Jan Ingenhousz, Leibarzt Maria Theresias und Entdecker der Photosynthese
Jan Ingenhousz, Leibarzt Maria Theresias und Entdecker der PhotosyntheseDo, 24.08.2017 - 14:05 — Robert W. Rosner
Zum dreihundertsten Geburtstag Maria Theresias wird heuer viel über die Rolle dieser außergewöhnlichen Frau als Regentin eines Vielvölkerstaats, Strategin, Reformerin, die u.a. die Schulpflicht eingeführt hat und als Mutter gesprochen. Kaum erwähnt werden dabei aber ihre Verdienste bei der Umgestaltung des medizinischen Unterrichts an der Wiener Universität und ihre Verdienste im Kampf gegen die Pocken. Maria Theresia hat als Leibärzte den Holländer Gerhard van Swieten nach Wien geholt, der den medizinischen Unterricht an der Universität grundlegend umgestaltet hat und den Arzt und Naturforscher Ian Ingenhousz, ebenfalls einen Holländer, um vor vielen anderen Ländern Europas eine Impfung zum Schutz vor den lebensbedrohenden Pocken einzuführen. Mit Ingenhousz kam auch ein herausragenden Forscher nach Wien, dem wir u.a. fundamentale Entdeckungen zur Photosynthese verdanken. Der Chemiker und Wissenschaftshistoriker Robert Rosner stellt den hier wenig bekannten Wissenschafter Jan Ingenhousz vor..*
In den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts waren in Wien die Pocken sehr verbreitet, auch die kaiserliche Familie war davon betroffen. Maria Theresia selbst, ihr ältester Sohn Josef, der spätere Kaiser, und ihre besonders hübsche Tochter Maria Elisabeth erkrankten an den Pocken, gesundeten aber wieder. Dagegen starben andere Kinder Maria Theresias und Mitglieder des Kaiserhauses, wie die erste und zweite Frau Josephs II. und eine seiner Töchter, an dieser Krankheit. Aufgrund der Nachricht, dass sich die Pockenimpfung in England bewährt hatte, wurde das englische Königshaus ersucht, einen Fachmann nach Wien zu schicken. Auf Empfehlung des Leibarztes des englischen Königs, Sir John Pringle, kam Jan Ingenhousz (Abbildung 1) 1768 nach Wien.
Abbildung 1. Jan Ingenhousz (1730 - 1799). Die Inschrift besagt, dass die kaiserlichen Nachkommen durch die Inoculation mit Pocken gerettet wurden (das Bild stammt aus Wikipedia und ist gemeinfrei). Jan Ingenhousz war Holländer. 1730 in der Stadt Breda, die im Süden der Niederlande liegt, geboren, hatte er in Löwen Medizin studiert, in Leiden Physik und Chemie in Paris und Edinburgh. Nach seinem Studium hatte Ingenhousz als Arzt in Breda praktiziert und war dann nach England gegangen, wo er bei der Impfung gegen Pocken viel Erfahrung sammelte.
Die Pockenimpfung
Die Impfmethode, als Inoculation oder Variolation bezeichnet, bestand darin, dass Eiterflüssigkeit aus den Pusteln Erkrankter - also ein Lebendimpfstoff - eingeimpft wurde. Darauf setzte üblicherweise eine Immunreaktion ein, die zu einer weitgehenden Immunität gegenüber Infektionen mit Pockenviren führte. Diese Methode war schon lange in Asien angewandt worden und wurde im Verlauf des 18. Jahrhunderts in England und einigen anderen Staaten Europas eingeführt. (Abbildung 2)
Abbildung 2. Die Impfmethode (Variolation, Inoculation) kommt nach England Lady Mary Wortley Montagu lebte als Frau des englischen Botschafters in der Türkei, sah dort die Erfolge, welche die Impfung während Pockenepidemien erbrachte und überzeugte 1721 nach ihrer Rückkehr nach London u.a. Hans Sloane, den Leibarzt des britischen Königshauses, von der Wirksamkeit der "Orientalischen Methode". (Ausschnitt aus Philosophical Transactions, http://rstl.royalsocietypublishing.org/; der eigentlich bereits für 1736 vorgesehene Bericht wurde erst nach dem Tod von Hans Sloane (1753) veröffentlicht.)
