Wie haben 15-jährige Schüler im PISA-Test 2022 abgeschnitten?

Wie haben 15-jährige Schüler im PISA-Test 2022 abgeschnitten?

Sa, 16.12.2023— Inge Schuster

Inge SchusterIcon Politik & Gesellschaft Am 5. Dezember sind die Ergebnisse der neuen internationalen Schulleistungsstudie PISA veröffentlicht worden. PISA wird seit dem Jahr 2000 von der OECD weltweit in Mitgliedstaaten und Nicht-Mitgliedstaaten alle drei Jahre durchgeführt. Dabei wird evaluiert, inwieweit Schüler im Alter von 15 Jahren über die für eine volle gesellschaftliche Teilhabe unerlässlichen Schlüsselkenntnisse und -kompetenzen in den drei Bereichen Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften verfügen. Das Ergebnis: Im OECD-Durchschnitt schnitten 15-Jährige wesentlich weniger gut ab als bei den PISA-Tests 2018 und vor zehn Jahren, wobei Im deutschsprachigen Raum zwar alle Bewertungen über dem OECD-35 Durchschnitt liegen, aber auf einen vhm. hohen Anteil Jugendlicher hinweisen, welche die Grundkompetenzen in den Fächern fehlen. Insgesamt gesehen bringen die Reports kaum Anhaltspunkte, wie weniger erfolgreiche Bildungssysteme verbessert werden könnten.

Durch die Corona-Pandemie bedingt wurde die für 2021 geplante PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) auf 2022 verschoben. Der Schwerpunkt der Erhebung lag dieses Mal auf Mathematik; untergeordnet waren die Bereiche Naturwissenschaften und Lesekompetenz (neu hinzugekommen ist ein Bereich kreatives Denken, dessen Ergebnisse aber erst 2024 berichtet werden sollen).

An der Studie haben mehr Staaten und Volkswirtschaften - 37 OECD Mitglieder, 44 Partnerländer - als je zuvor teilgenommen. Stellvertretend für die etwa 29 Millionen 15-jährigen Schüler dieser Länder haben sich rund 690 000 Schüler den Tests unterzogen. In den meisten Ländern wurden zwischen 4000 und 8 000 Schüler aus repräsentativen Stichproben getestet.

Konkret haben die Schüler während zwei Stunden Tests in zwei Bereichen (Mathematik & Naturwissenschaften oder Mathematik & Lesekompetenz) am Computer absolviert und danach in rd. 35 Minuten einen Fragebogen zu ihrem sozioökonomischen Status und zu anderen Fragen ausgefüllt. Dabei wurden Zusammenhänge zwischen Leistungen und sozioökonomischem Status, Geschlecht sowie Migrationshintergrund und auch zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie untersucht.

Ein Mammutprojekt, was den Umfang der Ergebnisse betrifft.

Diese liegen nun in zwei insgesamt rund 1000 Seiten umfassenden Publikationen "Lernstände und Bildungsgerechtigkeit" [1] und "Learning During – and From – Disruption" [2] vor, weitere 3 Publikationen sind für 2024 geplant. Zusätzlich gibt es Zusammenfassungen für die einzelnen teilnehmenden Länder (https://www.oecd.org/publication/pisa-2022-results/country-notes/), eine Zusammenfassung "PISA 2022: Insights and Interpretations" [3] und auf 2 Seiten in Bildern "PISA 2022 key results (infographic)"[4].

Leider gibt es Ungereimtheiten bei den Aussagen und Interpretationen und es werden wenig Anhaltspunkte zur Verbesserung weniger erfolgreicher Systeme geboten.

Wie werden PISA-Tests analysiert/bewertet?

Vorweg eine kurze Zusammenfassung, um mit den Zahlen in den nächsten Abschnitten etwas anfangen zu können:

Die Testergebnisse werden einer Normalverteilung entsprechend skaliert mit Mittelwerten von etwa 500 Punkten und Standardabweichungen von etwa 100 Punkten. Bei den ersten schwerpunktmäßig getesteten Bereichen (Lesen: PISA 2000; Mathematik: PISA 2003; Naturwissenschaften: PISA 2006) haben 2/3 der Schüler demnach einen Wert zwischen 400 und 600 Punkten, 95 % der Schüler zwischen 300 und 700 Punkten erreicht.

