Umstieg auf erneuerbare Energie mit Wasserstoff als Speicherform - die fast hundert Jahre alte Vision des J.B.S. Haldane

Umstieg auf erneuerbare Energie mit Wasserstoff als Speicherform - die fast hundert Jahre alte Vision des J.B.S. Haldane

Do, 19.09.2019 — Redaktion

RedaktionIcon WissenschaftsgeschichteDer britische Genetiker und Evolutionsbiologe  John Burdon Sanderson Haldane  (J.B.S. Haldane) hat 1923 in einem Vortrag an der Cambridge University u.a. auch seine Vision zur Energieversorgung für die Zeit dargelegt, wenn die fossilen Quellen versiegen. Haldane war der Erste, der die weitreichende Nutzung erneuerbarer Energie, insbesondere der Windenergie, vorschlug, wobei die Speicherung überschüssiger Energie in Form von Wasserstoff erfolgen sollte, welcher dann bedarfsgerecht für Industrie, Mobilität und Privatgebrauch zur Verfügung gestellt würde.* Es ist eine unglaublich aktuell wirkende Vision, die in Einklang mit den heutigen Forderungen führender Experten auf dem Energiesektor steht.

John Burdon Sanderson Haldane (1892 - 1964) war ein multidisziplinärer britischer Naturwissenschafter, u.a. an den Universitäten Oxford, Cambridge und London tätig und für seine Arbeiten in Physiologie, Genetik. Evolutionsbiologie, Mathematik und Biostatistik berühmt; ebenso auch für seine Begabung Wissenschaft allgemein verständlich zu vermitteln. Haldane führte u.a. das Konzept der Abiogenese ein - die Entstehung komplexer organischer Moleküle aus CO2, Ammoniak und Wasser in einer Ursuppe ("primordial soup"), er gehörte zu den Hauptvertretern der Synthetischen Evolutionstheorie, er entdeckte die Genkopplung ("genetic linkage") - d.i. die gemeinsame Vererbung gewisser Eigenschaften und entwickelte die ersten Vorstellungen zum Klonieren. Er leistete auch wesentliche Beiträge zur Enzymkinetik und zu Eigenschaften und Funktion des Hämoglobins.

In dem 1923 gehaltenen Vortrag "Daedalus or Science and the Future" entwickelte er eine Fülle an Ideen und Visionen für die Zukunft (die ihn u.a. zu einem Vordenker des Transhumanismus werden ließen). Seine im nachfolgenden Text wiedergegebenen Vorstellungen zur Energiewende zeigen ihn in einer Linie mit den Topexperten von heute.

John B.S. Haldane:

Ausschnitt aus "Daedalus or Science and the Future",

Vortrag gehalten am 4.2.1923 im Club of Heretics, Cambridge University*

Was die Versorgung von Kraftmaschinen betrifft, so ist ein Faktum, dass es bloß eine Frage von Jahrhunderten ist, bis unsere Kohlevorkommen und Ölfelder erschöpft sein werden. Da oft angenommen wurde, dass deren Versiegen zum Zusammenbruch der Industriegesellschaft führen wird, gestatten Sie mir jetzt einige der Gründe zu nennen, die mich an dieser Behauptung zweifeln lassen.

Wasserkraft ist - meiner Meinung nach - kein wahrscheinlicher Ersatz und zwar wegen der geringen Quantität, den jahreszeitlichen Schwankungen und der unregelmäßigen Verbreitung. Vielleicht könnte aber Wasserkraft den Schwerpunkt der Industrie in wasserreiche Gebirgsregionen wie das Himalaya-Vorgebirge, British Columbia und Armenien verlagern.

Letztendlich werden wir die diskontinuierlichen, aber unerschöpflichen Energiequellen, den Wind und das Sonnenlicht, anzapfen müssen. Das Problem besteht einfach darin, deren Energie in einer Form zu speichern, die sich so praktisch wie Kohle oder Benzin erweist. Wenn man mit einer Windmühle im hinteren Teil seines Gartens täglich einen Zentner Kohle produzieren könnte - und diese kann das Äquivalent an Energie produzieren -, so würden unsere Kohleminen bereits morgen stillgelegt werden. Es kann aber schon morgen eine billige, in der Anwendung sichere und langlebige Speicherbatterie erfunden werden, die es uns ermöglichen wird, die volatile Energie des Windes in kontinuierliche elektrische Energie umzuwandeln.

Persönlich denke ich, dass in vierhundert Jahren die Energiefrage in England in etwa so gelöst sein könnte: Das Land wird mit Reihen von aus Metall bestehenden Windmühlen überzogen sein (Abbildung 1), die Elektromotoren antreiben, welche dann ihrerseits hochgespannten Strom in riesige Stromnetze einspeisen.

