Genies aus dem Labor

Genies aus dem Labor

Do, 25.10.2018 - 08:00 — Nora Schultz Nora SchultzIcon Gehirn

 

Was macht ein Genie aus? Woher kommt Genialität? Von mentalen Superkräften träumen viele und Intelligenzsprünge mithilfe von pharmakologischen, maschinellen oder genetischen Interventionen wären denkbar. Die Entwicklungsbiologin Nora Schultz gibt einen Überblick über die verschiedenen Ansätze, die von Wunderpillen, elektrischen oder magnetischen Kappen und im Hirn implantierten Chips bis hin zu genetischen Manipulationen reichen. *

Der Drang, Grenzen zu überwinden, prägt den Menschen seit eh und je, angetrieben von seinem einzigartigen Talent, sich vorzustellen was (noch) nicht ist. Das gilt auch für die Grenzen des Gehirns. Genuin geniale Spitzenleistungen sind rar, doch von mentalen Superkräften träumen viele (Abbildung 1). Lucy in Luc Bessons gleichnamigen Film beispielsweise entfesselt dank einer neuartigen Droge eine extrem überhöhte Intelligenz. Für den Studenten Dexter in der Disney-Komödie „Superhirn in Tennisschuhen“ reicht ein Stromschlag, um computergleiche Fähigkeiten zu entwickeln, und den IQ des geistig zurückgebliebenen Charly katapultiert in Daniel Keyes preisgekrönter Geschichte „Blumen für Algernon“ eine Operation in luftige Höhen. Auch jenseits der Traumfabriken sprudelt die Phantasie kaum weniger lebhaft.

Abbildung 1. Wie wird man ein Genie? Lässt sich das Gehirn aufmotzen? Noch klappt das nicht, aber Visionäre arbeiten daran (Grafik: MW)

Gibt es Wunderpillen zur Steigerung der Intelligenz?

Vor allem der Griff zur Pille lockt viele Menschen. Schon Schwangere werden angehalten, Fischöl-Kapseln zu schlucken, um die Gehirnentwicklung des Ungeborenen mit den darin enthaltenen Omega-3-Fischsäuren zu fördern. Auch für Kinder stehen Fischöl-Präparate hoch im Kurs – und haben tatsächlich einen kleinen, aber messbar positiven Effekt auf die Intelligenz.

Die Wirkung vieler weiterer Präparate, die kognitive Kräfte befeuern wollen, von Ginseng- und Gingko-Extrakten, über B-Vitamine und Vitamin D bis hin zu Koffein, ist hingegen eher zweifelhaft .

Auf der Suche nach einem stärkeren kognitiven Kick greifen daher immer mehr Menschen nach verschreibungspflichtigen Medikamenten, die das Denken verbessern sollen. Allein in Deutschland ist die Zahl der Berufstätigen, die schon einmal solche Pillen geschluckt hat, um Leistung zu steigern oder Stress abzubauen, zwischen 2008 und 2014 von 4,7 auf 6,7 Prozent gestiegen .

Medikamente, die als „Neuroenhancer“ in Betracht kommen, wurden häufig ursprünglich für andere Zwecke entwickelt, etwa zur Behandlung von Aufmerksamkeitsstörungen (Ritalin), Schlafsucht (Modafinil) oder Demenz (Memantin, Donezepil). Nach aktueller Studienlage können sie unter bestimmten Voraussetzungen einige geistige Leistungen bei Gesunden zwar womöglich tatsächlich verbessern , von einer dauerhaften Intelligenzsteigerung kann jedoch auch hier keine Rede sein. Trotz intensiver Anstrengungen von Pharma- und Biotechfirmen blieb der große Durchbruch bei der Suche nach einer Superhirnpille bislang aus (siehe auch: https://www.dasgehirn.info/denken/gedaechtnis/doping-fuers-gedaechtnis) .

Das liegt auch daran, dass besonders große und nachhaltige Intelligenzsteigerungen, wie sie für die gezielte Entwicklung echter Genialität nötig wären, voraussichtlich in jungen Jahren ansetzen müssten, wenn das Gehirn noch formbarer ist. Gerade Eingriffe bei Kindern gelten jedoch als ethisch besonders sensibel, da diese im Gegensatz zu mündigen Erwachsenen noch nicht voll selbstbestimmt einwilligen können. Wenn ernste Nebenwirkungen drohen oder deren Möglichkeit auch nur unzureichend erforscht ist, ist daher aus gutem Grund Zurückhaltung geboten – wird aber längst nicht immer ausgeübt [Kasten].

