Das ganze Jahr ist Morchelzeit - ein Meilenstein in der indoor Kultivierung von Pilzen

Das ganze Jahr ist Morchelzeit - ein Meilenstein in der indoor Kultivierung von Pilzen

So 01.05.2022  — Inge Schuster

Inge Schuster Icon Biologie Die Nutzung der nachhaltigen Ressource "Pilze" kann einen wesentlichen Beitrag zur globalen Ökonomie, insbesondere zur zukünftigen Welternährung liefern. Voraussetzung dafür ist die Möglichkeit ein weites Spektrum an Pilzarten zu züchten, um Massenproduktionen auf minimalen Kulturflächen zu erzielen. Für Spitzmorcheln, deren exzellenter Geschmack und rares Vorkommen sie zu den wertvollsten aber - nach den Trüffeln - auch teuersten essbaren Pilzen haben werden lassen, ist dies nun offensichtlich gelungen. Nach 40 Jahren Forschung haben es die Brüder Jacob and Karsten Kirk, Biologen an der University of Copenhagen Denmark, geschafft Spitzmorcheln über das ganze Jahr in Innenräumen zu ziehen und hohe Erträge (10 kg/m2 Kulturfläche) erstklassiger Pilze zu ernten

Seit meiner frühen Jugend haben mich Pilze fasziniert."Schwammerlsuchen" und neue Spezies aus der unglaublichen Vielfalt des - neben Pflanzen und Tieren - dritten großen Reichs eukaryotischer Lebewesen Kennenlernen (und vielleicht auch Zubereiten) haben von jeher zu meinen Lieblingshobbies gehört. Später wurde das Spektrum durch humanpathogene Pilze erweitert - ein langfristiges Thema meiner beruflichen Tätigkeit im Wiener Sandoz-Forschungsinstitut, aus dem mit "Lamisil", ein Blockbuster unter den antifungalen Medikamenten herausgekommen ist.

Schwammerlsuchen hat für mich bereits früh im Jahr begonnen. Mit Ausnahme der Wintermonate haben Pilze ja das ganze Jahr Saison; diese erstreckt sich von den Morcheln im Frühjahr bis zu den Austernseitlingen und Schopftintlingen im Spätherbst. So bin ich meisten schon in den ersten Märztagen losgezogen, um nach der frühesten Morchel-Verwandten, der Böhmischen Verpel (Verpa bohemica) zu suchen. Diese kleinen, unter dichtem abgestorbenem Laub kaum erkennbaren Pilze sind bereits nach 2 - 3 Wochen wieder verschwunden, abgelöst u.a. von den ebenfalls nur kurze Zeit auffindbaren Spitzmorcheln (Morchella elata). Abbildung 1. Auch weitere Morchelverwandte wie die Käppchenmorchel (Morchella semilibera) und die größeren Speisemorcheln (Morchella esculenta) haben eine nur kurze Saison.

Das stundenlange konzentrierte Absuchen des Waldbodens war nicht immer mit einer reichen Morchelernte - d.i. mit einer Ausbeute von mehr 0,25 kg Pilzen - belohnt. In anderen Worten es war ein recht mühsames Unterfangen, andererseits aber Erholung und Hobby.

Abbildung 1: Morcheln tauchen nur über kurze Zeit auf und sind - im abgestorbenen Laub versteckt - auch auf Grund ihrer "Tarnfarbe" nur schwer zu finden (oben: rote Pfeile). Unten: Getrocknete Köpfe von Spitzmorcheln. Fundstellen werden geheim gehalten und nur an engste Angehörige weitergegeben. (Bilder: Funde im Gebiet des Bisambergs, Wien; I.S).

Allgemeines zu den Morcheln…

Man schätzt, dass es im Reich der Pilze an die 2 Millionen unterschiedliche Arten gibt, wovon allerdings nur 5 % beschrieben sind. Morcheln gehören zu einer der großen Abteilungen, den sogenannten Schlauchpilzen (Ascomycetes); phylogenetische Studien haben bis jetzt an die 80 unterschiedlichen Morchelarten identifiziert (http://www.indexfungorum.org/).

