Neue Wege für neue Ideen – die „Innovative Medicines Initiative“(IMI)

Neue Wege für neue Ideen – die „Innovative Medicines Initiative“(IMI)

Fr, 09.01.2015 - 08:14 — Christian R. Noe

Christian R. NoeIcon MedizinDie 2008 als gemeinsame Unternehmung der Europäischen Kommission mit der forschenden Pharmaindustrie (EFPIA) gegründete Innovative Medicines Initiative (IMI) soll in einer bisher nie dagewesenen Kooperation von akademischer Forschung, Kliniken, Zulassungsbehörden, Patientenorganisationen und Pharmaindustrie zur schnelleren und effizienteren Entwicklung neuer Therapien führen. Der Chemiker und Pharmazeut Christian Noe ist hatte während der ersten Phase von IMI den Vorsitz in deren Scientific Committee inne, welches für die Erstellung der Strategic Agenda entscheidend ist.

Gute Ideen sind zu allermeist Schöpfungen kreativer Menschen. Wenn diese ihr Konzept zur Umsetzung in bestehende Strukturen einbringen, dann sind diese in der Regel mit einem anderen Menschentyp konfrontiert, im besten Fall mit verantwortungsvollen Administratoren, im schlimmsten Fall mit Pfründnern. Es liegt nahe: Je älter und verkrusteter eine Struktur ist, desto mehr haben ihre „Hausmeister“ das Sagen. Strukturellen Fragen wird dann vorrangige Bedeutung zugemessen.

Eine neue Idee kann sogar „störend“ sein.

Von der industriellen Revolution…

Als in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die fundamentalen Neuerungen der ersten industriellen Revolution aufkamen, war das herrschende politische System völlig überfordert. Es trat jener Rückzug der Menschen ins Private ein, welchen wir als „Biedermeier“ bezeichnen. – Wien ist als Stadt des Biedermeier bekannt. Polizeigewalt und Spitzelwesen waren die Begleitmusik und nicht die Ursache dieser gesellschaftspolitischen Schockstarre.

Das wahre Problem lag letztlich in der Unfähigkeit der Politik, die Neuerungen der industriellen Revolution in die Gesellschaft zu integrieren.

…zur Data Revolution

Heute, 200 Jahre später, leben wir wiederum in einer solchen Zeit. Wir stehen inmitten der Umsetzung einer neuen industriellen Revolution, der „data revolution“. Die neue Technologie ist die Informationstechnologie. Die Maschinen, welche alles umsetzen, sind die Computer.

Die Akteure im politischen System sind wiederum überfordert. Es herrscht die „neo-biedermeierliche Schockstarre“.

Neo-biedermeierliche Schockstarre auch hinsichtlich Wissenschaft und Forschung?Abbildung 1. Neo-biedermeierliche Schockstarre auch hinsichtlich Wissenschaft und Forschung? (Titel des kolorierten Kupferstichs: „Der Magister von Krähwinkel legt sich auf Sprachen und Bücher“. Johann Nusbiegel um 1830)

Die Analogie zum 19. Jahrhundert ist frappant: Wenn man so will, kann man exemplarisch „NSA“ (National Security Agency – Auslandsgeheimdienst der USA) als Begriff für das neue Spitzelwesen heranziehen. Die herrschaftliche Macht kommt heute kaum mehr durch einen sichtbaren Polizeiapparat zum Ausdruck, sondern wird durch eine Vielzahl elektronisch aufbereiteter Vorschriften und Aufforderungen ersetzt.

Wenn man die in den nächsten Jahrzehnten anstehende Zusammenführung von Robotics und artifizieller Intelligenz bedenkt, dann muss man tatsächlich Sorge um die Zukunft der nächsten Generation haben.

Konservative Erstarrung auch an den Universitäten

Es steht außer Zweifel, dass die Universitäten mehr als alle anderen Institutionen durch die neuen Technologien herausgefordert sind. In ihrer Rolle als „Tempel des Wissens“ haben sie ausgedient. Wikipedia „weiß“ mehr als alle Professoren. Da es bei den Veränderungen unmittelbar um „Wissen“ geht, ist es nicht ohne weiteres verständlich, warum die meisten Universitäten ihre Konzepte bisher so zögerlich an die neue Zeit angepasst haben.

Die „Europäische Universität“ ist eine wohl bewährte, aber zugleich eine sehr alte Struktur. Über die Zeit hat ihre Evolution auch einen Wissenschaftlertypus hervorgebracht und gefördert, dessen Augenmerk sich eher an der Erhaltung und Sicherung der universitären Struktur orientiert, als an neuen wissenschaftlichen Inhalten. Kreative Schritte, um die Herausforderungen der neuen Zeit in neue Möglichkeiten und Chancen umzumünzen, sind solchen Menschen verschlossen. Man plagt sich bei jeder Reform.

