Die Vermessung der menschlichen Immunzellen

Die Vermessung der menschlichen Immunzellen

Sa, 28.10.2023 — Redaktion

Redaktion Icon Datenbank Ein Forscherteam um den Biophysiker Ron Milo hat erstmals ein quantitatives Bild des menschlichen Immunsystems erstellt: wie sich die verschiedenen Typen von Immunzellen in den Geweben/Organen und im gesamten menschlichen Körper verteilen und wie hoch ihre Masse ist. Demnach besteht das Immunsystem eines Standard-Menschen aus etwa 1,8 Billionen Zellen (rund 5 % der gesamten Körperzellen) und wiegt etwa 1,2 kg (1,6 % des Körpergewichts). Lymphozyten und Neutrophile sind die häufigsten Zelltypen (machen jeweils etwa 40 % der Gesamtzahl der Immunzellen und 15 % ihrer Masse aus). Bemerkenswert ist, dass die Makrophagen 10 % der Immunzellen ausmachen, aber aufgrund ihrer Größe fast 50 % der gesamten Zellmasse. Diese Erkenntnisse ermöglichen einen quantitativen Überblick über das Immunsystem und erleichtern die Entwicklung von Modellen.

Unser Immunsystem schützt uns vor negativen Einflüssen - Fremdstoffen und Krankheitserregern -, die von außen kommen und ebenso vor im eigenen Organismus entstehenden Schäden. Es ist ein komplexes Netzwerk aus diversen Typen von Immunzellen, die in Organen/Geweben wie Thymus, Knochenmark, Milz und Lymphknoten gebildet werden und/oder heranreifen, ins Blut abgegeben werden und von dort in Gewebe wandern, wo sie ihre unterschiedlichen Schutzfunktionen erfüllen. Wie sich welche und wie viele Immunzellen im Organismus verteilen, ist ausschlaggebend für die ungestörte Funktion unserer Organe und damit für unsere Gesundheit. Auf Grund der Komplexität des Immunsystems und der Heterogenität der Populationen von Immunzellen schien eine derartige ganzheitliche Charakterisierung ihrer Verteilung bislang als viel zu schwierig - wenn es Quantifizierungen gab, so waren diese an einzelnen Zelltypen oder Geweben erfolgt, wobei unterschiedliche Modelle und Methoden einen Vergleich der Ergebnisse stark einschränkten.

Nun hat ein Team um den Biophysiker Ron Milo vom Weizmann Institute of Science (Rehovot, Israel) sich dem Problem gewidmet einen umfassenden Überblick über die Verteilung von Immunzellen im menschlichen Körper zu geben. Die Ergebnisse sind eben im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences erschienen [1]. Was quantitatives Denken in der Biologie betrifft, ist Milo kein Unbekannter. Mit dem Bestreben die Zusammensetzung der Biosphäre ganzheitlich zu charakterisieren hat er 2007 begonnen die Bionumbers Database zu entwickeln (http://www.bionumbers.hms.harvard.edu), eine offen zugängliche Datenbank, die Forschern und anderen Interessierten wichtige Schlüsseldaten/Kennzahlen aus Molekular- und Zellbiologie - quantitative Eigenschaften von biologischen Systemen - zur Verfügung stellt [2]. Zu den Systemen, die von Milo's Team bereits charakterisiert wurden, gibt es mehrere Artikel im ScienceBlog [3 - 5].

Zur Zählung der Immunzellen

Die Populationen von Immunzellen in verschiedenen Organen/Geweben (Zelldichte in Anzahl/g Organ/Gewebe) des menschlichen Körpers wurden mittels Kombination von drei Methoden ermittelt: i) aus recherchierten histologischen Untersuchungen, in denen die Anzahl der Zellen pro Gramm Gewebe geschätzt worden war; ii) aus moderneren Multiplex-Bildgebungsverfahren (MIBI-TOF), welche die gleichzeitige Bestimmung mehrerer Zelltypen in einem Gewebe erlauben und iii) auf Basis der epigenetischen Signaturen (Methylom-Signaturen) der Zelltypen. Die Masse der unterschiedliche Immunzelltypen wurde aus deren Größe ermittelt, und mittels der Zelldichten die Massen in g/Organ/Gewebe. Rezente Daten wurden mit Hilfe von deskriptiven Statistiken (d.i. übersichtliche Darstellung/Ordnung von Daten in Tabellen, Kennzahlen, Grafiken) und Meta-Analysetechniken (quantitative Zusammenfassung von Primär-Studien) analysiert.

