Personalisierte Medizin: Design klinischer Studien an Einzelpersonen (N=1 Studien)
Personalisierte Medizin: Design klinischer Studien an Einzelpersonen (N=1 Studien)Do, 21.12.2017 - 06:21 — Francis Collins
Arzneimittel, deren Wirksamkeit in klassischen randomisierten Placebo-kontrollierten klinischen Studien festgestellt wird, funktionieren nicht bei allen Patienten . Auf Grund unterschiedlicher genetischer Makeups und versc hiedener Lebensumstände profitiert nur ein Teil der Kranken (Abbildung), zudem können Patienten infolge von Nebenwirkungen Schaden erleiden. Ein neues Konzept - die Personalisierte Medizin - strebt an "den richtigen Patienten mit der richtigen Medizin in der richtigen Dosis" zu behandeln. Technologische Fortschritte in der Generierung und Verwertung enorm großer Mengen an Patientendaten lassen personalisierte Studien an Einzelpersonen - sogenannte "N =1"-Studien möglich erscheinen. Francis Collins, NIH-Direktor und ehem. Leiter des "Human Genome Project", berichtet über die Entwicklung digitaler Plattformen, die es Ärzten ermöglichen sollen derartige Untersuchungen an Einzelpersonen in ihren Ordinationen durchzuführen.*
Abbildung 1. Zur Wirksamkeit der 10 im Jahr 2013 umsatzstärksten Arzneimittelin in den USA (Gesamtvolumen rund 50 Mrd $). Um einen gewünschten Therapieeffekt bei einem Patienten zu erzielen (NNT: numbers necessary to treat), müssen bis zu 25 Patienten (bei Nexium) behandelt werden. Im Fall des Cholesterinsynthesehemmers Crestor (5,2 Mrd Umsatz) sind es 20 Patienten. (Abb. von Redaktion eingefügt. Die Daten stammen aus: N.J.Schork: Time for one-person trials.Nature 520 (2015): 609-11 und aus https://www.drugs.com/stats/top100/2013/sales ).
Es mögen bereits 25 Jahre her sein, doch Karina Davidson erinnert sich an den Tag, als ob es gestern gewesen wäre. Sie absolvierte damals das praktische Jahr in klinischer Psychologie, als ein besorgtes Elternpaar mit ihrem siebenjährigen Problemkind das Krankenhaus betrat. Der Bub war schwer untergewichtig - er wog nicht ganz 17 kg - und hatte aggressives Verhalten gegen sich selbst und andere an den Tag gelegt. Es schien möglich, dass Ritalin - ein üblicherweise gegen das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS) verschriebenes Arzneimittel, hier nützen könnte. Würde dies aber tatsächlich der Fall sein?
Design einer personalisierten Einzelperson-Studie
Um das herauszufinden, hat das Klinikerteam etwas völlig Unkonventionelles getan: sie haben eine klinische Prüfung für den Buben als Einzelperson entworfen, welche den Nutzen einer Behandlung mit Ritalin versus Placebo testen sollte . Nach dem Zufallsprinzip sollte der Bub so täglich vier Wochen lang mit dem Arzneimittel oder mit einem Placebo behandelt werden. Dem Charakter einer kontrollierten Doppelblindstudie entsprechend wussten weder das Team in der Klinik noch die Eltern zuhause, ob der Bub nun zu einer bestimmten Zeit Ritalin erhielt oder Placebo. In kurzer Zeit stand das Ergebnis fest: Ritalin führte nicht zum Erfolg. Dem Buben blieben so die Nebenwirkungen erspart, welche die Langzeitanwendung des für ihn wirkungslosen Medikaments mit sich gebracht hätten, und seine Ärzte konnten sich anderen, möglicherweise wirkungsvolleren Behandlungen zuwenden.
Das Projekt: Re-engineering Precision Therapeutics through N-of-1 Trials
Karina Davidson ist nun etablierte klinische Psychologin am Irving Medical Center der Columbia University; sie möchte die unkonventionelle, für den Buben damals hilfreiche Strategie aufgreifen und sie zu einer gebräuchlicheren Behandlungsform machen. Für ein Projekt, das sie zusammen mit Kollegen durchführen will, hat Davidson 2017 den NIH Director’s Transformative Research Award erhalten (es ist dies eine Unterstützung für ein außergewöhnlich innovatives, unkonventionelles Forschungsprojekt, das mit hohem Risiko behaftet ist und zu einem Paradigmenwechsel führen kann. Anm. Red.) Mit dieser Unterstützung will das Forscherteam drei digitale Plattformen entwickeln, die es Ärzten ermöglichen sollen in ihren Ordinationen Ein-Person Untersuchungen durchzuführen.
Große klinische Studien sind hervorragend geeignet, um herauszufinden, welche Behandlungen für den Durchschnittspatienten am besten wirken werden. Allerdings entsprechen nicht alle Patienten dem Durchschnitt. Das ist der Punkt, wo personalisierte Studien an Einzelpersonen - sogenannte "N = 1 (N-of-1)- Studien" - ins Spiel kommen können. Ärzte können sie anwenden, um zu vergleichen, wie ein Patient auf zwei oder auch mehrere Behandlungen anspricht, bevor sie die Entscheidung treffen, was sie verschreiben.
