Der Kampf gegen die erfolgreichste Infektionskrankheit der Geschichte

Der Kampf gegen die erfolgreichste Infektionskrankheit der Geschichte

Do, 23.01.2020 — Bill & Melinda Gates Foundation

Bill & Melinda Gates FoundationIcon MedizinSeit den 1990er Jahren ist die Tuberkulose weltweit wieder im Vormarsch, bedingt u.a. durch erhöhte Mobilität und Leichtfertigkeit bei Vorbeugung und Behandlung der Krankheit. Weltweit Tuberkulose vorzubeugen und zu behandeln ist im 21. Jahrhundert weiterhin problematisch. Die großen Herausforderungen bestehen in dem Anstieg der gegen TB-Medikamente multiresistenten Fälle, in Koinfektionen mit Tuberkulose und AIDS, sowie in unzureichender Finanzierung für Prävention und Behandlung. Die Bill & Melinda Gates Foundation investiert jährlich rund 100 Millionen US-Dollar in die Entwicklung von Mitteln gegen Tuberkulose, davon rund 50 % in Impfstoffe. Huan Shitong (Projektleiter der Gates Foundation für TB in Peking) hat auf der chinesischen Plattform Yixi für Wissenschaftskommunikation (entsprechend der TED-Plattform im Westen) über den Status der Tuberkulose - global und in China - und den Kampf gegen diese häufigste Infektionskrankheit berichtet *.

Wäre eine Infektionskrankheit mit menschlicher Vernunft begabt, so würde sie wahrscheinlich danach trachten, das „Alpha“ unter ihren Artgenossen zu werden. Ihr Kriegsruf wäre "keine Gefangenen machen". Mit anderen Worten, sie wäre die Art von Attentäter, der spurlos verschwindet, nachdem er seine Opfer getötet hat. Eine Beschreibung, die meiner Meinung nach am besten auf die Tuberkulose passt.

Ein kaltblütiger Killer

Dazu einige Zahlen:

1,7 Millionen Menschen - das ist die Zahl der jährlich durch Tuberkulose verursachten Todesfälle - dies macht Tuberkulose zur tödlichsten aller Infektionskrankheiten. Auch wenn man alle Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zerebralvaskulären Erkrankungen, Lungenkrebs und Leberkrebs auflistet, so bleibt Tuberkulose immer noch unter den Top 10 der Todesursachen.

10 Millionen - dies ist die Anzahl der jährlich neu diagnostizierten Fälle von Tuberkulose.

2 Milliarden - das  sind fast 30 % der aktuellen Weltbevölkerung - sind mit Tuberkulose-Bakterien infiziert, was medizinisch als latente Infektion bezeichnet wird.

Für China liegen aus unterschiedlichen Untersuchungen verschiedene Schätzungen vor. Einigermaßen sicher ist, dass die Zahl der Menschen mit einer latenten Tuberkulose-Infektion zwischen 200 und 550 Millionen liegt, also mindestens, 200 Millionen Menschen in China die Bakterien in sich tragen.

5.000 Jahre - so lange lebt der Mensch schon mit der Tuberkulose; in seinen Fokus rückte sie aber erst in den letzten zwei Jahrhunderten. Man begann sich dafür zu interessieren, weil zahlreiche berühmte Persönlichkeiten - Percy Shelley, Kaiserin Sissi, Lu Xun, Lord Byron - sich eine eigenartige „verzehrende“ Krankheit zuzogen. Diese Krankheit - die Tuberkulose - war nicht nur bei dem historischen Äquivalent unserer heutigen Internet-Stars weit verbreitet, sie überschattete auch die gesamte Gesellschaft.

Robert Koch (1843-1910), der den Erreger der Tuberkulose entdeckte, meinte, dass Tuberkulose eine größere Bedrohung für den Menschen darstelle als selbst die schrecklichsten Infektionskrankheiten wie die schwarze Pest oder die Cholera. Seiner Statistik zufolge konnte man davon ausgehen, dass in Europa damals eine von sieben Personen an Tuberkulose erkrankte und daran starb.

Ende des neunzehnten Jahrhunderts, nach der industriellen Revolution, als Wirtschaftswachstum und Kultur in Europa noch nie dagewesene Höhen erreichten, begannen Länder auf dem gesamten Kontinent, Statistiken über Tuberkulose zu erstellen. Wie der Großteil der übrigen Welt verfügt China über keine quantitativen Daten für diesen Zeitraum, sondern nur über einige qualitative Indikatoren. Beispielsweise gibt es in dem Film Fist of Fury (Faust des Rächers) eine Stelle, in der die Darsteller ein Schild mit den Worten "Kranker Mann in Ostasien" zerschlagen. Viele Menschen interpretieren dies als Hinweis auf eine der häufigsten Infektionskrankheiten in China zu der Zeit: Tuberkulose.

