Ein 2 Millionen Jahre altes Ökosystem im Klimawandel mittels Umwelt-DNA rekonstruiert

Ein 2 Millionen Jahre altes Ökosystem im Klimawandel mittels Umwelt-DNA rekonstruiert

Do, 15.12.2022 — Ricki Lewis

Ricki LewisIcon Molekularbiologie

Eine vor 2 Millionen Jahren belebte Landschaft im nördlichen Grönland konnte aus an Mineralien gebundenen DNA-Stückchen rekonstruiert werden. Diese lässt ein eiszeitliches Ökosystem inmitten eines Klimawandels erkennen und zeigt möglicherweise Wege auf, wie auf die heute steigenden globalen Temperaturen reagiert werden kann. Probensammlung, Analyse und Interpretation der Umwelt-DNA aus dieser fernen Zeit und von diesem fernen Ort liefern einen "genetischen Fahrplan", wie sich Organismen an ein wärmer werdendes Klima anpassen können. Die Untersuchung war vergangene Woche das Titelthema des Fachjournals Nature [1]. Auf einer Pressekonferenz haben sechs Mitglieder des 40-köpfigen multinationalen Teams die Ergebnisse erläutert. Die Genetikerin Ricki Lewis berichtet darüber.*

Umwelt-DNA (eDNA)

wird verwendet, um sowohl frühere als auch heutige Lebensräume zu beschreiben. Bislang stammte die älteste eDNA von einem Mammut, das vor einer Million Jahren in Sibirien lebte.

In der neuen Studie [1] kommt die eDNA aus der Kap København Formation in der "polaren Wüste" von Peary Land, Nordgrönland (Abbildung 1). Mit Fossilien und konservierten Pollen ermöglicht eDNA ein Bild längst vergangener Lebensräume zu zeichnen.

eDNA wird von den Zellen in die Umgebung ausgeschieden , wobei aus Mitochondrien und Chloroplasten stammende eDNA häufiger vorkommt als Kern-DNA, da diese Organellen in zahlreichen Kopien in einer Zelle vorliegen. Außerdem ist es wahrscheinlicher, dass sie erhalten bleibt, weil sie im Vergleich zur DNA in einem Zellkern stärker fragmentiert ist.

Der Leiter des Teams, Eske Willerslev, ein Geogenetiker von der Universität Cambridge, vergleicht von Fossilien und eDNA hergeleitete Evidenz. "Bei einem Fossil weiß man, dass die DNA von einem einzigen Individuum stammt. Aus Sedimenten heraus kann man ein Genom rekonstruieren, aber man weiß nicht, ob das Genom von einem oder mehreren Individuen stammt. Ein großer Vorteil der Umwelt-DNA ist jedoch, dass man DNA von Organismen erhalten kann, die nicht versteinert sind, und dass man das gesamte Ökosystem sehen kann." Der Umweltkontext ist ebenfalls wichtig. Man denke nur an die Fossilien eines Elefanten und einer Pflanze, die nur wenige Kilometer entfernt sind. Der Fund von DNA an den beiden Orten ist nicht so aussagekräftig wie der Fund der Pflanzen-DNA im Darm des Elefanten.

" DNA kann sich schnell zersetzen, aber wir haben gezeigt, dass wir unter den richtigen Voraussetzungen weiter in die Vergangenheit zurückgehen können, als man es sich je vorzustellen wagte. Damit schlagen wir ein neues Kapitel auf, das eine Million Jahre länger in der Geschichte zurückliegt. Zum ersten Mal können wir einen direkten Blick auf die DNA eines vergangenen Ökosystems werfen, das so weit in der Vergangenheit liegt", so Willerslev.

Der Fundort

Die Forscher haben an fünf Standorten 41 verwertbare Proben im Ton und Quarz gesammelt Abbildung 1., wobei jedes Schnipsel genetischen Materials nur Millionstel Millimeter lang war.

Abbildung 1. Die Kap København Formation in Nord Grönland. Geografische Lage (a) und Abfolge der Ablagerungen: Räumliche Verteilung der Erosionsreste der rund 100 m mächtigen Abfolge von flachmarinen küstennahen Sedimenten zwischen Mudderbugt und dem Mittelgebirge im Norden (b und c). (Bild von Redn. eingefügt aus Kjaer et al. 2022 [1], Lizenz cc-by) .