Morcheln sind in den gemäßigten Zonen der nördlichen Hemisphäre - von Europa über Nordamerika bis Asien - zu finden. Sie lieben helle, sonnige Standorte, die feucht und windgeschützt sein sollen und erscheinen - wie bereits erwähnt -, wenn sich die ersten Blätterknospen der Bäume und Sträucher öffnen; ist es um diese Jahreszeit allerdings noch zu kalt oder zu trocken, können Morcheln in einem solchen Jahr auch völlig ausbleiben. Morcheln wachsen auf Böschungen, Wegrändern, Waldwiesen und in Flussauen - häufig vergesellschaftet mit Eschen, Ulmen und auch Fichten - aber auch in Parks und in Gärten und sie sind standorttreu. Kennt man Fundstellen (überliefert aus Familie und engstem Freundekreis), dann kann man dort jahrelang Pilze ernten - ein Vorteil, wenn diese in einem warmen Frühjahr von schnellwachsendem Gras und anderen Pflanzen bereits völlig verdeckt sind. Im Gegensatz zu diesen wildwachsenden Morcheln findet man diese sogar auf Rindenmulch; die Freude ist allerdings kurz. Nach einer Saison ist offensichtlich das Substrat verbraucht und die Pilze kommen nie wieder.

…und zur Spitzmorchel

Der Fruchtkörper setzt sich aus Hut und Stiel zusammen, die miteinander verbunden sind und einen Hohlkörper bilden. Abbildung 2. Der dunkle, in verschiedenen Braun- bis Schwarztönen gefärbte Hut ist wabenförmig mit ausgeprägten Längsrippen strukturiert und zwischen 3 bis zu 10 cm hoch. Die Gruben der Waben sind von schlauchartigen Strukturen, den sogenannten Asci (davon leitet sich der Name der Ascomyceten ab), ausgekleidet, welche jeweils 8 Sporen enthalten, die der Vermehrung und Ausbreitung dienen und bei ungünstigen Umweltbedingungen lange überdauern können. Die Längsrippen trennen die Gruben voneinander und sind steril.

Abbildung 2: Eine alte Darstellung der Spitzmorchel von Giacomo Bresadola (1822). Im aufgeschnittenen Pilz ist die Hohlkörperstruktur zu erkennen (rechts). Jeweils 8 Sporen befinden sich in Schläuchen , sogenannten Asci (Skizze links), die in den Gruben der Waben liegen, die begrenzenden Rippen sind steril. (Bild Wikimedia commons, gemeinfrei)

Das Besondere an den eher unscheinbaren Morcheln ist ihr exquisiter Geschmack. Bereits seit der Antike werden Morcheln als Delikatesse geschätzt. Angeblich liebte der römische Kaiser Claudius Morchelgerichte, seine Frau Agrippina vergiftete ihn mit einem solchen, dem sie Knollenbätterpilze beigefügt hatte. Die Verwechslung der Morchel mit der verwandten, giftigen Lorchel, soll zum Tod von Buddha geführt haben.

Mit den verwandten Trüffeln zählt man Morcheln zu den besten Speisepilzen (meiner Ansicht gehört auch noch der seltene Kaiserling Amanita caesarea dazu); dementsprechend sind sie nicht nur aus der Gourmetküche nicht wegzudenken. Es sind Spezialitäten, die auf Grund ihres raren Vorkommens sehr hohe Preise erzielen: der Marktwert für frische Spitzmorcheln liegt in unseren Breiten aktuell um die 150 €/kg, für getrocknete Pilze, die beim Trocknen ein noch intensiveres Aroma entwickeln, werden bis zu 700 €/kg verlangt. Märkte und Küchen werden bei uns hauptsächlich von Pilzsammlern beliefert, in den letzten Jahren nehmen aber bereits Importe getrockneter Pilze aus China zu (s.u.).

