Die Tragödie des Gemeinguts

Die Tragödie des Gemeinguts

Do, 31.05.2012- 00:00 — Peter Schuster

Icon Politik & GesellschaftPeter Schuster

Selbst-Reglementierung kommt nicht von selbst. Aus der Übernutzung und Ausbeutung gemeinschaftlicher Güter und Ressourcen entstehen schwerstwiegende Probleme, die technisch unlösbar erscheinen. Modelle der Spieltheorie bieten Lösungsansätze an, die auf Strategien der Kooperation und Selbst-Reglementierung basieren. Reale Beispiele bestätigen die Machbarkeit dieser Ansätze.

Ein von Garett Hardin 1968 im Journal Science veröffentlichter Artikel trägt den Titel „The Tragedy of Commons“ – Die Tragödie des Gemeinguts. Hardin umreißt darin das Problem der Erhaltung gemeinsamen Besitzes oder gemeinsam genutzter Ressourcen in einer ökonomisch orientierten Gesellschaft und folgt damit den Grundzügen der ein Jahrzehnt früher veröffentlichten Theorien zur irreversiblen Ausbeutung von Fischereigewässern (von HS Gordon und A. Scott ).

Die Metapher von der Übernutzung des Weidelands

Zur Illustration benutzt Hardin die Metapher eines Weidelands, das für alle offensteht:

Auf dieser Weide kann jeder Farmer so viele Rinder halten, wie er möchte. Wenn der einzelne Farmer nun rational vorgeht, – so die Argumentation – wird er die Herde vergrößern und mehr und mehr Tiere züchten, um den für ihn maximalen Gewinn zu erzielen. Dieses Problem kann in den Termini der Spieltheorie formuliert werden und folgt – vereinfacht ausgedrückt – der folgenden Kalkulation: Überweidetes Land

Der Nutzen, der sich aus dem Hinzufügen eines weiteren Rindes zur Herde ergibt, setzt sich aus einer positiven und einer negativen Komponente zusammen. Die Möglichkeit dieses weitere Tier zu verkaufen ergibt einen Profit (+P). Die negative Komponente (-P) resultiert aus dem „Überweiden“ des Weidelands durch das zusätzliche Tier. Freilich wird die, auf Grund der Überweidung erfolgende Abnahme des Profits von allen Farmern mitgetragen. Für den einzelnen Farmer, der nun ein Rind mehr auf die Weide stellt, ist der „negative Nutzen“ daher nur ein Bruchteil von -P und er erzielt insgesamt einen positiven Gewinn.

Nimmt man an, daß alle Farmer rational, in der gleichen Weise wie der einzelne Farmer vorgehen, so ist das Ergebnis augenfällig: Das Land wird völlig überweidet und schlußendlich verwüstet.

„Technisch unlösbare Probleme“ durch Übernutzung von Gemeingut

Die obige Metapher diente Garret Hardin dazu eine ganze Klasse an Problemen zu illustrieren, die aus der unkontrollierten Übernutzung von Gemeingut entstehen und für die es keine technische Lösung gibt. Typische, im Übermaß ausbeutbare Ressourcen, die zu technisch unlösbaren Problemen führen, sind Ressourcen natürlichen Ursprungs - Land, ohne konkreten Besitzer, Meere und die Atmosphäre miteingeschlossen (d.h. Wälder, Weiden, Wasserversorgung, Fischereigewässer, Müllablagerung, Luftverschmutzung,...) - und globale Aspekte, wie beispielsweise die wachsende Weltbevölkerung, das Wettrüsten (insbesondere zur Zeit eines kalten Kriegs) und die globale Erwärmung.

Der Artikel „Tragödie vom Gemeingut“ erregte großes Aufsehen und zahlreiche Veröffentlichungen folgten zu verwandten Fragestellungen. Auf nationaler Ebene erschien als einzige Lösung dieser Fragen eine Regulierung durch zentral angeordnete Maßnahmen und/oder durch Besteuerung der Gewinne, die durch die Ausbeutung des Gemeinguts erzielt wurden. Die Einmischung des Staates schien dabei unvermeidlich. Als Quintessenz derartiger Maßnahmen resultiert freilich, daß für Probleme auf der weltweiten Ebene keine, wie auch immer gearteten, attraktiven Lösungen möglich sind.

Kooperative Strategien zur Lösung „technisch unlösbarer Probleme“ um die Erhaltung von Gemeingut

Die Weiterentwicklung von Ideen um „technisch unlösbare Probleme“ zu verstehen und Strategien zu ihrer Bewältigung zu entwickeln, zeigte jedoch, daß die Situation keineswegs so hoffnungslos ist, wie ursprünglich erwartet. Spieltheoretische Modelle, basierend auf dem „Gefangenen-Dilemma“ (siehe unten), wiesen darauf hin, daß rational vorgehende Spiel-Teilnehmer, die schlußendlich zu kooperativen Strategien greifen, langfristig gesehen, davon profitieren. Modelle der Kooperation und wie sich diese entwickelt, lassen sich mit Hilfe der „Adaptiven Dynamik“ erstellen, Techniken, die eine langfristige Beschreibung phänotypischer Evolutionsprozesse ermöglichen.

