Wie Darmbakterien den Stoffwechsel von Arzneimitteln und anderen Fremdstoffen beeinflussen

Wie Darmbakterien den Stoffwechsel von Arzneimitteln und anderen Fremdstoffen beeinflussen

Do, 03.01.2019 - 09:00 — Inge Schuster Inge SchusterIcon Medizin

Wir leben in untrennbarer Gemeinschaft mit unserem Mikrobiom - Mikroorganismen, die unsere Stoffwechselfunktionen beeinflussen, wie wir die ihren. Der überwiegende Teil der Mikroorganismen ist im Darm angesiedelt und hat wesentlichen Einfluss darauf, in welchem Ausmaß und in welcher Form Fremdstoffe aus Nahrung und Umwelt - darunter auch Arzneimittel - in unseren Organismus gelangen. Wenn Personalisierte Therapien von Erkrankungen wirksam sein sollen, müssen auch die komplexen Beziehungen zwischen Wirtsorganismus und Mikrobiom in ihre Strategien einbezogen werden.

Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Mikroorganismen, wie sie u.a. unseren Darm besiedeln, im Wesentlichen als Verursacher von Infektionen betrachtet. Auf die Frage ob und in welcher Weise solche Keime unseren Stoffwechsel beeinflussen können, erntete man in Fachkreisen kaum mehr als ein Achselzucken. Im letzten Jahrzehnt hat sich das Bild komplett gewandelt. Vor allem die Summe der Mikroorganismen, das Mikrobiom eines Organs oder des ganzen Organismus, hat enorme Popularität gewonnen: in PubMed, der größten textbasierten Datenbank im Bereich Biomedizin, sind seit 2008 unter den Stichworten "gut microbiota" und "human" 10166 Arbeiten in Fachjournalen erschienen. (Dazu kommen noch massenhaft entsprechende Arbeiten an Tiermodellen.)

Unser Mikrobiom

Mikroorganismen - Bakterien, Archaea, Pilze, Protozoen - und Viren (darunter auch Bakteriophagen) sind essentielle Mitbewohner unseres Organismus. Diese, in ihrer Gesamtheit als Mikrobiom bezeichneten Keime stellen ein unglaublich komplexes System aus Tausenden mikrobieller Spezies dar, von denen sich die meisten kaum isoliert kultivieren lassen.

Rund 39 Billionen Mikroorganismen leben in und auf uns und sind damit etwa gleich stark vertreten wie unsere 30 Billionen körpereigenen Zellen, die allerdings Tausendfach größer sind, aber viel, viel niedrigere Stoffwechselaktivitäten aufweisen [1]. Der überwiegende Teil der Mikroorganismen ist im Verdauungstrakt und hier insbesondere im Dickdarm angesiedelt, wobei mehr als 99 % davon - rund 0,3 % unseres Körpergewichts - aus Bakterien bestehen. Abbildung 1.

Abbildung 1. Der Darm, insbesondere der Dickdarm ist ein enorm dicht besiedeltes Habitat von Mikroorganismen.

Um ein besseres Verständnis für das mikrobielle Makeup des Menschen zu erreichen, haben die US-National Institutes of Health (NIH) vor rund einem Jahrzehnt ein Mega-Projekt, das Human Microbiome Project (HMP), gestartet, basierend auf Sequenzierungen des mikrobiellen Genoms - des sogenannten Metagenoms - von 265 gesunden Amerikanern [2].

Viele der neuen Studien beschäftigen sich mit der Charakterisierung unserer winzigen Mitbewohner. Von besonderem Interesse ist jedoch die Frage, wie Mikrobiom und Wirtsorganismus sich gegenseitig beeinflussen. Welche Vorteile kann der Wirt von seinen Mietern erwarten, welche Nachteile muss er in Kauf nehmen und wie setzt sich ein optimales Mikrobiom zusammen?

