Umprogrammierte Tabakpflanzen produzieren für Säuglingsnahrung wichtige bioaktive Milchzucker der Muttermilch
Umprogrammierte Tabakpflanzen produzieren für Säuglingsnahrung wichtige bioaktive Milchzucker der MuttermilchFr, 28.06.2024 — Ricki Lewis
Muttermilch ist nicht nur vollständige und reichhaltige Nahrung für Säuglinge, sondern hat auch deutliche bioaktive Eigenschaften, welche die Gesundheit und Entwicklung der Kinder fördern. Eine Schlüsselrolle spielen dabei etwa 200 strukturell unterschiedliche Oligosaccharide (kurzkettige Zuckermoleküle), die u.a. den Aufbau der Darmflora bewirken. In künstlicher Säuglingsnahrung ("Formula") fehlen die meisten dieser Zucker, da deren Massenproduktion (derzeit auf mikrobieller Basis) sich als schwierig erweist. Nun beschreiben Forscher der Universität von Kalifornien in Berkeley und Davis, wie sie mit Hilfe von transgener Technologie die Zellen einer Tabakart so umrüsten, dass sie Enzyme produzieren, die zur Synthese der in der Muttermilch vorkommenden kurzen Zucker erforderlich sind. Die Genetikerin berichtet über die richtungsweisenden Ergebnisse, die in Nature Food [1] erschienen sind. *
Transgene Technologie
Seit den 1980er Jahren werden Pflanzen gentechnisch verändert und so programmiert, dass sie Moleküle produzieren, die für uns von Nutzen sind. Im Gegensatz zur kontrollierten Züchtung in der konventionellen Landwirtschaft werden bei der gentechnischen Veränderung bestimmte Gene eingefügt oder entfernt, um eine Pflanzenvariante mit einem bestimmten Nutzen für uns zu schaffen.
Pflanzen werden nicht nur gentechnisch verändert, um Obst und Gemüse zu züchten oder zu verbessern, sie leichter anzubauen oder vor Schädlingen und Krankheitserregern zu schützen, sondern auch, um die Enzyme herzustellen, die zur Katalyse der biochemischen Reaktionen benötigt werden, die der Synthese von Zutaten wie Maissirup, Maisstärke, Maisöl, Sojaöl, Rapsöl und sogar Zucker zugrunde liegen.
Es sind dies indirekte Veränderungen, denn die Gene kodieren für Proteine, nicht für Kohlenhydrate oder Öle. Stattdessen erhalten die Genome der im Labor gezüchteten Pflanzenzellen die DNA-Sequenzen - Gene -, die sie in die Lage versetzen, spezifische Enzyme herzustellen, die für die biochemischen Wege zur Produktion bestimmter für uns wertvoller Moleküle erforderlich sind. Um ausgewählte Gene in Pflanzenblätter einzuschleusen, haben die Forscher ein häufig verwendetes Bodenbakterium, Agrobacterium tumefaciens, eingesetzt,
Ein Organismus, der die DNA einer anderen Spezies in sich trägt, wird als transgen bezeichnet, wobei rekombinante DNA-Tools in einem mehrzelligen Organismus angewandt werden. Menschliches Interferon-α war das erste rekombinante, aus Pflanzen gewonnene pharmazeutische Protein, das 1989 in Rüben hergestellt wurde.
