Eurobarometer: Österreich gegenüber Wissenschaft*, Forschung und Innovation ignorant und misstrauisch

Eurobarometer: Österreich gegenüber Wissenschaft*, Forschung und Innovation ignorant und misstrauisch

Fr, 02.01.2015 - 08:49 — Inge Schuster

Inge SchusterIcon Politik & GesellschaftVor wenigen Wochen ist das Ergebnis einer neuen, von der Europäischen Kommission beauftragten Umfrage zur „öffentlichen Wahrnehmung von Naturwissenschaften, Forschung und Innovation“ erschienen (Special Eurobarometer 419 [1,2]). Speziell ging es darum herauszufinden, welche Auswirkungen die EU-Bürger von diesen Gebieten auf wesentliche Themen des Lebens und der Gesellschaft für die nahe Zukunft erwarteten. Österreicher sahen wesentlich weniger positive Auswirkungen als die Bürger der meisten anderen EU-Staaten. Wie auch in früheren Umfragen, ist Österreichs Einstellung zu Naturwissenschaften in hohem Maße von Ignoranz und – darauf basierend – Misstrauen und Ablehnung geprägt.

“Von jeher hat die Europäische Kommission Wissenschaft und Innovation als prioritäre Schlüsselstrategien betrachtet, die Lösungen für die wichtigsten, jeden Europäer betreffenden Fragen liefern können: es sind dies Fragen der Gesundheit, der Beschäftigung und damit Fragen der gesamten Gesellschaft und der Wirtschaft. …Die Zukunft Europas ist die Wissenschaft!“ (Jose M. Barroso, 6. Oktober 2014)

Bereits zwei ScienceBlog Artikel waren EU-weiten Umfragen gewidmet, welche die Einstellung der Bürger zu Wissenschaft und Technologie zum Thema hatten [3, 4]. Diese Umfragen gaben ein für Österreich beschämendes Bild wider: die Mehrheit unserer Landsleute hatte angegeben, nichts über Wissenschaft und Technologie auf dem Bildungsweg gehört zu haben und an diesen Wissenszweigen auch weder interessiert, noch darüber informiert zu sein. Die Frage, ob Kenntnisse über Wissenschaft und Forschung für das tägliche Leben von Bedeutung wären, verneinte der Großteil - 57 % - der Österreicher (im EU-27-Mittel waren es 33 %) – unser Land nahm damit den letzten Rang unter den EU-Staaten ein.

Im Lichte der bereits bekannten Einstellung der Österreicher zu Wissenschaft und Technologie ist das im Oktober im „Special Eurobarometer 419“ veröffentlichte Ergebnis der neuen EU-Umfrage zwar nicht verwunderlich, dennoch aber im höchsten Maße bestürzend.

Die Umfrage „Special Eurobarometer 419“

Im Juni 2014 waren unter dem Titel „Öffentliche Wahrnehmung von Wissenschaft, Forschung und Innovation” rund 28 000 Personen in den 28 EU-Staaten befragt worden, welche Auswirkungen ihrer Meinung nach Wissenschaft und Technologie auf wesentliche Aspekte des Lebens in den kommenden 15 Jahren haben werden.

Es waren dies persönliche (face to face) Interviews, in denen in jedem Mitgliedsstaat jeweils rund 1000 Personen aus verschiedenen sozialen und demographischen Gruppen in ihrem Heim und in ihrer Muttersprache befragt wurden:

  1. Einleitend wurde der jeweilige persönliche Bildungsstatus in den Naturwissenschaften festgestellt.
  2. Dann wurde eine Liste von wesentlichen, jeden Europäer betreffenden Themen vorgelegt und gebeten diese nach Prioritäten zu reihen, nach welchen Wissenschaft und Technologie in den nächsten 15 Jahren zum Einsatz kommen sollten (incl. Bereitstellung ausreichender Ressourcen). Diese Liste nannte (in der Reihenfolge des Berichts aufgezählt) folgende Themen:
    • Den Kampf gegen den Klimawandel
    • Den Schutz der Umwelt
    • Die Sicherheit der Bürger
    • Die Schaffung von Arbeitsplätzen
    • Die Energieversorgung
    • Die Gesundheit(ssysteme)
    • Den Schutz persönlicher Daten
    • Die Verringerung der sozialen Ungleichheit
    • Die Anpassung an eine alternde Bevölkerung
    • Die Verfügbarkeit und Qualität von Lebensmitteln
    • Die Transportinfrastruktur
    • Die Bildung und den Erwerb von Fähigkeiten
    • Die Qualität des Wohnens
  3. Sodann folgte das eigentliche Kernstück der Umfrage: eine detaillierte Erhebung zu den voraussichtlichen Auswirkungen von Wissenschaft und technologischen Innovationen auf die angeführten 13 Problemkreise. Im Vergleich dazu sollten die jeweiligen Auswirkungen menschlichen Handelns abgeschätzt werden.

