Die Problematik von "Do Your Own Research" und "Believe in Science"

Die Problematik von "Do Your Own Research" und "Believe in Science"

Do,31.10.2024 — Ricki Lewis

Ricki Lewis

Icon Politik & Gesellschaft

Der Slogan "Do Your Own Research" (DYOR) wurde in den 1990er Jahren von dem US-Verschwörungstheoretiker Milton William Cooper geprägt. DYOR, das für „Mach' Deine eigene Recherche“ steht, d.i. sich selbst zu informieren, anstatt alles zu glauben, was man liest, wurde zum geflügelten Wort in der Kryptoszene und in den 2010er Jahren häufig von Impfgegnern im Internet verwendet. Während der COVID-Pandemie zeigten sich dann die negativen Auswirkungen von DYOR, eine Überfülle von selbst-recherchierten Fehlinformationen online und offline nährte Gerüchte und Verschwörungstheorien: das Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Institutionen und staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wuchs und wurde politisch instrumentalisiert, es wurden etablierte Beweise für die Wirksamkeit von Impfstoffen negiert, und insgesamt eine noch immer anhaltende globale Anti-Impf-Bewegung ausgelöst. Die Genetikerin Ricki Lewis zeigt die Problematik von DYOR auf, die heute zumeist bedeutet, dass mit Hilfe von Suchmaschinen Informationen gefunden werden, die bestätigen, was man bereits für wahr hält, aber auch von "Believe in Science", da Emotionen in der Wissenschaft fehl am Platze sind.*

Während der Pandemie haben wir uns an unsere Entscheidungsträger gewandt, um aktuelle Informationen über die beispiellose, sich rasch verschlechternde Situation zu erhalten. Als die Tage dann zu Wochen wurden, die Kranken vor den Krankenhäusern der Stadt Schlange standen, flehten wir nach Informationen. Doch vieles davon kam in einer unbekannten Sprache, in der Sprache der Virologie und Immunologie, der öffentlichen Gesundheit und der Epidemiologie.

In jenen frühen Tagen waren Politiker und Regierungsbeamte, die Begriffe wie "Zytokinsturm" und "RNA-Virus" noch nie gehört hatten, plötzlich gefordert, zu erklären, was vor sich ging. Zum Glück meldeten sich sachkundige Stimmen zu Wort. Experten trafen sich regelmäßig mit Wissenschaftsjournalisten und lieferten technische Updates, die wir in unsere Artikel, Blogbeiträge, Podcasts und andere Kommunikationsmittel einfließen ließen.

"Do Your Own Research" fördert wissenschaftlichen Analphabetismus

COVID hat das Mantra DYOR - Do your own research - zu neuem Leben erweckt. "Der Satz "Mach' Deine eigene Recherche" scheint heutzutage allgegenwärtig zu sein, oft von Leuten geäußert, die "Mainstream"-Wissenschaft nicht akzeptieren, von Verschwörungstheoretikern und vielen, die sich als unabhängige Denker aufspielen. Oberflächlich betrachtet scheint das legitim zu sein. Was kann daran falsch sein, Informationen zu suchen und sich eine eigene Meinung zu bilden?"[1]

Allerdings "Recherche/Forschung" zu betreiben, indem man auswählt, was man liest, sieht oder hört, ist überhaupt nicht dasselbe wie die Forschung, die Wissenschafter betreiben. Forscher achten nicht nur auf die Daten, die ihre Hypothesen unterstützen - in der Wissenschaft geht es vielmehr darum, Hypothesen zu verwerfen, weiter zu denken und neue Experimente zu designen, um etwas in der Natur zu untersuchen. In der Wissenschaft geht es um Daten, nicht um "Inhalte".

Die Quellen schreiben den Ursprung von DYOR Milton William "Bill" Cooper zu, der in den 1990er Jahren weithin als "amerikanischer Verschwörungstheoretiker" bezeichnet wurde (u.a. besaß er angeblich Dokumente, die die Anwesenheit von Außerirdischen auf der Erde bestätigten, was aber von amerikanischen Behörden vertuscht wurde; Anm. Redn.). Zwanzig Jahre später heizte sein DYOR die Anti-Impf-Bewegung an und widerlegte seit Dekaden etablierte Beweise für die Wirksamkeit von Impfstoffen. Die Angst vor Impfstoffen tauchte in Verbindung mit QAnon (von Amerika ausgehende Verschwörungstheorien mit rechtsextremem Hintergrund, Anm. Redn.) während der Pandemiejahre wieder auf und hat sich auch in der Zeit nach COVID nicht gelegt.