Transgene Pflanzen habe verschiedenartige Anwendungen. Hergestellt werden u.a:
- Menschliches Wachstumshormon aus Tabak
- Proteinantigene, die als Impfstoffe gegen HIV (aus Tabak) und Hepatitis B (aus Kopfsalat) verwendet werden
- Koloniestimulierender Faktor (aus Reis)
- Proteaseinhibitor gegen HIV-Infektionen (aus Mais)
- Enzyme wie Lysozym und Trypsin
- Interferon und Interleukine (aus Kartoffeln)
- Impfstoffe und Antikörper gegen COVID-19
Nachahmung der Milch
Die Forscher bezeichnen ihre umgerüsteten Zellen von Nicotiana benthamiana (auch bekannt als benth oder benthi), einer nahen Verwandten der Tabakpflanze aus Australien, als "photosynthetische Plattform für die Produktion verschiedenartiger menschlicher Milch-Oligosaccharide" [1]. Abbildung 1. Ziel ist es, die schwer zu synthetisierende einzigartige Zuckermischung nachzuahmen, die für kommerzielle Säuglingsnahrung benötigt wird, um ernährungsphysiologisch so nah wie möglich an die echte Muttermilch heran zu kommen. [1]
Abbildung 1 Nicotiana benthamiana, eine in Australien beheimatete , nahe Verwandte des Tabaks kann für „Molecular Farming“ , d.i zur Produktion von ansonsten nur schwer und kostspielig herstellbaren Substanzen herangezogen werden. Im konkreten Fall wurden die Zellen so umprogrammiert, dass sie die Enzyme produzieren, die zur Herstellung der Zucker in der menschlichen Muttermilch erforderlich sind. (Bild:Chandres in https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Nicotiana_benthamiana.jpg. Lizenz: cc-by-sa) |
Weltweit trinken etwa 75 % der Babys in den ersten sechs Monaten Säuglingsnahrung, entweder als einzige Nahrungsquelle oder als Ergänzung zum Stillen. Aber Molekül für Molekül ist die Säuglingsanfangsnahrung nicht genau das Gleiche wie die echte Muttermilch. Die etwa 200 kurzen Zuckermoleküle in der menschlichen Muttermilch sind Vorläufer von Molekülen, die den Aufbau und die Erhaltung eines Darmmikrobioms unterstützen, das die Verdauung erleichtert und gleichzeitig Krankheiten vorbeugt. Aber dieselben Zucker, die eine Pflanzenzelle leicht produziert, sind für Lebensmittelchemiker und Mikrobiologen schwierig, manchmal sogar unmöglich, im Labor zu synthetisieren.
Auf in die transgene Technologie
Die Zusammensetzung der Milch mit Hilfe von gentechnischer Veränderung zu kontrollieren kann nicht nur zu verbesserter Säuglingsnahrung, sondern auch zu verbesserter Pflanzen-basierter Milch führen.
"Pflanzen sind phänomenale Organismen, die Sonnenlicht und Kohlendioxid aus unserer Atmosphäre aufnehmen und daraus Zucker herstellen. Und sie stellen nicht nur einen Zucker her, sondern eine ganze Vielfalt von einfachen und komplexen Zuckern. Da Pflanzen bereits über diesen grundlegenden Zuckerstoffwechsel verfügen, dachten wir uns, warum versuchen wir nicht, ihn umzuleiten, um in Muttermilch vorkommende Oligosaccharide herzustellen", so der Hauptautor der Studie, Patrick Shih.
Die komplexen Milchzucker - Oligosaccharide - sind aus einfachen Monosacchariden (Anm. Redn.: D-Glucose, D-Galaktose, L-Fucose, N-Acetylglucosamin und/oder N-Acetylneuraminsäure) hergestellt, die zu geraden und verzweigten Ketten verbunden sind. Abbildung 2a, b. Enzyme katalysieren die Reaktionen, welche die einfachen Zucker der Muttermilch miteinander verbinden - diese sind komplex genug, um die synthetischen Fähigkeiten von Chemikern herauszufordern - aber nicht die von Pflanzen. Abbildung 2c.
Die Zellen der transgenen Tabakpflanzen sind mit den Genen ausgestattet, die für die Enzyme kodieren, die zur Herstellung von 11 Oligosacchariden der menschlichen Milch und anderen komplexen Zuckern erforderlich sind. Abbildung 2.
Abbildung 2. Die umprogrammierten Pflanzen produzieren alle Klassen von Oligosacchariden. |
Das ist eine beachtliche Leistung. "Wir haben alle drei Hauptgruppen der Oligosaccharide der Muttermilch hergestellt. Meines Wissens hat noch nie jemand gezeigt, dass man alle drei Gruppen gleichzeitig in einem einzigen Organismus herstellen kann", so Shih.
Ein Milchzucker ist ganz besonders wertvoll: LNFP1 (Lacto-N-fucopentaose, Anm. Redn.). "LNFP1 ist ein in menschlicher Milch vorkommendes fünf Monosaccharide langes Oligosaccharid, das sehr nützlich sein soll, aber bisher mit herkömmlichen Methoden der mikrobiellen Fermentation nicht in großem Maßstab hergestellt werden kann. Wir dachten, wenn wir mit der Herstellung dieser größeren, komplexeren Oligosaccharide der menschlichen Milch beginnen könnten, könnten wir ein Problem lösen, das die Industrie derzeit nicht lösen kann", so der Hauptautor Collin R. Barnum, der an der UC Davis graduiert hat.