Frage 1: Der naturwissenschaftliche Bildungsstatus

Während in 20 EU-Ländern die (überwiegende) Mehrheit der Befragten angab Wissenschaft und Technologie als Schulfächer und/oder als Studienfächer auf (Fach)Hochschulen gehabt zu haben und/oder darin anderswo Erfahrung gesammelt zu haben, waren dies in Österreich nur 35 % (im EU-28 Mittel dagegen 56 %). Österreich liegt damit am unteren Ende der Skala, nur Slowenien, Tschechien und die Slowakei weisen einen noch niedrigeren Bildungsstatus auf.

Wie niedrig Österreichs naturwissenschaftlich/technologischer Bildungsstatus im Vergleich mit dem EU-28 Durchschnitt und Ländern wie Schweden ausfällt, ist in Abbildung 1 dargestellt. Schweden erscheint als passendes Beispiel, weil es mit 41 188 $ BIP/Einwohner ein ähnliches BIP wie Österreich - 42 597 $ BIP/Einwohner - auf weist (beide Zahlen sind kaufkraftbereinigte Schätzungen des IWF, Stand 04.2014 [5]) und - auf den gesamten Bildungsweg (Primär- bis Tertiärausbildung) bezogen - jährlich auch ähnliche Summen pro Auszubildenden ausgibt (AT: 11 395 €, SE: 11 000 €: Zahlen OECD 2014 [6]).

Angesichts des eklatant niedrigen naturwissenschaftlichen Bildungsstatus der Österreicher erscheint die Frage nur zu berechtigt:

Wofür werden die hohen Bildungsausgaben bei uns eigentlich verwendet?

Abbildung 1. Antworten auf die Frage: Haben Sie Erfahrungen zu Wissenschaft und Technologie an der Schule, (Fach)Hochschulen oder anderswo gesammelt? (Mehrfachnennungen waren möglich; Daten: Tabelle QB4 [1].)

Frage 2: Wo sollen Wissenschaft und Technologie in den nächsten 15 Jahren prioritär eigesetzt werden?

Im Bewusstsein, dass Forschung und Innovation unabdingbar sind, um viele Probleme unserer Gesellschaft zu lösen, hat die EU das Programm „Horizon 2020“ ins Leben gerufen und mit 80 Milliarden € dotiert. Um herauszufinden welche Themen den EU-Bürgern besonders wichtig erscheinen und damit vorrangig den Einsatz von Wissenschaft und Technologie (und entsprechenden Ressourcen) rechtfertigen, wurde gebeten primär die oben genannten 13 Themenkreise nach Prioritäten zu ordnen.

Hier herrschte weitgehende Einigkeit unter den EU-Staaten: gleichviele Staaten – darunter auch Österreich - nannten Gesundheit/Gesundheitssysteme und Schaffung von Arbeitsplätzen als oberste Prioritäten, die niedrigsten Prioritäten wurden für den Schutz persönlicher Daten, Transport(infrastruktur) und die Qualität des Wohnens genannt.

Frage 3: Welche Auswirkungen werden Wissenschaft, Forschung und Innovation in den nächsten 15 Jahren voraussichtlich haben?

Der Großteil der europäischen Bevölkerung (im EU-28 Durchschnitt mindestens 50 % der Bevölkerung) zeigte sich davon überzeugt, dass Wissenschaft und technologische Innovationen positive Auswirkungen auf Themen wie Gesundheit/Gesundheitssyteme, Bildung/Erwerbung von Fähigkeiten, Transport(infrastruktur), Energieversorgung, Umweltschutz, Kampf gegen den Klimawandel und die Qualität des Wohnens haben werden (Abbildung 2). Auch bei den anderen Themen dominierten die Befürworter über die Kritiker, die negative Einflüsse befürchteten (nicht gezeigt). Wurden die voraussichtlichen Auswirkungen von menschlichem Handeln mit den von Forschung und Innovation erwarteten verglichen, so gab die Mehrheit bei nahezu allen Themen der Wissenschaft den Vorzug (Ausnahme „Verringerung der Ungleichheit“).

Besonders großes Vertrauen in die Wissenschaft setzten die skandinavischen Länder. Als Beispiel ist wieder (wie auch schon beim Bildungsstatus) Schweden gezeigt – hier werden kaum negative Effekte der Wissenschaft erwartet.