"Die alten DNA-Proben waren tief im Sediment vergraben, das sich über 20 000 Jahre in einer flachen Bucht angesammelt hatte. Das Sediment wurde schließlich im Eis oder im Permafrostboden konserviert und - was entscheidend ist - zwei Millionen Jahre lang nicht vom Menschen gestört", erklärt der Geologe Kurt Kjaer von der Universität Kopenhagen.

Die rund 100 m dicke Sedimentschicht sammelte sich in der Mündung eines Fjords an, der im nördlichsten Punkt Grönlands in den Arktischen Ozean ragt. Am Ende der pleistozäne Eiszeit, vor zwei bis drei Millionen Jahren, schwankte das Klima in Grönland eine Zeit lang zwischen arktisch und gemäßigt. Die Temperaturen waren um 10 bis 17 Grad Celsius wärmer als heute.

Geschichten aus der eDNA lesen

Drei technologische Fortschritte ermöglichten laut Willerslev die Untersuchung:

  • die Entdeckung, wie DNA an Mineralienpartikel bindet,
  • eine neue Sequenzierungsplattform, die kleine Schnipsel "frayed" DNA (DNA mit an den Enden geöffneten Basenpaaren) verarbeiten kann,
  • das Sammeln des alten genetischen Materials (mit einem coolen "Arctic PaleoChip" - klingt wie ein Diäteis, ist aber eine optimierte Strategie zu gezielten Anreicherung der eDNA).

Für die Konservierung der eDNA hat deren Wechselwirkung mit der Mineral-Grenzfläche eine entscheidende Roll gespielt. Karina Sand von der Universität Kopenhagen eklärt: "Marine Bedingungen haben die Adsorption der DNA an Mineralien begünstigt; die recht starke Bindung konnte so den enzymatischen Abbau der eDNA verhindern. Alle Mineralien in der Formation konnten DNA adsorbieren, allerdings in anderen Stärken, als wir sie kannten."

Im offenen Meerwasser hätte - laut Sand - die Bindung von DNA an Mineralien nicht stattgefunden. Die Forscher haben die Bindung moderner DNA an Oberflächen mit Hilfe der Rasterkraftmikroskopie untersucht und die Parameter manipuliert, um nachzuvollziehen, was mit den konservierten DNA-Stücken in den alten Sedimenten Grönlands wohl geschehen war.

Dann verglichen die Forscher die kurzen eDNA-Sequenzen mit denen moderner Arten in DNA-Datenbanken. Einige Proben stimmten mit entfernten zeitgenössischen Verwandten überein, während andere keine Treffer ergaben. Anhand bekannter Mutationsraten bestimmter DNA-Sequenzen lassen sich Zeitrahmen auf alte DNA anwenden.

Als die ersten Artenidentifizierungen mit ungefähren Zeitangaben eintrafen, waren die Forscher zunächst verwirrt, berichtet Mikkel Pedersen von der Universität Kopenhagen. "Als ich die Daten erhielt, kam mir das verrückt vor, ich verstand die Zeitstempel nicht. Wir hatten Taxa (taxonomische Gruppen) verschiedener Landpflanzen und -tiere, und plötzlich tauchten marine Arten auf! Das war wirklich merkwürdig. Also rannte ich zu Kurts Büro und fragte: 'Was hast du mir gegeben? Marine Taxa oder terrestrische?' Das war ein Zeichen dafür, dass der Boden in eine marine Umgebung gespült worden war." Abbildung 2.

Abbildung 2. Terrestrische und marine Tiere am Fundort 69. Taxonomische Profile der Tierbestände aus den Sedimentgruppen B1, B2 und B3 (b). (Bild von Redn. eingefügt aus Kjaer et al. 2022 [1], Lizenz cc-by) .

Flora und Fauna des alten Ökosystems

Das Bild des alten Ökosystems glich einem riesigen, aus wenigen Teilen bestehenden Puzzle - aus Fossilien, konservierten Pollen und DNA, die vor allem aus den widerstandsfähigen Chloroplasten und Mitochondrien stammte. Anhand dieser spärlichen Hinweise identifizierte das Team 102 Pflanzenarten, von Algen bis hin zu Bäumen, auf Gattungsebene - die Auflösung war nicht hoch genug, um Arten zu unterscheiden, so Pedersen. "Wir fanden 9 Tierarten, die zu dieser Zeit in der Landschaft am häufigsten vorkamen (und DNA hinterlassen hatten)- Abbildung 2 -, sowie viele Bakterien und Pilze. Wahrscheinlich ist die große Mehrheit der Pflanzen und Tiere aufgrund ihrer ständig niedrigen Biomasse nicht nachweisbar", fügte er hinzu.

