Energiewende (5): Von der Forschung zum Gesamtziel einer nachhaltigen Energieversorgung
Energiewende (5): Von der Forschung zum Gesamtziel einer nachhaltigen EnergieversorgungDo, 22.08.2019 — Robert Schlögl
Der Umbau des Energiesystems ist eine Revolution. Um diese zu auszuführen bedarf es exzellenter Grundlagenkenntnisse, die in praxistaugliche Technologien umgesetzt werden müssen ohne dabei die systemische Natur der Energieversorgung aus den Augen zu verlieren. Die systemische Betrachtung gilt auch für das Gesamtziel des Umbaus, das Robert Schlögl (Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion; Mülheim a.d.R.) in der 5. Folge seines Eckpunktepapier „Energie. Wende. Jetzt“ in einer nachhaltigen Energieversorgung sieht: diese soll den Interessen aller Beteiligten dauerhaft dienlich sein, für alle Akteure grundsätzlich zugänglich sein, die Biosphäre minimal tangieren, in geschlossenen Stoffkreisläufen vor sich gehen und unter vollständiger menschlicher Kontrolle funktionieren.*
Die Forschung zu Energiesysteme
In Deutschland und in Europa wird umfangreich und seit langer Zeit bereits zu Optionen der Energieversorgung geforscht. Abbildung 1.Dies folgt aus der Armut Europas an fossilen Energieträgern und den resultierenden politischen Abhängigkeiten.
Abbildung 1. Die Aufwendungen für Energieforschung sind in Europa erheblich. Deutschland nimmt hier eine führende Stellung ein. Auch im nationalen Forschungsprogramm wird viel für Energieforschung getan.
Die Grundlagenforschung zu allen Fragen der Energiewandlung ist in Deutschland weit entwickelt und fest etabliert. Sie hat viele Ansätze hervorgebracht und sollte unabhängig von Zwängen zur Anwendung unbedingt weiter vorangetrieben werden. Die Erforschung wissenschaftlich-technischer Grundlagen sollte in unserem Land für alle Optionen der Energiewandlung offen sein. Dies gilt auch für nukleare Optionen, die außerhalb Deutschlands weiter betrieben werden und deren Folgen in Deutschland noch sehr lange präsent sein werden. Dies gilt weiter für die Fusion, deren Eignung als Energiequelle schnellstmöglich nachgewiesen werden sollte.
Zur Gestaltung der Energiewende in Deutschland, Europa und der Welt sind aber nicht nur exzellente Grundlagenkenntnisse erforderlich, sondern diese müssen in praxistaugliche Technologien umgesetzt werden. Diese bedürfen dann ausgiebiger Tests und einer Einführung in Märkte. Hier finden sich zahlreiche Ansätze der Energieforschung, die von der Politik intensiv gefördert werden. Allerdings werden die technologischen Realisierungen oftmals behindert, weil regulatorische Bedingungen einer Kommerzialisierung entgegenstehen. Diese ist Voraussetzung für das Engagement von privatem Kapital und für die Priorisierung von Forschungsanstrengungen.
Zudem werden Projekte parallel und Förderprogramme nicht ausreichend koordiniert angegangen. In der Planung der sehr aufwändigen Technologieprojekte kommt die systemische Betrachtung zu kurz. Dies gilt besonders für die Beurteilungen von Potenzialen für die Energiewende, bei denen heutige Randbedingungen für die Wirkung von Technologien für morgen zur Betrachtung kommen. Die Neigung, auf Grund der Verfügbarkeit neuer technologsicher Ansätze aus der Forschung den regulatorischen sehr eng gefassten Rahmen zumindest zu hinterfragen (beispielsweise mit dem Mittel der „Reallabore“ - am 09. 04.2019 wurde immerhin ein „Netzwerk Reallabore der Nachhaltigkeit“ gegründet – s. solarify.eu/netzwerk-reallabore-der-nachhaltigkeit-gegruendet) ist gering. Dabei sind Instrumente der LCA (life cycle anaylsis) und der Szenarienbildung dazu sehr gut ausgearbeitet und weitgehend standardisiert.
Durch ihre retardierende Haltung verlieren Deutschland und Europa zunehmend an wissenschaftlichem und ökonomischem Boden gegenüber anderen Regionen in der Welt, die der Einführung neuer Technologien offener gegenüberstehen.
Weiters wirkt eine extrem konservative Form der Technikbeurteilung der Übernahme von Risiken für neue Technologien entgegen. Dies beobachtet man sowohl in der Industrie als auch in der Gesellschaft, die der Industrie auch durch ausgeprägte Verfolgung individueller Interessen die Umsetzung neuer Technologien erschwert. Es sprengt den Rahmen dieser Arbeit aufzuzeigen, in wieweit das Verhalten der Industrie diese Reaktion befördert oder entsprechende Vorurteile in der Vergangenheit hat entstehen lassen. Als Folge ist zu erwarten, dass hier geförderte und entwickelte Technologien außerhalb Europas zuerst kommerziell eingesetzt werden und der wirtschaftliche Nutzen damit verloren wird.
