Transhumanismus - der Mensch steuert selbst seine Evolution

Transhumanismus - der Mensch steuert selbst seine Evolution

Do, 12.12.2019 — Inge Schuster

vIcon Gehirn

Unter der Bezeichnung Transhumanismus sind In den letzten Jahrzehnten mehrere, von einander nicht scharf abgegrenzte weltanschauliche Strömungen vor allem im angelsächsischem Raum entstanden, die mit Hilfe von Wissenschaft und Technologie die Grenzen des biologischen Menschen überwinden und seine Fähigkeiten erweitern möchten. Alle diese Ideologien verbindet die Erwartung, dass damit die Chancen auf ein erfülltes Leben erhöht werden. Dies reicht von Gen-Verbesserung, Umkehrung des Alterungsprozess bis zur Verschmelzung von Mensch und Maschine (Cyborg) und darüber hinaus zu einer nichtbiologischen neuen posthumanen Spezies. Der folgende Überblick gibt meine Sicht als Biowissenschafter - jedoch ohne ethische Wertung - wieder.*

Im Verlauf der Evolution hat der Mensch großartige physische und geistige Fähigkeiten erworben - dass diese noch verbesserbar sind, ist unbestritten. Unter dem Begriff "Transhumanismus" sind In den letzten Jahrzehnten vor allem im angelsächsischem Raum mehrere, von einander nicht scharf abgegrenzte weltanschauliche Strömungen entstanden, die - an die Antike und später an den Renaissance-Humanismus und die Aufklärung anknüpfend - in Summe die Verbesserung des Menschen - das Human Enhancement - zum Ziel haben.

Nach Meinung der Transhumanisten ist der Mensch die erste Spezies, welche die eigene Evolution nicht mehr dem Zufall zu überlassen braucht, sondern - quasi im Zeitraffer - selbst planen und steuern kann.

Ziele der selbstgesteuerten Evolution

Basierend auf den Erkenntnissen der modernen (Natur)Wissenschaften und unter Einsatz bereits etablierter, noch zu realisierender oder auch erst in Zukunft denkbarer Technologien sollen die Grenzen der physischen und intellektuellen Möglichkeiten des Menschen erweitert und damit seine Chancen auf ein erfülltes Leben erhöht werden. Es geht um das Erreichen

  • einer höchstmöglichen Intelligenz,
  • einer höchstmöglichen Lebensdauer und
  • eines größtmöglichen Wohlbefindens.

Für eine derartige Optimierung und - nach eigenen Vorstellungen erfolgenden - Umformung des menschlichen Organismus, sehen Transhumanisten gezielte technische und genetische Eingriffe vor. Sie wollen damit den Alterungsprozess stoppen, degenerative Krankheiten ausmerzen, die mentale Leistungsfähigkeit steigern und insgesamt das Leben verbessern und verlängern. Das sind Vorhaben, welche zweifellos weitgehende Zustimmung finden; die weltweite Forschung hat dazu bereits eine Fülle neuer Erkenntnisse, Konzepte und Anwendungsmöglichkeiten geliefert.

Dubioser sind Pläne der sogenannten Kryoniker:

Menschen, die nicht auf lebensverlängernde Praktiken warten können, weil sie vorher an heute noch nicht heilbaren Krankheiten sterben, wird eine Zwischenlösung in Aussicht gestellt. Nach Meinung der Kryoniker tritt der Tod ja nicht mit dem Aufhören von Herzschlag und Gehirntod ein, sondern erst dann, wenn die Zellen des Körpers bereits irreversibel geschädigt sind. Um dies zu verhindern, werden "Patienten" unmittelbar nach ihrem klinischen Tod in flüssigem Stickstoff bei -196 °C (vitrifiziert) gelagert, mit der Zusage wieder "geweckt" zu werden, wenn der Fortschritt der Wissenschaft eine Heilung von der einst tödlichen Krankheit verspricht. Für dieses Verfahren existieren bereits mehrere Anbieter. Im größten dieser Unternehmen, der bereits 1972 in Arizona gegründeten Alcor Life Extension Foundation, lagern aktuell 171 solcher "Patienten" und 1269 Personen haben die legalen und finanziellen Vorkehrungen für den - nach ihrer Überzeugung - Zwischenzustand "nicht lebendig - nicht tot" getroffen.

Völlig utopisch

muten Visionen an, wohin sich der Mensch schließlich entwickeln soll. Insgesamt soll die Natur des Menschen - sein störungsanfälliger Körper, sein verbesserungsfähiges Gehirn - technisch überwunden werden, Mensch und Maschine zum hybriden Mensch-Maschine Wesen, einem sogenannten Cyborg (cybernetic organism) verschmelzen (Abbildung 1).