Es ist zwar möglich, einige wenige Zucker der menschlichen Milch in Bakterien herzustellen, aber es ist kostspielig, sie von toxischen Nebenprodukten zu isolieren. Daher lassen die meisten Hersteller von Säuglingsnahrung diese wertvollen Zucker in ihren Rezepturen weg.
Der transgene Ansatz zur Herstellung von menschlichem Milchzucker in Tabakpflanzen ist außerdem skalierbar - ein wichtiger Aspekt bei Produkten, die von Millionen Menschen konsumiert werden.. Laut Schätzung von Kooperationspartner Minliang Yang (North Carolina State University) kommt die Produktion von Milchzucker aus gentechnisch veränderten Pflanzen im industriellen Maßstab vermutlich billiger als die Verwendung herkömmlicher Verfahren.
Shih fasst zusammen: "Stellen Sie sich vor, Sie könnten alle Oligosaccharide der menschlichen Milch in einer einzigen Pflanze herstellen. Dann könnte man diese Pflanze einfach zerkleinern, alle Oligosaccharide gleichzeitig extrahieren und sie direkt der Säuglingsnahrung zufügen. Bei der Umsetzung und Kommerzialisierung wird es wohl eine Menge Herausforderungen geben, aber das ist das große Ziel, auf das wir zusteuern wollen."
Ich frage mich, was das für die Herstellung von Speiseeis bedeutet.
[1] Barnum, C.R., Paviani, B., Couture, G. et al. Engineered plants provide a photosynthetic platform for the production of diverse human milk oligosaccharides. Nat Food 5, 480–490. (2024). https://doi.org/10.1038/s43016-024-00996-x. (open access, Lizenz cc-by.)
* Der Artikel ist erstmals am 20. Juni 2024 in PLOS Blogs - DNA Science Blog unter dem Titel " Can Engineered Tobacco Plants that Make Human Sugars Improve Infant Formula and Plant-Based Milks?"https://dnascience.plos.org/2024/06/20/can-engineered-tobacco-plants-that-make-human-sugars-improve-infant-formula-and-plant-based-milks/erschienen und steht unter einer cc-by Lizenz. Die Autorin hat sich freundlicherweise mit der Übersetzung ihrer Artikel durch ScienceBlog.at einverstanden erklärt, welche so genau wie möglich der englischen Fassung folgt. Abbildung 2 plus Text wurden von der Redaktion aus der zitierten Publikation [1] eingefügt.
Anmerkung der Redaktion: Wie hoch ist der Milchzuckeranteil in der Muttermilch?
Abbildung. Von den rund 200 identifizierten Oligosacchariden machen die 10 am häufigsten vorkommenden - darunter LNFP-1 rund 70 % der Gesamtkonzentration aus. (Quelle: Figure 4, modifiziert aus Buket Soyyılmaz et al., The Mean of Milk: A Review of Human Milk Oligosaccharide Concentrations throughout Lactation . Nutrients 2021, 13(8), 2737; https://doi.org/10.3390/nu13082737 . Lizenz cc-by.) |
Laut Netdoktor.de enthält reife Muttermilch mit 60 g/l mehr Kohlehydrate als Protein (13 g/l) und Fette (40 g/l) (https://www.netdoktor.de/baby-kleinkind/muttermilch/) . Lactose ist die bei weitem überwiegende Komponente der Kohlehydrate und Ausgangspunkt für die Biosynthese aller Oligosaccharide.
Basierend auf publizierten Messdaten in 57 Artikeln aus 37 Ländern, gibt ein 2021 erschienener Übersichtsartikel eine Abschätzung der Gesamtkonzentration der Oligosaccharide (11,3 g/ l ) und der am häufigsten vorkommenden Komponenten in reifer Muttermilch.
Video
Biotech-Tabak & der sauberste Blattsalat: Hinter den Kulissen der "Molekularen & Vertikalen Farmer" Video 9:43 min. https://www.youtube.com/watch?v=q3qrCZS9FHw&t=74s