Bereits im Altertum hatte Hippokrates (430 -370 v. Chr.) konstatiert: Der Darm ist der Vater aller Trübsal. Dass Änderungen in der Diversität der Darmflora mit dem Auftreten von Krankheiten assoziiert sind und zu deren Entstehen vielleicht sogar kausal beitragen, wird nun mehr und mehr bestätigt. Das Spektrum solcher Mikrobiom-assoziierter Erkrankungen reicht von Stoffwechselerkrankungen wie Adipositas und Diabetes, entzündlichen Darmerkrankungen, Immundefekten, Tumoren bis hin zu diversen neurogenerativen Erkrankungen einschließlich der Alzheimerkrankheit.

Fremdstoffe und Darm-Mikrobiom

Viele Studien belegen auch, dass unsere unterschiedlich zusammengesetzten Sets an Mikroorganismen - unsere "personalisierten" Mikrobiome - wesentlichen Einfluss darauf haben in welchem Ausmaß und in welcher Form wir Fremdstoffe aus Nahrung und Umwelt - darunter auch Arzneimittel - in den Organismus aufnehmen können. Dies kann schädliche Auswirkungen für uns haben, aber auch für den Körper von Nutzen sein.

Beispielsweise können Darmbakterien unverdauliche Nahrungskomponenten aufschließen und dem Körper als hochwertige Stoffe zuführen. Sie können auch körpereigene Stoffe modifizieren wie beispielsweise die in der Leber produzierten, zur Fettemulgierung in den Darm sezernierten Gallensäuren: im sogenannten enterohepatischen Kreislauf recyceln Bakterien diese kostbaren Substanzen, machen sie für die Wiederaufnahme in den Organismus und in Folge in die Leber verfügbar.

Ob Nahrungskomponenten oder andere Fremdstoffe: alles, was geschluckt wird, trifft zuerst auf das im Darmtrakt ansässige Mikrobiom bevor es die Darmwand erreicht und über die Darmzellen in den Organismus aufgenommen- resorbiert - werden kann.

Schlecht resorbierbare Substanzen - und zu diesen zählen auch viele Arzneistoffe - werden zum Teil mit dem Kot unverändert ausgeschieden und sind auf ihrer weiten Passage durch den Darm den dauernden Angriffen von Darmbakterien ausgesetzt. Eine Fülle an Beispielen beweist, dass Arzneimittel und andere Fremdstoffe von den Keimen im Darm modifiziert- metabolisiert - werden können.

Die Metabolisierung durch das Mikrobiom hat entscheidende Folgen für die Wirksamkeit einer verabreichten aktiven Substanz: In vielen Fällen führt die Modifikation zu einer Reduktion oder gar zum Verlust der Aktivität; was in den Körper resorbiert wird, reicht nicht aus um die gewünschte therapeutische Wirkung zu erzielen.

  • Dies ist der Fall bei dem schon seit langem bei Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern angewandten Digitalisgykosid Digoxin, das durch Bakterien in inaktive Metabolite gespalten wird.
  • Auch das gegen Infektionen mit Fadenwürmern und auch maligne Tumoren wirksame Levamisole wird durch Darmbakterien zu unwirksamen Metaboliten umgewandelt Werden gleichzeitig mit Digoxin und Levamisole Antibiotika eingenommen, so reduziert dies den Einfluss der Bakterien und führt zu gesteigerter Wirksamkeit der Arzneimittel

in einigen Fällen macht man sich die Modifikation durch Darmbakterien zu Nutze:

  • beispielsweise im Fall von Sulfasalazine, das insbesondere in der Behandlung entzündlicher Darmerkrankungen und rheumatoider Arthritis Anwendung findet. Diese Verbindung ist eine sogenannte "prodrug", d.h. sie ist vorerst inaktiv und wird erst im Dickdarm (durch bakterielle Azo-Reduktasen) in die aktiven Komponenten gespalten.

Unerwünschte Auswirkungen hat dagegen die bakterielle Metabolisierung

  • von Nitrazepam (durch eine Nitroreduktase), eines Vertreters aus der Klasse der Benzodiazepine, das bei Schlafstörungen und in der juvenilen Epilepsie eingesetzt wird. Bakterien produzieren daraus die Vorstufe zu einer teratogenen Substanz.
  • Besonders negativ ist der Einfluss der Bakterien auf den antiviralen Wirkstoff Sorivudine, der 1993 auf den Markt kam und bei Patienten, die gleichzeitig 5-Fluoruracil erhielten, insgesamt zu 18 Todesfällen führte. Der Grund dafür: eine Bacteroides-Art metabolisierte Sorivudine zu einem Produkt, das den Abbau von 5-Fluoruracil hemmte und so davon toxische Konzentrationen erzeugte. Die Substanz wurde umgehend vom Markt zurückgezogen.