Zelltypen. Die Studie konzentrierte sich dabei auf die in Immunologie-Lehrbüchern definierten Hauptzelltypen. Von den Lymphocyten waren dies die 4 wesentlichen Typen: T-Zellen, B-Zellen, NK-Zellen (natürliche Killerzellen) und Plasmazellen - Subpopulationen u.a. von T-Zellen wurden nicht berücksichtigt. Hinsichtlich der myeloischen Zellen wurden vier Arten von Granulozyten untersucht: Neutrophile, Eosinophile, Basophile und Mastzellen und drei andere Typen: Makrophagen, Monozyten und dendritische Zellen. Eine Zusammenstellung dieser Zelltypen und ihrer Funktionen ist in der folgenden Tabelle gegeben.

Tabelle. Hauptzelltypen, die in [1] gezählt wurden

Untersuchte Organe und Gewebe inkludierten Knochenmark, Lymphsystem und Blut, sodann das uns von der Umwelt abgrenzende Epithelgewebe (u.a. gastrointestinaler Trakt, Haut, Lunge und Luftwege) und weiters Skelettmuskel, Fettgewebe und anderes Bindegewebe.

Referenzperson für die Verteilung war der gesunde junge Mensch, wie üblich der 20 - 30 Jahre alte Mann mit 73 kg Gewicht und 1,76 m Körpergröße. Aus der Gewebedichte (Immunzellen/g Gewebe) wurde auch die Immunzellen-Verteilung in der jungen, gesunden Standard-Frau (60 kg Körpergewicht) und im gesunden 10-jährigen Kind (32 kg Körpergewicht) abgeschätzt.

Verteilung der Immunzellen

Insgesamt besteht unser Organismus aus rund 38 Billionen menschlichen Zellen, davon sind rund 5 % - 1,8 Billionen - Immunzellen. Die höchste Dichte dieser Zellen mit bis zu einer Milliarde Zellen/g Gewebe gibt es im Knochenmark, wo Neutrophile die mit 80 % dominierende Fraktion sind und im Lymphsystem, in dem 85 % der Population aus Lymphozyten bestehen.

In den Epithelgeweben von Haut, Atmungs- und Verdauungstrakt ist die Dichte der Immunzellen um etwa eine Größenordnung geringer als im Knochenmark. Fettgewebe und Skelettmuskelgewebe machen zwar 75 % der Zellmasse des Organismus aus, aber auf Grund der großen Zellen nur 0,2 % der Gesamtzellzahl im Organismus. Dementsprechend ist auch die Immunzellendichte um Größenordnungen niedriger als im Epithelgewebe. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Lokalisierung der Immunzellen und deren Heterogenität in den diversen Organen/Geweben.

Abbildung 1. Dichte verschiedener Immunzelltypen in wesentlichen Organen/Geweben (in Zellen/g). Die Daten stammen aus Literatur und Analysen bildgebender Verfahren (Abbildung aus R.Sender et a l., [1]; Lizenz cc-by)

Um die Verteilung der Immunzellen im gesamten Organismus zu quantifizieren, haben die Forscher die Zelldichte der Immunzellen in Organen/Geweben mit der Masse der Organe/Gewebe für den Referenz-Menschen korreliert. Wie oben erwähnt, kamen sie dabei auf eine Anzahl von 1,8 Billionen (1,8.1012) Immunzellen im gesamten Organismus. Die meisten dieser Zellen finden sich im Knochenmark (40 %) und im Lymphsystem (39 %). 3 - 4 % der Immunzellen sind in den Epithelien von Haut, Lunge und Darm und nur 2% im Blut. Abbildung 2.