Die verschiedenen Schwierigkeitsgrade in den Testbeispielen werden auf nach oben und unten offenen, in Kompetenzstufen unterteilten Skalen dargestellt. In Mathematik entspricht jede Kompetenzstufe einer Spanne von etwa 62 Punkten (Schwellenwerte der Kompetenzstufen in Zahlen: 1c = 233,1b = 295, 1a = 358, 2 = 420, 3 = 482, 4 = 545, 5 = 607, 6 = 669) (Tab. I.3.1 [1]). In Naturwissenschaften beträgt die Spanne etwa 75 Punkte, in Lesekompetenz ungefähr 73 Punkte.

Stufe 2 gilt als Grundkompetenzniveau, um in vollem Umfang am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Schüler, die diese Stufe nicht erreichen - in Mathematik 420 Punkte, in Naturwissenschaften 410 Punkte, in Lesen 407 Punkte - werden als leistungsschwach bezeichnet, Schüler, die die Kompetenzstufen 5 oder 6 erreichen als  leistungsstark.

Globale PISA-Ergebnisse 2022

Seit dem Beginn der PISA-Erhebungen haben die durchschnittlichen Schülerleistungen weltweit in allen 3 Bereichen abgenommen. Wurde ursprünglich ein OECD-Leistungsdurchschnitt in den drei Bereichen von jeweils 500 Punkten festgelegt, so liegen nun die Durchschnitte von 35 OECD Ländern bei 472 Punkten in Mathematik, 485 Punkten in Naturwissenschaften und 472 Punkten in Lesekompetenz. Am stärksten ist der OECD-Leistungsdurchschnitt in Mathematik seit 2018 gesunken (Rückgang um fast 15 Punkte, d.i. dreimal so hoch wie jede der vorherigen Veränderungen) und in der Lesekompetenz (um 10 Punkte). Der Rückgang in den Naturwissenschaften (um 4 Punkte) fiel wesentlich geringer aus und war statistisch nicht signifikant. In den Key Results-Infografik ([1], [4]) wird der Rückgang und auch dessen Interpretation im Stil der in Zeitungen üblichen Clickbaits dargestellt (Abbildung 1).

Abbildung 1. Durchschnittliche Punktezahl in 22 OECD-Ländern seit dem Beginn der Pisatestungen und durchschnittlicher Rückgang im Lernfortschritt seit 2018 in Schuljahren. Ursprünglich wurde der Mittelwert in den OECD-Ländern auf 500 Punkte festgelegt. Die Grafik stammt aus PISA 2022 Key Results (infographic) [4]. Lizenz: cc-by-nc-sa). Caveat: Durchschnitt aus nur 23 Ländern! Zahlen stimmen nicht mit den tatsächlichen OECD-Durchschnittswerten seit 2000 überein.

Der Rückgang in Mathematik seit 2018 wird in den Key Results mit einem Lernrückschritt von etwa einem Dreivierteljahr gleichgesetzt, der Rückgang in Lesekompetenz mit einem halben Schuljahr (Abbildung 1). Als Basis dafür wurde ein aus aktuellen Schätzungen stammender Referenzwert von 20 Punkten für das durchschnittliche jährliche Lerntempo der 15-Jährigen in den Ländern der PISA-Teilnehmer angewandt (Kasten I.5.1 in Kapitel 5 [1]). Im selben Absatz warnt die OECD allerdings gleichzeitig davor "diesen Wert zu verwenden, um Punktezahldifferenzen in Äquivalente von Schuljahren (oder Schulmonaten) umzurechnen. Denn zum einen variiert das Lerntempo in einem bestimmten Alter von Land zu Land erheblich,..... Und zum anderen gibt es keinen Grund zur Annahme, dass das Lerntempo im Zeitverlauf konstant bleibt."

Die obige Quantifizierung des Lernrückschritts erscheint nicht nur auf Grund unterschiedlicher OECD Aussagen fragwürdig - beispielsweise wendet der Schweizer PISA-2022 Nationalbericht auf Basis anderer Schätzungen die Faustregel an, dass ungefähr 40 Leistungspunkte dem Lernfortschritt von einem Schuljahr entsprechen [5].

Wie ist nun der Abwärtstrend der OECD-Durchschnittsleistungen - insbesondere seit 2018 - zu bewerten?