Maschinen, die direkt am Gehirn ansetzen

Davon erhoffen manche eine durchschlagendere Wirkung. Gleich zwei davon greifen das schon in den 1960er Jahren vom Disney-Huhn Daniel Düsentrieb erfundene Konzept der „Denkkappe“ auf.

Nichtinvasive Ansätze

Bei der transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS) stimulieren am Kopf angebrachten Elektroden das Gehirn elektrisch, während bei der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) Magnetspulen durch den Schädel auf die Neuronen wirken. Abbildung 2.

Beide Methoden konnten im Experiment schon diverse kognitive Aspekte positiv beeinflussen, z. B. verbale Funktionen, das Gedächtnis oder die geistige Flexibilität. Die Wirksamkeit mag in beiden Ansätzen auf eine generelle Erhöhung der neuronalen Plastizität zurückgehen, doch ob sich positive Effekte einstellen, hängt offenbar von vielen Aspekten des Versuchsaufbaus ab. Bislang gelang es weder mit tDCS noch mit TMS ein „Rezept“ zu entwickeln, das in gesunden Menschen robust kognitive Verbesserungen bewirkt.

Abbildung 2. Transkranielle Stimulierung der Gehirnfunktion durch Gleichstromstimulation (tDCS) und Magnetstimulation (TMS) (Links: 35 cm2 Elektroden (b, c), positioniert mittels Kopfband (d) und Gummiband (e); Yokoi and Sumiyoshi, 2015https://npepjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s40810-015-0012-x : cc-by 4.0. Rechts: Wikipedia, NIH: gemeinfrei. Abbildung von der Redaktion eingefügt)

Invasive Ansätze

Auch die tiefe Hirnstimulation, bei der Elektroden dauerhaft ins Gehirn eingesetzt werden, könnte kognitive Leistungen verbessern . Diese Technologie kann auch tieferliegende Regionen erreichen, zum Beispiel den Hippocampus, der eine wichtige Rolle bei der Bildung von Erinnerungen spielt.

Der Unternehmer Bryan Johnson hat 2016 hundert Millionen Dollar in die Gründung der Firma Kernel gesteckt, um zunächst gemeinsam mit dem Neurowissenschaftler Theodore W. Berger, der bereits an einer Hippocampusprothese für Affen arbeitete, einen Chip zu bauen, der die Bildung und den Abruf von Erinnerungen verstärken sollte .Inzwischen sucht Johnson stattdessen nach Wegen, das Gehirn direkt über multiple Schaltstellen mit Computern zu verbinden .

Der Technikvisionär und Unternehmer Elon Musk, besser bekannt für seine Tesla-Autos und Fahrpläne zum Mars, plant mit seiner neuen Firma Neuralink (https://www.neuralink.com/ "Neuralink is developing ultra high bandwidth brain-machine interfaces to connect humans and computers.") derweil ein Produkt, das es bislang nur in den Science-Fiction-Geschichten des schottischen Schriftstellers Iain M. Banks gab: die so genannte „neurale Borte“ (neural lace). Die Metapher des filigranen Garngeflechts deutet darauf hin, dass hier ebenfalls mehrere Andockstellen im Gehirn komplex mit maschinellen Gegenparts vernetzt werden sollen. Mehrere andere Teams arbeiten an ähnlichen Projekten.

Genetische Manipulationen

Ein anderer Weg, menschliche Geistesleistungen aufzumotzen, setzt nicht auf Maschinen, sondern auf Moleküle. Statt digitale Plugins einzuflechten, sollen genetische Manipulationen die neuronale Architektur von Grund auf leistungsfähiger machen.

Einer der Pioniere solcher Ansätze ist Joe Tsien, der 1999 die genetisch veränderte Maus Doogie präsentierte. Sie lernte doppelt so schnell wie normale Mäuse, durch ein Wasserlabyrinth zu navigieren, nachdem es Tsiens Team mit geschickt eingesetzten molekularen Schaltern gelungen war, einen bestimmten Rezeptor nur im Vorderhirn und nur nach der Geburt vervielfältigt zu aktivieren. Durch den Eingriff hatten die Forscher die synaptische Plastizität in Schlüsselregionen des Gehirns so erhöht, dass die Mäuse besser lernen konnten.