Ganz anders sieht die Situation in Österreich aus. Nur in 2 Gebieten – Gesundheit und Energieversorgung – erwartet die Mehrheit unserer Landsleute Verbesserungen durch die Wissenschaft. Aber auch hier, wie in allen anderen Fragestellungen, liegen die positiven Erwartungen unter denen des EU-28 Durchschnitts; bei 10 der 13 Themen nimmt unser Land überhaupt nur den vorletzten oder letzten Rang unter den EU-Staaten ein (in Italien ist dies bei 8 von 13 Themen, in Deutschland bei 5 von 13 Themen der Fall).

Abbildung2. Werden Wissenschaft, Forschung und technologische Innovation positive Auswirkungen auf wesentliche Themen des Lebens und der Gesellschaft haben? Österreich im Vergleich mit dem EU-28 Durchschnitt und Schweden. Die Themen sind in der Reihenfolge angegeben, wie sie in [1] aufscheinen. Am linken Rand: Österreichs Rang unter den 28 EU-Ländern im ranking der positiven Bewertungen.

Zwei Einstellungen, die ich persönlich als höchst beunruhigend für die weitere Entwicklung unseres Landes sehe, sind in Abbildung 3 dargestellt:

Abbildung 3. Antworten auf die Fragen: Welche Auswirkungen werden Wissenschaft und technologische Innovation haben auf die A) Schaffung neuer Arbeitsplätze (oben), B) Anpassung der Gesellschaft an eine alternde Bevölkerung (unten).
  • Nur rund 1/3 unserer Landsleute meint, dass Forschung und Innovationen neue Arbeitsplätze schaffen können, 30 % sehen keinen Effekt und rund ¼ ist sogar vom Gegenteil überzeugt (Abbildung 3a).
  • Ein noch geringerer Anteil (29 %) der Bevölkerung denkt, dass Wissenschaft die Anpassung an die alternde Gesellschaft unterstützen kann, mehr als doppelt so viele sehen keinen Nutzen oder sogar einen Schaden durch die Wissenschaft (Abbildung 3b).

Ein Cocktail von Ignoranz - und darauf basierend - Misstrauen und Ablehnung

Wie auch schon in früheren EU-weiten Umfragen hinsichtlich der Einstellung zu Wissenschaft und Technologie, zeigt sich Österreich auch in der aktuellen Studie von einer sehr negativen Seite. Unser Land ist Schlusslicht, wenn es darum geht positive Auswirkungen von naturwissenschaftlichen und technischen Fortschritten auf die wesentlichsten Fragen des täglichen Lebens und der Gesellschaft wahrzunehmen und für die Zukunft nutzen zu wollen.

Ist Österreich Haltung hier bloß kritischer als die anderer EU-Länder, die einfach nur „wissenschaftsgläubiger“ sind?

Allerdings, um in seriöser Weise Kritik üben zu können, bedarf es zumindest eines Minimums an naturwissenschaftlicher Bildung. In unserem Land geben 2/3 der Bevölkerung an, dass ihnen diese Grundvoraussetzung fehlt. Welche Einstellung zu den Naturwissenschaften kann aber resultieren, wenn unsere Landsleute diesbezügliche Informationen von den Medien des Landes beziehen? Wenn dort Naturwissenschaften nur dann in den Topmeldungen Platz finden, wenn sie – mehr oder weniger berechtigt – in Verbindung zu möglichst negativen Folgen gebracht werden können. Wenn, wie beispielsweise in jüngster Zeit, aus temporär relativ schwach erhöhten Konzentrationen des ubiquitären Umweltgifts Hexachlorbenzol die Angst der Bevölkerung in unvertretbarem Ausmaß geschürt wird. Wenn dann mangels ausreichenden Verständnisses des Problems (und wahrscheinlich auch ohne entsprechende Recherche), ohne Rücksicht auf die Folgen, die Existenz der Bewohner eines großen Einzugsbereichs gefährdet wird? Wenn einzelne Organisationen ihre Popularität durch derartige Panikmache – Hurra, ein neuer Skandal - erfolgreich erhöhen können?

Die Ergebnisse der aktuellen Eurobarometer Studie zeigen ein erschütterndes Bild für Österreich: puncto Wissenschaft ist unser Land abgesandelt. Ignoranz herrscht vor: auf dieser Grundlage wird dem Unverstandenen mit Misstrauen begegnet, das Unbekannte abgelehnt.

Nahezu überall in der EU wird Wissenschaft positiver gesehen als bei uns. Die berechtigte Meinung, dass Forschung und Innovation Schlüsselstrategien für die Schaffung neuer Anwendungsgebiete und damit auch Arbeitsplätze sind, wird hoffentlich nicht dazu führen, dass ein Großteil unserer talentiertesten Wissenschafter in die Länder aufbricht, wo ihre Fähigkeiten erwünschter sind als bei uns.