Dass man sich beim Morchelsammeln aber keine goldene Nase verdienen kann, zeigt eine rezente Untersuchung aus Michigan: 163 befragte Sammler gaben an im Durchschnitt 16 Tage auf Morcheljagd zu sein; von denjenigen, welche die Pilze auch verkaufen, werden jährlich im Schnitt rund 13 kg frische Spitzmorcheln/Speisemorcheln (zu 70 US $) auf den Markt gebracht [1].

Züchtung von Spitzmorcheln

Versuche diese Pilze zu züchten gibt es bereits seit mehr als hundert Jahren, bis vor kurzem waren diese aber wenig erfolgreich. Im letzten Jahrzehnt ist es nun in China gelungen mehrere Arten von Spitzmorcheln im Freiland zu kultivieren. Wie bei den natürlich vorkommenden Morcheln ist die Erntezeit auf einige Wochen im Frühjahr beschränkt. Von 2011 bis 2020 stieg die Anbaufläche von 200 ha auf 10 000 ha und der Ertrag von weniger als 750 kg/ha auf 15 000 kg/ha und der Jahresertrag auf 15 000 t frische Pilze. [2]. Abbildung 3 zeigt ein besonders ertragreiches Feld.

Der Ernteertrag wirkt auf den ersten Blick sehr beeindruckend. Eine Untersuchung zum Morchelanbau von 2019 bis 2020 ergab jedoch, dass die Hälfte der Felder keine Früchte trugen oder nur schwaches Wachstum aufwiesen und mehr als 70 % der Produzenten keine stabilen Gewinne erzielen konnten [1]. Die Misserfolge können dabei auf viele Faktoren zurückzuführen sein: von ungeeigneter Bodenbeschaffenheit, ungünstigen Bodenmikroben, instabiler Qualität der Morchelstämme, bis hin zu Krankheitserregern und schlechten Umweltbedingungen (z. B. Temperatur, Feuchtigkeit [2].

Abbildung 3: Freilandkultur von Spitzmorcheln. Boden mit besonders hohem Ertrag.(Bild aus Yu F.M. et al., (2022) [1]. Lizenz:cc-by)

Bereits 1982 hatten Forscher der Michigan State University und San Francisco State University ein Verfahren zur Züchtung der Morchella rufobrunnea, einer verwandten gelben Morchel, unter kontrollierten Bedingungen in Innenräumen entwickelt, das sie später patentierten und in einer Produktionsstätte in Alabama zur Anwendung brachten. In den ersten Jahren soll die Ernte wöchentlich an die 700 kg Morcheln erbracht haben. Eine Infektion der Anlage und die Weltwirtschaftskrise 2008 brachten die Produktion zum Erliegen.

Es erscheint merkwürdig, dass seit vielen Jahren außer den Erfindern niemand in der Lage ist, Morcheln nach den Beschreibungen des Patents herzustellen.

Das dänische Morchelprojekt

In den späten 1970er Jahren haben die Brüder Jacob und Karsten Kirk, damals noch Biologie-Studenten an der Universität Kopenhagen, begonnen Pilze zu züchten und experimentierten vorerst mit leicht kultivierbaren Typen wie den Champignons und Austernseitlingen. Ihr Interesse wandte sich aber bald den Spitzmorcheln zu, die sie für eine zwar herausfordernde aber zugleich lohnendere Spezies hielten. Das angestrebte Ziel war eine Massenproduktion dieser Pilze unter kontrollierten Bedingungen in Innenräumen über das ganze Jahr. Nach fast 40 Jahren Entwicklungsarbeit scheinen sie nun dieses Ziel erreicht zu haben [3].