Das Gesamtziel richtig setzen
Der fundamentale Eckwert zur Energieversorgung ist die Frage nach dem Gesamtziel. Dazu wurde in Deutschland eine jahrelange intensive Diskussion geführt, die nach einer Phase mit einer Vielzahl von Zielen eine hierarchische Ordnung von Zielen hervorgebracht hat (siehe [2], Abbildung 2). Angaben über die europäischen Ziele finden sich in [2](Abbildung 3). Versucht man, diese Ziele zu kommunizieren oder kritisch zu hinterfragen, stellt man fest, dass es kein einheitliches Schema zu deren Begründung gibt. Dies ist auch eine Folge der nicht beachteten systemischen Natur der Energieversorgung. Dies gilt bereits für die Wahl der Zielkategorien.
Die Vision einer nachhaltigen Energieversorgung
Eine überzeugende Kommunikation und daraus resultierende Beschlussfassung und die darauf folgende lange Phase der Umsetzung verlangen eine konsistente und verbindliche Zieldefinition. Diese könnte sein, dass die Energieversorgung zukünftig nachhaltig werden soll. Darunter ist ein System zu verstehen, das auf Grund der Nachhaltigkeitsbedingung gleichzeitig mehrere Ziele erfüllt, die derzeit ohne Zusammenhang postuliert werden.
- Nachhaltig im vorliegenden Kontext meint:
- Den Interessen aller Beteiligten dauerhaft dienlich
- Für alle Akteure grundsätzlich zugänglich
- Die Biosphäre minimal tangierend
- Mit den Ausnahmen von Sauerstoff, Stickstoff und Wasser in geschlossenen Stoffkreisläufen funktionierend
- Unter vollständiger menschlicher Kontrolle funktionierend.
Solch eine Energieversorgung enthält einen Kohlenstoffkreislauf, verzichtet schnellstmöglich auf die Nutzung von Kohle und Petroleum und auf fossiles Gas, sobald der Kohlenstoffkreislauf in entsprechender Größe funktioniert (siehe Abbildung 1 in [2]).
Nukleare Energiewandlung in den bisherigen Kraftwerkstechnologien sind ausgeschlossen.
In der Umsetzung wird auf Zugänglichkeit für alle geachtet werden. Pfadabhängigkeiten und unnötige, durch Regeln verursachte Kosten werden durch systemische Konzepte vermieden.
Der Treiber für den Umbau ist die Möglichkeit, durch eine entsprechende Wandler- und Transport-Struktur erneuerbare Primärenergie von der Sonne ohne volumenabhängige Kosten und in menschlich-historischen Zeitmaßstäben dauerhaft zu nutzen - und nicht der Verzicht auf fossile Energieträger oder eine Einschränkung des Gebrauches von Energie.
Diese Vision schließt mit ein, dass damit die natürlichen Ressourcen des Planeten bei der Energiewandlung und Verteilung weitgehend geschont werden.
Was kostet der Umbau?
Dafür sind enorme Mittel und einige neue Technologien in globalen Dimensionen nötig, die zu finanzieren sind. Finanzielle Aufwendungen für die Energienutzung fallen aber auch heute an (Abbildung 2).
Abbildung 2. In der Summe geben deutsche Privathaushalte etwas mehr als 100 Milliarden € jährlich für hauptsächlich fossile Energieaus, Strompreise sind trotz ihrer Spitzenwerte in der EU der relativ geringste Anteil im Energiebudget. (Für Industrieunternehmen - hier nicht gezeigt - setzen sich die Stromkosten je nach Ausnahmereglung anders zusammen,)
Es geht um eine Substitution von Ressourcen und die Finanzierung der einmaligen Transformationskosten, die erhebliche Beträge annehmen. Diese Beträge hängen maßgeblich davon ab (Abbildung 3), inwieweit systemisch optimale Transformationspfade, sinnvolle Zielstrukturen und Kooperationen zwischen Staaten, Industriebranchen und zwischen der nutzenden Gesellschaft und den umsetzenden Akteuren (Beispiel Netzausbau) gefunden werden.
Abbildung 3. Kumulative systemische Gesamtkosten bis zum Jahr 2050 für Systementwicklungen, die sich hinsichtlich der Zielwerte der Reduktion energiebedingter CO2-Eissionen unterscheiden. Die Gesamtkosten des Umbaus des Energiesystems hängen stark von den politisch angestrebten Zielen ab (hier als CO2 Einsparziel definiert). Sie steigen stark überproportional mit ambitionierten Zielen, die eventuell zweifelhaft in ihrer nachhaltigen Wirkung sein können. Man beachte den Referenzwert für die nötigen kumulierten Investitionen der ohnehin fällig wird, selbst wenn keine weiteren Maßnahmen zum Umbau des Energiesystems ergriffen werden.(Quelle; esys: Stellungnahme „Sektorenkopplung (2017))
Vergleicht man die Daten aus Abbildung 2 und 3, erkennt man mit der nötigen groben Annäherung eine Entsprechung der Größenordnung der Werte. Die Verfügbarkeit derartiger finanzieller Mittel in Deutschland und Europa setzt allerdings eine mindestens stabile wirtschaftliche Lage voraus. Ohne diese zentrale Voraussetzung kann ein Umbau des Energiesystems an mangelnden Ressourcen scheitern.
