Heiße Luft in Alpbach? 70 Jahre wissenschaftlicher Diskurs

Heiße Luft in Alpbach? 70 Jahre wissenschaftlicher Diskurs

Fr, 16.10.2015 - 09:24 — Peter C. Aichelburg

Peter Christian AichelburgIcon Politik & Gesellschaft

Seit 1945 findet alljährlich im August das Europäische Forum Alpbach statt. In dem kleinen Tiroler Dorf treffen Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und auch Studenten zusammen, um über wesentliche (globale) Fragen zu diskutieren und Lösungsansätze zu erarbeiten. Der wissenschaftliche Teil der Konferenz – die Seminarwoche – wird von einem hochrangigen wissenschaftlichen Kuratorium gestaltet, dessen Vorsitzender in den letzten 15 Jahren der theoretische Physiker Peter C. Aichelburg (emer. Prof. Universität Wien)war. Diese interdisziplinären Seminare und Diskurse mit Spitzenwissenschaftern und Tagungsteilnehmern finden in den Medien allerdings nicht die gebührende Beachtung.

In einer der Ausgaben des Magazins des Wissenschaftsfonds (FWF) findet sich eine Karikatur, die einen Heißluftballon über dem Kongresshaus in Alpbach zeigt, versehen mit dem Text „ Wenn österreichische Wissenschaft ein Heißluftballon wäre, würde sie durch Alpbach einen enormen Auftrieb erfahren“ (Abbildung 1)

Karikatur AlpbachAbbildung 1. Auftrieb der österreichischen Wissenschaft in Alpbach? (Copyright: FWF/scilog/Raoul Nerada)

Das EUROPÄISCHE FORUM ALPBACH hat dieses Jahr sein 70 jähriges Bestehen gefeiert. Grund genug um sich der Frage zu stellen, wie es um die „heiße Luft“ in Alpbach steht.

Ist es tatsächlich so, dass es beim alljährlich im August stattfindenden Forum hauptsächlich darum geht, sehen und gesehen zu werden? Und wie steht es mit der Wissenschaft in Alpbach? Was war die ursprüngliche Idee und wo steht das Forum heute?

„Der andere Zauberberg“

Erstmals, am 25. August 1945 trafen etwa 80 Personen, Österreicher, Franzosen, Schweizer, Amerikaner – sowohl Wissenschaftler, Künstler, Offiziere der Besatzungstruppen als auch Studenten- in dem kleinen Bergdorf Alpbach zusammen, um, wie es Otto Molden, einer der beiden Gründer in seinem Buch „ Der andere Zauberberg“ beschreibt, an den „Internationalen Hochschulwochen des Österreichischen College “ teilzunehmen. Und dies nur wenige Wochen nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht und wenige Tage vor der japanischen Kapitulation. Otto Molden , damals Student der Staatswissenschaften und Geschichte, und der junge Philosophiedozent Simon Moser, hatten die Idee, das durch den Weltkrieg isolierte Österreich intellektuell zu öffnen. Diese Idee eines intellektuellen Austausches über Grenzen hinweg, war so fruchtbar, dass daraus eine Institution geworden ist. Eine Institution, die im Laufe ihres Bestehens große Geister nach Alpbach bringen konnte:

Theodor Adorno, Ernst Bloch, Sir John Eccles, Viktor Frankl, Friedrich A. Hayek, Konrad Lorentz, Erwin Schrödinger , Sir Karl Popper und Hans Albert, um nur einige der bekanntesten Namen zu nennen.

Unterschiedliche Vorstellungen über die Ausrichtung des Forums

Nun ist die Frage berechtigt, ob eine Veranstaltung, die alljährlich über Jahrzehnte immer wieder stattfindet, sich nicht überlebt. Zumindest aber kann man nach der heutigen Funktion bzw. dem Sinn eines solchen Unternehmens fragen. Der frühere Präsident Heinrich Pfusterschmid stellte anlässlich des 50. Jubiläums die rhetorische Frage, ob das Forum nicht mit einem Geburtsfehler behaftet sei. Denn schon in den Anfängen waren die Vorstellungen der beiden Gründer über die Ausrichtung unterschiedlich:

Während Otto Molden ein politisch vereintes Europa im Auge hatte und in Alpbach dafür die Diskussionsbasis schaffen wollte, ging es Simon Moser darum das Forum zu einem Ort der wissenschaftlich-philosophischen Diskussion zu machen.