Abbildung. DYOR - Mach' Deine eigene Recherche: Fehleinschätzungen während der COVID-19 Pandemie. (Bild modifiziert nach Fernandozhiminaicela https://pixabay.com/photos/covid-19-coronavirus-pandemic-4985553/)

Unterstützung für 'DYOR' steht in Zusammenhang mit COVID-19-Fehleinschätzungen und Misstrauen in die Wissenschaft

Sedona Chinn von der University of Wisconsin und Ariel Hasell von der University of Michigan haben im Juni 2023 im Harvard Kennedy School Misinformation Review die Studie "Support for 'doing your own research' is associated with COVID-19 misperceptions and scientific mistrust" veröffentlicht. [2] (Chinn und Hasell sind selbst keine Wissenschafter - ihr Fachgebiet ist die Vermittlung von Wissenschaft).

Darin haben Chinn und Hasell die Daten einer YouGov-Umfrage von erwachsenen US-Bürgern analysiert, die im Dezember 2020 an 1.500 Personen und im März 2021 an weiteren 1.015 Personen durchgeführt wurde. Die Teilnehmer wurden gefragt, ob sie drei Aussagen über DYOR zustimmten, die auf einer 7-Punkte-Skala von "stimme überhaupt nicht zu" bis "stimme voll und ganz zu" bewertet wurden:

1. "Jeder kann ein Experte auf einem Gebiet sein, wenn er nur genug recherchiert".

2. "Ich ziehe es vor, selbst zu recherchieren, anstatt mich auf Experten und Intellektuelle zu verlassen".

3. "Die Meinung von Menschen, die selbst recherchiert haben, ist genauso gültig wie die Meinung von Experten und Intellektuellen."

Die statistische Auswertung zeigte, was wir instinktiv wissen oder zumindest vermuten. Chinn und Hasell kommen zu dem Schluss:

1. "Menschen überschätzen oft ihre Fähigkeiten, Informationen zu suchen und zu interpretieren, und neigen dazu, nach Informationen zu suchen, die mit bereits vorhandenen Werten, Überzeugungen und Identitäten übereinstimmen. Voreingenommenheit in der Wahrnehmung kann zu falschen Schlussfolgerungen führen, insbesondere dann, wenn den Einzelnen Fachwissen und Schulung in wissenschaftlichen Arbeitsweisen fehlen oder sie sich auf ihr Bauchgefühl verlassen."

2. DYOR kann auch "die Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Institutionen und Mainstream-Informationsquellen fördern, indem betont wird, wie diese die Öffentlichkeit in die Irre führen könnten. Solche Aufrufe können die Sichtweise widerspiegeln, dass wissenschaftliche Institutionen oder Mainstream-Nachrichtenmedien korrupt sind oder eine versteckte Agenda haben, die den eigenen Weltanschauungen und Zielen feindlich gegenübersteht. Wenn auch DYOR-Aussagen nicht ausschließlich zur Förderung von Fehlinformationen verwendet werden, so zeigen unsere Ergebnisse, dass DYOR-Sichtweisenen mit Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Einrichtungen und COVID-19-Fehleinschätzungen zusammenhängen." Selbst gut gemeinte DYOR könnte die Skepsis gegenüber offiziellen Informationsquellen fördern, fügen sie hinzu.

3. Eine weitere Verwendung von DYOR kann darin bestehen, eine "politische Identität gegen das Establishment"  zu unterstützen, anstatt nach Daten, Beweisen oder Informationen zu suchen. An der Impfstofffront "wird DYOR oft in Verbindung mit Ressentiments gegenüber Ärzten und Wissenschaftern angeführt, die persönliche Erfahrung und Intuition abtun ... eine Manifestation der Verachtung für Eliten und nicht eine Bestätigung der Bedeutung unabhängiger Forschung."

"Believe in Science" datiert länger zurück als DYOR, ist aber noch problematischer

Ich kann Memes nicht leiden. (Memes sind (meist witzige) kurze Videos oder Bilder mit Schriftzügen, die sich im Internet in rasantem Tempo verbreiten; Anm. Redn.) Wenn es um keine Ansichtssachen geht, können sie unrichtig sein, aber dennoch verlässlich klingen, vor allem, wenn sie kopiert und eingefügt werden wie ein transponierbares Element ("springendes Gen"), das über ein Genom flitzt.

Eine gute Freundin hat kürzlich einen besonders ärgerlichen Satz auf Facebook gepostet: "Fakten zu glauben und der Wissenschaft zu vertrauen, bedeutet nicht, dass man ein 'Liberaler' ist. Es bedeutet, dass man 'gebildet' ist."