Abbildung1. Die Verschmelzung von Mensch und Maschine (Bild: pixabay, gemeinfrei)

Mit dem sich exponentiell beschleunigendem technologischen Fortschritt soll - optimistischen Schätzungen führender Transhumanisten zufolge - Künstliche Intelligenz in wenigen Jahren/Jahrzehnten die Leistungsfähigkeit der menschlichen Intelligenz erreicht haben und mit dieser dann zur Super-Intelligenz fusionieren. Ab diesem, als Singularity bezeichneten Zeitpunkt wird sich das menschliche Leben unvorhersehbar, irreversibel verändern. Radikale Transhumanisten gehen davon aus, dass das Gehirn dann in all seinen Funktionen samt dem emergenten Bewusstsein erforscht sein wird, alle seine Inhalte gescannt werden können und mittels eines sogenannten Mind-Upload auf einen anderen, nicht-biologischen Träger (z.B. ein elektronisches Netzwerk) hochgeladen werden können. Am Ende dieser Transformation steht dann ein posthumanes Wesen, eine digitale Kopie, die -losgelöst vom Körper - virtuell praktisch "ewig" weiterexistieren kann.

Das Transhumanismus Manifest

Die unterschiedlichen Strömungen moderater bis radikaler Transhumanisten haben schließlich zu einer gemeinsamen Deklaration zusammengefunden. Der britische Philosoph Nick Bostrom verfasste 1999 zusammen mit dem schwedischen Informatiker und Neurowissenschafter Anders Sandberg das Transhumanistische Manifest, welches von weltweiten Transhumanisten-Gruppen mehrmals umformuliert und in letzter Fassung 2009 von Humanity+ - dem Dachverband der Transhumanisten (siehe nächstes Kapitel) - angenommen wurde. Darin wird die Wahlfreiheit des Einzelnen betont sein Leben nach seinen Vorstellungen zu optimieren, aber auch die Risiken angesprochen, die neue Technologien mit sich bringen können und die moralische Verantwortung gegenüber künftigen Generationen berücksichtigt [1].

Wer sind die Akteure des Transhumanismus?

Den Traum die Grenzen der menschlichen Natur mittels innovativer Technologien zu überschreiten dürfte es seit Anbeginn der Menschheit gegeben haben. Mythen erzählen von Daidalos, der für seine Flucht ein - zumindest für ihn selbst - funktionierendes Fluggerät gebaut hat, vom Titanen Prometheus der das - für die Menschheitsentwicklung essentielle - Feuer zur Erde brachte. Im Mittelalter träumte man vom Jungbrunnen, der dem Altern ein Ende machen sollte, in der Renaissance hat Leonardo da Vinci eine unglaubliche Vielfalt neuartiger Maschinen zur Erweiterung der Tätigkeitsfelder des Menschen entworfen. Die Liste ließe sich noch sehr lange fortsetzen.

Den Begriff Transhumanismus selbst hat der Evolutionsbiologe, Eugeniker und Philosoph Julian Huxley, (Bruder von Aldous Huxley, dem Verfasser der "Brave New World") 1957 in seinem Buch "New Bottles for New Wine" geprägt. Er versteht darunter den Menschen,

"der Mensch bleibt, aber seine Grenzen überschreitet, indem er neue Möglichkeiten seiner menschlichen Natur und für diese Natur realisiert" [2].

Transhumanistische Vorstellungen blieben lange Spielplatz von Philosophen und Science-Fiction Autoren. Mit den bahnbrechenden Erkenntnissen der Molekularbiologie, mit neuen Technologien der Biotechnologie, bildgebenden Verfahren, neuen Methoden der regenerativen Medizin und insbesondere mit der exponentiellen Steigerung von Computerleistung und immer aussagekräftigeren Algorithmen setzte in den frühen 1980er Jahren die eigentliche Entwicklung des Transhumanismus ein. Kalifornien war das Zentrum, der Einzugsbereich der University of Los Angeles und des Hotspots für Innovationen und Startups, Silicon Valley.

Daraus sind weltweite, sehr einflussreiche ideologische Strömungen geworden; die Zahl der Aktivisten - eine heterogene Mischung u.a. aus Mathematikern, IT-Experten, Physikern, Technologen, Biowissenschaftern und Medizinern ebenso wie aus Philosophen, Ethikern, Ökonomen und auch Journalisten und Science-Fiction Autoren - ist stark gewachsen. (Details dazu in [3]).