In gewissem Sinn finden sich die Auswirkungen dieser Auffassungsunterschiede in der Ausrichtung noch heute im Selbstverständnis des Europäischen Forums. Denn wie kann eine Veranstaltung, zu der während der zweieinhalb Wochen über 4000 Teilnehmer anreisen, auch Ort des wissenschaftlichen Diskurses sein?

Alpbacher Gespräche

Auf der einen Seite ist Alpbach mit seinen „Gesprächen“ Treffpunkt für Politiker, Repräsentanten aus Wirtschaft und Industrie, sowie von Entscheidungsträgern der Verwaltung und den öffentlichen Institutionen. Diese Gespräche sind zum Teil Großveranstaltungen, wie etwa die Technologiegespräche, zu der mehr als 900 Teilnehmer für zwei Tage anreisen, darunter einige Nobelpreisträger.

Natürlich hat sich in den letzen Jahren viel geändert. Die schon unter dem Präsidenten Erhard Busek erfolgreiche Initiative mehr Jugend nach Alpbach zu bringen findet eine Kontinuität unter dem jetzigen Präsidenten Franz Fischler. Es gibt heute über 30 assoziierte Alpbach Clubs in ganz Europa und darüber hinaus. Diese Clubs bemühen sich nicht nur lokal um Stipendien für die Teilnahme am Forum, sondern bilden untereinander ein Netzwerk mit zahlreichen Aktivitäten. Über 700 Stipendiaten aus mehr aus 40 Ländern treffen sich beim Forum, tauschen Ansichten aus und knüpfen Freundschaften. Wohl ein Betrag zu einem besseren europäischen Verständnis. Neben den traditionellen Gesprächen sind unter der neuen Geschäftsleitung erfolgreiche Formate hinzugekommen, die das Forum interaktiver und flexibler gestalten.

Wo aber bleibt die Wissenschaft? Die Seminarwoche

Ich behaupte der wissenschaftliche Schwerpunkt des Forums (Abbildung 2) war und ist immer noch die Seminarwoche.

Peter Christian Aichelburg, Vorsitzender des wissenschaftlichen Kuratoriums, bei der Eröffnung des Europäischen Forums Alpbach 2013Abbildung 2. Peter Christian Aichelburg, Vorsitzender des wissenschaftlichen Kuratoriums, bei der Eröffnung des Europäischen Forums Alpbach 2013 (Photo: Philipp Naderer, Copyright - Luiza Puiu / European Forum Alpbach)

Sie bildet sozusagen jenen Teil den Simon Moser bei der Gründung im Auge hatte. Es gibt zwar andere Formate bei denen renommierte Wissenschaftler zu Wort kommen, wie etwa bei den Technologiegesprächen oder in den Gesundheitsgesprächen. Aber über 6 Halbtage hindurch ein bestimmtes Gebiet der Wissenschaft zu analysieren mit aktiver Teilnahme der jungen Stipendiaten, findet nur in den Seminaren statt.

Die Seminarwoche, die ein breites Spektrum an Themen anbietet, soll weder eine Fachtagung ersetzen, noch soll sie eine Sommerschule mit festem Lehrplan und Prüfungscharakter sein. Ziel ist es, den Teilnehmern die Möglichkeit zu bieten über das eigenes Studienfach hinaus zu blicken und damit Orientierung und Kompetenz zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen zu vermitteln. Im Vordergrund steht nicht die Wissensvermittlung sondern der interdisziplinäre Diskurs. Eines der Grundprinzipien des Forums ist die Freiheit für die Teilnehmer bei der Wahl des Seminars. Seminarleiter sind mit einer heterogenen Zusammensetzung von Stipendiaten konfrontiert und gefordert sich thematisch und auch sprachlich darauf einzustellen. Es sei auch nicht verheimlicht, dass Alpbach aus „allen Nähten platzt“. Wegen der stark gestiegenen Zahl an Teilnehmern wurde die Anzahl der Seminare in den letzten Jahren auf 16 verdoppelt.