Wünsche für die Zukunft

Mit dem Beginn eines neuen Jahres ist es üblich Wünsche zu formulieren. Diese wären in Hinblick auf die Zukunftsoptionen unseres Landes:

  • Es wäre höchste Zeit den Stellenwert der Naturwissenschaften zu erhöhen! Es muss sowohl die Ausbildung der Jugend in diesen Fächern entscheidend verbessert werden, als auch eine seriöse, gut recherchierte Information der Erwachsenen durch die Medien gewährleistet sein.

in Hinblick auf Initiativen, die mithelfen können, Wissenschaft populär zu machen:

  • Eine Reihe solcher Initiativen existiert bereits: u.a. „Die lange Nacht der Forschung“, die Kinder-Uni, Sparkling Science, das Science Center Netzwerk [7]. Weiters finden Veranstaltungen beispielsweise auf dem umgebauten Frachtschiff „MS Wissenschaft“ statt, das durch die deutschsprachigen Länder tourt [8] oder in Form von TEDx-Events, die große Theatersäle füllen und deren Vorträge auf Videos frei verfügbar ins Netz gestellt werden. Seit 3 ½ Jahren gibt es auch unseren ScienceBlog. Zurzeit marschieren alle diese Initiativen getrennt, um von unterschiedlichen Gesichtspunkten ausgehend mit verschiedenen Strategien dieselben oder zumindest sehr ähnliche Ziele zu erreichen. Ein vorübergehendes Zusammenwirken dieser Initiativen könnte deren Schlagkraft enorm vergrößern!

Mit dem Blick auf die Zukunft wünschen wir also, dass 2015 ein gutes Jahr für ein neues Verständnis der Wissenschaft wird.

Unseren Lesern wünschen wir, dass sie in ihrem persönlichen Leben und in ihrem Umfeld möglichst viel von den positiven Fortschritten der Wissenschaft erfahren.


*Unter Wissenschaft sind hier – dem englischen Begriff „science“ entsprechend – ausnahmslos die Naturwissenschaften gemeint.


[1] Special Eurobarometer 419 “Public Perceptions of Science, Research and Innovation” (6.10.2014) http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_419_en.pdf

[2] Special Eurobarometer 419, Summary http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_419_sum_en.pdf

[3] Josef Seethaler & Helmut Denk
(18.10. 2013) Wissenschaftskommunikation in Österreich und die Rolle der Medien — Teil 1: Eine Bestandsaufnahme und
(1.11.2013)Wissenschaftskommunikation in Österreich und die Rolle der Medien — Teil 2: Was sollte verändert werden?

[4] Inge Schuster (28.2.2014): Was hält Österreich von Wissenschaft und Technologie? — Ergebnisse der neuen EU-Umfrage (Spezial Eurobarometer 401).

[5] OECD: Education at a Glance 2014: http://www.oecd.org/edu/Education-at-a-Glance-2014.pdf

[6] IMF, Data and Statistics (2013) https://www.imf.org/external/

[7] APA-Dossier: Forsche und sprich darüber http://science.apa.at/dossier/Forsche_und_sprich_darueber/SCI_20140227_S...

[8] Inge Schuster (19.9.2014): Open Science – Ein Abend auf der MS Wissenschaft

[9] Inge Schuster (19.9.2014): TEDxVienna 2014: „Brave New Space“ Ein Schritt näher zur selbst-gesteuerten Evolution?


Weiterführende Links

Spezial- Eurobarometer 401 „Verantwortliche Forschung und Innovation, Wissenschaft und Technologie; November 2013 (223 p.) http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_401_de.pdf

Spezial-Eurobarometer 340 „Wissenschaft und Technik“; Juni 2010 (175 p.) http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_340_de.pdf

Spezial Eurobarometer 282 “Scientific research in the media”; Dezember 2007 (119 p.) http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_282_en.pdf

Artikel mit verwandter Thematik im ScienceBlog

Gottfried Schatz:

(14.02.2013): Gefährdetes Licht — zur Wissensvermittlung in den Naturwissenschaften

(06.12.2012): Stimmen der Nacht — Gedanken eines emeritierten Professors über Wissenschaft und Universitäten

(24.10.2014): Das Zeitalter der “Big Science”

Ralph J. Cicerone (14.03.2014): Aktivitäten für ein verbessertes Verständnis und einen erhöhten Stellenwert der Wissenschaft


 

inge Fri, 02.01.2015 - 08:49