Welche Immunzelltypen in den einzelnen Organen/Geweben vertreten sind, ist sehr verschieden. Im Knochenmark dominieren mit 80 % der Population die Neutrophilen, im Lymphsystem sind es mit 85 % die Lymphocyten. Auch im Verdauungstrakt, der nur rund 3 % der gesamten Immunzellen enthält, überwiegen mit rund 70 % die Lymphozyten, dazu kommen rund 20 % Mastzellen. Mastzellen spielen mit 30 % auch in Lunge und Haut eine wichtige Rolle. Makrophagen sind insbesondere in Leber (70 % der Population) und Lunge (40 % der Population) vorhanden aber kaum im Knochenmark, Lymphsystem und Verdauungstrakt.

Abbildung 2. Verteilung der Immunzellen im menschlichen Körper (Anzahl/Organ-System). Jedes kleine Quadrat entspricht 1 Milliarde (109) Zellen. GI: Verdauungstrakt, Others: enthalten u.a. Gehirn, Herz, Fett- und Muskelgewebe.(Abbildung aus R.Sender et a l., [1]; Lizenz cc-by)

Schätzt man die gesamte Masse der Immunzellen des menschlichen Organismus, so kommt man beim gesunden Standard-Mann auf rund 1,2 kg, bei einer durchschnittlichen jungen Frau (60 kg KG) mit rund 1,5 Billionen Immunzellen auf 1,0 kg, bei einem 10 jährigen Kind (32 kg) und rund 1 Billion Immunzellen auf etwa 600 g. Wie sich die Immunzellen auf die verschiedenen Organe verteilen, erscheint weitgehend unabhängig vom Geschlecht. Alter und Krankheit dürften allerdings zu wesentlichen Veränderungen führen.

Die aktuelle Studie bietet eine erste Bestandsaufnahme des Status unseres Immunsystems und eine Fülle neuer Erkenntnisse. Beispielsweise kommt zur Funktion der Leber als bedeutendstes Stoffwechsel- und Entgiftungsorgan die Rolle als Immun-Barriere gegen Mikroben-Antigene und Toxine, die aus dem Darm über die Pfortader gelangen: von den 6 % Immunzellen der Leber sind 70 % Makrophagen - Fresszellen, die gegen die Eindringlinge gerichtet sind. Ein anderes Beispiel betrifft den Magen-Darmtrakt, von dem allgemein angenommen wurde, dass er den Großteil der Immunzellen oder zumindest der Lymphozyten beherbergt. Tatsächlich sind es bloß 3 % der gesamten Immunzellen (die meisten Immunzellen sind im Knochenmark und im Lymphsystem), allerdings nimmt der Darm die Spitzenposition in der Antikörper-vermittelten (humoralen) Immunantwort ein: 70 % der Plasmazellen des Körpers sitzen im Darm.

Zweifellos werden die neuen Daten eine Fülle an Untersuchungen initiieren, die das Ziel haben Funktion und Regulierung des hochkomplexen Immunsystems quantitativ zu modellieren.


[1] Ron Sender et al., The total mass, number, and distribution of immune cells in the human body. Proc Natl Acad Sci U S A. 2023 Oct 31;120(44):e2308511120. doi: 0.1073/pnas.2308511120

[2] Redaktion, 22.12.2016. Kenne Dich selbst - aus wie vielen und welchen Körperzellen und Mikroben besteht unser Organismus?

[3] Redaktion, 29.12.2016: Wie groß, wie viel, wie stark, wie schnell,… ? Auf dem Weg zu einer quantitativen Biologie

[4] Redaktion, 10.02.2023: "Macht Euch die Erde untertan" - die Human Impacts Database quantifiziert die Folgen

[5] Redaktion, 18.02.2023: Was da kreucht und fleucht - Wie viele Gliederfüßer (Arthropoden) leben im und über dem Boden und wie hoch ist ihre globale Biomasse?


 

inge Sat, 28.10.2023 - 23:46