Nachdem Ingenhousz eine größere Anzahl von Kindern aus armen Familien, die zu diesem Zweck nach Meidling bei Schönbrunn gebracht worden waren, geimpft hatte und zeigen konnte, wie erfolgreich die Impfung war, durfte er alle noch nicht infizierten Kinder und andere Mitglieder des Kaiserhauses impfen (Inschrift in Abbildung1). Danach reiste er nach Italien, um auch die Mitglieder der Familie des Herzogs von Toscana - des späteren Kaisers Leopold II - zu impfen.
In Wien war die Methode sehr umstritten, wobei der prominente Mediziner und Universitätslehrer Anton DeHaen massiv gegen die Impfung auftrat (er argumentierte, dass mit der Impfung die Pocken nur verbreitet würden und eine Reihe von Krankheitskeimen in den Körper gelangten).
Ingenhousz wurde als Leibarzt der kaiserlichen Familie angestellt, erhielt ein enorm hohes, lebenslanges Salär von jährlich 5000 Gulden und erfreute sich am Wiener Hof eines großen Ansehens. Er ließ sich in Wien nieder, heiratete die Schwester des berühmten Botanikers Nicolaus von Jacquin und war durch seinen Schwager und seine Freunde, den Mediziner Gerard Van Swieten und den Schriftsteller und Politiker Joseph von Sonnenfels, mit den naturwissenschaftlichen und freimaurerischen Kreisen in Wien eng verbunden. Für seine naturwissenschaftlichen Versuche richtete sich Ingenhousz in Wien ein Labor ein, das auch Joseph II besuchte, und erlangte für seine Leistungen internationales Ansehen.
Auch als Ingenhousz später seine Tätigkeit als Mediziner nicht mehr ausübte, wurde er dennoch zu den ersten Ärzten gezählt und hatte in der Medizin ein gewichtiges Wort mitzureden. Die von ihm in Österreich eingeführte Impfmethode wurde im ganzen Reich ausprobiert. Da es aber immer wieder zu echten Ansteckungen kam, die normalerweise zwar leichter verliefen, wurde die Methode gegen Ende des 18. Jahrhunderts wieder fallen gelassen. Erst als die von Edward Jenner eingeführte Kuhpockenimpfung populär wurde, ist diese allgemeine Impfung bereits 1799 als Schutzmethode vom Wiener Stadtphysikus Pascual Joseph Ferro durchgesetzt worden.
Der Naturforscher Ingenhousz...
Ingenhousz reiste öfters nach Italien , Frankreich und besonders nach England, wo er sich meistens längere Zeit aufhielt. Er hatte sich schon während seines Studiums und später in England mit Fragen der Physik und Chemie beschäftigt und benützte nun seine Reisen, um mit den führenden Naturforschern dieser Länder in Kontakt zu treten. So traf er in Paris Benjamin Franklin und plante mit diesem Versuche zur Wärmeleitfähigkeit von Metallen. Ingenhousz beschäftigte sich auch mit Fragen der Elektrizität und des Magnetismus. Auf Grund seiner eingehenden Beschäftigung mit dem damals neuen Thema "Blitzableiter" errichtete Ingenhousz im Auftrag von Kaiser Joseph II derartige Schutzmaßnahmen in den kaiserlichen Pulvermagazinen und der Hofburg.
Besonders eingehend studierte Ingenhousz die Arbeiten von Joseph Priestley, mit dem er sich anfangs anfreundete. Priestley (1733 - 1804), ein anglo-amerikanischer Chemiker, Physiker, Philosoph und Theologe, war Anhänger der damals generell akzeptierten Phlogistontheorie. Diese ging davon aus , dass brennbare Stoffe eine hypothetische Substanz, das Phlogiston, enthielten, das bei der Verbrennung entweichen würde. In einem berühmt gewordenen Versuch erhitzte Priestley Quecksilberoxid und beobachtete, dass daraus metallisches Quecksilber entstand und ein Gas, das er als Bestandteil der natürlichen Luft erkannte und als "dephlogistierte Luft" bezeichnete. Priestley hatte den Sauerstoff entdeckt, praktisch gleichzeitig mit dem französischen Chemiker Antoine Lavoisier und dem schwedischen Pharmazeuten Carl Wilhelm Scheele.