 

Die aus einer rezenten Veröffentlichung stammende Abbildung 2 fasst zusammen, wie das Mikrobiom des Darms die Wirkung von Arzneimitteln modifizieren kann.

Abbildung 2. Im Darmlumen angesiedelte Mikroorganismen können Arzneimittel metabolisieren und sind damit ausschlaggebend für Ausmaß und Wirksamkeit der in den Organismus gelangenden Substanzen. Das Darmepithel (ocker) ist auf der Seite des Darmlumens von einer dicken Mukusschicht bedeckt, darüber sind Mikroorganismen - vor allem Bakterien (rot und blau) angesiedelt. In das Darmlumen gelangende Arzneimittel können - wie im Fall der Prodrug Sulfasalazine - durch Bakterien aktiviert werden, wie bei Digoxin oder Levamisole zu inaktiven Produkten abgebaut werden. Wie bei Sorivudine können auch toxische Produkte entstehen (Bild: A.Whang, R. Nagpal and H. Yadav, Bi-directional drug-microbiome interactions of anti-diabetics, EBioMedicine, https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2018.11.046 Lizenz: cc-by-nc-nd 4.0. Text: I. Schuster)

Ausblick

Lange hat das Gebiet der mit uns in Symbiose lebenden Mikroorganismen ein Aschenbrödeldasein geführt. In den letzten Jahren ist es zum Hot Topic geworden und führt nun eine neue Ebene der Komplexität in die Struktur, Funktion und Regulierung unserer Lebensvorgänge ein. Zu den Genen, Proteinen und Metaboliten unseres eigenen Organismus kommen jetzt noch die Genome, Proteome und Metabolome Tausender anderer Spezies mit all den Wechselwirkungen, die zwischen diesen und uns auftreten. Projekte wie das Human Microbiome Project der NIH sind ein mutiger Einstieg in ein überaus komplexes Gebiet, das aus enormen Datenmengen ein neues Bild unserer Existenz schaffen kann. Die Aussicht damit innovative Ansätze zur Erkennung von Krankheitsursachen und zu deren Vermeidung zu finden, ist überaus verlockend.[3]

Personalisierte Therapien von Erkrankungen werden jedenfalls die komplexen Beziehungen zwischen Wirtsorganismus und Mikrobiom in ihre Strategien einbeziehen müssen.

[1] Redaktion, 22.12.2016: Kenne Dich selbst - aus wie vielen und welchen Körperzellen und Mikroben besteht unser Organismus? http://scienceblog.at/kenne-dich-selbst-aus-wie-vielen-und-welchen-k%C3%B6rperzellen-und-mikroben-besteht-unser-organismus

[2] Francis S. Collins, 28.9.2017: Ein erweiterter Blick auf das Mikrobiom des Menschen. http://scienceblog.at/ein-erweiterter-blick-auf-das-mikrobiom-des-menschen

[3] Human Microbiome Project Highlights. https://commonfund.nih.gov/hmp/programhighlights


Weiterführende Links

Ron Milo: A sixth sense for understanding our cells. TEDxWeizmannInstitute . Video 15:01 min. Veröffentlicht am 20.08.2014 Dario R. Valenzano, 28.6.2018: Mikroorganismen im Darm sind Schlüsselregulatoren für die Lebenserwartung ihres Wirts. http://scienceblog.at/mikroorganismen-im-darm-sind-schl%C3%BCsselregulatoren-f%C3%BCr-die-lebenserwartung-ihres-wirts

Francis S. Collins, 29.11.2018: Krankenhausinfektionen – Keime können auch aus dem Mikrobiom des Patienten stammen. http://scienceblog.at/krankenhausinfektionen-%E2%80%93-keime-k%C3%B6nnen-auch-aus-dem-mikrobiom-des-patienten-stammen .


 

inge Thu, 03.01.2019 - 09:00