Mag sein, dass der philosophische Diskurs in den letzten Jahren etwas zu kurz gekommen ist und die Tradition von Karl Popper und Hans Albert in Alpbach nicht seine adäquate Fortsetzung gefunden hat. Dafür sind andere Schwerpunkte entstanden. Davon seien zwei herausgegriffen: Die Seminare zu aktuellen Fragen der Neurowissenschaften haben eine festen Platz in den letzten Jahren gefunden, ebenso die Seminare über Evolutionsbiologe.

Schwerpunkt Neurowissenschaften So z.B. hat der berühmte französische Neurobiologe Jean-Pierre Changeux ein Seminar über „Gehirn und neuronale Netzwerke“ geleitet oder der Neurobiologe Hans Flohr, zusammen mit dem Philosophen Ansgar Beckermann ein Seminar über „Theorien des Bewusstseins“ oder der Philosoph und Bewusstseins Forscher Thomas Metzinger ein Seminar mit dem Titel „Was ist ein bewusstes Subjekt?“ Zu erwähnen wäre auch der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel, der ein viel beachtetes Seminar über „Verantwortung und rechtliche Schuld“ geleitet hat. Schwerpunkt Evolutionsbiologe Zur Evolutionsbiologie sei das Seminar mit dem ungarischen Biochemiker und Koautor von John Maynard Smith, Eörs Szathmáry und der israelischen Genetikerin vom Cohen Institut in Tel Aviv, Eva Jablonka, bekannt für ihre Forschung über epigenetische Vererbung, genannt.

Gut in Erinnerung sind die Laute die der japanische Primatenforscher Tetsurō Matsuzawa von der Universität in Kyoto durch den vollbesetzten Schrödingersaal erschallen ließ, als er die Lockrufe seiner Schützlinge, den Bonobos, nachahmte. Dies im Rahmen eines Seminars über „How do animals think? Animal cognition in human context" Ein weiterer Höhepunkt auf diesem Gebiet war das Seminar "Evolutionäre Wurzeln von Konflikten und Konfliktlösungsstrategien" mit dem renommierten niederländischen Verhaltensforscher Frans de Wall, aber auch das Seminar über „Molecules and Evolution“ mit dem theoretischen Chemiker und ehemaligen Präsidenten der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Peter Schuster. Dies nur beispielhaft für die zahlreichen Seminare auf den unterschiedlichsten Gebieten. Man kann also nicht behaupten, dass die Wissenschaft in Alpbach vernachlässigt wurde.

Wissenschaft stößt auf wenig mediales Interesse

Es sei aber nicht verheimlicht, dass es immer schwieriger wird Personen für eine Seminarleitung zu gewinnen. Geht es doch darum für 16 Seminare nach Möglichkeit Spitzenleute einzuladen, die bereit sind in der Urlaubszeit für eine Woche nach Alpbach zu kommen.

Der Philosoph Hans Albert, der seit 1955 jedes Jahr am Forum teilgenommen und die Philosophie in Alpbach maßgeblich geprägt hat, wurde anlässlich 50 Jahre EFA gebeten einen Beitrag über die Rolle der Wissenschaft beim Forum zu schreiben:

„… der Schwerpunkt verschob sich damit in Richtung auf Vermittlung zwischen Wissenschaft und Praxis. Aber die wissenschaftlichen Arbeitskreise, die Seminare, blieben stets ein Kernbereich der Alpbacher Aktivitäten. Von Journalisten wurden sie allerdings nur selten beachtet, was zu außerordentlich irreführende Darstellungen der Alpbacher Veranstaltungen in der Presse führt“

Leider behält diese Aussage bis heute ihre Gültigkeit. Die mediale Unterbelichtung mag Anlass für die eingangs erwähnt Karikatur gewesen sein.


Weiterführende Links

Europäisches Forum Alpbach: http://www.alpbach.org/de/

Maria Wirth: A Window to the World. The European Forum Alpbach 1945 to 2015 (Kurzfassung, englisch) http://www.alpbach.org/wp-content/uploads/2013/04/%C3%9Cbersetzung-Maria...

inge Fri, 16.10.2015 - 09:24