...entdeckt die Grundprinzipien der Photosynthese
Priestley hatte beobachtet, dass faulige Luft in Gegenwart von Pflanzen verbessert wurde. Im Gegensatz dazu hatte der schwedische Chemiker Scheele gefunden, dass sich die Luft in Gegenwart von Pflanzen sogar verschlechtern könne.
ngenhousz führte nun systematische Versuche durch, um den Widerspruch zu klären. Er stellte fest,
dass die grünen Blätter - und ausschließlich diese und kein anderer Pflanzenbestandteil - unter dem Einfluss des Sonnenlichts "dephlogistierte Luft", also Sauerstoff, abgaben und "fixe Luft" - d.i. CO2 - aufnahmen,
dass die Menge des entwickelten Sauerstoffs von der Intensität der Sonnenstrahlung abhing und
dass im Dunkeln hingegen die Pflanzen sogar "fixe Luft" abgaben.
Durch Vergleichsversuche konnte er beweisen, dass es bei Abwesenheit von Sonnenlicht, selbst in einem erwärmten System, zu keiner Sauerstoffentwicklung kam.
Ingenhousz veröffentlichte diese bahnbrechenden Untersuchungen 1779 in englischer Sprache, an wesentlichen Teilen davon hatte er bereits ab 1773 in Wien gearbeitet. Abbildung 3 gibt die in der Einleitung zusammengefassten Ergebnisse in der Originalsprache wieder.
Abbildung 3. Die Entdeckung der Grundprinzipien der Photosynthese: "Experimente an Pflanzen - Entdeckung, dass diese in hohem Maß die Eigenschaft haben unter Sonnenlicht die Luft zu reinigen und im Schatten und in der Nacht zu verunreinigen (1779)". Ingenhousz fasst die Ergebnisse im PREFACE zusammen. (Internet Archiv, das Buch ist frei zugänglich. https://archive.org/details/experimentsuponv00inge )
Die Messmethode
Den entwickelten Sauerstoff fing Ingenhousz in einer pneumatischen Wanne auf und bestimmte dessen Menge mittels dem von dem italienischen Naturforscher Fontana entwickelten Eudiometer (Abbildung 4). Dieses Gerät arbeitete nach dem Prinzip, dass nitrose Gase in die Probe eingeleitet wurden, die der Sauerstoff zu wasserlöslichem NO2 oxydierte. Aus der Abnahme des Gasvolumens ließ sich so der Sauerstoffgehalt bestimmen. (Es war dies eine ungemein genaue Bestimmung: Ingenhousz gab an, dass er bei 10 Proben einen Streuung von 0,2 % hatte.)
Abbildung 4.Die Bestimmung von Sauerstoff und CO2 mittels des Eudiometers. Das Eudiometer ist ein kalibrierter, einseitig verschlossener Glaszylinder, der vollständig mit Wasser gefüllt ist und mit dem offenen Ende in eine, mit derselben Flüssigkeit gefüllte Wanne eintaucht. Entstehendes, in den Zylinder eingeleitetes Gas verdrängt darin die Flüssigkeit, seine Menge wird an Hand des kalibrierten Maßstabs bestimmt. Links: Bestandteile des Eudiometers (links Messzylinder, ganz oben: die Wanne) Darstellung aus "Experiments upon Vegetables"(1779) p. 292; (Quelle: Internet Archiv, das Buch ist frei zugänglich. https://archive.org/details/experimentsuponv00inge.) Rechts: schematische Darstellung der Funktion des Eudiometers (Bild: Wikipedia).
Ingenhousz's Ideen blieben lange Zeit sehr umstritten.
Die gängige Lehrmeinung war ja, dass Pflanzen ihre Nahrung aus dem Boden aufnehmen. Als Ingenhousz seine Experimente im Jahr 1779 veröffentlichte, wusste er auch noch nicht, was die Natur der "fixen Luft" - des CO2 - war.
In einer späteren Arbeit, 1796 - nachdem er die antiphlogistischen Ideen Lavoisiers voll akzeptiert hatte -, schrieb Ingenhousz: "Von dieser (aus der umgebenden Luft aufgenommenen) Kohlensäure absorbiert die Pflanze im Sonnenlicht den Kohlenstoff, indem diese zur selben Zeit den Sauerstoff allein aushaucht und den Kohlenstoff sich allein aneignet". Und weiter, dass die Pflanzen aus dem Kohlenstoff und Sauerstoff des CO2 ihre essentiellen Inhaltsstoffe - Säuren, Fette, Kohlehydrate, etc. - produzieren (Abbildung 5, untere Box).