Abbildung 1. "Das Land wird von aus Metall bestehenden Windmühlen überzogen sein" - dies ist bereits Realität geworden. Ausschnitt aus dem kalifornischen Alta Wind Energy Center (Wiipedia, File:Alta Wind Energy Center from Oak Creek Road.jpg. CC BY-SA 3.0)

In geeigneten Abständen wird es große Kraftwerke geben, in denen bei windiger Wetterlage die überschüssige Energie für die elektrolytische Zersetzung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff verwendet werden wird. Diese Gase werden dann verflüssigt und in riesigen Vakuum-ummantelten Behältern gelagert, die wahrscheinlich im Boden versenkt sind. Sind diese Tanks ausreichend groß bemessen, wird der Flüssigkeitsverlust aufgrund eines Eindringen von Wärme ins Innere vernachlässigbar sein. (Abbildung 2). Der Anteil, der täglich aus einem Speicher mit einer Grundfläche von rund 94 Quadratmetern und 20 Metern Tiefe verdunstet, wäre dann kein Tausendstel des Verlusts, den ein Tank mit Abmessungen von O,66 Meter in jede Richtung hat (Anm. d. Redn: die im Original in Yard und Fuß angegebenen Maße wurden ins metrische System umgerechnet). In Zeiten von Windstille werden die Gase dann rekombiniert werden: in Explosionsmotoren, die Dynamos antreiben, welche wiederum elektrische Energie erzeugen, oder wahrscheinlicher in Oxidationszellen.

Abbildung 2. "Die Gase werden dann verflüssigt und in riesigen Vakuum-ummantelten Behältern gelagert". Der oberirdische Wasserstoff-Tank liegt an der nordöstlichen Ecke der Startrampe 39A des Kennedy Space Center. Er fasst 3,2 Millionen Liter flüssigen Wasserstoff und ist von einer meterdicken Perlit-Schichte ummantelt; nach links gehende Leitungsrohre sind sichtbar. (Wikipedia, Author TomFawls, CC_BY_SA 3.0)

Auf das Gewicht bezogen ist verflüssigter Wasserstoff die effizienteste bekannte Methode zur Speicherung von Energie, da er pro Pfund etwa dreimal so viel Wärme liefert wie Benzin. Andererseits ist der Wasserstoff sehr leicht, auf das Volumen bezogen besitzt er nur ein Drittel der Effizienz des Benzins. Dies wird jedoch von der Verwendung in Flugzeugen nicht abhalten, wo das Gewicht wichtiger ist als das Volumen.

Die riesigen Depots von Flüssiggasen werden die Speicherung von Windenergie möglich machen, so dass sie bedarfsgerecht für Industrie, Transport, Heizung und Beleuchtung eingesetzt werden kann. Die anfänglichen Kosten werden sehr beachtlich sein, die laufenden Kosten aber niedriger ausfallen als die unseres gegenwärtigen Systems. Zu den augenfälligeren Vorteilen wird die Tatsache gehören, dass Energie in einem Teil des Landes genauso billig sein wird, wie in einem anderen; somit kann die Industrie stark dezentralisiert werden; des weiteren werden weder Rauch noch Asche erzeugt werden.

Nach meiner Meinung wird das Problem in etwa dieser Art gelöst werden. Im Grunde genommen ist es ein praktikables Problem, und die Erschöpfung unserer Kohlefelder wird den notwendigen Anreiz zu seiner Lösung liefern. Ich darf in Klammern hinzufügen, dass ich aus thermodynamischen Gründen, die ich kaum kurz zusammenfassen kann, nicht sehr an die kommerzielle Möglichkeit einer induzierten Radioaktivität glaube. (Anm. Redn.: unter "induzierter (künstlicher) Radioaktivität" konnte Haldane nur die, 1919 von Ernest Rutherford entdeckte Transmutation von Stickstoff , den dieser mit alpha-Teilchen (Helium) beschossen hatte, zu Kohlenstoff gekannt haben. Die Entdeckung der tatsächlichen künstlichen Radioaktivität - der Umwandlung stabiler in radioaktive Atome, entdeckte das Ehepaar Joliot-Curie 1934. Die Nutzung der Kernkraft zur Energieerzeugung setze erst in den 1950er Jahren ein.)

Vielleicht könnte Italien schon jetzt wirtschaftliche Unabhängigkeit erlangen, indem es einige Millionen Pfund für Forschung auf den angegebenen Gebieten ausgibt.


* JBS Haldane (1923) Daedalus or Science and the Future. (open access). Der daraus entnommene Ausschnitt wurde von der Redaktion möglichst wortgetreu übersetzt. Zur Illustration wurden zwei Fotos eingefügt.


Weiterführende Links

Wie die heutigen Vorstellungen zur Energiewende aussehen , ist in dem Eckpunktepapier "Energie.Wende.Jetzt" von Robert Schlögl (Direktor am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion; Mülheim a.d.R.) nachzulesen, das in mehreren Teilen im ScienceBlog erschienen ist.

Teil 1: R.Schlögl, 13.06.2019: Energie. Wende. Jetzt - Ein Prolog.

Teil 2: R.Schlögl, 27.06.2019: Energiewende (2): Energiesysteme und Energieträger

Teil 3: R.Schlögl, 18.07.2019: Energiewende (3): Umbau des Energiesystems, Einbau von Stoffkreisläufen.

Teil 4: R. Schlögl, 08.08.2019: Energiewende (4): Den Wandel zeitlich flexibel gestalten.

Teil 5: R. Schlögl, 22.8. 2019: Energiewende (5): Von der Forschung zum Gesamtziel einer nachhaltigen Energieversorgung.


 

Redaktion Wed, 18.09.2019 - 21:11