Aurora - mit Künstlicher Intelligenz zu einem Grundmodell der Erdatmosphäre
Aurora - mit Künstlicher Intelligenz zu einem Grundmodell der ErdatmosphäreSa, 08.06.2024 — Redaktion
Extremwetter-Ereignisse haben in den letzten Jahrzehnten in erschreckendem Maße zugenommen. Für geeignete Anpassungs- und Abschwächungsstrategien sind verlässliche Wettervorhersagen dringend erforderlich. Neben den herkömmlichen Supercomputer-basierten Systemen, die riesige Datensätze mit komplexen mathematischen Modellen verarbeiten, gibt es seit Kurzem mehrere Prognosemodelle, die künstliche Intelligenz nutzen, um schnelle und genaue Vorhersagen zu liefern. Das von Microsoft entwickelte "Aurora"-System zeichnet sich durch besondere Schnelligkeit und Effizienz aus; es ist ein Grundmodell, das hochauflösende globale Wetter- und Luftqualitätsvorhersagen bis zu 10 Tage im Voraus für jeden Ort der Welt liefert und auch auf eine Vielzahl von nachgelagerten Aufgaben angepasst werden kann.
Waren Wetterprognosen in den 1950 - 1960er Jahren oft Anlass zu Ärger und flachen Witzen, so sind sie inzwischen bedeutend treffsicherer geworden; eine 7-Tage-Vorhersage ist nun ungefähr ebenso zuverlässig wie eine 1-Tages-Vorhersage in den 1960er Jahren.
Numerische Modelle
Die Vorhersagen basieren heute auf numerischen Modellen, deren Berechnungen auf Grund der riesigen eingesetzten Datenmengen besonders schnelle, enorm leistungsstarke Super-Computer erfordern. Ausgehend von Millionen Messwerten von Tausenden Wetterstationen und immer umfangreicheren und genaueren Satellitendaten wird der aktuelle dynamische Zustand der Atmosphäre ermittelt und dessen Veränderung mit Hilfe von physikalischen Gleichungen (nichtlinearen Differentialgleichungen) für verschiedene Szenarios berechnet. Die Voraussagen für das zukünftige Wetter betreffen Luftdichte und Temperatur und daraus abgeleitet Luftdruck, Windkomponenten, Wasserdampf, Wolkenwasser, Wolkeneis, Regen und Schnee in der Atmosphäre vom Boden bis in 75 km Höhe.
Abbildung 1. Die Häufigkeit von Extremwetter-Ereignissen, die Kosten der dadurch verursachten Schäden (oben) und die Zahl der Toten (unten).(Quelle: World Meteorological Organization, Lizenz: cc-by-nc-nd) |
Global führend in der Vorhersagequalität ist das seit fast 50 Jahren bestehende "European Centre for Medium-Range Weather Forecasts" (ECMRF), das über eine der weltweit größten Computeranlagen und über riesige Archive von meteorologischen Daten verfügt. Mit einer geografischen Auflösung von 9 km werden täglich Wettervorhersagen für mehr als 900 Millionen Orte auf der ganzen Welt und bis zu 15 Tagen in die Zukunft erstellt. Für diese, mit erheblichen Rechenkosten verbundenen Vorhersagen wird rund 1 Stunde benötigt. Der Output des ECMRF gilt als Goldstandard für die globale Wettervorhersage, seine Daten dienen als Grundlage für viele andere Wettermodelle (darunter auch die unten beschriebenen KI-Modelle).
Vorhersagbarkeit
Manche Wetterlagen sind in dem dynamischen, hochkomplexen System der Erdatmosphäre nur schwer vorhersagbar. Dies schafft vor allem bei Extremwetter-Ereignissen (sogenannten "1 in 100 Jahren" Ereignissen) Probleme, da diese ja noch schwieriger zu modellieren sind und - da sie seltener auftreten als häufige Ereignisse und damit weniger Datenmaterial zur Verfügung steht - die statistische Vorhersage mit größeren Unsicherheiten verbunden ist.