Zahlreiche Beispiele für dauerhafte kooperative Strategien existieren. So fanden Ökonomen heraus, daß in unterentwickelten Gesellschaften gemeinsame Ressourcen einer Zerstörung durch exzessive Ausbeutung dadurch entgehen, daß Gewinne in der Gemeinschaft geteilt werden.

Ein anderes Beispiel aus einer bereits höher entwickelten Gesellschaft ist die gemeinsame Nutzung hochgelegener Weiden in den Alpen. Einige dieser Almen werden schon seit viertausend und mehr Jahren genutzt ohne, daß sie durch Überweidung zerstört worden wären.

Repräsentativ für Tausende ähnlicher Beispiele kann das Management der Ressource Wasser im kleinen Maßstab gelten: dieses erfolgt selbst-reglementiert in dem Sinn, daß die Nutzer ihre eigenen Regeln aufgestellt haben, ohne Einmischung des Staates und ohne Bezug zu formaler Gesetzgebung.

Ein aktuelles High-Tech Beispiel der Nutzung gemeinsamer Ressourcen durch eine selbst-organisierte Gemeinschaft, ist der freie Zugang und die freie Software im Internet. Die LINUX-Community stellt hier ein besonders gut untersuchtes Exempel dar. Diese wurde auch als „Bazar an der Grenze zum Chaos“ bezeichnet.

Neuere Untersuchungen zur Ökonomie basierend auf dem Konzept des Nash-Gleichgewichts (einem zentralen Konzept der mathematischen Spieltheorie) und auf Simulationen von Multi-Agenten Systemen (= Systemen aus mehreren gleichartigen oder unterschiedlich spezialisierten handelnden Einheiten/Individuen), beschäftigen sich mit Art und Entwicklung selbst-reglementierter Strukturen, welche in autonomer Weise die nachhaltige Nutzung gemeinsamer Ressourcen erlauben können. Das Resultat derartiger Studien: Um Gemeingut erhalten zu können, müssen einzelne Altruisten vorhanden sein, die bereit sind einen Teil ihres „Gewinns“ zu opfern um damit steigende Bedürfnisse zu kompensieren. Wenn diese Individuen gegenseitig günstige Übereinkommen treffen können, lassen sich die zu kompensierenden Bedürfnisse reduzieren und die Gemeinschaft kann der Katastrophe (Tragödie des Gemeingutes) entrinnen.

Diese Übereinkommen sind auch eine Art gegenseitiger Überwachung – eine Form von Selbst-Reglementierung, welche die Aneignung ungebührlicher Anteile am Nutzen verhindert. Kooperation, hier in Form von Übereinkommen, ist - wie im Gefangenen-Dilemma - der Schlüssel, zur Verhinderung des Ruins.

Das Ergebnis stimmt optimistisch: nicht nur, daß es in der Ökonomie nun eine Theorie gibt, die als Lösung für „technisch unlösbare Probleme“ die Strategie der Kooperation anbietet, es existieren in der Realität ja bereits Tausende praktische Beispiele – in früheren und modernen Gesellschaften - wie die „Tragödie des Gemeinguts“ verhindert werden kann.

Probleme von Gemeingut auf globaler Ebene

Der Optimismus wird aber radikal gedämpft oder verwandelt sich sogar in Pessimismus, wenn wir, wie eingangs erwähnt, Probleme von Gemeingut auf globaler Ebene betrachten. In der Realität sind ja die meisten kooperativen Systeme, die sich selbst reglementieren, von kleinem Ausmaß. Menschen kooperieren wesentlich leichter in Gruppen, wo jeder jeden oder fast jeden kennt und das Entlarven von Betrügern und anderen kriminellen Elementen ungleich einfacher ist, als in großen Gesellschaften.

Einer der interessantesten Fälle auf der globalen Ebene, aber nicht unbedingt ein Gegenbeispiel zu der oberen Feststellung, ist die Internet-Gemeinde, speziell die bereits erwähnte LINUX-Gemeinde. Hier erfolgt der Zugang weitestgehend anonym und die Zahl der Individuen in der Community ist offensichtlich sehr groß. Eine funktionierende sehr große, globale Gemeinde also? Näher betrachtet zeigt sich ein verändertes Bild, da nur sehr wenige Personen aktiv zu der weiteren Entwicklung des LINUX-Systems beitragen und bestimmen, wohin die LINUX-Gemeinde gehen wird. Unter diesen wenigen Personen kann dann auch unschwer eine Hierarchie der Entscheidungsträger ausgemacht werden. Die überwiegende Mehrheit in dieser Community sind aber bloß Anwender, die Material herunterladen und kaum zusätzliche Kosten verursachen (ganz im Gegensatz zu den anfangs zitierten überzähligen Kühen auf der Gemeinschafts-Weide).