Etwas provokativ ließe sich sagen: „Nichts ist so konservativ wie ein universitäres Curriculum!“

Wege aus der konservativen Erstarrung

Was kann man da tun, um konservative Erstarrung zu überwinden und neuartige wissenschaftliche Konzepte und Ideen zu implementieren? Es gibt zwei Wege:

  • Beim ersten Weg gilt es, ohne Zögern ein sich öffnendes „window of opportunity“ zu nützen, wenn eine etablierte Struktur reformiert oder sonst verändert wird. Als zum Beispiel vor etwa 20 Jahren der Fachbereich Pharmazie in das neu gegründete Biozentrum der Universität Frankfurt eingegliedert wurde, haben wir Professoren nicht gezögert und die „molekularbiologische Herausforderung“ als Gelegenheit genutzt, um die „Biologisierung“ der universitären Pharmazie in Forschung und Lehre voranzutreiben. Der positive Effekt unserer Pionierarbeit hat weit über Frankfurt hinaus gewirkt.
  • Der andere, aufwendigere Weg besteht darin, zur Umsetzung einer neuen Idee eine neue Struktur zu schaffen. So sind die Ziele besser und aktiver planbar. Vor mehr als 10 Jahren entwickelten Europäische Pharmazieprofessoren, Mitglieder der European Federation of Pharmaceutical Sciences (EUFEPS), die Idee einer organisierten Zusammenarbeit universitärer und industrieller Forscher, um die Pharmaforschung insgesamt und allem voran den Standort Europa in Schwung zu bringen. Daraus wurde:

Die Innovative Medicines Initiative (IMI)

Im Jahre 2008 wurde die Innovative Medicines Initiative [1] als gemeinsame Unternehmung der Europäischen Kommission mit der forschenden Pharmaindustrie (EFPIA) gegründet. Es sollte eine Zusammenarbeit von akademischer Forschung, Kliniken, Zulassungsbehörden, Patientenorganisationen und Pharmaindustrie werden. Die Etablierung von IMI stellte in mehrerlei Hinsicht „Premieren“ dar, nämlich als:

  • eine öffentlich-private Partnerschaft („public private partnership“, PPP),
  • ein auf Innovation ausgerichtetes Förderinstrument der EU,
  • eine Plattform zur Zusammenarbeit akademischer und industrieller Forscher in großen Konsortien und zugleich
  • ein Instrument zur „präkompetitiven“ Forschungszusammenarbeit großer Firmen.

Nicht zuletzt sollte erwähnt werden, dass eine Dotierung von 2 Milliarden Euro IMI bereits in seiner ersten Phase (IMI 1) zum weltweit größten Förderinstrument auf dem Gebiet der Life Sciences machte. Guten Ideen wurde ein breiter Raum gegeben. Die Themen wurden in der strategischen Agenda festgeschrieben. Es war ein Privileg, da mittun zu dürfen.

Die richtige Behandlung für den richtigen Patienten zur richtigen Zeit

Ganz wesentlich war aus meiner Sicht jene Wende in der strategischen Ausrichtung, welche sich vor etwa fünf Jahren - zur Mitte der ersten Förderperiode von IMI - in der Pharmaforschung im Allgemeinen und bei IMI im Speziellen ereignete. „Der Patient steht im Mittelpunkt der Forschung“ sollte ab nun nicht mehr nur ein Schlagwort sein, in der Forschung sollte es nicht mehr nur um großartige Versprechungen gehen, welche irgendwann einmal in ferner Zukunft zum Erfolg führen sollen, sondern vor allem um Hilfe für Menschen: „hic et nunc“.

Dies bedeutet die Förderung von Programmen auf verschiedensten Ebenen:

  • Nicht nur „Forschung und Entwicklung neuer Medikamente“ sind nunmehr die vorrangigen Aufgabenfelder der pharmazeutischen Wissenschaften, sondern in gleicher Weise auch „Produktion“ und schließlich die „Nutzbarmachung der Arzneimittel“. In dieser letzten Phase erreicht ja letztlich das Medikament den Patienten, zumeist in der Apotheke oder im Krankenhaus.
  • Förderung wissenschaftlicher Fragestellungen zum Gesundheitssystem - insgesamt betrachtet - und im Speziellen zum Apothekenwesen.

Das IMI PharmaTrain ProjektAbbildung 2. Das IMI PharmaTrain Projekt: Implementierung von Postgraduiertenkursen (u.a. Diplom-, Masterkurse) mit hohen Qualitätsstandards und internationaler Anerkennung. Details: www.pharmatrain.eu

  • Einbeziehung neuer Forschungsgebiete, die rasant heranwachsen: hier wären etwa die „Pharmakovigilanz“ (d.i. die systematische Überwachung der Sicherheit eines Medikaments) zu nennen oder die „Effektivität“ als jener Bereich der Pharmakoökonomie, bei welchem die fundamentale Rolle der Finanzierung des Gesundheitssystems bei der Gestaltung von Forschungs- und Entwicklungsprojekten thematisiert wird. IMI hat Projekte zu solchen Themen formuliert, großzügig finanziert und implementiert.
  • Auch ein umfassendes elektronisches Lehrprogramm der pharmazeutischen Wissenschaften wurde im Rahmen von IMI erarbeitet. Wieweit die neue Ausrichtung die Universitäten beeinflussen wird, ist abzuwarten.