In Anbetracht der hohen Punktedifferenzen zwischen leistungsschwachen und leistungsstarken Schülern innerhalb eines Landes und dem durchschnittlichen Leistungsabstand zwischen den leistungsstärksten und leistungsschwächsten Ländern (beispielsweise liegen in OECD-Ländern 153 Punkte zwischen Japan und Kolumbien, unter allen PISA-Teilnehmern 238 Punkte zwischen Singapur und Kambodscha) ist der Abwärtstrend zwar als eher klein aber als Warnsignal anzusehen:

Insgesamt gesehen sind seit 2018 die PISA-Punktzahlen im OECD-Durchschnitt sowohl bei den besonders leistungsstarken als auch bei den leistungsschwachen Schülern zwischen 2012 und 2022 zurückgegangen, d.i. der Anteil der leistungsschwachen Schüler hat zugenommen, der Anteil der leistungsstarken Schüler abgenommen.

In den OECD-Mitgliedstaaten haben 2022 rund 31 % der 15-Jährigen in Mathematik die Kompetenzstufe 2 nicht erreicht, das heißt es fehlt ihnen die Fähigkeit Mathematik in einfachen Alltagssituationen anzuwenden, 26 % erwiesen sich als leistungsschwach in der Lesekompetenz - sie können einfache Texte nicht interpretieren und 24 % sind leistungsschwach in den Naturwissenschaften, d.i. sie können nicht auf aus dem Alltag stammendes konzeptuelles Wissen zurückgreifen, um Aspekte einfacher Phänomene zu erkennen (siehe auch Tabelle 2).

Bei vielen Nicht-OECD-Mitgliedern fallen die Schülerleistungen noch negativer aus - in 18 Ländern und Volkswirtschaften - darunter 3 Balkanländern - sind mehr als 60 % der 15-Jährigen in allen drei Fächern leistungsschwach (Panama, Saudi-Arabien, Georgien, Nordmazedonien, Indonesien, Albanien, Jordanien, El Salvador, Paraguay, Guatemala, Marokko, Dominikanische Republik, Philippinen, Usbekistan, Kosovo, Kambodscha, Baku, Palästinenser-Gebiete).

Es gibt aber auch positive Entwicklungen.

Tabelle 1. Durchschnittliche Schülerleistungen in Punktezahlen (in Klammer: Veränderung seit 2018) in ostasiatischen Staaten/Volksgemeinschaften. Diese nehmen die Spitzenplätze aller Wertungen in den 81 getesteten Ländern/Volkswirtschaften ein. .

Einige ostasiatische Staaten und Volkswirtschaften haben sich zu besonders leistungsstarken Gebieten entwickelt, die ihre bereits 2018 sehr hohen Leistungen z.T. noch steigern konnten und nun die Weltranglisten in allen 3 Disziplinen anführen: Singapur, Hongkong (China), Japan, Korea, Macau (China) und Chinesisch Taipei. Tabelle 1.

Was im Report nicht Platz findet: Es sind Gesellschaften, die vor allem vom Konfuzianismus geprägt sind, der eine prinzipiell positive Einstellung zum Lernen hat.

Ist die COVID-Pandemie am Leistungsabfall seit 2018 schuld?

Das wäre eine einfache Erklärung - allerdings kann der Leistungsabfall nur zum Teil durch die mit der COVID-19-Pandemie einhergehenden Schulschließungen und Problemen bei der Umstellung auf den digitalen Distanzunterricht erklärt werden. Der Zeitverlauf der PISA-Daten zeigt deutlich, dass der Abwärtstrend in zahlreichen Ländern bereits vor 2018 begonnen hatte (siehe auch Abbildung 3).

PISA-2022 in Europa

Dass Europa durch einen Bildungsvorhang in zwei Teile getrennt ist, ist nicht neu aber in den PISA 2022-Reports kein Thema. Abbildung 2 zeigt diese Spaltung am Beispiel der durchschnittlichen Mathematikleistung - die Ergebnisse in Naturwissenschaften und Lesekompetenz geben ein ganz ähnliches Bild. Auf der einen Seite steht der Block von 24 OECD-Staaten, auf der anderen Seite der Block der Balkanländer und daran angrenzend Moldawien und die Ukraine; Kroatiens Durchschnittsleistungen in allen 3 Bereichen, lassen das Land als Teil des OECD-Blocks erscheinen.