"Believe in Science" - "Glaube" und "Vertrauen" sind Emotionen, die in der Wissenschaft nichts verloren haben.

Das Problem dabei ist, dass "Glaube" und "Vertrauen" Emotionen sind. Sie haben in der Wissenschaft nichts verloren. Die erste Antwort auf den Facebook-Post meiner Freundin: "Wir sollten nicht vergessen, dass ein Großteil der *Wissenschaft* von der Regierung und speziellen Interessengruppen finanziert wird. Recherchieren Sie selbst und machen Sie einen sogenannten *Faktencheck.*" spiegelt genau das wider, was Chinn und Hasell in ihrer Analyse (s.o.) festgestellt hatten.

Der DYOR-er setzt damit wissenschaftliche Forschung einer "Forschung" gleich, die aus dem Lesen von Memes besteht, entscheidet was Wissenschaft ist und was nicht, nach dem, was er glaubt. .

Meine Antwort darauf lautete: "Die NIH und NSF (US-National Science Foundation; Anm. Redn.) finanzieren die Grundlagenforschung von Tausenden Wissenschaftern. Ohne Grundlagenforschung hätten wir keine Medikamente. Meine eigene Forschung befasste sich mit Fruchtfliegen, führte aber zu Behandlungen für Leukämien und andere Krankheiten. "Spezielle Interessengruppen" sind nicht der Feind. Dazu gehören die Biotech-Unternehmen, die uns gezielte Krebsmedikamente sowie Gen- und Immuntherapien liefern..."

Mein Mann Larry wies darauf hin, dass die anfängliche staatliche Finanzierung zur "Erfindung von Mikrowellenherden, Mobiltelefonen, Hörgeräten, Satellitenkommunikation, E-Mail, künstlichen Organen und Gliedmaßen und Hunderten von anderen Dingen" geführt hat.

Memes wie dieses, insbesondere die Beschwörung von DYOR und "Glaube an die Wissenschaft", untergraben weiterhin den Respekt vor der tatsächlichen Arbeit der Wissenschafter.

"Doing your own research" bedeutet, dass man das, was man liest, hört und sieht, so auswählt, dass es vorgefasste Meinungen unterstützt. Dies lässt die Kreativität, die Objektivität und das kritische Denken vermissen, die ein praktizierender Wissenschafter an den Tag legt, wenn er "Forschung betreibt".

DYOR bedeutet, dass man die Ideen und Gedanken anderer aufnimmt und vielleicht auswählt, um das zu unterstützen, was man selbst bereits für wahr hält. Wissenschaftliche Forschung ist etwas ganz anderes. Wissenschaft ist ein Zyklus des Forschens, Testens, Interpretierens und Überarbeitens von Hypothesen.

Fazit

Forschung in der Wissenschaft bedeutet viel Lesen, Nachdenken, Testen, Beobachten, Hypothesen aufstellen und das, was wir zu wissen glaubten, ständig zu revidieren. Sie ist ein kontinuierlicher Prozess, der sich über Jahrzehnte erstreckt.

Und deshalb stört mich - und vermutlich auch einige andere - der leichtfertige Satz "Recherchieren/Forschen Sie selbst". Um ein Experte auf einem Gebiet zu sein, gehört weit mehr dazu, als bereits bekannte Informationen aufzunehmen, die bestätigen, was man bereits weiß oder glaubt. Dieser Satz erweist der Wissenschaft und den Wissenschaftlern einen schlechten Dienst.


*Der Artikel ist erstmals am 24. Oktober 2024 in PLOS Blogs - DNA Science Blog unter dem Titel " The Dangers of “Do Your Own Research” and “Believe in Science” https://dnascience.plos.org/2024/10/24/the-dangers-of-do-your-own-research-and-believe-in-science/erschienen und steht unter einer cc-by Lizenz. Die Autorin hat sich freundlicherweise mit der Übersetzung ihrer Artikel durch ScienceBlog.at einverstanden erklärt, welche so genau wie möglich der englischen Fassung folgt. Auf Grund seiner ungewöhnlichen Länge wurde hier allerdings nur der erste Teil des Artikels wiedergegeben und von der Redaktion mit einer Abbildung ergänzt


 [1] Melanie Trecek-King: (2021)Thinking is Power -The problem with “doing your own research” https://thinkingispower.com/the-problem-with-doing-your-own-research/

[2] Sedona Chinn& Ariel Hasell (2023): Support for “doing your own research” is associated with COVID-19 misperceptions and scientific mistrust. Harvard Kennedy School Misinformation Review. 4, 3, DOI: https://doi.org/10.37016/mr-2020-117.


 

inge Fri, 01.11.2024 - 00:33