John Priestley hatte lange Zeit die Bedeutung des Sonnenlichts auf das Wachstum der Pflanzen nicht akzeptiert - dass die Sauerstoffentwicklung der Pflanzen mit ihrem Wachstum in Verbindung stehe. Sehr pointiert macht dies Ingenhousz in seinem 1796 Essay klar: die von ihm entdeckten fundamentalen Prinzipien (des später als Photosynthese bezeichneten Prozesses) wären von Priestley und auch Scheele nicht einmal vermutet worden und diese hätten ihren Irrtum auch nicht eingesehen (Abbildung 5, mitlere Box).
Erst nach Ingenhousz Ableben anerkannte Priestley (wenn auch etwas verärgert) die Priorität von Ingenhousz in diesem enorm wichtigen Thema.
Abbildung 5. In seinem 1796 erschienenen Essay macht Jan Ingenhousz klar, dass Pflanzen ihre Inhaltsstoffe aus dem CO2 der Luft (untere Box) herstellen. Die Ursachen, warum Pflanzen CO2 aufnehmen und Sauerstoff freisetzen, aber auch CO2 absondern, hat er entdeckt. Seine Kontrahenten Priestley und Scheele hätten Derartiges nicht einmal vermutet (mittlere Box). (Quelle: An Essay on the Food of Plants and the Renovation of Soils; in: Additional Appendix to the outlines of the 15th chapter of the proposed general report from the Board of Agriculture: on the subject of manures;1796, John, Adams Library (Boston Public Library); das Buch ist im Internet Archiv, frei zugänglich. https://archive.org/stream/additionalappend00john#page/n57/mode/2up )
Ausklang
1788 unternahm Ingenhousz eine lange Reise. Sie führte ihn zuerst nach Holland, dann nach Frankreich und schließlich nach England, wo er schwer erkrankte. Er bezog zwar noch bis zu seinem Tod sein Gehalt aus Österreich, aber die immer komplizierter werdende politische Lage (französische Revolution und ihre folgenden politischen Bewegungen) und sein schlechter Gesundheitszustand machten eine Rückkehr nach Wien unmöglich. Ingenhousz starb 1799 in England.
Nach wie vor für transdisziplinäre Forscher zutreffend ist die Beschreibung, welche der Ingenhousz Biograph Wiesner 1905 von Ingenhousz gegeben hat:
"Gerade an Ingenhousz sehen wir, wie Gebiete der Medizin die Grenzen von Theorie und Praxis, von Wissenschaft und Technik verschmelzen. ..Ingenhousz wirkte als forschender Arzt bestrebt, die modernen Errungenschaften der reinen Naturwissenschaft in der Heilkunde nutzbar zu machen und auch durch Erfindung oder Vervollkommnung von Methoden der Medizin in ihren verschiedenen Zweigen zu nutzen."
Robert Rosner, Autor des obigen Beitrags, hat Ingenhousz ein Kapitel in seinem Buch "Chemie in Österreich. 1740 - 1914" Lehre, Forschung, Industrie (2004) 359 S. Böhlau Verlag gewidmet.
Viele der Darstellungen in diesem Artikels stammen aus der 1905 veröffentlichten Ingenhousz-Biographie des Pflanzenphysiologen und Rektors der Universität Wien Julius Wiesner: "Jan Ingen-Housz. Sein Leben und sein Wirken als Naturforscher und Arzt". Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und ist nun öffentlich zugänglich: https://archive.org/details/janingenhouszsei00wiesuoft
Weiterführende Links
Medizinisches Archiv von W i e n und Österreich (1802) . Google book: Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und ist nun öffentlich zugänglich
Arnold C. Klebs (1914): Die Variolation im achtzehnten Jahrhundert. Ein historischer Beitrag zur Immunitätsforschung. Google book: Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und ist nun öffentlich zugänglich
J. F. Draut (1829): Historia de Insitione variolarum genuiarum, Dissertation (deutsch) . Google book: Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und ist nun öffentlich zugänglich
Artikel zur Photosynthese in ScienceBlog.at
- Christian Körner, 29.07.2016: Warum mehr CO2 in der Atmosphäre (meistens) nicht zu einem Mehr an Pflanzenwachstum führt
- Rattan Lal, 11.12.2015: Der Boden – die Lösung globaler Probleme liegt unter unseren Füßen
- Redaktion, 26.06.2015: Die Erde ist ein großes chemisches Laboratorium – wie Gustav Tschermak vor 150 Jahren den Kohlenstoffkreislauf beschrieb
- Michael Grätzel, 18.10.2012: Der Natur abgeschaut: Die Farbstoffsolarzelle
- Gottfried Schatz, 27.09.2012: Sonnenkinder — Wie das atomare Feuer der Sonne die Meerestiefen erhellt