Wie ist der Mensch diesem kaltblütigen Mörder in den letzten 5.000 Jahren begegnet?

Wenn in der Vergangenheit etwas mit der Lunge nicht stimmte, dachte man die Lösung wäre ins Freie zu gehen und saubere Luft zu atmen. Als beste Heilmethode galt an einen Ort mit schöner Lage geschickt zu werden, um dort etwas Sonnenschein zu bekommen.  Davos in der Schweiz wurde so berühmt - als Ziel zur Behandlung für Tuberkulosekranke. Abbildung 1.

Abbildung 1. Davos Platz. Das Sanatorium Schatzalp auf 1864 m. Jedes Zimmer verfügt über Außenbetten, damit die Patienten in der Sonne liegen können. (Bild von der Redaktion angefügt.)

Allerdings erforderte diese Art der Behandlung einigen Wohlstand, war eine Therapie der Reichen.

Was ist aber mit armen Menschen passiert, die an Tuberkulose erkrankten? Nach ihrer religiösen Überzeugung, glaubten die Menschen, dass ihre Krankheit eine Bestrafung wäre, weil sie gesündigt hatten und, dass sie nun die Hilfe Gottes bräuchten.

Ab dem fünften Jahrhundert nach Christus kam in Westeuropa der Brauch auf, dass Monarchen einen Tag im Jahr festlegten, an dem sie die Kranken durch Handauflegen segneten. Abbildung 2.

Abbildung 2. Der französische König Heinrich IV bei dere Zeremonie des "königlichen Handauflegens" (Stich aus einem medizinischen Fachbuch 1609, Bild: Wikipedia. Das gemeinfreie Bild wurde von der Redaktion eingefügt.)

Auch wenn dieses Ritual keinerlei Wirkung hatte, hatte es vom fünften bis zum fünfzehnten Jahrhundert Bestand und dies hängt mit einer der Eigenschaften von Tuberkulose zusammen:

Ein Drittel der TB-Kranken starb üblicherweise innerhalb von zwei Jahren. Ein zweites Drittel lebte weitere fünf bis zehn Jahre, in deren Verlauf der Körper schwach - als würden er von innen „aufgezehrt“ - und die Krankheit chronisch wurde; währenddessen übertrugen die Kranken den Erreger auf weitere Menschen in ihrer Umgebung Das letzte Drittel erholte sich für gewöhnlich, vielleicht weil die anfängliche Infektion nur leicht war oder weil ihr Immunsystem stärker war. Dass damit ein Drittel der vom Monarchen Gesegneten sich erholte, schuf den Glauben, dass die Monarchen von Gott heilende Kräfte erhalten hatten.

Was können wir heute tun, um diese Krankheit zu bekämpfen? Impfung! Und…

Die primäre Waffe gegen die Krankheit ist die Prävention. Jedem heute in China geborenen Kind werden zwei Injektionen verabreicht: eine gegen virale Hepatitis B und eine als BCG--Stich bekannte (BCG: Bacillus Calmette-Guérin - aus dem Wildtyp entwickeltes, abgeschwächtes Mykobakterium; Anm.Redn.).

Die BCG Impfung bei der Geburt schützt Kinder vor Tuberkulose und erhöht ihre Abwehrkraft gegen Tuberkulöse Meningitis oder Tuberkulose an anderen Körperstellen. Allerdings bietet BCG Kindern keinen perfekten Schutz gegen Tuberkulose, sondern  stärkt nur das Immunsystem.

Abgesehen von Impfungen wurden in den 1940er bis 1960er Jahren bedeutende Fortschritte im Antibiotika-Gebiet erzielt und einige neue wirksame Präparate gegen Tuberkulose gefunden. Die Ärzte konnten schließlich 90 Prozent der TB-Patienten heilen und die anfängliche Behandlungsdauer von einem Jahr auf sechs Monate verkürzen. Schließlich glaubte ein jeder, dass dies nun zur Ausrottung der Tuberkulose führen würde. Wie man heute sieht, wurde Krankheit aber nicht ausgerottet. Dies ist wiederum auf drei Besonderheiten der Tuberkulose zurückzuführen.

