Seegraswiesen wandeln Kohlendioxid in Zuckerverbindungen um und sondern diese in den Meeresboden ab
Seegraswiesen wandeln Kohlendioxid in Zuckerverbindungen um und sondern diese in den Meeresboden abDo. 28.09.2023 — Manuel Liebeke
Auf alten Karten findet sich häufig die Bezeichnung „terra incognita“ – unbekanntes Land. Bis heute sind große Teile der Weltmeere unerforscht, „mare incognitum“ sozusagen. In den Meeren gibt es also immer noch jede Menge Neues zu entdecken. Prof. Dr. Manuel Liebeke, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie, und sein Team erforschen Seegraswiesen. Obwohl diese Ökosysteme nur eine kleine Fläche des Ozeans bedecken, binden sie durch Photosynthese große Mengen atmosphärischen Kohlendioxids und sondern Berge von Zuckerverbindungen in den Meeresboden ab.*
Seegräser wachsen an den meisten Küsten der Weltmeere. Ähnlich wie Landpflanzen binden die Gräser durch Photosynthese Kohlendioxid und wandeln es in neue, größere Kohlenstoffverbindungen um. Obwohl sie nur 0,2 Prozent der Meeresfläche bedecken, produzieren Seegräser etwa zehn Prozent der in den Ozeanen versinkenden Kohlenstoffverbindungen. Sie leisten somit einen erheblichen Beitrag für den Kohlenstoffhaushalt der Meere und des gesamten Planeten.
Seegräser geben einen Teil des von ihnen gebundenen Kohlenstoffs meist als Zuckerverbindungen über ihre Wurzeln an den Meeresboden ab. Auch viele Landpflanzen sondern aus ihren Wurzeln Zucker ab. Im Boden lebende Pilze und viele Mikroorganismen erfreuen sich an diesen für sie lebenswichtigen Kohlenhydraten. Manche dieser Mikroben stellen den Pflanzen im Gegenzug Mineralien und andere anorganische Substanzen zur Verfügung. Abbildung 1.
Abbildung 1. Kohlenstoffkreislauf in Seegras-Sedimenten. Seegräser geben einen Teil des von ihnen gebundenen Kohlenstoffs meist als Zuckerverbindungen über ihre Wurzeln an den Meeresboden ab. Davon verbrauchen die Mikroorganismen in der Rhizosphäre nur wenig- sie werden offensichtlich von - ebenfalls von Seegräsern produzierten - phenolischen Verbindungen (weiße Strukturen) gehemmt. |
Solche schon vor über 100 Jahren als Rhizosphäre bezeichneten Bodenökosysteme sind inzwischen sehr gut erforscht und die Symbiosen zwischen Landpflanzen und den im Boden lebenden Mikroorganismen dokumentiert. Dagegen ist über pflanzliche Zuckerausscheidungen im Meeresboden und deren potenzielle Wechselwirkungen mit Mikroben nur sehr wenig bekannt. Mein Team und ich wollen diese Lücke schließen. In verschiedenen Meeresregionen haben wir Wassersproben im Sediment unter den Seegraswiesen genommen und die darin vorkommenden, von den Pflanzen abgegebenen Stoffwechselprodukte analysiert. Unsere Analysen zeigen, dass unterhalb von Seegraswiesen viel Rohrzucker (Saccharose) vorkommt. Die Konzentrationen erreichen in einigen Sedimenten je nach Tiefe sehr hohe (millimolare) Werte. Der Rohrzucker macht bis zu 40 Prozent des von den Wurzeln der Seegräser abgegebenen organischen Kohlenstoffs aus. Dessen Konzentration im Boden schwankt im Tagesverlauf und je nach Jahreszeit. Bei sehr starkem Lichteinfall, zum Beispiel zur Mittagszeit oder im Sommer, produzieren Seegräser mehr Zucker, als sie verbrauchen oder speichern können. Dann geben sie die überschüssige Saccharose einfach an den Boden ab.
Mikroben im Boden verbrauchen wenig Saccharose
Warum aber lagern Seegräser so viel Saccharose in den Sedimenten ab? Handelt es sich vielleicht um eine Art Überfluss-Stoffwechsel, weil ihnen essenzielle Substrate zum Aufbau anderer Kohlenhydrate fehlen? Die meisten Mikroorganismen an Land und im Meer können Saccharose leicht verdauen und daraus viel Energie für sich gewinnen. Wir haben jedoch bei unseren Untersuchungen festgestellt, dass viele der in der Seegras-Rhizosphäre vorkommenden Mikroorganismen vergleichsweise wenig Saccharose beanspruchen. Dies könnte die von uns beobachtete Anreicherung des Zuckers im Sediment erklären. Oder vielleicht fehlen den Mikroben die Stoffwechselwege, die sie für die Verdauung von Saccharose benötigen?