Spitzmorcheln stellen einen großen Artenkomplex von nahe verwandten Spezies dar, die unterschiedliche Wachstumsbedingungen aufweisen können. Auf Reisen in mehrere europäische Länder haben die Kirk-Brüder jedes Frühjahr Spitzmorcheln gesammelt und in Zusammenarbeit mit der Universität Kopenhagen daraus Mycelien isoliert, diese auf speziellem Nähragar aufgetragen und unter sterilen Bedingungen sogenannte Sklerotien hergestellt, das sind aggregierte, nährstoffreiche, winterharten, braune knotenartige Strukturen - eine bei Pilzen auftretende Dauerform - , die unter anderem den Nährstoffhintergrund für die Fruchtkörperbildung im Frühjahr bilden. Die (u.a. in flüssigem Stickstoff gelagerten) Sklerotien bildeten dann die Grundlage für Kultivierungsversuche, die in mindestens 20 m2 großen, angemieteten Klimakammern erfolgten. Über Jahre wurde an der Entwicklung einer optimalen Morchelerde getüftelt, die nun in Paletten mit witterungsbeständigen Kunststoff-Boxen eingebracht wird. Auch die Entwicklung eines optimalen Programms für Beleuchtung, Temperatur und Feuchtigkeit erstreckte sich über mehrere Jahre.

Insgesamt ist es nun gelungen aus 73 von 80 ganz unterschiedlichen genetischen Varianten der Spitzmorcheln Fruchtkörper zu ziehen, die allerdings in Wachstumsraten, Größe und Aussehehen sehr unterschiedlich waren. Zwei der Varianten erwiesen sich als besonders produktiv: bei einem Ernteertrag von rund 4,2 kg /m2 innerhalb von 22 Wochen ergibt vor allem Variante 195 prachtvolle, exzellent schmeckende überdurchschnittlich große Pilze von über 25 g, die allein stehen und leicht zu ernten sind. (Bezogen auf einen Jahresertrag von rund 10 kg/m2 ist das eine etwa 7 mal größere Ausbeute als in den saisonalen chinesischen Freilandanbauten erzielt wurde; s.o.) Insgesamt wurden so mehr als 150 kg Morcheln geerntet. Ein kurzes Video zeigt Methode und Pilze [4].

Outlook

Die Kultivierungsmethode der Kirk-Brüder kann als Meilenstein in der Pilzzucht betrachtet werden. Sie vereint beste Wachstumsbedingungen, optimale genetische Varianten, Böden und Nährstoffe. Die Kultivierung erfolgt ohne Pestizide und erfordert auch keine besonderen Schutzmaßnahmen beim Arbeiten in den Klimakammern. Morcheln können damit über das ganze Jahr hindurch geentet werden und voraussichtlich zu niedrigen Preisen, die denen von Champignons und anderen etablierten Pilzen entsprechen.

Die Methode ist nun soweit entwickelt, dass eine großtechnische Produktion ins Auge gefasst werden kann. Zweifellos werden die Erfolge mit den Spitzmorcheln auch auf viele andere Pilzarten übertragbar sein: Ohne Verbrauch wertvoller Agrarflächen kann so auf minimalem Raum eine Massenproduktion von Pilzen aufgebaut werden, die nicht nur einen Beitrag zur zukünftigen Welternährung liefern sondern auch als Ressource für viele großtechnische Verfahren dienen können.


[1] Malone, T. et al. Economic Assessment of Morel (Morchella spp.) Foraging in Michigan, USA. Econ Bot (2022). https://doi.org/10.1007/s12231-022-09548-5

[2] Yu, F.-M. et al., Morel Production Associated with Soil Nitrogen-Fixing and Nitrifying Microorganisms. J.Fungi 2022, 8, 299. https://doi.org/10.3390/jof8030299

[3] Jacob Kirk &Karsten Kirk: Controlled Indoor Cultivation of Black Morel (Morchella sp.) All-year-round.  https://thedanishmorelproject.com/

[4] The Danish Morel Project: Controlled Indoor Cultivation of Morel Mushrooms All-year-round. Video 1:15 min.  https://www.youtube.com/watch?v=A3E78Q20RlE

inge Sun, 01.05.2022 - 18:42