch Auflösung der Wirtszelle befreit (e). Die Zelle platzt und etwa 200 infektiöse Phagen werden frei. (Bild aus:Christina Beck: Genom Editierung mit CRISPR-Cas9 - was ist jetzt möglich?)

Hohe Mutationsraten und…

Generell erfolgt der Kopiervorgang von Genomen nicht fehlerfrei und virale Genome zeigen die höchsten Mutationsraten. Da solche Mutanten zu veränderten Strukturen und damit Funktionen der davon kodierten Virusproteine führen können, kann dies einen Vorteil oder auch einen Nachteil für die Replikation des Virus und damit für die Größe seiner Nachkommenschaft bedeuten. Es ist dies ein Evolutionsprozess von Mutation und Selektion, der die Infektiosität und Pathogenität des Virus abschwächen oder auch verstärken kann und dann massive Ausbrüchen von Seuchen zur Folge haben kann. Ein besonderes Problem hoher Mutationsraten tritt in der Behandlung von Virusinfektionen zutage: antivirale Arzneimittel und Vakzinen büßen rasch ihre Wirksamkeit ein, Therapeutika für neue Varianten wie beispielsweise das neue Coronavirus ist ein langer steiniger Weg./p>

Evolution, die für uns auch zu positiven Auswirkungen führen kann

Viren passen sich an Wirtszellen an, Wirtszellen entwickeln Strategien um Viren abzuwehren. Es ist eine Ko-Evolution, welche die Entwicklung der Arten entscheidend mitgeprägt hat und weiter prägt. Viren haben über die Zeit hin Stücke des Wirtsgenoms in ihr Genom einverleibt, das Genom von Wirtsorganismen enthält beträchtliche Anteile viraler Gen(stück)e. Beispielsweise haben Bakterien Mechanismen entwickelt, um die sie infizierenden Phagen zu bekämpfen: indem sie das injizierte Virusgenom zerschneiden, Stücke davon in das eigene Genom einbauen und vererben , kann mit diesen Markersequenzen bei einer weiteren Infektion mit dem Virus dieses erkannt und unschädlich gemacht werden. Auf diesem Schutzmechanismus basiert die vor wenigen Jahren entdeckte und entwickelte CRISPR-Cas9 Technik. Die einfache, billige Methode mit der man innerhalb weniger Stunden die DNA unterschiedlichster Organismen präzise schneiden und nach Wunsch verändern kann, ist innerhalb kürzester Zeit weltweit zu einem unentbehrlichen Hilfsmittel in biologisch-medizinischer Grundlagenforschung und Anwendung geworden. Bei der Sequenzierung des Humangenoms, von Tausenden weiteren menschlichen Genomen und ebenso von Genomen vieler anderer Organis¬men wurde entdeckt, dass die DNAs zahllose Fremdgene von anderen Organismen und vor allem von Viren aufweisen, die weiter vererbt werden. In der menschlichen DNA sind mehr als 8 % viralen Ursprungs und von einigen dieser Gene wurden bereits nachgewiesen, dass sie für uns nützliche Funktionen erlangt haben, z.B. in der Plazenta, in der embryonalen Entwicklung aber auch für unser Immunsystem. Daneben spielen Viren eine bedeutende Rolle in der medizinischen Forschung und Anwendung: Viren werden in der Gentherapie als Vektoren genutzt, um genetisches Material in Körperzellen einzuschleusen und damit Gendefekte zu kurieren. Viren, nämlich Phagen, finden im Einsatz gegen Antibiotika-resistente Bakterien - der sogenannten Phagentherapie - neues Interesse.


Artikel über Viren im ScienceBlog

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