Der Dachverband der Transhumanisten,

die World Transhumanist Association (WTA) wurde 1998 von den britischen Philosophen Nick Bostrom und David Pearce gegründet mit dem Ziel: i) die Öffentlichkeit mit neu aufkommenden Technologien vertraut zu machen, ii) die Rechte derer zu verteidigen, die solche Technologien für ihr Human Enhancement in Anspruch nehmen wollen und iii) mögliche Konsequenzen von aufkommenden Technologien vorweg zu nehmen und Lösungen vorzuschlagen. Diese rasch wachsende Einrichtung wurde später in Humanity+ umbenannt und zählt heute rund 6000 Mitglieder. Geschäftsführerin ist derzeit Natasha Vita- More, die Künstlerin, Designerin und Alternsforscherin, Pionierin des Transhumanismus und Professorin an der University of Advancing Technology ist. In ihrer Forschung an dem Modellorganismus Caenorhabditis elegans hat sie kürzlich ein für das Kryonik-Gebiet aufregendes Ergebnis gefunden: die Erinnerung des mikroskopisch kleinen Wurms an antrainiertes Verhalten blieb nach dem Kryokonservieren (Vitrifizieren) und Wiederauftauen erhalten.

Singularity University

Zu den prominentesten und schillerndsten Vertretern der Szene gehört der IT-Experte Ray Kurzweil, der durch Dutzende Erfindungen - u.a. des Flachbett-Scanners, des ersten Sprach-Synthesizers, von Lesegeräten für Blindenschrift und von Bilderkennungssoftware - berühmt und reich geworden ist. Als einer der radikalsten Transhumanisten vertritt Kurzweil die Vision einer schon bald eintretenden Singularität - der Verschmelzung von künstlicher mit menschlicher Intelligenz (siehe oben). Singularität trägt auch die von ihm 2008 gegründete Singularity University im Titel. Diese, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Raumfahrtbehörde NASA und zum Mega-Unternehmen Google gelegene Privatuniversität wurde zum Zentrum transhumanistischer Ideologien, zu dem Führungskräfte und Startup-Unternehmer hin pilgern - trotz exorbitanter Gebühren und ohne einen akademischen Abschluss zu erhalten. Diskutiert wird hier mit Wissenschaftern und erfolgreichen Unternehmern aus dem Silicon Valley u.a. über Künstliche Intelligenz, Robotik , Synthetische Biologie, Virtual Reality und es werden Zukunftsideen entwickelt, welche die Welt verändern sollen. Die Singularity University wurde lange Jahre mit Millionenbeiträgen von Google-Alphabet unterstützt. Google, das Unsummen in die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz investiert, hat Kurzweil 2012 als Chefingenieur für technische Entwicklung eingesetzt.

Thinktanks wie die Singularity Universität sind auch andernorts entstanden. Dank großzügiger Unterstützungen werden Hunderte transhumanistische Projekte auch an hoch renommierten Universitäten bearbeitet. Fördergelder kommen vor allem von Branchen die von transhumanistischen Visionen zu profitieren hoffen, insbesondere von IT-Branchen (die von diversesten implantierbaren Chips träumen) und auch von Pharmafirmen.

Auf dem Weg zum Cyborg

Wenn der Transhumanismus eine Verbesserung des Menschen durch technische und genetische Eingriffe vorsieht, so ist einiges davon schon heute realisiert. Die Optimierung des menschlichen Körpers durch Medizin und Technologie ist ja nichts Neues. Hilfsmittel zur Milderung/Behebung körperlicher Einschränkungen wie z. B. die Brille gibt es seit Jahrhunderten, Arm- und Beinprothesen reichen in die vorchristliche Zeit zurück.

Neben äußerlich angebrachten Prothesen finden sich im menschlichen Körper zunehmend diverse Ersatzteile - Implantate genannte Endoprothesen - und auch Chips:

Hüft- und Knieprothesen sind besonders bei älteren Personen häufig anzutreffen, künstliche Linsen und Netzhautimplantate geben die Sehkraft zurück, Cochleaimplantate können das Hörvermögen wieder herstellen, Zahnimplantaten ermöglichen wieder fest zubeißen zu können. Herzklappen können durch künstliche Klappen, beschädigte Gefäße durch Kunststoff- und Knorpelgewebe-prothesen ersetzt werden, Herzschrittmacher regen den Herzmuskel zur Kontraktion an, Hirnschrittmacher stimulieren bestimmte Hirnareale und werden u.a. bei Parkinson-Kranken angewandt. Dazu kommen Implantate in der plastischen Chirurgie, wie sie nach Unfällen aber auch für kosmetische Zwecke eingesetzt werden. Implantiert werden auch Depots von Arzneimitteln, die dann den Wirkstoff kontinuierlich über lange Zeit abgeben.