Abbildung 2. PISA 2022: Ein Bildungsvorhang trennt die europäischen Staaten. Durchschnittsleistungen in Mathematik; schwarze Zahlen: OECD-Länder, blaue Zahlen Nicht-OECD-Länder.(Quelle: https://factsmaps.com/pisa-2022-worldwide-ranking-average-score-of-mathematics-science-and-reading/. Daten aus Table 1.B1.2.1. [1])

In Mathematik liegen die Durchschnittsleistungen von 24 Ländern des OECD-Blocks im Bereich der OECD-Durchschnittsleistung von 472 Punkten oder darüber und diese haben damit im Durchschnitt mindestens die Grundkompetenzstufe 2 (Spanne 420 - 482 Punkte) erreicht. Am besten schnitten Estland (510 Punkte) und knapp dahinter die Schweiz (508 Punkte) ab - 51 Punkte trennen die Nummer 1 von Island (459 Punkte), dem Land mit der niedrigsten Durchschnittsleistung, das einst mit Finnland und Schweden zu den Vorreitern im Bildungsbereich gehörte. Seit 2018 sind die Leistungen in allen europäischen OECD-Ländern gesunken, in vielen davon um mehr als 20 Punkte.

Die Mathematikleistungen des Balkanblocks liegen im Durchschnitt um 80 Punkte unter denen des OECD-Blocks, wobei der Kosovo (355 Punkte), Albanien (368 Punkte) und Nordmazedonien (389 Punkte) die schlechtesten Wertungen erhielten, im Durchschnitt Kompetenzstufe 2 nicht erreichten. Auch in Naturwissenschaften und Lesen schnitten diese und die anderen Länder des Balkanblocks ganz ähnlich ab wie in Mathematik.

Leistungstrends in Österreich und Vergleichsländern

Die Durchschnittsergebnisse in Mathematik, Naturwissenschaften und Lesekompetenz fielen in Österreich, Deutschland und der Schweiz schwächer aus als in den Jahren davor. Abbildung 3.

Abbildung 3. Wie haben Schüler in Österreich, Deutschland und der Schweiz in den drei Testbereichen seit 2000 abgeschnitten? Punkte: Durchschnittsleisung, Schwarze Linien: bester Trend, orange Linien: OECD-Durchschnittsleistung (aus nur 23 Ländern! - die Kurven stimmen nicht mit den tatsächlichen OECD-Werten seit 2000 überein.) Quelle: https://www.oecd.org/publication/pisa-2022-results/country-notes/. Lizenz cc-by-nc-sa.

In den drei Ländern ist der Leistungsdurchschnitt in allen Bereichen seit Beginn der PISA-Tests massiv zurückgegangen, die Länder liegen dennoch über oder am OECD-Durchschnitt: über dem Durchschnitt sind in Mathematik die Schweiz um 36 Punkte, Österreich um 15 Punkte, Deutschland um 3 Punkte; in den Naturwissenschaften um 6 resp. 7 Punkte in Österreich und Deutschland und um 18 Punkte in der Schweiz und schließlich in der Lesekompetenz um jeweils 8 Punkte in Österreich und Deutschland und um 11 Punkte in der Schweiz (siehe auch Tabelle 2).

Wo liegen damit die drei Länder in der globalen Bewertung?

Als Vergleichsländer sollen das frühere Vorzeigeland Finnland, die derzeitige Nummer 1 in Europa, Estland und die globale Nummer 1 Singapur dienen (Tabelle 2).

Auch in Finnland und Estland sind die Leistungen seit 2018 in allen Gebieten zurückgegangen, in Singapur dagegen in Mathematik und Naturwissenschaften noch gestiegen - dort liegen diese nun um bis zu 100 Punkten über den Bewertungen unserer Länder.

Tabelle 2. Durchschnittliche Schülerleistungen in den deutschsprachigen Ländern und Vergleichsländern.

Leistungsschwache und leistungsstarke Schüler

Wie bereits früher erwähnt, liegt der Anteil der Schüler die die Grundkompetenzstufe 2 nicht erreichen im OECD-Durchschnitt bei rund einem Viertel in Naturwissenschaften und in Lesekompetenz und bei fast einem Drittel in Mathematik. Etwa 9 % der Schüler erreichten die höchsten Leistungsniveaus in Mathematik und rund 7 % in Naturwissenschaften und Lesekompetenz. Der Anteil leistungsschwacher und leistungsstarker Schüler ist in Deutschland in allen Fächern etwa gleich hoch wie im OECD-Durchschnitt, schwache und starke Leseleistung liegen auch in Österreich und der Schweiz im OECD-Durchschnitt. Österreich und vor allem die Schweiz haben einen niedrigeren Anteil an sehr schwachen und einen höheren Anteil an starken Mathematik-Schülern. In Naturwissenschaften liegt Österreich etwas, die Schweiz stärker über dem OECD-Durchschnitt. Abbildung 4. Der Anteil der leistungsschwachen Schüler ist in Österreich seit 2012 um jeweils 6 % in Mathematik und in den Naturwissenschaften und um 5 % in Lesekompetenz gewachsen.

