Was macht HCB so gefährlich?
Was macht HCB so gefährlich?Fr, 12.12.2014 - 05:18 — Inge Schuster
Zur Zeit geht eine Meldung durch alle Medien und sorgt für größte Verunsicherung: Schadstoffmessungen haben in einigen Milchproben aus dem Kärntner Görtschitztal erhöhte Werte von Hexachlorbenzol (HCB) festgestellt. Ein Skandal, wie es einige Medienberichte – unter Akklamation zahlreicher Kommentatoren – titulieren? Die bis jetzt vorliegenden Untersuchungsergebnisse erlauben sicherlich (noch) nicht, dass man auf eine längerfristige Gefährdung der Bewohner des Görtschitztales oder der Konsumenten seiner Produkte schließen könnte.
Da ich mich jahrzehntelang mit dem „Schicksal“ von Fremdstoffen in der Biosphäre beschäftigt habe, möchte ich von dieser Warte aus das vermutlich gravierendste Problem von Hexachlorbenzol (HCB) ansprechen, nämlich seine sehr hohe Persistenz in der Biosphäre. Näheres zu HCB selbst, seinem Vorkommen (u.a. in Lebensmitteln), seiner Anreicherung in Organismen und damit verbundenen gesundheitlichen Risiken, sowie offizielle Berichte und Richtlinien – von Seiten der EU und der US – finden sich am Schluss des Artikels (Reports in English, free download).
Was ist Hexachlorbenzol (HCB)?
Simpel ausgedrückt: ein einfaches kleines Molekül (C 6 Cl 6 – Molekulargewicht 284 D), ein Benzol, das alle 6 Positionen seines Rings durch Chloratome besetzt hat (Abbildung 1).
Die weiße, relativ flüchtige Substanz wird durch Chlorierung von Benzol hergestellt; sie ist in Wasser praktisch unlöslich, löst sich dagegen 500 000 Mal besser in nichtwässrigen Systemen wie Ölen, Fetten und ganz allgemein organischen Lösungsmitteln.
Abbildung 1. Chemische Struktur von Hexachlorbenzol (HCB)
HCB ist eine chemisch sehr stabile Verbindung. Ein Abbau in der Atmosphäre (durch Radikalreaktionen, Photolyse) ist extrem langsam (Halbwertzeiten in der Größenordnung von mehreren Jahren), ebenso in biologischen Systemen (s.u.). Als Folge akkumuliert HCB in der Umwelt.
Verwendung von HCB und gesundheitliche Probleme
Bis in die frühen 1980er Jahre wurde Hexachlorbenzol weltweit exzessiv genutzt. HCB diente vor allem als hochwirksames Fungizid – d.i. als Mittel gegen Pilzbefall: In der Landwirtschaft wurden damit große Durchbrüche erzielt u.a. gegen den Weizensteinbrand; dazu wurde mit HCB gebeiztes Saatgut eingesetzt, welches bis zu rund 1g der Substanz im kg enthalten konnte. Als Fungizid wurde HCB auch in Holzschutzmitteln genutzt. Weite Verwendung fand HCB in der Industrie: u.a. als Zusatzstoff von PVC (Polyvinylchlorid - beispielsweise für Bodenbeläge) und von Isolationsmaterialien, bei der Herstellung von Graphitanoden, von pyrotechnischen Produkten u.v.a.m.
In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre gab es dann gravierende Hinweise, dass durch HCB schwere gesundheitliche Schäden verursacht werden können: In Südostanatolien hatte eine Bevölkerungsgruppe Saatgut verwendet, das mit einer viel zu hohen Menge an HCB (2kg HCB/1 000kg) präpariert gewesen war und über Jahre das Brot gegessen, das sie aus den erhaltenen Ernten produzierten. Rund 4 000 Personen erkrankten damals, vor allem an Porphyrie (Porphyria cutanea tarda – PCT) – Zielorgane waren neben der Leber: Haut, Knochen und Schilddrüse – und rund 10% der Erwachsenen starben. Die offensichtlich viel zu hohen HCB Konzentrationen in der Muttermilch führten aber zu einer extrem hohen Sterblichkeit (95%!) von Kindern unter 2 Jahren.
Schätzungen zufolge hatten die Menschen über Jahre hinweg täglich 50 – 200mg HCB (0,7 – 2,9 mg/kg Körpergewicht) zu sich genommen. Auch Jahrzehnte später litten sie noch unter den Folgeerscheinungen des HCB. (Zum Vergleich: die bei uns heute als tolerierbar geschätzte tägliche Aufnahme liegt bei 0,01µg/kg (Mikrogramm/kg) Körpergewicht, d.i. um mehr als 100 000mal niedriger.)
Eine derartige Katastrophe ist zum Glück anderswo nicht aufgetreten.