Transplantationen von Organen sind heute an der Tagesordnung. Aus Mangel an Spenderorganen arbeiten Forscher weltweit daran Organe wie Herz und Leber aus Stammzellen eines Patienten zu züchten (und auch im 3D-Drucker aufzubauen). Für Hauttransplantate funktioniert dies bereits seit längerer Zeit.

Ohne weiter darauf einzugehen: durch Genmanipulation und Genselektion wird ein Großteil der Krankheiten und auch Alterungsprozesse verhindert werden können; gentechnische Eingriffe (wenn auch noch nicht in die Keimbahn) sind bereits Realität geworden.

Schon lange Realität sind künstliche Befruchtung, Präimplantationsdiagnostik, Geschlechtsumwandlungen, etc. Mit Hilfe von Arzneimitteln können Gedächtnisleistungen und Lernvorgänge verbessert werden, kognitive Störungen gemildert.

Bereits eingesetzt werden direkte Gehirn-Computer- und Gehirn-Maschine-Schnittstellen. Körperlich behinderte Menschen können so durch Gedanken Geräte steuern und Prothesen bewegen. Einen Schritt weiter geht der Unternehmer Elon Musk (CEO von Tesla, Gründung/Beteiligung u.a. bei PayPal, dem privaten Raumfahrtsunternehmen SpaceX und SolarCity): er hat das Unternehmen Neuralink gegründet, das daran arbeitet Gehirnwellen direkt mit Künstlicher Intelligenz zu verbinden.

Chips, wie sie üblicherweise zur Identifizierung von Haustieren implantiert werden, stehen wegen Sicherheitsrisiken und möglichen Nebenwirkungen bei Anwendung am Menschen unter heftiger Kritik. Auf der positiven Seite stehen Nano-Chips, welche die Körperfunktionen überwachen und rechtzeitig Alarm schlagen, um Therapien zu ermöglichen. Der erste CHIP (RFID-Transponder) wurde übrigens bereits 2002 von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zugelassen. Unter die Haut am Arm implantiert kann dieser beispielsweise den Zutritt zu Räumen ermöglichen.

Einige der aufgezählten Anwendungen sind in Abbildung 2 zusammengefasst.

Abbildung 2. Neurotechnologien der Rehabilitierung, die auch zum "Enhancement" typischer menschlicher Fähigkeiten nützlich sein können. (Das Bild stammt aus: EP Zehr: The Potential Transformation of Our Species by Neural Enhancement. J Motor Behavior, (2015). 47, 73 -78.und steht unter einer cc-by-nc - Lizenz).

Viele Menschen könnten also auch als Cyborgs bezeichnet werden.

Cyborg nennt sich zumindest der von Geburt an farbenblinde Brite Neil Harbisson, der durch Auftritte in Talk-Shows populär geworden ist. Er zeigt sich dort mit einer am Kopf befestigten Antenne samt Farbsensor, der über einen implantierten Chip Farben aber auch Bilder in Töne umwandelt; damit erweitert er auch die naturgegebene menschliche Wahrnehmung.

Die Verschmelzung von Mensch und Technik ist also bereits voll im Gang. Technologien dienen nicht mehr nur behinderten und/oder kranken Menschen, sie erweitern auch die Fähigkeiten gesunder Menschen. Wir sind also bereits auf dem Weg in eine transhumanistische Gesellschaft.

Was ist machbar?

Vieles, was vor kurzem noch als reine Utopie gegolten hat, ist heute bereits realisiert worden oder in den Bereich des Realisierbaren gerückt. Wenn von der zunehmenden Verschmelzung Mensch-Maschine, Gehirn-Maschine die Rede ist, so sehen wir diese in vielen Aspekten bereits in Gang gebracht.

Die eingangs dargelegten Ziele des Human Enhancement - Erreichen einer höchstmöglichen Intelligenz, einer höchstmöglichen Lebensdauer und eines größtmöglichen Wohlbefindens - werden als realisierbar angesehen, lassen aber viele Fragen offen. Der Mensch als hochkomplexes, dynamisches System ist ja noch kaum verstanden.