Abbildung 4. Anteil der Schüler [%], welche die Grundkompetenzstufe 2 nicht erreichten und welche mindestens Kompetenzstufe 5 erzielten. Quelle: PISA-2022-Datenbank, Tabelle I.B1.5.1–12, I.B1.5.19, I.B1.5.20 und I.B1.5.21[1]

Im Vergleich dazu:

Estland, die Nummer 1 in Europa weist mit 15 % in Mathematik, 10 % in Naturwissenschaften und 14 % im Lesen wesentlich niedrigere Anteile an sehr schwachen und mit 13 % in Mathematik, 12 % in Naturwissenschaften und 11% im Lesen höhere Anteile an leistungsstarken Schülern auf als die deutschsprachigen Länder.

In Mathematik nimmt Singapur die globale Spitzenposition ein: 8 % liegen unter Kompetenzstufe 2 und 41 % erreichten Stufe 5, 6. Spitzenleistungen in Mathematik erzielten auch die anderen ostasiatischen Staaten/Volkswirtschaften Taipei (32%), Macao (China) (29%), Hong Kong (27%), Japan (23%) und Korea (23%).

Insgesamt gesehen und für das weitere Berufsleben entscheidend ist der Anteil der 15-Jähringen, die in allen 3 Fächern die Grundkompetenzstufe nicht erreichen: im OECD-Raum liegt dieser bei 16,4 %, in Deutschland (16,7 %) vergleichbar hoch, in Österreich (15,5 %) kaum viel niedriger und auch in der Schweiz mit 12,4 % noch zu hoch. In Estland sind es dagegen nur 5,2 % (Tabelle 1.1[1]).

Wie lässt sich der Rückgang der Schülerleistungen seit 2018 erklären?

Wie oben bereits erwähnt - sicherlich nicht ausschließlich durch die Folgen der Corona-Pandemie. Auf keinen Fall auch durch die weltweiten, seit langem bestehenden Leistungsunterschiede: Buben in Mathematik besser als Mädchen, Mädchen in Lesekompetenz besser als Buben.

Ein wichtiger Prädikator der Schülerleistungen ist der sozioökonomische Status - ESCS -, d.i. der wirtschaftliche, soziale und kulturelle Background der Schüler (ein Index, der sich aus der höchsten Bildungsstufe der Eltern, deren höchster beruflicher Stellung und dem materiellen Wohlstand der Familie zusammensetzt). Wie auch in früheren Studien gezeigt, schneiden sozioökonomisch begünstigte Schüler besser ab als benachteiligte Schüler. Im OECD-Durchschnitt liegt beispielsweise der Leistungsunterschied von begünstigten vs. benachteiligten Schüler in Mathematik bei 93 Punkten. Der aktuelle Punkteabstand in Österreich sind 106 Punkte, in Deutschland 111 Punkte und in der Schweiz 117 Punkte - kein Unterschied zum globalen Top-Performer Singapur bei 112 Punkten.

Ein wesentlicher Unterschied liegt allerdings in der Zuwanderung von sozioökonomisch-kulturell unterschiedlich geprägten Menschen. Der Report [1] schreibt dazu "Der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund hat sich in den meisten PISA-Teilnehmerländern seit 2012 nicht nennenswert verändert; in 20 Ländern bzw. Volkswirtschaften ist er jedoch gestiegen und in 5 anderen gesunken. Im OECD-Durchschnitt beträgt der Anteil der 15-jährigen Schüler mit Migrationshintergrund 13 %. In 40 Ländern und Volkswirtschaften machen die Schüler mit Migrationshintergrund weniger als 5 % der Grundgesamtheit der 15-jährigen Schüler, in 11 ist er höher als 25 %."

Zu diesen 11 Ländern gehören Österreich, Deutschland und die Schweiz. In Europa weisen sie die höchsten Anteile von 15-jährigen Schülern mit Migrationshintergrund auf und deren Anteil ist seit 2012 enorm gestiegen. Abbildung 5.