Tsiens Experiment ist ein Paradebeispiel dafür, wie genau molekulare Eingriffe zeitlich und räumlich platziert werden müssen, um bestimmte Effekte zu erzielen. Viele Unterschiede im Lern- und Denkvermögen gehen nach derzeitigem Verständnis auf subtile Weichenstellungen während der Entwicklung zurück, die beeinflussen, ob und wann ein Gen wo im Körper wie aktiv ist und wie es dabei mit den Produkten anderer Gene interagiert. Man geht davon aus, dass hunderte oder tausende von Genvarianten an diesen Weichenstellungen beteiligt sind – und dass genetische Unterschiede bei gleichmäßig guten Bildungschancen den Großteil der Intelligenzvariation zwischen Menschen erklären können. Abbildung 3.

Abbildung 3. Zur Vererbbarkeit der Intelligenz. Kognitive Fähigkeiten sind etwa proportional zum Grad der Verwandtschaft, d.i. zum Anteil der ererbten Gene. Das soziale Umfeld wirkt sich nur marginal aus. Es besteht praktisch keine Korrelation zu Biologisch-Nichtverwandten, die unter denselben Bedingungen wie eineiige/zweieiige Zwillinge aufgewachsen sind. (Nach Daten aus SDH Hsu "On the genetic architecture of intelligence and other quantitative traits"; https://arxiv.org/pdf/1408.3421.pdf; cc-by.Lizenz¸ Bild von der Redn eingefügt)

Bekannt sind bislang allerdings nur 52 Gene, die Intelligenz beeinflussen , und diese erklären nur knapp fünf Prozent der Varianz (S. Sniekers et. al., Nature Genetics 49:1107–1112 (2017)).

Manche Forscher glauben, dass wir mit den inzwischen verfügbaren Methoden der Genanalyse genügend weitere relevante Gene entdecken können, um Embryonen künftig anhand ihrer genetischen Veranlagung für Intelligenz auszuwählen. Einer von ihnen ist Stephen Hsu, der Gründer des „Cognitive Genomics Labs“ der chinesischen Firma BGI, die derzeit genetische Proben von tausenden mathematisch besonders begabten Menschen analysiert, um weitere die Intelligenz beeinflussende Gene zu identifizieren. Eltern, die mithilfe entsprechend akkurater prädiktiver Modelle „zwischen ungefähr zehn befruchteten Eizellen auswählen, könnten den IQ ihres Kindes um immerhin 15 oder mehr Punkte verbessern“, schrieb Hsu bereits 2014 .

Um menschliche Intelligenz drastisch zu verändern, müssten wir allerdings darüber hinaus in der Lage sein, viele relevante Gene auch aktiv zu verändern, und zwar auf einen Schlag. Möglich könnte dies dank der 2012 entdeckten so genannten „Genschere“ Crispr-Cas9 und verwandter neuer Gentechniken werden. Sie erlauben es, viele Genschnipsel gleichzeitig und besonders schnell und präzise auszuschneiden und zu ersetzen. Sollte es eines Tages machbar sein, in einem Embryo oder in Keimbahnzellen mit solchen Methoden hunderte oder tausende von Genen gleichzeitig so zu konfigurieren, dass die bestmöglichen genetischen Voraussetzungen für Intelligenz geschaffen werden, wären nach Hsus Spekulationen „Superintelligenzen mit einem IQ von über 1000 Punkten denkbar“.

Was ist zu erwarten?

Vorerst bleiben solche Visionen Zukunftsmusik. Doch die Bemühungen der Forscher schreiten voran und werden keineswegs überall von Bedenken eingehegt. Das Gesetz in Deutschland und vielen anderen Ländern mag menschliche Keimbahnveränderungen verbieten , aber die ersten Versuche, mithilfe neuer genetischer Methoden Erbkrankheiten in menschlichen Embryos zu beseitigen, haben in China und den USA längst stattgefunden. Ebenso geht die Forschung an Pillen fürs Gehirn und an maschinellen Interventionen weiter. Und auch wenn bislang die meisten Menschen zumindest invasive Eingriffe in das Gehirn oder Veränderungen der menschlichen Keimbahn zur Steigerung von Intelligenz ablehnen, gibt es doch genügend Anhaltspunkte, dass es zu einem Meinungsumschwung kommen könnte, sollten Pioniere erst einmal zeigen, dass Interventionen nicht nur funktionieren, sondern auch risikoarm sind.