Die erste ist die Übertragung der Keime durch die Luft. Ein Infizierter kann durch Niesen oder Husten die Bakterien in die Luft schleudern und die Menschen um sich herum anstecken.

Das zweite Merkmal ist die Latenz. Wenn der TB-Keim in einen Wirt eindringt und einen gesunden Körper mit einem robusten Immunsystem erkennt, wechselt er automatisch in den Schlafmodus, ohne Schaden zu verursachen. In diesem Fall sieht das Immunsystem den Keim nicht als schädlichen Organismus an und lässt ihn im Körper überleben. Wird das körpereigene Immunsystem zu irgendeinem Zeitpunkt aber schwach, erkennt der Keim die dementsprechenden Signale, erwacht, beginnt sich zu vermehren und verursacht den Wirt zu husten und ihn in die Luft auszustoßen, damit er nun einen neuen Wirt suchen kann.

Das dritte Merkmal ist die Iteration. Es gibt heute zahlreiche Medikamente zur Bekämpfung der Tuberkulose. Um die Keime abzutöten, sind jedoch mindestens drei oder vier Medikamente über eine Behandlungsdauer von sechs Monaten erforderlich. Verwendet man nur ein Medikament, so wird das Bakterium innerhalb eines Monats eine Resistenz gegen das Medikament entwickelt haben, die nächste Generation von Keimen wird daher gegen diese Behandlung resistent sein. Aufgrund dieser Fähigkeit zur Iteration ist eine neue Form der Tuberkulose entstanden, die als Medikamenten-resistente Tuberkulose (drug resistant TB: DRTB) bezeichnet wird. Abbildung 3.

Abbildung 3. Das Problem der Medikamente-resistenten Tuberkulose (DRTB). Bild aus dem aktuellen globalen Tuberkulose Report 2019 der WHO; von Redn. eingefügt.

Die Zahl der DRTB-Patienten liegt bei rund 500.000, davon 70.000 allein in China. Da DRTB über die Luft übertragen werden kann, kann ein unbehandelter DRTB-Träger innerhalb eines Jahres bis zu fünfzehn andere Menschen infizieren.

Es ist nicht möglich, DRTB mit nur einem Medikament zu eliminieren. Selbst, wenn man drei bis vier neue Wirkstoffe entdeckte, würde es noch sechs Monate bis zur Eliminierung der Keime dauern. Patienten mit DRTB müssen daher eine zweijährige Behandlung einhalten, die eine Erfolgsquote von nur 50% aufweist (und in China 10 000 -12 000 € kostet). Erschwerend kommt hinzu, dass es einen Bakterien-Stamm gibt, der eine außergewöhnlich hohe Arzneimittelresistenz aufweist und selbst mit einem breiten Cocktail von Arzneimitteln nicht geheilt werden kann. Es ist keine Übertreibung festzustellen, dass diese Art von DRTB, wenn sie nicht unter Kontrolle gehalten wird, zu einer Art von "übertragbarem Krebs" werden kann, für den jeder anfällig wäre.

Was können wir tun? Vor Angst zittern?

Die Kontrolle von Infektionskrankheiten beruht immer auf einem zweigleisigen Ansatz. Die erste Angriffsstrategie ist die Impfung. Im Fall der bereits erwähnten Geißel der Virushepatitis B sind Kinder durch die Impfung heute gut geschützt.

Bei der Entwicklung eines Tuberkulose-Impfstoffs gibt es allerdings ein Problem. Bei anderen Krankheiten wie den Pocken produziert der Körper nach der Inokulation Antikörper, die lebenslangen Schutz bieten. Bei TB ist das nicht der Fall. Auch nach der Genesung von TB kann man erneut infiziert werden und wieder erkranken.

Die Bill & Melinda Gates Foundation stellt jedes Jahr rund 100 Millionen US-Dollar für die Entwicklung von Mitteln gegen Tuberkulose zur Verfügung. Etwa die Hälfte davon entfällt auf die Entwicklung von neuen, effizienteren Impfstoffen.

Wir brauchen aber auch den zweiten Ansatz, der länger und schwieriger ist: so viele Infizierte wie möglich zu identifizieren und zu heilen. Dieser Ansatz erfordert auch die Entwicklung einer ganzen Reihe neuer Mittel und Medikamente. Heute verfügen wir über eine molekulare Diagnostik, um neue TB-Fälle schnell zu erkennen und innerhalb von zwei Stunden festzustellen, ob die TB arzneimittelresistent ist. Dies verkürzt die Diagnose- und Behandlungszeit erheblich. Im Rahmen dieser Initiative haben wir berechnet, dass die Zeit zwischen der Probenahme von einem Patienten bis zur Mitteilung, dass es sich um DRTB handelt und dem Beginn der Behandlung nur 7 Tage beträgt.