Möglich ist aber auch, dass die Seegräser Stoffwechselprodukte absondern, die das Wachstum der Mikroorganismen bremsen. Unser Verdacht: Es könnte sich um phenolische Verbindungen handeln. Phenolartige Substanzen kommen in verschiedensten Pflanzenarten vor, zum Beispiel in Weintrauben, Kaffeebohnen und Obst. Diese Stoffe hemmen den Stoffwechsel von Mikroorganismen und wirken dadurch antimikrobiell – vermutlich ihre eigentliche Aufgabe für die Gesundheit der jeweiligen Pflanze.
Seegräser enthalten von Natur aus viele Phenole, etwa Kaffeesäure (3,4-Dihydroxyzimtsäure), die sie an ihre Umgebung abgeben könnten. Im Meerwasser rund um Seegraswiesen konnten wir dann phenolische Verbindungen nachweisen, die aus pflanzlichen Polymeren gebildet werden. Um zu prüfen, ob die in der Umgebung von Seegräsern vorkommenden Mikroorganismen von diesen Phenolen gehemmt werden, haben wir auf der Mittelmeerinsel Elba Bodenproben von unterhalb der Seegraswiesen genommen und mit aus Seegras isolierten Phenolen sowie Saccharose in Kontakt gebracht. Unsere Messungen zeigen, dass die Mikroben in den Bodenproben nach Zugabe der phenolischen Substanzen viel weniger Saccharose konsumiert haben, dies war besonders deutlich bei Versuchen ohne Sauerstoff. Der Zuckergehalt blieb also entsprechend hoch, ähnlich unseren Beobachtungen direkt aus der Seegraswiese.
Abbildung 2. Üppige Seegraswiesen von Posidonia oceanica im Mittelmeer. Das Team des Max-Planck-Instituts für marine Mikrobiologie geht davon aus, dass seine Erkenntnisse auch für andere Seegrasarten sowie Mangroven und Salzwiesen relevant sind. |
Als Nächstes haben wir die im Sediment vorhandenen Nukleinsäuren isoliert und sequenziert. Auf diese Weise konnten wir alle Arten von Mikroorganismen anhand ihres Erbguts identifizieren und klassifizieren, welche Stoffwechselgene sie besitzen. Trotz der toxischen Phenole scheint eine kleine Gruppe mikrobieller Spezialisten sowohl Saccharose verdauen als auch Phenole abbauen zu können. Wir vermuten, dass diese von uns entdeckten Mikroorganismen nicht nur auf den Abbau von Zucker und Phenolen spezialisiert sind. Wahrscheinlich sind sie für das Seegras auch nützlich, weil sie Nährstoffe produzieren, welche die Pflanzen für ihr Wachstum dringend brauchen. Der Kohlenstoffkreislauf in Seegras-Sedimenten unterscheidet sich somit von dem auf dem Land und auch von den Kohlenstoffkreisläufen im freien Meerwasser, wo Mikroben Saccharose schnell abbauen.
Phenole in anderen Ökosystemen
Phenolverbindungen kommen höchstwahrscheinlich auch in anderen Ökosystemen in größeren Mengen vor. Wir untersuchen zurzeit die Zusammensetzung von gelöstem Kohlenstoff in Salzmarschen und Mangrovenwäldern. Abbildung 2. Innerhalb der Deutschen Allianz Meeresforschung beteiligt sich unser Institut an Forschungsvorhaben, welche die deutschen Küstenregionen in den Fokus rücken. Vergleichsstudien und Probenahmen in tropischen Ländern ergänzen das Projekt. Zudem wird untersucht, wie stabil Kohlenwasserstoffe bei starkem UV-Licht oder erhöhten Temperaturen sind. Diese Umweltfaktoren sind für das weitere Schicksal des Kohlenstoffs im großen Meereskreislauf entscheidend.
Das Ziel ist, Küstenökosysteme zu erhalten, die langfristig möglichst viele stabile Kohlenstoffverbindungen produzieren und so den Anstieg des Gehalts an Kohlendioxid in der Atmosphäre in Schach halten. Auch eine „Wiederaufforstung“ zerstörter Flächen mit Seegras wäre denkbar, wenn es die Beschaffenheit der Küsten zulässt.
*Der unter Highlights aus dem Jahrbuch 2022 der Max-Planck Gesellschaft unter dem Titel " Süße Oasen im Meer" erschienene Artikel https://www.mpg.de/20478773/jahrbuch-highlights-2022.pdf (2023) wird - mit Ausnahme des Titels und der Legende zu Abbildung 1- in praktisch unveränderter Form im ScienceBlog wiedergegeben. Die MPG-Pressestelle hat freundlicherweise der Veröffentlichung von Artikeln aus dem Jahrbuch auf unserer Seite zugestimmt. (© 2023, Max-Planck-Gesellschaft)
Weiterführende Links
Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie: Miracle plant seagrass (2022). Video 2:07 min. https://www.youtube.com/watch?v=iWm2lkK062Q.
The Biome Project: Seagrasses - Ecology In Action (2022). Video 6:59 min. https://www.youtube.com/watch?v=0bvOh7qby-c
International Field Studies: Seagrass Ecosystem Webinar (2020). Video 22:00 min. https://www.youtube.com/watch?v=3j82byN7HGs
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