Bestimmte Neuroimplantate – vor allem Innenohrprothesen – gehören längst zum klinischen Alltag, Eingriffe in die menschliche Keimbahn zur Behandlung von Energiestoffwechselerkrankungen – wenn auch „nur“ durch Austausch der Mitochondrien, wurden in den USA erfolgreich erprobt und stehen in Großbritannien kurz vor der Zulassung . Auch an der Einnahme von erprobten kognitionsfördernden Nahrungsergänzungsmitteln stößt sich niemand. Selbst wenn Eingriffe experimentell sind, darf diese grundsätzlich jeder am eigenen Leib ausprobieren – solange dabei niemand anders zu Schaden kommt.

Sollte es künftig gelingen, auch bei drastischeren Interventionen „die Risiken körperlicher wie psychischer Neben- und Nachwirkungen unter die Schwelle des Bagatellhaften zu senken“, so müsse ihre Anwendung sogar bei Kindern erlaubt sein, forderte eine Gruppe von Experten bereits 2009 in ihrem Memorandum „Das optimierte Gehirn“ über pharmakologisches Neuroenhancement. Julian Savulescu, Professor für Praktische Ethik an der Universität Oxford, spricht sogar von einer „moralischen Verpflichtung“ der Menschheit, sich selbst zu optimieren .

Es mag wie Science-Fiction klingen, aber Raymond Kurzweil, Erfolgsautor und bekanntester Fürsprecher des „Transhumanismus“, hat die Verschmelzung menschlicher und künstlicher Intelligenz zu einer „Singularität“ vorausgesagt. Im Hauptberuf ist Kurzweil übrigens Leiter der technischen Entwicklung bei Google.

Dass technische Entwicklungen sich durch Verbote aufhalten lassen, ist angesichts des globalen Informationsaustauschs eher unwahrscheinlich. Wären bestimmte Möglichkeiten zur Intelligenzsteigerung erst einmal verfügbar, wäre vielmehr die Frage zu klären, ob und inwieweit der Staat ihre Nutzung regulieren oder sogar finanziell fördern sollte, um einen gerechten Zugang zu ermöglichen. Wie schon bei anderen kontroversen Technologien – zum Beispiel im Bereich der Fortpflanzungsmedizin – wird darüber letztlich jede Gesellschaft für sich entscheiden müssen.

Bis dahin, so erklärte es der Intelligenz-Forscher Detlev Rost bereits kürzlich der Redaktion , gibt es allerdings „weltweit nur ein wirklich nachhaltiges Intelligenz-Trainingsprogramm, und das ist die Schule.“


*Der Artikel stammt von der Webseite www.dasGehirn.info, einer exzellenten Plattform mit dem Ziel "das Gehirn, seine Funktionen und seine Bedeutung für unser Fühlen, Denken und Handeln darzustellen – umfassend, verständlich, attraktiv und anschaulich in Wort, Bild und Ton." (Es ist ein Projekt der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung und der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe). Im Fokus des Monats Oktober steht das "Genie", zu dem auch der vorliegende, unter einer cc-by-nc-sa Lizenz stehende Text erschienen ist: https://www.dasgehirn.info/denken/genie/genies-aus-dem-labor.

Der Artikel wurde von der Redaktion geringfügig für den Blog adaptiert (Überschriften und Absätze eingefügt) und es wurden Abbildungen eingefügt.


Weiterführende Links

Galert, T et al: Das optimierte Gehirn. Gehirn & Geist 11/2009; URL: http://www.spektrum.de/alias/psychologie-hirnforschung/das-optimierte-gehirn/1008082 [Stand 29.7.2017]

DAK-Gesundheitsreport 2015; URL: https://www.dak.de/dak/download/vollstaendiger-bundesweiter-gesundheitsreport-2015-1585948.pdf [Stand 29.7.2017]

Tim Urban: Neuralink and the Brain’s Magical Future. Wait But Why, 20.4.2017; URL: https://waitbutwhy.com/2017/04/neuralink.html / [Stand 29.7.2017].

Stephen Hsu: Super-Intelligent Humans Are Coming. Genetic engineering will one day create the smartest humans who have ever lived. Nautilus, 16.10.2014; URL: http://nautil.us/issue/18/genius/super_intelligent-humans-are-coming [Stand 29.7.2017]


 

inge Thu, 25.10.2018 - 08:00