Abbildung 5.Der Anteil der migrantischen Schüler ist zwischen 2012 und 2022 in den deutschsprachigen Ländern im Vergleich zum OECD-Raum enorm gestiegen. Die Leistungsdifferenz kann nur teilweise durch den unterschiedlichen sozioökonomischen Background erklärt werden. Punktedifferenz: nicht-migrantische vs migrantische Schüler- in Klammer nach Berücksichtigung der soziökonomischen Unterschiede. (Daten aus [1], Bild rechts aus Key Results Infografic [4], Lizenz: cc-by-nc-sa)

Der PISA-Report fährt fort: "Der Anteil der sozioökonomisch benachteiligten Schüler ist im OECD-Durchschnitt unter den Schülern mit Migrationshintergrund größer (37 %) als unter denen ohne (22 %)" [1]. In den meisten Ländern schneiden daher Schüler ohne Migrationshintergrund in allen PISA-Erhebungsbereichen besser ab. Erschwerend kommt noch die Sprachbarriere hinzu - Schüler mit Migrationshintergrund sprechen zu Hause überwiegend eine andere Sprache als die Schulsprache - In Österreich, Deutschland und der Schweiz sind dies mehr als 60 %.

Die hohen Migrationsströme in die deutschsprachigen Länder haben zweifellos zu einem Rückgang der Durchschnittsleistungen beigetragen; im Vergleich dazu gibt es in der Nummer 1 in Europa, Estland, nur 8,7 % Schüler mit Migrationshintergrund, die sich zudem in den Leistungen von den anderen Schülern weniger unterscheiden.

Die mit "Kein signifikanter Unterschied zwischen Schüler*innen mit und ohne Migrationshintergrund" übertitelte Infografik in Abbildung 5 ist wiederum ein clickbait, der nicht die reale Situation, sondern bloß ein Wunschdenken der OECD vermittelt: "Wenn die Bildungspolitik sozioökonomische Benachteiligung und Sprachbarrieren bei Schüler*innen mit Migrationshintergrund ausgleicht (u. a. durch einen gezielten Einsatz von Bildungsressourcen zugunsten sozioökonomisch benachteiligter Schüler*innen mit Migrationshintergrund), können die Länder und Volkswirtschaften die Leistungen ihrer Schüler*innen mit Migrationshintergrund beträchtlich steigern."[1]

Ein wenig ermunternder Ausblick

den Andreas Schleicher, Direktor für Bildung und Kompetenzen bei der OECD, in dem Report Insights and Interpretations gibt [3]."Die Ergebnisse bieten eine Momentaufnahme der Bildungssysteme zu einem bestimmten Zeitpunkt; aber sie zeigen nicht - sie können nicht zeigen - wie die Schulsysteme zu diesem Punkt gekommen sind oder die Institutionen und Organisationen, die den Fortschritt gefördert oder behindert haben könnten. Außerdem sagen die Daten nicht wirklich viel über Ursache und Wirkung aus. Wir wissen zwar besser, was erfolgreiche Systeme tun, aber das sagt uns nicht unbedingt, wie wir weniger erfolgreiche Systeme verbessern können."[3]

Vielleicht hätte Schleicher auf die OECD-Definition des sozioökomischen Profils Bezug nehmen sollen, das durch den PISA-Index des ökonomischen, sozialen und kulturellen Status gemessen wird. Was die als Sieger im PISA-Test hervorgehenden ostasiatischen Länder auszeichnet, ist eine Weltanschauung, die auf Lernen und Leistung ausgerichtet ist. Um dazu den Lehrmeister Konfuzius zu zitieren:

Etwas lernen und mit der Zeit darin immer geübter werden,

ist das nicht auch eine Freude? [6].


[1] OECD (2023), PISA 2022 Ergebnisse (Band I): Lernstände und Bildungsgerechtigkeit, PISA, OECD Publishing, Paris, , https://doi.org/10.1787/b359f9ab-de.

[2] OECD (2023), PISA 2022 Results (Volume II): Learning During – and From – Disruption, PISA, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/a97db61c-en.

[3] Andras Schleicher: Insights and Interpretations: https://www.oecd.org/pisa/PISA%202022%20Insights%20and%20Interpretations.pdf

[4] PISA 2022 key results (infographic): https://www.oecd-ilibrary.org/sites/afda44bb-en/index.html?itemId=/content/component/afda44bb-en

[5] Erzinger, A. B., et al., (Hrsg.) (2023). PISA 2022. Die Schweiz im Fokus. Universität Bern. https://dx.doi.org/10.48350/187037

[6] Konfuzius-Aussprüche: https://www.aphorismen.de/zitat/3971, abgefragt am 10.12.2023

 


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inge Sat, 16.12.2023 - 00:51