Derartige N=1 Untersuchungen sind derzeit zwar noch relativ ungebräuchlich, technologische Entwicklungen machen ihre Umsetzung aber zunehmend einfacher. Beispielsweise können tragbare "Gesundheits-Monitore" und Smartphones es erleichtern große Datenmengen einzelner Patienten zu digitalisieren und sammeln.
Test-Plattformen
Was gebraucht wird, ist eine richtige elektronische Plattform , die es Ärzten ermöglicht ihre N=1 Studien zusammen mit den einströmenden Daten zu gliedern und zu verwalten. Davidson und ihre Kollegen wollen ihre Plattformen einem Test unter realen Bedingungen unterziehen.
Dieser beginnt damit, dass 60 Patienten mit eben festgestelltem Bluthochdruck rekrutiert werden. die entweder einer N=1 Studie oder einer Standardtherapie zugeordnet werden. In der N=1-Gruppe wird jeder Teilnehmer zwei Wochen lang eine Primärtherapie mit einem Blutdruckmedikament erhalten, dann folgt ein anderes, über den gleichen Zeitraum verabreichtes Blutdruckmedikament. Die Daten zur Reaktion der Patienten auf die Medikamente wird Davidson mit ihrem Team sammeln. Dabei wird das Team versuchen die jeweils wirksamste Medikation mit den geringsten Nebenwirkungen festzustellen. Insbesondere möchte das Team herausfinden, ob Patienten in der N=1 Gruppe schlussendlich bessere Behandlungserfolge erzielen als solche unter dem randomisierten Standardverfahren.
Einen ähnlichen N=1 Studienplan wird das Team auch anwenden, um zu klären, welche an Depression leidenden Personen von einer Lichttherapie profitieren können - d.i. von einer Behandlung, die zur Stimmungsaufhellung natürliches Licht im Freien simuliert.
Eine weitere Studie soll prüfen, bei welchen an Schlaflosigkeit leidenden Patienten niedrigdosiertes natürliches Melatonin zu einer Besserung führt.
Zusätzlich werden Davidson und ihr Team untersuchen, wie gut Ärzte N=1 Studien in ihren regulären klinischen Arbeitsablauf einplanen können. Wenn sich herausstellt, dass die N=1 Strategie für Arzt und Patient von Nutzen ist, so wird man die Plattform künftig den Ärzten auch für eine Reihe anderer Indikationen anbieten können. Derartige Möglichkeiten würden u.a. in der Behandlung von Diabetes bestehen, in der Kontrolle von Schmerz , im Erstellen von Trainingsprogrammen und in der Entwicklung von personalisierten Strategien zum Gewichtsverlust.
Das Ziel
von Karina Davidson ist es schlussendlich, das Wesen der klinischen Konsultation zu ändern - es wird Wissenschaft herangezogen, um Entscheidungen zur Behandlung jeder einzelnen Person zu treffen. Da mit dem NIH-Forschungsprogramm All of Us nun mehr und mehr über individuelle Unterschiede in Gesundheitsrisiken und Ansprechen auf Behandlungen in Erfahrung gebracht wird, erscheint das Wachstumspotential einer N=1 Strategie in der Medizin zweifellos hoch. (Anm. Red.: Auf dem Weg zu einer personalisierten Medizin strebt das Programm All of Us an von 1 Million (oder mehr) US-Amerikanern Gesundheitsinformationen zu sammeln unter Berücksichtigung der individuellen genetischen/biologische n Gegebenheiten, des Lebensstils und der Umwelt einflüsse.)
* Dieser Artikel von NIH Director Francis Collins, M.D., Ph.D. erschien unter dem Titel:" Creative Minds: Designing Personalized Clinical Trials" zuerst (am 14. Dezember 2017) im NIH Director’s Blog: https://directorsblog.nih.gov/2017/12/14/creative-minds-designing-person... . Der Artikel wurde von der Redaktion aus dem Englischen übersetzt und geringfügig (mit Untertiteln und zwei Kommentaren) für den Blog adaptiert. Eien Abbildung wurde von der Redaktion eingefügt. Reprinted (and translated by ScienceBlog) with permission from the National Institutes of Health (NIH).
Weiterführende Links
Karina W. Davidson, homepage: http://www.columbiacardiology.org/profile/kwdavidson
Karina W. Davidson (2017), Project: RE-ENGINEERING PRECISION THERAPEUTICS THROUGH N-OF-1 TRIALS: https://projectreporter.nih.gov/project_info_description.cfm?icde=0&aid=...
All of Us (NIH). https://allofus.nih.gov/ The All of Us Research Program is a historic effort to gather data from one million or more people living in the United States to accelerate research and improve health. By taking into account individual differences in lifestyle, environment, and biology, researchers will uncover paths toward delivering precision medicine.
Why All of Us. Why Now. (6.6.2017) Francis Collins et al. Video (englisch) 1:53 min. "The time is ripe for medical breakthroughs and advancements in health research. See how the All of Us Research Program is leading the way towards better health care for all of us." Standard YouTube Lizenz. https://www.youtube.com/watch?time_continue=2&v=B7m5rNkDjHE