Als Folge von steigenden Temperaturen und anderen Auswirkungen des Klimawandels hat in den letzten Jahrzehnten allerdings die Zahl der Extremwetter-Ereignisse - Hitzewellen, Flutkatastrophen, Tropenstürme - in erschreckendem Maße zugenommen und damit ist die Notwendigkeit von effizienten Frühwarnsystemen gestiegen. Die Häufigkeit dieser Extrema ist von 800 in der 1970er Dekade auf das rund Vierfache gestiegen, die durch diese verursachten Schäden haben Kosten von 187 Mrd $ auf das Siebenfache (1,3 Billionen $) steigen lassen. Abbildung 1.
Die Zahl der Todesopfer ist jedoch stark zurückgegangen - laut Weltorganisation für Meteorologie ist das auf verbessertes Katastrophenmanagement und Frühwarnsysteme zurückzuführen.
Die Präzision der Wettervorhersagen und damit der Einsatz von Frühwarnsystemen stoßen auf Grenzen. Dies war offensichtlich der Fall als der Orkan Emir (Ciarán) im Herbst 2023 mit unerwarteter Intensität über Europa hereinbrach und eine Spur der Verwüstung hinterließ. Abbildung 2. Verbesserte Wettervorhersagen hätten hier Leben retten, enorme Sachschäden reduzieren und katastrophale ökonomische Verluste verhindern können.
Abbildung 2. Der Orkan Emir (Ciarán) über Westeuropa am 2. November 2023.(Bild: vom Aqua-Satelliten der Nasa mit dem MODIS Spectroradiometer aufgenommen. https://worldview.earthdata.nasa.gov/. Lizenz: cc 0) |
Präzisere Wettervorhersagen werden mit den häufiger auftretenden Wetterextremen immer dringlicher: "Mehr denn je ist die Gesellschaft auf genaue Wetter- und Klimainformationen angewiesen. Eine verlässliche Vorwarnung vor Wetterereignissen ist der Schlüssel zum Schutz von Leben und Eigentum, viele Wirtschaftszweige sind von den Wetterbedingungen abhängig, und die Klimaüberwachung ist für die Gesellschaft von entscheidender Bedeutung, um geeignete Anpassungs- und Abschwächungsstrategien zu finden." (ECMWF Strategy 2021 -2030. [1])
Künstliche Intelligenz im Einsatz
Nach den Erfolgen der KI in diversen Disziplinen wie u.a. der Sprachverarbeitung, Computer Vision, Arzneimittelforschung und Vorhersage von Proteinstrukturen gibt es seit Kurzem auch mehrere KI-Wettermodelle, deren Genauigkeit den besten mittelfristigen Prognosemodellen entspricht, die aber Tausende Male schneller arbeiten, ungleich weniger Computerleistung erfordern und diese Wissenschaft grundlegend verändern können.
Die ersten Prognosemodelle wurden 2023 vorgestellt:
- "Pangu-Weather" - eine Entwicklung des chinesischen Technologiekonzerns Huawei [2]; trainiert mit globalen Wetterdaten aus 39 Jahren, kann das Modell u.a. Temperatur, Luftdruck, und Windstärke für die nächste Woche 10 000 x schneller als vorhersagen. Laut Huawei sagt der Deep-Learning-Algorithmus "extreme Regenfälle genau voraus und liefert Vorwarnungen, mit denen er bestehende Systeme in Tests in 70 % der Fälle übertrifft. Die Kombination dieser KI-Modelle mit herkömmlichen Methoden kann die Fähigkeit der Behörden, sich auf extreme Wetterbedingungen vorzubereiten, erheblich verbessern.“
- „NowcastNet“ entwickelt von einem chinesisch- US-amerikanischen Forscherteam [3]; das Tool wurde mit Radardaten aus den USA und China trainiert und dann mit numerischen Modellen kombiniert. Besonders treffsicher waren die Prognosen für Starkregenereignisse.