Als Folge gab es an vielen Orten - weltweit - Untersuchungen der Bevölkerung. Wichtig war vor allem das Risiko von Personen zu erheben, die im Umkreis von Industrien zu Herstellung, Anwendung und Entsorgung von chlorierten Verbindungen lebten und z.T. auch dort beschäftigt waren. Gemessen an den HCB-Serumspiegeln waren z.T. recht hohe HCB-Belastungen ersichtlich (z.B in Flix/Spanien lagen die Serumkonzentrationen bei 93 – 223µg/l ). Die von verschiedenen Gruppen erhobenen Gesundheitsdaten waren aber recht ambivalent: eine Reihe von Daten wies darauf hin, dass die HCB-Belastung keinen oder einen nur sehr geringen Einfluss auf relevante klinische Parameter bewirkte, andere Daten zeigten Zusammenhänge zu Schädigungen von Leber, Muskel, Schilddrüse u.a.
Für die Argumentationen zur Schädlichkeit von HCB wurden (und werden weiterhin) gerne eindeutige Daten aus Tierversuchen (von Maus, Ratte, Hund bis hin zum Affen) und auch aus in vitro Versuchen mit Zellkulturen ins Treffen geführt. Das Problem dabei ist: die in diesen Versuchen angewandten HCB- Dosen betrugen ein Vielfaches der Dosen, die sich als katastrophale Belastung in Ostanatolien erwiesen hatten.
Reduktion der HCB Emissionen
In Anbetracht der mit HCB verbundenen Risiken wurde in der Folge die Produktion von HCB weitestgehend eingestellt, sein landwirtschaftlicher Einsatz von der Europäischen Gemeinschaft 1981 verboten.
Im Jahre 2001 haben 151 Staaten das weltweite Verbot von 12 Chlorverbindungen („das dreckige Dutzend“) – darunter HCB – in der Stockholmer Konvention zum Schutz der Gesundheit und der Umwelt unterzeichnet. Damit wurde das Problem mit HCB bedeutend verringert, aber nicht völlig aus der Welt geschafft (Abbildung 2).
HCB ist – auf einem niedrigeren Level - weiter in der Umwelt vorhanden:
- Es entsteht bei praktisch allen Verbrennungsprozessen, die in Gegenwart von Kohlenstoff und Chlor ablaufen (beides ubiquitäre Elemente der Biosphäre). Besonders hohe Konzentrationen - mehrere Gramm HCB je Tonne Material - können bei Verbrennung von Klärschlamm oder Polyvinylchlorid (PVC) anfallen.
- HCB ist ein Nebenprodukt bei der Herstellung von chlorierten Lösungsmitteln und Pestiziden.
- HCB liegt in Altlasten im Boden vor.
Abbildung 2. Die Emission von Hexachlorbenzol ist stark zurückgegangen aber nicht völlig verschwunden
Das Problem der Persistenz von HCB
Der wesentliche Grund für die Gefährlichkeit von HCB liegt in seiner Persistenz.
Wie auch für andere kleine, lipophile (fettlösliche) Moleküle ist es kein Problem für HCB, durch die Lipidschicht der Zellmembran ins Zellinnere, in ganze Organismen einzutreten. Da das Zellinnere reich an Lipid-haltigen Strukturen und auch an diversen Proteinen ist, an die fettlösliche Moleküle binden können, kommt es zu deren Anreicherung in der Zelle. Dies ist auch für HCB der Fall.
Da zunehmende Anreicherungen von Fremdstoffen die Funktion von Zellproteinen- und Strukturen enorm beeinträchtigen/schädigen würden, enthalten Zellen ein Set von Enzymen, welche nahezu alle Fremdstoffe in Verbindungen umwandeln, welche weniger anreichern und damit aus den Zellen ausgeschieden – eliminiert – werden. Für den Großteil der Fremdstoffe – auch beispielsweise für die meisten Medikamente - genügen dazu einige wenige Vertreter aus der sogenannten Cytochrom P450 (CYP) Familie. Diese binden den jeweiligen Fremdstoff und oxydieren ihn. Dabei entsteht ein Produkt (der Metabolit), das zumeist weniger fettlöslich und mehr wasserlöslich ist. Dieses kann aber noch weitere Male oxydiert werden - solange bis es auf Grund seiner sehr geringen Lipophilie kaum noch Bindungspartner im Zellinneren findet.