Die Zahlen zeigen auch sehr deutlich, dass der Staat diese Mittel in keinem Fall aufbringen oder nur nennenswert teilfinanzieren könnte. Daher ist die proaktive Beteiligung von Wirtschaft und Privatleuten unabdingbar. Es wird in der Diskussion propagiert, dass eine Steuer auf die CO2-Emissionen die nötigen Mittel für den Umbau liefern könnte. Ihre Einführung würde jedoch einen erheblichen Bruch mit dem Ziel bedeuten, alle Maßnahmen und somit auch die Höhe der Steuer konsistent begründen zu können. Das unbedingt verbesserungsbedürftige ETS (Emissions Trading System) unterliegt nicht diesem Problem. Trotzdem hat der Staat über die Zuteilung von Zertifikaten einen global steuernden Einfluss. Der primäre Zweck der Bepreisung sollte die Motivation der Nutzer sein möglichst umfassend und schnell auf den Gebrauch von nicht nachhaltigen Energieträgern zu verzichten. Die Finanzierung des Energiesystems muss sich aus seiner Nutzung ergeben.
Speicherung von Erneuerbarer primärere Elektrizität in chemischen Energieträgern
Ein Argument gegen die Verwendung von Erneuerbarer primärere Elektrizität zur Speicherung in chemischen Energieträgern (abgeschwächt in Wasserstoff) ist die geringe Prozesseffizienz solcher Verfahren.
Dies ist zunächst richtig, da jede Verlängerung der Prozesskette von der Gewinnung erneuerbarer Energie zur letztendlichen Anwendung unweigerlich Verluste mit sich bringt. Unter diesen ist die „Aufladung“ der chemischen Batterie namens CO2 mit die verlustreichste weil dabei zwangsläufig das nicht erwünschte Wasser gebildet werden muss. Chemische Forschung kann hier noch erhebliche Verbesserungen (etwa einen Faktor 2) erbringen, allerdings wird dafür ein langer Atem notwendig sein. Für erste industrielle Anwendungen (in Deutschland etwa Carbon2Chem, s. solarify.eu/carbon2chem-von-ccs-zu-ccu) reichen die Effizienzen heute aus.
Gleichwohl bleibt die Nutzung von chemischen erneuerbaren Energieträgern „ineffizient“ bezüglich einer hypothetischen direkten Verwendung von elektrischer Energie. Die Transportfähigkeit auf allen Skalen im System, die daraus resultiert, ist ein zentrales Element einer schnellen und dauerhaften Umstrukturierung des Energiesystems. Erweitert man den Betrachtungsrahmen der Effizienz hin auf das gesamte System und betrachtet die Verfügbarkeit der erneuerbaren Energie zu jedem beliebigen Zeitpunkt mit, so ändert sich die Beurteilung der Prozesseffizienz und die systemische Dienstleistung von in CO2 gespeicherter Energie mit ihren Vorteilen wird zum überwiegenden Argument.
*Dies ist Teil 5 des Artikels von Robert Schlögl "Energie. Wende. Jetzt", der am 7.Mai 2019 auf der Webseite des Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion erschienen ist (https://cec.mpg.de/fileadmin/media/Presse/Medien/190507_Eckpunktepapier__Energie.Wende.Jetzt__-_Erstfassung_final.pdf ). Der Artikel wurde mit freundlicher Zustimmung des Autors und der MPG-Pressestelle ScienceBlog.at zur Verfügung gestellt; der Text blieb weitestgehend unverändert, die 3 Abbildungen stammen aus dem Anhang 13, 14, 15 des Artikels. Literaturzitate wurden allerdings weggelassen - sie können im Original nachgelesen werden.
Vorherige Folgen:
Teil 1: R.Schlögl, 13.06.2019: Energie. Wende. Jetzt - Ein Prolog.
Teil 2: R.Schlögl, 27.06.2019: Energiewende (2): Energiesysteme und Energieträger
Teil 3: R.Schlögl, 18.07.2019: Energiewende (3): Umbau des Energiesystems, Einbau von Stoffkreisläufen.
Teil 4: R. Schlögl, 08.08.2019: Energiewende (4): Den Wandel zeitlich flexibel gestalten.
Demnächst erscheint mit Teil 6 der Abschluss der Artikelserie.
Weiterführende Links
Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion (MPI CEC) https://cec.mpg.de/home
Woran forscht das MPI CEC? Video 3:58 min.
Oppermann, Bettina/Renn, Ortwin (März 2019) Partizipation und Kommunikation in der Energiewende. Analyse des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“
R. Schlögl (2017): Wasserstoff in Ammoniak speichern.
Die österreichische Klima-und Energiestrategie: "#mission2030" (Mai 2018).