- "FourCastNet" (Fourier Forecasting Neural Network) von NVIDIA in Zusammenarbeit mit Forschern von mehreren US-Universitäten [4]. Es wurde auf 10 TB Erdsystemdaten trainiert und liefert kurz- bis mittelfristige globale Vorhersagen (20 Tage) mit einer geographischen Auflösung von ca. 25 km. Für 7-Tage-Vorhersagen braucht es weniger als 2 Sekunden.
- "GraphCast" ist ein von Google DeepMind entwickeltes Open-Source Projekt, das verbesserte Wetterprognosen leichter zugänglich machen soll [5]. Es bietet Wettervorhersagen mit mittlerer Reichweite (20 Tage) und einer geographischen Auflösung von ca. 25 km. GraphCast erstellt eine 10-Tage-Vorhersage in weniger als einer Minute und benötigt dazu nur einen einzigen Google TPU v4 Rechner.
2024 folgte mit "Aurora" von Microsoft [6] ein weiterer Meilenstein in der Wetter/Klimawissenschaft.
Aurora, das erste große Grundmodell der Erdatmosphäre
Ein Team von Computerwissenschaftlern bei Microsoft Research AI for Science hat in Zusammenarbeit mit Forschungspartnern das System Aurora entwickelt, das schneller als herkömmliche Systeme zur Vorhersage des globalen Wetters und der Luftverschmutzung eingesetzt werden kann. Aurora verwendet 1,3 Milliarden Parameter und wurde auf mehr als einer Million Stunden an Daten-Output von sechs Klima- und Wettermodellen trainiert.
Mit Aurora wurde damit ein Grundmodell geschaffen, d.i. es wurde auf einer riesigen Menge von Daten derart trainiert, dass es auf eine Vielzahl von nachgelagerten Aufgaben angepasst werden kann, wie auf eine Vielzahl von atmosphärischen Vorhersageproblemen, einschließlich solcher mit begrenzten Trainingsdaten, heterogenen Variablen und extremen Ereignissen. Aurora kann Vorhersagen für 10 Tage für jeden beliebigen Teil der Welt treffen. Es kann auch zur Vorhersage des Ausmaßes und der Schwere einzelner Wetterereignisse, wie z. B. von Wirbelstürmen, verwendet werden. Einzigartig ist die Fähigkeit von Aurora, die Luftverschmutzungswerte wesentlicher Schadstoffe - d.i. von Kohlenmonoxid, Stickoxid, Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid, Ozon und Feinstaub - für jedes beliebige Stadtgebiet auf der ganzen Welt vorherzusagen - und zwar so schnell, dass es als Frühwarnsystem für Orte dienen kann, an denen gefährliche Schadstoffwerte auftreten werden.
Aurora kann als Blaupause für Grundmodelle von anderen Teilsystemen der Erde dienen und als Meilenstein auf dem Weg ein einziges umfassendes Grundmodell zu entwickeln, das in der Lage ist, ein breites Spektrum von Umweltvorhersageaufgaben zu bewältigen.
[1] ECMWF Strategy 2021 -2030. https://www.ecmwf.int/sites/default/files/elibrary/2021/ecmwf-strategy-2021-2030-en.pdf
[2] K.Bi et al., Accurate medium-range global weather forecasting with 3D neural networks. Nature 619, 533–538 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06185-3
[3] Y.Zhang et al., Skilful nowcasting of extreme precipitation with NowcastNet. Nature 619, 526–532 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06184-4
[4] Thorsten Kurt et al., FourCastNet: Accelerating Global High-Resolution Weather Forecasting Using Adaptive Fourier Neural Operators. PASC '23: Proceedings of the Platform for Advanced Scientific Computing Conference. June 2023 Article No.: 13Pages 1–11 https://doi.org/10.1145/3592979.3593412
[5] R.Lam et al., Learning skillful medium-range global weather forecasting. Scienc 382,6677, 1416-1421. DOI: 10.1126/science.adi2336
[6] Superfast Microsoft AI is the first to predict air pollution for the whole world. https://www.nature.com/articles/d41586-024-01677-2