Was wurde erreicht, wie geht es weiter?

In der ersten Phase (IMI 1) bis Ende 2013 hat sich IMI zur weltgrößten öffentlich-privaten Partnerschaft entwickelt: es entstand eine Zusammenarbeit, an der sich quer durch Europa rund 600 Teams akademischer Forscher, 350 Teams industrieller Forscher und mehr als 100 kleine und mittlere Betriebe (SME‘s) beteiligten, Patientenorganisationen und Zulassungsbehörden miteinbezogen wurden. Wissenschaftliche Durchbrüche wurden in unterschiedlichsten Gebieten erzielt, u.a. in Diabetes, Autismus, Lungenerkrankungen und Arzneimittelsicherheit.

Für die Periode 2014 – 2024 (IMI 2) wurde für IMI ein Budget von 3,3 Milliarden € bewilligt. Die Hälfte der finanziellen Mittel kommt aus dem EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizont 2020“. Die andere Hälfte kommt zum größten Teil von den beteiligten Pharmafirmen, die Forschungseinrichtungen und Ressourcen (auch personelle) bereitstellen, selbst aber keinerlei Unterstützung durch die EU erhalten.

Zur Zeit verzeichnet IMI 46 laufende Projekte, und mehr Projekte sind in Vorbereitung. Es geht nicht nur um die Entwicklung neuer Medikamente, sondern auch darum geeignete Methoden zu erarbeiten, die den Zugang der Patienten zu neuen Medikamenten beschleunigen, und - wie oben bereits erwähnt - die richtige Behandlung für den richtigen Patienten zur richtigen Zeit ermöglichen. In Hinblick auf die Entwicklung neuer Medikamente folgen die Ausschreibungen von IMI der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erstellten Prioritätenliste [2], darunter u.a. antimikrobielle Resistenzen, Osteoarthritis, Kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes, neurodegenerative Erkrankungen und Cancer.

Auf die jüngste Ebola-Epidemie wurde bereits mit der Ausschreibung eines Ebola+ Programms reagiert, für das ein Budget von 280 Millionen € (IMI + EFPIA) vorgesehen ist und dessen Deadline vor einem Monat zu Ende ging.

Durch die strategische Kooperation der größten Pharmafirmen hat IMI erfreulicher Weise mittlerweile eine globale Dimension und Bedeutung erlangt. Allerdings bedarf es zusätzlicher Bemühungen um Europa selbst als Pharmastandort zu revitalisieren. Abgesehen von lokalen und nationalen Aktivitäten könnten es vor allem regionale Europäische Pharmainitiativen sein, welche als Treffpunkte von kreativen Forschern in neuem „setting“ zu passenden Initiativen, neuen Netzwerken und schlagkräftigen Konsortien führen.

Was mir hier als Vision vorschwebt?

Könnte ein derartiger regionaler Treffpunkt nicht in einer „Danube Medicines Initiative“ verwirklicht werden? Immerhin leben mehr als 100 Millionen Menschen in der Region, die von Baden-Württemberg bis ans Schwarze Meer reicht.


[1] Innovative Medicines Initiative

[2] WHO (2013) Priority Medicines for Europe and the World

[3] Angela Wittelsberger: The IMI2 Ebola+ programme (PDF-Download)


Der Artikel ist die gekürzte Version einer Rede, die der Autor anlässlich der Verleihung des Phoenix Pharmazie Wissenschaftspreises am 6. November 2014 in Wien gehalten hat.


Weiterführende Links

What Is The Innovative Medicines Initiative? Video 2:04 min. Horizon 2020 - General overview , Video 3:06 min EFPIA - European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations

Einige IMI-Projekte

(hauptsächlich in Englisch, teilweise etwas an Vorkenntnissen erforderlich)

EU-AIMS: Neue Erkenntnisse über die Ursachen von Autismus - science euronews (2013) Video 4:18 min COMBACTE: Tackling Antimicrobial Resistance in Europe. Fast Facts, Video 9:14 min (2014) Details zu COMBACTE Eu2P: European training programme in pharmacovigilance and pharmacoepidemiology Video 2:52 (2010) min, EUROPAIN: Understanding chronic pain and improving its treatment. imichannel Video 15:345 min PHARMACOG - Alzheimer's disease imichannel Video 13:58 IMI Education and Training programmes (full version) Video 6:01 min


 

inge Fri, 09.01.2015 - 08:14