Wie werden sich welche Eingriffe auf den Einzelnen, auf die Gesellschaft langfristig auswirken, welche Rückkopplungen können entstehen? Werden mehrere Klassen von Menschen entstehen - unverändert gebliebene, partiell veränderte und stark veränderte, die den anderen dann in allen Belangen haushoch überlegen sind?

Zu diesen Fragestellungen wird weltweit intensiv geforscht, als essentiell betrachtet man dabei die interdisziplinäre Zusammenarbeit, das Zusammenwachsen der neuen Disziplinen Nanotechnologie (Grundlage für alle Techniken auf der atomaren und molekularen Ebene), Biotechnologie (inklusive Gentechnik), Informationstechnologie (mit Elektronik, Robotik, Künstlicher Intelligenz) und Neurowissenschaften (mit dem Endziel des vollen Verstehens der Gehirnfunktion). In die Forschung dieser sogenannten Converging Technologies investieren die USA mehrere Milliarden Dollar auch in Europa erhalten sie milliardenschwere Förderung.

Ist Lebensverlängerung über ein physiologisch determiniertes Limit hinaus möglich?

Auch ein höchstmöglich optimierter Organismus ist den fehlerbehafteten biochemischen Prozessen in seinen Zellen und auch Schadstoffen aus der Umwelt ausgesetzt, die zu Mutationen im Erbmaterial, zu defekten Proteinen, zu gestörten Signalfunktionen, geschädigten Organellen, Zellen und Organen führen. Alle diese Prozesse unterbinden zu wollen, erscheint auch aus dem heutigen physiologisch, biochemischen Wissen kaum machbar.

Ist die kryonische "Zwischenlösung" machbar?

Ist das Vitrifizieren und Wiedererwecken toter Körper mit allen ihren früheren Funktionen machbar?

Was für einzelne intakte Zellen - wie Ei - und Samenzellen - und auch für den früher erwähnten Fadenwurm gilt, der im Besitz seiner Erinnerung erweckt wurde, ist zumindest in naher Zukunft wohl kaum auf den Vielzellenorganismus des Menschen übertragbar. Insbesondere nicht auf die Funktionsfähigkeit des ungemein komplexen Gehirns, mit der ungeheuren Zahl gealterter - da kaum erneuerbarer - Neuronen, die infolge der Vitrifizierung (zur Vermeidung von Kristallbildung) toxischen Kälteschutzmitteln ausgesetzt werden.

Mind Uploading

Einige Transhumanisten träumen davon den mentalen Inhalt des Gehirns auf ein externes Medium zu übertragen - das Mind Uploading -, das dann "ewig" weiterbestehen kann.

Auch, wenn Mammutprojekte wie das Europäische Human Brain Project die Funktionsweise des Gehirns aufklären und mit Hilfe von Modellen das gesamte Hirn simulieren wollen, so reicht das nicht als Basis für den Upload. Die ungeheure Komplexität unserer Denkfabrik resultiert ja nicht nur aus der Architektur und Vernetzung der Nervenzellen (inklusive Wechselwirkungen mit Glia- und anderen Zellen), sondern auch aus der Dynamik mit der elektrische und chemische Signale erzeugt und weitergeleitet werden. Zu den Inhalten des Gehirns gehören auch die Informationen, die es aus Rückenmark und peripherem Nervensystem erhält und schließlich auch die Signale, die unsere Mitbewohner - das Mikrobiom - in das Hirn senden.

Dies alles quantitativ in seiner Dynamik zu erfassen und modellieren zu wollen, erscheint - auch bei weiterhin exponentiell zunehmender Rechnerleistung - ein vielleicht in sehr ferner Zukunft diskutierbares Vorhaben.


[1] Transhumanist Declaration. https://humanityplus.org/philosophy/transhumanist-declaration/ abgerufen am 13.9.2019

[2] Huxley Julian, New Bottles for New Wine, Chatto & Windus, London (1957) https://archive.org/details/NewBottlesForNewWine/page 17 abgerufen am 16.9.2019

[3 ] More Max und Vita-More Natasha (eds),The Transhumanist Reader: Classical and Contemporary Essays on the Science, Technology, and Philosophy of the Human Future. John Wiley & Sons. (2013). https://books.google.at/books?id=YeFo_20rfz0C&dq=Daedalus%3B+or,+Science+and&hl=de&source=gbs_navlinks_s


*Dies ist die verkürzte Version des Artikels "Transhumanismus – Selbstgesteuerte Evolution des Menschen", der eben in Imago Hominis 26 (3) 131 – 140 · ISSN 1021-9803 erschienen ist. https://www.imabe.org/index.php?id=2662


 

inge Wed, 11.12.2019 - 20:18