Ausblick

Fast ein Drittel der heutigen Menschheit, das sind ungefähr 2 Milliarden Menschen, ist Träger des schlafenden, aber immer noch lebenden Erregers. Kein Grund zur Panik - nur 5 Prozent dieser Menschen werden tatsächlich an Tuberkulose erkranken. Die restlichen 95 Prozent müssen nur auf ihre Gesundheit achten, fit bleiben und sich richtig ausruhen, um die Erkrankung zu vermeiden.

Es gibt einige Aspekte der Krankheit, die wir noch nicht verstehen:

  • Wie genau wird Tuberkulose übertragen?
  • Welche Beziehung besteht zwischen der Bakterienkonzentration in der Luft, der tatsächlichen Infektion und dem Auftreten der Krankheit?
  • Wie lang genau dauert die Inkubationszeit?
  • Wie können im Patienten vorkommende, ruhende Bakterien getötet werden?
  • Wie ist es möglich zu wissen, ob jemand vollständig von TB genesen ist?

Zur Beantwortung all dieser Fragen ist ein Mehr an Forschung und Investitionen erforderlich. Um effiziente wissenschaftliche Forschung auf diesem Gebiet zu betriben, wären jährliche Investitionen in Höhe von 2 Mrd. USD nötig. Es wären öffentliche Güter, die der gesamten Bevölkerung zugute kommen.

Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen eine Resolution zur Annahme von 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals - SDGs) verabschiedet, die u.a. eine Verpflichtung zur Eliminierung der Tuberkulose bis 2030 beinhalten. Abbildung 4. Dies lässt uns hoffen eines Tages die beruhigende Gewissheit zu haben, dass die seit Tausenden Jahren uns plagende Infektionskrankheit endgültig Geschichte geworden ist.

Abbildung 4. WHO: The End TB Strategy. (Bild von Redn eingefügt)


*Der Artikel basiert auf dem Vortrag " ‘The Most Successful Infectious Disease in the History" von Huan Shitong, den dieser am 19. Oktober 2019 in Yixi (der TED-Diskussionsplattform Chinas )in Peking gehalten hat. Der Vortrag erschien in editierter Form erstmals auf der Website der Gates Foundation https://www.gatesfoundation.org/theoptimist/articles/tuberculosis-successful-disease-in-history?utm_source=alw&utm_medium=em&utm_campaign=wc&utm_term=lgc und wurde mit freundlicher Zustimmung der Gates Foundation der Website der Stiftung entnommen, von der Redaktion in Deutsch übersetzt und etwas gekürzt.(u.a. wurde der China-spezifische Teil am Schluss des Artikels weggelassen). Zum Text wurden passende Abbildungen von der Redaktion eingefügt.

Huan Shitong, Projektleiter für TB der Gates Foundation in Peking, hat an Mediziinischen Universität Peking studiert und war am Beijing Tuberculosis and Thoracic Tumor Research Institute und im Chinesischen Gesundheitsministerium tätig.


Weiterführende Links

WHO Global Tuberculosis Report 2019. https://www.who.int/tb/global-report-2019

Tuberculosis (TB) Explained (06.2019). Video 1:13 min. https://www.youtube.com/watch?time_continue=63&v=kAbujxt5FCU&feature=emb_logo

Das ABC des Dr Robert Koch. Tuberkulose. Video 2:56 min http://www.youtube.com/watch?v=FYRyoAPhH8E  Tetanus und Tuberkulose - Dokumentation über die Entdeckung der Bakterien, die Tetanus und Tuberkulose verursachen : Teil 1 14:31 min.

Ärzte ohne Grenzen: Vernachlässigte Krankheiten - Multiresistente Tuberkulose. Video 6:20 min. https://www.youtube.com/watch?v=AJmGPeLV3sA&feature=emb_title

Bill and Melinda Gates Foundation, 09.05.2014: Der Kampf gegen Tuberkulose. http://scienceblog.at/der-kampf-gegen-tuberkulose.

Gottfried Schatz, 08.05.2015: Tuberkulose und Lepra – Familienchronik zweier Mörder. http://scienceblog.at/tuberkulose-und-lepra-%E2%80%93-familienchronik-zweier-mörder.


 

Redaktion Thu, 23.01.2020 - 06:02