Fossilien und DNA aus dem südlichen Teil des Gebiets deuten auf Pappeln, Rotzedern und Tannen hin. "Die Pflanzen kamen in einer Weise zusammen vor, die wir heute nicht mehr sehen würden. Es war ein offener borealer Wald mit Pappeln, Weiden, Birken und Thujabäumen und einer Mischung aus arktischen und borealen Sträuchern und Kräutern", so Pedersen.

Mastodonten lebten in diesem Gebiet, was überraschend war, da sie aufgrund ihrer Fossilien nur aus Nord- und Mittelamerika bekannt waren. Die neue Information wurde durch den reichlichen Kot des riesigen Tieres möglich, der auch Spuren der DNA seiner Nahrung von Bäumen und Sträuchern enthält.

Die DNA zeigte auch, dass atlantische Pfeilschwanzkrebse weiter südlich im Atlantik lebten als heute, was auf wärmere Oberflächengewässer während des Pleistozäns schließen lässt. Winzige DNA-Stücke stammen auch von Gänsen, Hasen, Rentieren, Lemmingen, einem Korallenriff-Erbauer und einer Ameisen- und Flohart.

Der Schauplatz

Bis zur Entdeckung der DNA war die einzige Spur eines Säugetiers ein Stück eines Zahns. Willerslev erzählte, wie das Team auf seinen Fund reagierte:

"Als wir 2006 wegen eines anderen Projekts in dieses Gebiet kamen, haben wir nicht viel gesehen. Es war ähnlich wie in der Sahara, fast kein Leben. Flechten, Moose, das war's. Es war also sehr aufregend, als wir die DNA wiederherstellten und ein ganz anderes Ökosystem zum Vorschein kam. Aus Makrofossilien wusste man, dass es dort einen Wald gegeben hatte, aber die DNA identifizierte viel mehr Taxa. Pollen und Makrofossilien hatten einige Arten identifiziert, aber die Umwelt-DNA identifizierte 102 Pflanzen!

Als wir die DNA eines Mastodons, eines mit Nordamerika assoziierten Tieres, fanden, dachten wir, dass es nach Grönland geschwommen sein und das Eis überquert haben musste!

Wir haben auch Rentiere detektiert. Erstaunlich! Wir hatten erwartet, dass es sich dabei um eine viel jüngere Art handelt. Rentierhaare und Pfeilschwanzkrebse in einer Meeresumgebung lassen auf ein viel wärmeres Klima schließen.

Stellen Sie sich vor, Sie stehen mit Gummistiefeln in der Bucht, schauen nach oben und sehen einen Wald, Mastodonten und Rentiere, die herumlaufen, und einen Fluss, der Sedimente und Ablagerungen vom Land mit sich führt. Deshalb ist die DNA eine Mischung aus terrrestrischen und marinen Organismen. Irgendwann hob sich das Land, so dass die riesigen Berge jetzt im Landesinneren liegen und nicht mehr an der Küste." Abbildung 3.

Abbildung 3. " Stellen Sie sich vor, Sie stehen mit Gummistiefeln in der Bucht, schauen nach oben und sehen einen Wald, Mastodonten und Rentiere,......". (Illustration credit: Beth Zaiken/bethzaiken.com; siehe [2])

Ein Vorbehalt gegenüber der Aussagekraft der eDNA-Forschung ist die Häufigkeit des eDNA-Vorkommens: Von einer Art mit einer kleinen Population wird wahrscheinlich kaum eDNA auftauchen. Und das ist der Grund, warum nach der Beweislage, Karnivoren in Grönland nicht vorkamen.

Es ist ein Zahlenspiel, so Willerslev. "Je mehr Biomasse, desto mehr DNA ist übrig. Pflanzen sind häufiger als Pflanzenfresser und die wiederum häufiger als Fleischfresser. Aber wenn wir weiterhin Proben nehmen und die DNA sequenzieren, sage ich voraus, dass wir irgendwann Beweise für Fleischfresser finden werden, vielleicht ein Tier, das Mastodonten gefressen hat." Er fügt hinzu, dass es (noch) keine-DNA Evidenz für Bären, Wölfe und Säbelzahntiger gibt, vertraute Bewohner pleistozäner Szenen.