Im Fall des HCB existieren ebenfalls Enzyme (CYP1A1 CYP1A2, CYP3A4), die den Stoff binden können (Abbildung 3). Es ist für diese allerdings sehr schwierig die Kohlenstoff-Chlor Bindungen im Molekül anzugreifen um das Molekül zu oxydieren. Dementsprechend erfolgen derartige Oxydationen nur äußerst langsam. Kommt von außen noch weiteres HCB, ohne dass äquivalente Mengen die Zelle verlassen können, so reichert sich die Substanz mehr und mehr in den Zellen an. (Dies gilt auch für andere mehrfach chlorierte Substanzen, wie beispielsweise die Dioxine.)
Abbildung 3. Infolge einer sehr langsamen Umwandlung von HCB (grün) in weniger fettlösliche Produkte (gelb) kommt es zur Diskrepanz zwischen Aufnahme und Eliminierung und HCB reichert sich mehr und mehr an.
Die mangelnde Fähigkeit HCB in weniger fettlösliche Substanzen umzuwandeln gilt gleichermaßen für Mikroorganismen, das Pflanzen-, Pilze- und Tierreich. Dementsprechend dauert es sehr lange (Halbwertszeiten von mehreren Jahren bis zu Jahrzehnten) bis Altlasten von HCB durch im Erdreich lebende Organismen abgebaut sind.
Aus dem Wasser gelangt HCB in die dort lebenden Tiere und reichert sich an, aus der Luft und dem Boden in Pflanzen, aus der Luft und der Nahrung in die Landbewohner. Über die Nahrungskette nehmen wir überall HCB-kontaminiertes Material zu uns.
Der Abbau von HCB wurde in vielen Spezies untersucht – er ist überall sehr langsam.
Vom Menschen gibt es nur indirekte Daten. Schätzungen der Eliminierungsraten (Halbwertszeiten) bewegen sich von 2 – 3 Jahren bis hin zu 6 Jahren und darüber. Wichtig erscheint dabei: HCB ist nicht gleichmäßig auf den Organismus verteilt, der Großteil wandert – wie könnte es anders sein – aus der Blutzirkulation ins Fettgewebe. Während HCB im Blut üblicherweise unter 1ng/ml (Nanogramm pro Milliliter) liegt, können es im Fettgewebe auch bis zu mehreren 100ng/ml sein. (Bei Gewichtsverlust taucht dann vermehrt HCB im Blut und in den Organen auf.)
Muß man sich vor HCB also fürchten?
Mit dem Rückgang der HCB-Emissionen (Abbildung 2) ist es – zwar langsam aber dennoch ähnlich dramatisch - auch zu einer entsprechenden Verringerung des HCB in unserem Organismus gekommen. Im Boden hat sich HCB verringert, ebenso in der Nahrungskette. Messungen aus Deutschland belegen beispielsweise, dass zwischen 1983 und 1998 eine 90% Reduktion von HCB im humanen Fettgewebe erfolgt ist.
Basierend auf den Untersuchungen an Tiermodellen hat man Richtlinien zu tolerierbare Mengen der täglichen Aufnahme (DTA-Wert) für den Menschen abgeschätzt. Dabei ging man vom niedrigsten, gerade noch beobachtbaren Effekt beim Tier aus und hat dann – überaus vorsichtig - noch einen Sicherheitsfaktor von 1 000 eingebaut, um das Risiko einer möglichen Cancerogenität und einer hormonellen Schädigung mit einzubeziehen:
Demnach sollte eine langfristige tägliche Aufnahme von 0,01µg/kg Körpergewicht (im Schnitt 0,70µg pro Erwachsenem) zu keinen gesundheitlichen Störungen führen.
Die Frage, welche Lebensmittel aus einer Mit HCB kontaminierten Region und wieviel davon zum Verzehr gelangen dürfen, sollte an Hand der DTA-Werte beantwortet werden.
Mit HCB werden wir weiter leben müssen – es entsteht schließlich, wenn auch in kleinen Mengen, auch durch natürliche Ursachen. Es wird auch weiterhin in unseren Körpern detektiert werden können.
Literatur
(free download)
- Recommendation from the Scientific Committee on Occupational Exposure Limits for Hexachlorobenzene (SCOEL/SUM/188; 12. 2013) http://www.ser.nl/documents/82398.pdf
- J. Barber et al. 2005: Hexachlorobenzene - Sources, environmental fate and risk characterization. http://www.eurochlor.org/media/1495/sd9-hexachlorobenzene-final.pdf
- The 2011 European Union Report on Pesticide Residues in Food (published on 27th June 2014, replaces the earlier version). EFSA Journal 2014;12(5):3694.
http://www.efsa.europa.eu/de/efsajournal/pub/3694.htm
The report presents the results of the control activities related to pesticide residues in food carried out in 2011 in 29 European countries
- Draft Toxicological Profile for Hexachlorobenzene U.S. DEPARTMENT OF HEALTH AND HUMAN SERVICES, Public Health Service, Agency for Toxic Substances and Disease Registry (Juni 2013).