So hübsch erfolgreiche Beispiele von Selbst-Reglementierung sich auch darstellen mögen, man sollte doch nicht auf die vielen Fälle vergessen, in denen bis jetzt Selbstorganisation/-Reglementierung kläglich versagt hat. Dazu erwähne ich hier nur die zahlreichen (fruchtlosen) Anstrengungen das Entscheidungssystem an den Universitäten des europäischen Festlands, insbesondere in den deutschsprachigen Ländern, umzugestalten.

Schlussendlich sehe ich nur wenig Hoffnung, dass sich die Einstellung der „Global Players“ zu den wirklich großen, globalen Problemen ändern wird: zum Bevölkerungswachstum, zur Ausbeutung allgemeiner globaler Ressourcen und zur Umweltverschmutzung, unter anderem auch durch Abgase aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe.

Wo immer Bevölkerungswachstum erfolgreich reduziert werden konnte, war dies auf Grund anderer Faktoren als der einer Selbst-Reglementierung. In den entwickelten Ländern haben Sozialversicherungssysteme Kinder zur Absicherung der finanziellen Bedürfnisse im Alter entbehrlich gemacht (Interessanterweise haben die Menschen in den USA mit einem weniger weitgreifenden Sozialversicherungssystem als am europäischen Festland mehr Kinder). In anderen Ländern wie China als bestem Beispiel, wurde die Geburtsrate von zentraler Stelle aus gesetzlich kontrolliert.

Internationale Übereinkommen zur Beschränkung des Fischfangs waren nur teilweise erfolgreich, auf der Suche nach Profit werden sie weiter gebrochen. Ein noch heute gültiges Moratorium, das den kommerziellen Walfang und die Fanggebiete auf Null gesetzt hat, wird umgangen und durch eine Reihe von Ausnahmebestimmungen für Länder wie Japan, Norwegen und Island konterkariert.

Die atmosphärische Verschmutzung ist geradezu ein ideales Bespiel für die „Tragödie des Gemeinguts“. Nach langen, zähen Verhandlungen wurde das sogenannte Kyoto-Protokoll zu völkerrechtlich verbindlichen Zielwerten der Emission von Treibhausgasen erstellt und bis jetzt von mehr als 190 Staaten ratifiziert. Die großen Schwellenländer China und Indien, die (pro Kopf zwar wenig) zusammen mehr als ein Drittel der gesamten Emissionen produzieren, haben aufgrund des Prinzips "gemeinsamer, aber differenzierter Verantwortung" bislang keine verbindlichen Emissionsminderungspflichten übernommen, die USA, als größter Emittent unter den Industrieländern (rund 1/5 der atmosphärischen Treibhausgase), haben den Vertrag noch nicht unterschrieben und Kanada ist kürzlich aus dem Vertrag wieder ausgetreten. Der Großteil der anderen Staaten betreibt einen quasi Ablasshandel mit Emissionen, indem nicht verbrauchte Quoten gehandelt werden. Eben dieses, der aktuellen Realität entnommene Beispiel zeigt, wie sich die „Tragödie des Gemeinguts“ entwickelt, ironischerweise auf einem Niveau, das große Gefahren mit sich bringen kann.

Als Schlussfolgerung kann man wohl nur feststellen: der einzige Mechanismus, welcher ein vernünftiges Management globalen Gemeinguts ermöglichen könnte, ist - auf Grund der Tragikomödie von menschlichen Fehlern und Schwächen - auf globaler Ebene wohl nicht leicht gangbar; der Weg zur Selbst-Reglementierung noch zu wenig verstanden.

 


Weiterführende Links

Gefangenen-Dilemma: eine gute Beschreibung des Beispiels aus der Spieltheorie ist unter http://en.wikipedia.org/wiki/Prisoner's_dilemma zu finden.

Weiterführende Fachliteratur kann vom Autor erhalten werden:

Hardin, G. The tragedy of the commons. Science 1968, 162, 1243-1248.

Gordon, H.S. The economic theory of common property resource: The fishery. J. Political Economy 1954, 62, 124-142.

Scott, A. The fishery: The objectives of sole ownership. J. Political Economy 1955, 63, 116-124.

Ostrom, E.; Gardner, R.; Walker, J. Rules, games and common pool resources. University of Michigan Press 1994, Ann Arbor, MI.

Nowak, M.A.; May, R.M.; Sigmund, K. The arithmetics of mutual help. Sci.Am. 1995, 272 (6), 50-55.

Mandl, F. Dachstein – 4 Jahrtausende Almen im Hochgebirge. Band 1. Verein ANISA 1996, Gröbming, AT (In German).

Monsees, J. The German water and soil associations – Self-governance for small and medium scale water and land resources management. J. of Applied Irrigation Science 2001, 39, 5-22.

Kuwabara, K. Linux: A bazaar at the edge of chaos. First Monday 2000, 5(3).


 

inge Thu, 31.05.2012 - 05:20