Ein genetischer Fahrplan

Ist der in Grönland entdeckte Zeitabschnitt ein Vorbote dessen, was die derzeitige Klimaerwärmung mit sich bringen wird? Wahrscheinlich nicht, sagt Willerslev, aber das ist nicht unbedingt eine schlechte Nachricht:

"Dieses Ökosystem und seine Mix aus arktischen und gemäßigten Arten hat kein modernes Gegenstück. Das deutet darauf hin, dass unsere Fähigkeit, die biologischen Folgen des Klimawandels vorherzusagen, ziemlich schlecht ist. Ausgehend von der heutigen Artenvielfalt hätte niemand ein solches Ökosystem vorausgesagt. Dies zeigt jedoch, dass die Plastizität der Organismen größer und komplexer ist, als wir es uns vorgestellt haben. "

Was wir haben, betont Willerslev, ist eine "genetische Roadmap mit Hinweisen in Form von Genen, wie sich Organismen an einen sehr schnellen Klimawandel anpassen. Aber viele dieser Anpassungen sind wahrscheinlich verloren gegangen, weil sie über lange Zeit keinen Nutzen brachten. Jetzt vollzieht sich der Klimawandel extrem schnell, und die Evolution kann dem nicht folgen. Wir sollten also mit großen Aussterbeereignissen rechnen."

Was aber, wenn wir die Informationen aus Studien wie der in Grönland nutzen, um den DNA-Veränderungen, die die Anpassung an Umweltveränderungen vorantreiben, zuvorzukommen? Kann die Biotechnologie hier eingreifen? Vielleicht.

"Die Gentechnik könnte die Strategie nachahmen, die Pflanzen und Bäume vor zwei Millionen Jahren entwickelt haben, um in einem Klima mit steigenden Temperaturen zu überleben und das Aussterben einiger Arten zu verhindern", so Kjaer.

Willerslev rechnet damit, dass sich solche Bemühungen zunächst auf Pflanzen konzentrieren. "Die Roadmap kann Aufschluss darüber geben, wo und wie man das Genom einer Pflanze verändern kann, um sie widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu machen. Die Werkzeuge sind vorhanden. Das klingt drastisch, und ich sage nicht, dass es so sein sollte, aber es eröffnet eine neue Möglichkeit, die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern."

Doch im Moment könnte das Überleben der Arten ein Wettlauf mit der Zeit sein, auch wenn sich das Klima schon früher verändert hat. Pedersen zieht eine eher ernüchternde Bilanz:

"Die Daten deuten darauf hin, dass sich mehr Arten entwickeln und an stark schwankende Temperaturen anpassen können als bisher angenommen. Entscheidend ist jedoch, dass diese Ergebnisse zeigen, dass sie dafür Zeit brauchen. Die Geschwindigkeit der heutigen globalen Erwärmung bedeutet, dass Organismen und Arten diese Zeit nicht haben, so dass der Klimanotstand eine enorme Bedrohung für die Artenvielfalt bleibt. Für einige Arten steht das Aussterben unmittelbar bevor."

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[1] Kjær, K.H., Winther Pedersen, M., De Sanctis, B. et al. A 2-million-year-old ecosystem in Greenland uncovered by environmental DNA. Nature 612, 283–291 (2022). https://doi.org/10.1038/s41586-022-05453-y. open access;Lizenz: cc-by

[2]The world's oldest DNA: Extinct beasts of ancient Greenland. Nature Video 9:12 min. https://www.youtube.com/watch?v=qav579ZURpk&t=550s.


* Der Artikel ist erstmals am 8.Dezember 2022 in PLOS Blogs - DNA Science Blog unter dem Titel "A 2-Million-Year-Old Ecosystem in the Throes of Climate Change Revealed in Environmental DNA" https://dnascience.plos.org/2022/12/08/a-2-million-year-old-ecosystem-in-the-throes-of-climate-change-revealed-in-environmental-dna/ erschienen und steht unter einer cc-by Lizenz . Die Autorin hat sich freundlicherweise mit der Übersetzung ihrer Artikel durch ScienceBlog.at einverstanden erklärt, welche so genau wie möglich der englischen Fassung folgen.


inge Thu, 15.12.2022 - 13:15